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04.3
Geschichten Stefan Zweig
Geschichte in der Dämmerung
aus
Vier Geschichten aus Kinderland
Geschichte
in der Dämmerung - Seite 5
Einmal
sitzt Elisabeth wieder an seinem Lehnsessel. Es
ist helle Sonne draußen, ein grüner Reflex von den wehenden Wipfeln
zittert an
den Wänden. Ihr Haar scheint in solchen Augenblicken ganz feurig wie
brennende
Wolken, ihre Haut blaß und durchsichtig, ihr ganzes Wesen leuchtend und
irgendwie leicht. Von seinem Kissen aus, wo ein Schatten liegt, sieht
er ihr
Gesicht nah lächeln und sieht es doch so ferne, weil es strahlt von dem
Licht,
das ihn nicht mehr erreicht. Alles Geschehene vergißt er bei diesem
Anblick.
Und wie sie sich hinbeugt zu ihm, daß ihre Augen tiefer zu werden
scheinen und
als dunkle Spiralen nach innen zu laufen, wie sie sich vorneigt, da
faßt sein
Arm ihren Leib, beugt ihren Kopf nah zu sich herab, und er küßt sie auf
den schmalen feuchten Mund. Sie zittert sehr,
widerstrebt aber nicht, sondern streift nur leise traurig mit der Hand
ihm
übers Haar. Und sagt dann ganz verhauchend, mit einer zärtlichen
Traurigkeit in
der Stimme: »Du liebst ja doch nur Margot.« Bis an sein Herz fühlt er
den
hingebenden Ton, diese leise widerstandslose Verzweiflung, bis in die
Seele den
Namen, der ihn so sehr erschüttert. Aber er wagt nicht zu lügen in
dieser
Minute. Er schweigt.
Sie
küßt ihm noch einmal ganz leicht, fast
schwesterlich die Lippen, dann geht sie ohne ein Wort hinaus.
Das
ist das einzige Mal, daß sie davon sprechen. Ein
paar Tage noch, und dann führen sie den Genesenden hinab in den Garten,
wo
schon die ersten falben Blätter sich über dem Weg nachjagen und der
verfrühte
Abend bereits an die Melancholie des Herbstes erinnert. Und wieder ein
paar
Tage, und er geht schon mühsam allein und nun zum letztenmal für dieses
Jahr
unter dem bunten Geflecht der Bäume, die jetzt lauter und unwilliger
reden im
schaukelnden Winde, als damals in jenen drei lauen Sommernächten.
Wehmütig geht
der Knabe hin zu jener Stelle. Ihm ist, als stände hier unsichtbar eine
dunkle
Mauer aufgerichtet, hinter der rückwärts, ganz
verschwommen schon im Dämmern, seine Kindheit läge und vor ihm ein
andres Land,
fremd und gefährlich.
Abends
nahm er Abschied, sah noch einmal in Margots
Gesicht tief hinein, als müßte er es für sein Leben in sich trinken,
legte
seine Hand unruhig in die Elisabeths, die warm und drängend die seine
umschloß,
sah an Kitty, an den Freunden und an seiner Schwester fast vorbei, so
voll war
seine Seele von der Empfindung, daß er die eine liebte und die andere
ihn. Sehr
blaß war er und irgendein herber Zug auf seinem Gesicht, der ihn nicht
mehr wie
einen Knaben scheinen ließ. Zum ersten Male sah er aus wie ein Mann.
Und
doch, als dann die Pferde anzogen und er sah, wie
Margot sich gleichgültig abwandte, um die Treppe hinaufzugehn, und wie
über
Elisabeths Augen plötzlich ein feuchter Glanz lief und sie sich anhielt
an dem
Geländer, da kam die Fülle des neuen Erlebens so ganz über ihn, daß er
sich
seinen Tränen ungestüm hingab wie ein Kind.
Immer
ferner leuchtete das Schloß, immer kleiner
schien zwischen dem aufquellenden Staub des Wagens der dunkle Garten zu
werden,
immer weiter die Landschaft, und schließlich war all das, was er erlebt
hatte,
unsichtbar hinter seinem Blick und nur mehr drängende
Erinnerung. Zwei Stunden Fahrt führten ihn zur nahen Station. Und am
nächsten
Morgen war er in London.
Ein
paar Jahre noch, und er war kein Knabe mehr. Aber
jenes erste Erlebnis war zu heftig in ihm lebendig geworden, um je
wieder zu
welken. Margot und Elisabeth hatten beide geheiratet, aber er wollte
sie nicht
mehr wiedersehen, denn die Erinnerungen an jene Stunden überkamen ihn
manchmal
mit solch ungestümer Kraft, daß sein ganzes späteres Leben ihm nur
Traum und
Schein schien gegen die Wirklichkeit dieser Erinnerung. Er ist einer
jener
Menschen geworden, die kein Verhältnis mehr zur Liebe und zu den Frauen
finden
können; denn ihn, der in einer Sekunde seines Lebens beide
Empfindungen, die
der Liebe und des Geliebtseins, so voll vereinigt hatte, drängte keine
Sehnsucht mehr, zu suchen, was ihm so früh schon in seine zitternden,
ängstlich
nachgebenden Knabenhände gefallen war. Durch viele Länder ist er
gereist, einer
jener korrekten stillen Engländer, die viele für gefühllos halten, weil
sie so
schweigsam sind und weil ihr Blick kühl an den Gesichtern der Frauen
und an
ihrem Lächeln vorübergeht. Denn wer denkt, daß sie die Bilder, auf die
ihr
Blick stets geheftet ist, innen, verflochten ihrem Blute tragen, das
stets um
sie lodert wie ein ewiges Licht vor dem Bilde der
Madonna? Und jetzt weiß ich auch, wie diese Geschichte zu mir kam. In
dem Buch,
darin ich heute nachmittag gelesen, war auch eine Karte gelegen, eine
Karte,
die mir ein Freund aus Kanada schrieb. Es ist ein junger Engländer, den
ich
einmal auf einer Reise kennen lernte, mit dem ich oftmals an langen
Abenden
sprach und in dessen Reden manchmal geheimnisvoll wie ferne Standbilder
die
Erinnerung an zwei Frauen aufleuchtete, die mit einem Augenblick seiner
Jugend
dauernd vereint waren. Es ist lange her, sehr lange, daß ich mit ihm
sprach,
und ich hatte auch wohl die Gespräche von damals schon vergessen. Aber
heute,
als ich die Karte empfing, stieg die Erinnerung, mit allerlei eigenem
Erlebnis
träumerisch vermengt, wieder auf, und mir war, als hätte ich seine
Geschichte
in dem Buche gelesen, das mir aus den Händen glitt, oder hätte sie
gefunden in
einem Traume. –
Aber
wie dunkel ist es geworden im Zimmer, und wie
ferne bist du mir nun in dieser tiefen Dämmerung! Ich sehe nur einen
zarten
hellen Schimmer dort, wo ich dein Antlitz ahne, und ich weiß nicht, ob
du
lächelst oder traurig bist. Ob du lächelst, weil ich mir seltsame
Geschehnisse
erfinde für Menschen, die ich flüchtig kannte, ganze Schicksale träume
und sie dann wieder ruhig zurückgleiten lasse in ihr
Leben und ihre Welt? Oder bist du traurig um dieses Knaben willen, der
an der
Liebe vorbeiging und sich in einer Stunde für immer aus dem Garten
dieses süßen
Traumes verlor?
Sieh,
ich wollte es nicht, daß diese Geschichte
wehmütig sei und dunkel, ich wollte dir nur von einem Knaben erzählen,
den
plötzlich die Liebe überfiel, die eigene und die einer andern. Aber die
Geschichten, die man des Abends erzählt, wandern alle in die leise
Straße der
Wehmut hinein. Die Dämmerung senkt sich auf sie mit ihren Schleiern,
all die
Trauer, die im Abend ruht, wölbt sich sternenlos über sie, das Dunkel
sickert
in ihr Blut, und all die hellen und bunten Worte, die sie tragen, haben
dann
einen so vollen und schweren Klang, als kämen sie aus unserm eigensten
Leben.
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