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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Wanderung
E. M. Lilien
dem Künstler und dem Freunde
Dunkle Gerüchte waren durch das Land gezogen und
seltsame Worte, als sollte die Zeit sich erfüllt haben und der Messias nahe
sein. Immer häufiger kamen Männer von Jerusalem zu den kleineren Orten Judäas
und erzählten von Zeichen und Wundern, die sich ereignet hatten. Und wenn sie
zu wenigen beisammen waren, dann senkten sie ihre Stimmen geheimnisschwer, um
von dem seltsamen Manne zu künden, den sie Meister nannten. Allerorts hörte man
sie dann gerne und glaubte ihnen mit banger Zuversicht, denn die Sehnsucht nach
dem Erlöser war drängend und reif geworden im Volke, wie eine Blüte, die ihren
Kelch zersprengt. Und wenn man der Verheißungen in den heiligen Büchern
gedachte, so nannte man seinen Namen, und ein hoffnungsfrohes Leuchten flammte
in den Blicken.
Damals lebte auch ein Jüngling im Lande, dessen Herz
gläubig war und erwartungsvoll. Die armen Pilger, die des Weges von Jerusalem
kamen, lud er in sein Haus, daß sie ihm vom Heilande berichteten, und wenn sie
von ihm sprachen und von seinen wunderseligen Taten und Worten, da fühlte er
einen dumpfen Schmerz im Herzen, denn sein Verlangen wurde jäh und ungestüm,
das Angesicht des Erlösers zu schauen. Tag und
Nacht träumte er von ihm, und seine rastlose Sehnsucht formte tausend Bilder
seines Antlitzes voll Güte und Milde, er aber fühlte, daß sie doch nur
stammelnde Abbilder einer großen Vollendung seien. Und ihm war, als müßte alle
Unrast und Schmerzlichkeit seiner jungen Seele schwinden, dürfte er nur einmal
den leuchtenden Glanz tragen, der von dem Herrn ausging. Noch aber wagte er es
nicht, Heimat und Arbeit zu verlassen, die ihn ernährten, und dorthin zu gehen,
wohin ihn seine Sehnsucht wies.
Einmal aber erwachte er plötzlich in tiefer Nacht aus
einem Traum. Er vermochte sich seiner nicht mehr zu besinnen, nicht einmal, ob
er ihm Glück gegeben oder einen Schmerz; er fühlte nur so, als ob ihn jemand
von ferne gerufen hätte. Und da wußte er, daß der Heiland ihn zu sich entboten.
Im schwersten Dunkel erwuchs ihm noch der jähe Entschluß, daß er nun nicht mehr
zaudern dürfe, seines Herrn Angesicht zu schauen, und der sehnsüchtige Drang
ward so siegreich und mächtig in ihm, daß er sich sogleich ankleidete, einen
starken Wanderstab nahm und, ohne jemandem ein Wort zu sagen, aus dem
schlummernden Hause ging, den Weg gegen Jerusalem zu.
Helles Mondlicht lag auf der Straße, und der Schatten
seiner hastenden Gestalt eilte vor ihm her. Denn sein Schritt war beschleunigt
und beinahe ängstlich; es schien, als wollte er das monatelange Versäumnis in
dieser einen Nacht wett machen. In ihm bangte ein Gedanke, den er sich kaum zu
sagen wagte: es könnte zu spät sein, und er würde den Heiland nicht mehr
finden. Und manchmal überkam ihn auch die bange Furcht, er könnte den Weg
verfehlen. Aber dann gedachte er des innigen Wunders, das er vernommen von drei Königen aus fernem Lande, die ein
leuchtender Stern durch das Dunkel geführt. Und da verließ wieder die lästige
Schwere seine Seele, und der eilende Wanderschritt hallte sicher und fest auf
dem harten Pfade.
Einige Stunden eilte er so dahin, dann ward es Morgen.
Langsam hob sich der Nebel und zeigte das farbensatte Hügelland mit seinen
fernen Bergen und hellen Gehöften, die zur Rast einluden. Er aber hielt nicht
inne auf seiner Wanderung, sondern strebte unablässig weiter. Langsam stieg die
Sonne höher und höher. Und es ward ein heißer Tag, der sich schwer über das
Land legte.
Bald wurde sein Schritt langsamer. Lichte
Schweißperlen tropften von seinem Körper, und das schwere Feiertagsgewand
begann ihn zu drücken. Zuerst legte er es über die Schulter, um es zu bewahren,
und ging in ärmlicher Gewandung dahin. Bald aber begann er die Schwere der Last
zu fühlen und wußte nicht mehr, was er mit dem Kleide beginnen sollte. Er
wollte es nicht weggeben, denn er war arm und hatte kein anderes Feiertagsgewand,
so daß er schon daran dachte, es im nächsten Dorfe zu verkaufen oder als Pfand
für Geld zu geben. Aber als ein Bettler mühselig des Weges daherkam, dachte er
seines fernen Meisters und schenkte das Gewand dem Armen.
Eine kurze Zeit ging er wieder rüstiger, doch dann
verlangsamte sich von neuem sein Gang. Die Sonne stand schon hoch und heiß, und
die Schatten der Bäume fielen nur als schmale Streifen über den staubigen Weg.
Sehr selten kam ein schwacher Wind durch die stockende Mittagsschwüle, der aber
trieb den breitkörnigen und schweren Staub der Straße mit sich, der sich an den
schweißüberströmten Körper klebte. Und er fühlte ihn auch auf den vertrockneten Lippen brennen, die lange nach einem Trunke
lechzten. Aber die Gegend war gebirgig und öde, nirgends war ein frischer Quell
zu sehen oder ein gastliches Haus.
Manchmal kam ihm der Gedanke, er sollte umkehren oder
doch wenigstens im Schatten einige Stunden rasten. Aber eine immer wachsende
Unruhe trieb ihn weiter mit schwankenden Knieen und lechzenden Lippen seinem
Ziele entgegen.
Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne brannte
heiß und stechend vom wolkenlosen Himmel herab, und die Straße glühte unter den
Sandalen des Wanderers wie flüssiges Erz. Seine Augen waren rot und geschwollen
vom Staube, der Gang wurde immer unsicherer, und die ausgetrocknete Zunge
vermochte nicht mehr den seltenen Vorüberwandernden den frommen Willkommengruß
zu erwidern. Längst hätten alle Kräfte versagt, aber es war, als triebe der
Wille allein ihn noch vorwärts und die furchtbare Angst, er könnte sich
verspäten und möchte das leuchtende Antlitz nicht mehr schauen, das seine
Träume erhellte. Und der höhnische Gedanke, daß er ihm schon nahe sei, nur mehr
zwei armselige Stunden von der heiligen Stadt, drohte ihm das Gehirn zu
zersprengen.
Bis zu einem Hause am Wege schleppte er sich noch
fort. Mit letzter Kraft warf er den knorrigen Wanderstab gegen die Tür und bat
die öffnende Frau mit trockener und fast unhörbarer Stimme um einen Trunk. Dann
brach er ohnmächtig über der Schwelle zusammen.
Als er wieder zur Besinnung erwachte, fühlte er wieder
sichere und frische Kraft in seinen Gliedern. Er fand sich in einem kleinen
Raum von wohltuender Kühle auf einem Ruhebette ausgestreckt. Und überall die
Spuren einer mildtätig-sorglichen Hand; sein
glühender Körper war mit Essig gewaschen worden und sorgfältig gesalbt, und
neben seinem Lager stand noch das Gefäß, aus dem man ihn gelabt.
Sein erster Gedanke galt der Zeit, und er sprang rasch
vom Lager, um nach der Sonne zu sehen. Die stand noch hoch, denn es war erst
früher Nachmittag, so daß er wenig Zeit versäumt hatte. In diesem Augenblicke
trat die Frau ins Zimmer, die ihm früher das Tor geöffnet. Sie war noch jung
und dem Aussehen nach eine Syrierin; wenigstens hatten ihre Augen jenen dunklen
raubtierartigen Glanz der Frauen dieses Volkes, und ihre Hände und Ohrgehänge
verrieten die kindliche Freude am Schmuck, die allen diesen Frauen eigen ist.
Ihr Mund lächelte leise, als sie ihm Willkommen in ihrem Hause bot.
Er sagte ihr warmen Dank für ihre Gastfreundschaft,
wagte es aber nicht, gleich vom Abschied zu sprechen, so sehr ihn auch sein
Herz auf den Weg drängte. Und nur ungern folgte er ihr in das Speisegemach, wo
sie ihm eine Mahlzeit vorbereitet. Dort hieß sie ihn mit einer Gebärde sich
niederzulassen, fragte ihn dann nach seinem Namen und um das Ziel seiner Reise.
Und bald kamen sie ins Gespräch. Sie begann von sich zu erzählen, daß sie die
Frau eines römischen Centurio sei, der sie aus ihrem Heimatlande entführt hatte
und hierhergebracht, wo ihr das Leben in seiner Eintönigkeit, fern von ihren
Stammesgenossen, wenig behage. Heute bliebe er den ganzen Tag in der Stadt,
denn Pontius Pilatus, der Statthalter, habe die Hinrichtung dreier Verbrecher
angeordnet. Und so sprach sie noch allerlei gleichgültige Dinge mit viel
Geschäftigkeit, ohne auf seine unruhige und ungeduldige Miene zu achten. Und
manchmal sah sie ihn mit einem eigentümlich
lächelnden Blick an, denn er war ein schöner Jüngling.
Zuerst bemerkte er von alldem nichts, denn er achtete
nicht auf sie und ließ ihre Worte wie ein sinnloses Geräusch an sich
vorbeiströmen. Sein ganzes Denken verlor sich immer wieder in dem einzigen
Gedanken, daß er weiterwandern müsse, um noch heute den Heiland zu sehen. Aber
der schwere Wein, den er achtlos trank, gab seinen Gliedern Müdigkeit und
Schwere, und mit der Sättigung überkam ihn auch das sanfte Gefühl einer trägen
Behaglichkeit. Und als die sinkende Willenskraft ihn nach dem Mahle zu einem
matten Versuche zwang, Abschied zu nehmen, hielt sie ihn mit Hinblick auf die
drückende Hitze des Nachmittags ohne viel Mühe zurück.
Und lächelnd verwies sie ihm seine Hast, die mit
wenigen Stunden geize. Wenn er schon Monate gezögert, dürfe er doch nicht mit
einem einzigen Tage rechnen. Und mit ihrem seltsamen Lächeln kam sie immer
wieder darauf zurück, daß sie allein zu Hause sei, ganz allein. Dabei bohrte
sich ihr Blick verlangend in den seinen. Und auch über ihn war eine seltsame
Unruhe gekommen. Der Wein hatte in ihm dumpfe Begierden geweckt, und sein Blut,
das in dem kochenden, verzehrenden Brande der Sonne geglüht, pochte in seinen
Adern mit einer seltsamen Schwüle, die sein Denken immer mehr überwältigte. Und
als sie ihr Antlitz einmal nah zu dem seinen neigte und er den verlockenden
Duft ihrer Haare einsog, riß er sie zu sich und küßte sie in stürmischem
Überschwang. Und sie wehrte ihm nicht . . .
Und er vergaß seiner heiligen Sehnsucht und dachte nur
derer, die er in seinen fiebernden Armen hielt, einen langen schwülen
Sommernachmittag lang.
Erst die Dämmerung erweckte
ihn wieder aus seinem Taumel. Jäh, fast feindselig riß er sich aus ihren Armen
los, denn der Gedanke, er könnte den Messias versäumt haben um eines Weibes
willen, machte ihn furchterfüllt und wild. In Hast nahm er seine Kleider, ergriff
den Stab und verließ das Haus nur mit einer stummen Gebärde des Abschieds. Denn
wie eine Ahnung war es in ihm, daß er dieser Frau nicht Dank sagen dürfe.
In unaufhörlicher Hast strebte er Jerusalem zu. Der
Abend war schon gesunken, und in allen Ästen und Zweigen bebte ein Rauschen wie
von einem dunklen Geheimnis, das die Welt erfüllte. Und ferne in der Richtung
gegen die Stadt zu lagen ein paar dunkelschwere Wolken, die langsam im
Abendrote zu glühen begannen. Und sein Herz erschrak in jäher und unverständlicher
Angst, wie er dieses grelle Zeichen am Himmel erkannte.
Atemlos legte er den Rest des Weges zurück, und schon
lag das Ziel vor seinen Augen. Er aber dachte immer wieder, daß er seiner
Berufung untreu geworden sei, um einer flüchtigen Wollust willen, und die
dumpfe Schwere in seinem Herzen wollte nicht leichter werden, ob er auch die
hellen Mauern und blanken Türme der heiligen Stadt erblickte und die
leuchtenden Zinnen des Tempels.
Nur einmal hielt er inne auf seiner Wanderung. Nahe
der Stadt, auf einem niederen Hügel, sah er eine gewaltige Menge Menschen, die
sich wirr durcheinander drängte und so laut lärmte, daß er die Stimmen selbst
aus der Ferne vernahm. Und über ihnen sah er drei Kreuze ragen, die sich
schwarz und scharf von der Himmelswand abhoben. Diese aber war überflutet von
heller Glut, als sei die ganze Welt mit leuchtendem Flammenschein übergossen
und in drohenden Glanz getaucht. Und die blanken
Speere der Söldner glühten, als seien sie mit Blut befleckt . . .
Ein Mann kam auf dem menschenleeren Weg daher, mit
ziellosem, unruhigem Gang. Den fragte er, was hier geschehe, um im nächsten
Augenblick maßlos zu erstaunen. Denn das Antlitz, das der Fremde vom Boden
erhob, war so schreckverzerrt und erstarrt, wie von einem jähen Schlage gerührt,
und ehe sich der Fragende fassen konnte, stürmte er in wilder Verzweiflung
davon, wie von Dämonen verfolgt. Verwundert rief er ihm nach. Der Fremde
wendete sich nicht um, sondern lief fort und fort, aber dem Weiterwandernden
dünkte es, als hätte er in ihm einen Mann aus Kerijoth, namens Judas Ischariot,
erkannt. Doch er verstand nicht sein seltsames Gebaren.
Den Nächsten, der des Weges vorüberzog, befragte er
ebenfalls. Der aber war eilig und sagte nur, es seien drei Verbrecher
gekreuzigt worden, die Pontius Pilatus verurteilt habe. Und ehe er ihn weiter
fragen konnte, war er vorüber.
Und da ging er selbst weiter gegen Jerusalem zu.
Einmal warf er noch einen Blick zurück auf den Hügel, der wie mit Blut umwölkt
war, und sah zu den drei Gekreuzigten hin. Zum Rechten, zum Linken und zuletzt
zu dem in der Mitte. Aber er konnte sein Angesicht nicht mehr erkennen.
Und er schritt achtlos vorüber und wanderte zur Stadt,
um das Antlitz des Erlösers zu
schauen....
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