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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Liebe der Erika Ewald
. . .
. Aber das ist die Geschichte
aller
jungen Mädchen, dieser sanften
Dulderinnen.
Sie sagen nie, daß sie
leiden.
Die Frauen sind zum Dulden
geschaffen.
Es ist gewiß so ihr Schicksal,
sie
erfahren es früh und sind darüber
so
wenig erstaunt, daß sie noch immer
sagen,
das Übel sei nicht da, wenn es
längst
gekommen. . . .
Barbey
d'Aurévilly.
Erika
Ewald trat langsam ein, mit dem
vorsichtig-leisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die
Schwester saßen
schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der
Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der
Teller
und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen
wurde
selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein
aufgeworfenes
Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie
hatten sich
alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und häßlich; eine
jahrelange
Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene
altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem
Lächeln
scheiden
sieht.
Den Vater hatte eine langjährige
gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere
seit dem
Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige
Schweigsamkeit,
mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen.
Auch
Erika schwieg meistens an diesen eintönigen
Abenden. Sie fühlte es, daß sich gegen die graue Stimmung, die sich wie
dicke
drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse.
Und dann
war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu
Stunde
hetzte und sie zwang, Disharmonieen, tastende Akkorde, unmusikalische
Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein
dumpfes
Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die
Gewalt
des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen
sich
selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie
gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu
geben, ob
auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie
ein
überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und
nur ein
leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen
verriet,
daß Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich
nicht
von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben um
den
festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen.
Das
Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich,
sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die
Pfeife
anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die
gleichgültigste
Tätigkeit zu starrer Gewohnheit versteinerte. Und auch Jeanette, ihre
Schwester
holte sich wie immer ihr Nähzeug her und begann
beim Lampenlicht, stark vorgebeugt wegen ihrer Kurzsichtigkeit,
mechanisch zu
sticken.
Erika
ging in ihr Zimmer und begann sich langsam zu
entkleiden. Es war diesmal noch sehr früh. Sonst pflegte sie bis tief
in die
Nacht hinein zu lesen, oder sie lehnte in einem süßen Gefühle am
Fenster und
blickte hoch von oben über die hellen mondscheinbeleuchteten Dächer,
die sich
in lichter Silberflut badeten. Sie hatte da nie klare, zielstrebende
Gedanken,
nur das unbestimmte Gefühl einer Liebe für das Schimmernde, Blitzende
und doch
so sanft Verströmende des Mondlichtes, das die Tausende von Scheiben
blank
spiegelte, hinter denen sich die Geheimnisse des Lebens bargen. Aber
heute
empfand sie eine sanfte Mattigkeit, eine selige Schwere, die sich sehnt
von
milden, warm anschmiegenden Decken getragen zu werden. Eine
Schläfrigkeit, die nichts
anderes ist als Sehnsucht nach süßen, seligen Träumen, rann durch alle
Glieder
wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf
beinahe
mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze.
Einen
Augenblick noch – und dann dehnte sie sich im Bette. . . .
Wie
ein hurtiges Schattenspiel tanzten noch einmal die
seligen Erinnerungen des Tages vorbei. Sie war heute bei ihm gewesen. .
. .
Gemeinsam hatten sie wieder geprobt zu ihrem Konzert, wo ihr Spiel
seine Geige begleiten
sollte. Und dann spielte er ihr vor – Chopin, die Ballade ohne Worte.
Und dann
die sanften lieben Worte, die er ihr sagte, die vielen lieben Worte!
Die
Bilder eilten immer rascher vorbei, sie führten
sie wieder nach Hause zu sich selbst, um rasch wieder hinwegzuirren in
die Vergangenheit, zu dem Tag, da sie ihn zuerst
kennen gelernt hatte.
Und bald stürmten sie heraus über die Enge der Zeit und
des Erlebens und wurden immer wilder und bunter. Noch hörte Erika, wie
ihre
Schwester nebenan zu Bette ging. Und ein toller merkwürdiger Gedanke
kam ihr,
ob er sie wohl auch zu sich gebeten hätte. Ein frohes übermütiges
Lächeln
wollte sich noch matt auf ihre Lippen schleichen, aber sie war schon zu
schlaftrunken. Und einige Minuten später trug sie ein sicherer Schlaf
zu
seligen Träumen.
Beim
Erwachen fand sie eine
Ansichtskarte auf dem Bette. Nur ein paar Worte waren darauf, mit
fester
energischer Schrift hingeworfen, Worte, wie man sie auch an Fremde
verschenkt.
Aber Erika empfand sie als Gabe und Glück, weil er sie geschrieben
hatte; ihr
war es gegeben, aus dem Geringfügigen und Unscheinbaren die Ahnungen
der
wirklichen Fülle sich zu erschließen. Und so sollte ihr diese Liebe
nicht nur
wie ein milder Glanz werden, der jedes Wesen umleuchtet und erhellt,
sondern so
tief sollte dieses verklärende Gefühl sich verlieren, daß es wie ein
Schimmer
wurde, der in innigem Durchglühen von innen emporzuwachsen schien aus
allem
Leblosen und Unbeseelten. Schon von früher Jugend auf hatte das dunkle
Gefühl
ihres Ängstlichseins und ihrer zurückhaltenden Einsamkeit sie gelehrt,
die
Dinge nicht als kalt und leblos zu betrachten, sondern als
verschwiegene
Freunde, die Geheimnisse und Zärtlichkeiten dem anvertrauen, der auf
sie hört.
Bücher und Bilder, Landschaften und Musikstücke sprachen zu ihr, der
das dichterhafte Vermögen des Kindes geblieben
war, in bemalten Körpern, unbeseelten Dingen frohbewegte bunte
Wirklichkeit zu
sehen. Und das waren ihre einsamen Feste und Seligkeiten, ehe die Liebe
zu ihr
gekommen war.
So
wurden ihr auch die
wenigen schwarzen Schriftzüge auf dem Blatte Ereignis. Sie las die
Worte so wie
er sie zu sprechen pflegte, mit der weichen und musikalischen Betonung
seiner
Stimme, sie suchte in ihren Namen den heimlich-süßen Reiz zu legen, den
nur die
Sprache der Zärtlichkeit geben kann. Und sie horchte in den wenigen
Sätzen, die
ihrer Angehörigen wegen in kühler, fast respektvoller Form gehalten
waren, den
verborgen klingenden Unterton der Liebe und buchstabierte sich so
langsam und
traumverloren durch die Zeilen, daß sie beinahe ihren Inhalt wieder
vergessen
hätte. Und der war nicht so unwichtig. Sie möchte ihm doch mitteilen,
ob ihr
geplanter Sonntagsausflug zustande käme. Und noch ein paar unwichtige
Worte
wegen ihres gemeinsamen Auftretens in einem längst besprochenen
Konzert. Dann
ein freundlicher Gruß und eine hastige Unterschrift. Aber sie las die
Zeilen
immer wieder und wieder, weil sie in ihnen die starke und drängende
Empfindung
zu hören glaubte, die doch nur der Widerklang ihrer eigenen war.
Es
war noch nicht lange
her, daß diese Liebe zu Erika Ewald gekommen war und den ersten Glanz
in ihr
blasses gleichgültiges Mädchenleben getragen hatte. Und ihre Geschichte
war
still und alltäglich.
In
einer Gesellschaft
hatten sie sich kennen gelernt. Sie
gab dort Klavierstunden, aber ihre diskrete und feine Art gewann ihr so
sehr
die Liebe des ganzen Hauses, daß sie nur mehr als Freundin betrachtet
wurde.
Und er war dort zu einer Veranstaltung geladen, sozusagen
als pièce
de résistance, denn sein Ruf als Geigenvirtuose war trotz seiner Jugend
ein
ganz ungewöhnlicher.
Die
Umstände erwiesen sich
selbst als bereitwillig, um ihre Verständigung zu unterstützen. Er
wurde
gebeten zu spielen, und es ergab sich als fast selbstverständlich, daß
sie die
Begleitung übernehmen sollte. Und da wurde er zuerst auf sie
aufmerksam, denn
sie ging mit soviel Verständnis auf seine Intentionen ein, daß er
sogleich die
Feinheit und Innigkeit ihres Wesens ahnte. Und noch mitten im
stürmischen
Applaus, der ihrem Vortrag folgte, machte er ihr den Vorschlag, ein
bißchen
zusammen zu plaudern. Sie nickte leise, ganz unmerklich leise.
Aber
es kam nicht dazu. Man
gab sie beide nicht so rasch frei, er konnte nur ab und zu mit einem
verstohlenen Blicke ihre überschlanke biegsame Gestalt messen und einen
schüchtern-staunenden Gruß ihrer dunklen Augen auffangen. Ihre Worte
gingen
unter in Gewöhnlichkeiten und Höflichkeiten, mit denen man sie
überhäufte. Dann
kamen wieder neue Menschen und hunderterlei Ablenkungen anderer Art,
daß sie
beinahe die Verabredung
vergaß. Aber als alles vorüber war und sie sich empfahl, stand er
plötzlich
neben ihr und fragte sie mit seiner sanften zurückhaltenden Stimme, ob
er sie
nach Hause geleiten dürfe. Einen Augenblick war sie hilflos; dann
lehnte sie
mit so ungeschickten Worten seine Mühe ab, daß er seinen Willen
schließlich
leicht durchsetzen konnte.
Sie
wohnte ziemlich weit
draußen in der Vorstadt, und es
war ein langer Weg in der mondhellen kalten Winternacht. Eine Zeitlang
blieb
ein Stillschweigen zwischen ihnen; es war dies keine Unbehilflichkeit,
sondern
nur die unbestimmte Furcht, die feiner durchbildete Leute haben, eine
Unterhaltung mit Banalitäten zu beginnen. Dann begann er zu sprechen.
Von dem
Musikstück, das sie gemeinsam gespielt hatten, und von der Kunst
überhaupt.
Aber das war nur ein Anfang. Nur ein Weg zu ihrer Seele. Denn er wußte,
daß
alle, die in der Kunst ihre letzten Schätze so königlich
verschwendeten, die
ihr volles Gefühl in die musikalische Schönheit legten, im Leben ernst
und
verschlossen waren und sich nur dem Verstehenden offenbarten. Und sie
gab ihm
auch wirklich in ihren Ansichten über Schaffen und Reproduzieren viel
von ihren
geheimen psychischen Erlebnissen, vieles, das sie noch keinem
anvertraute und
manches, das ihr selbst bisher noch nicht zum Bewußtsein gekommen war.
Später
konnte sie es selbst nicht begreifen, wieso sie ihre stete, fast
ängstliche
Zurückhaltung damals überwunden hatte, später, als er ihr näher
getreten war,
ihr Freund und Vertrauter wurde. Denn an jenem Abend erschien ihr ein
Künstler,
ein Schaffender noch wie ein Gewaltiger, der nie in das Leben tritt,
sondern in
Fernen lebt, unnahbar und überragend, ein Verstehender und Gütiger, dem
man
nichts verschweigen darf. Bisher waren nur schlichte Leute in ihren
Kreis
getreten, Menschen, die sich zerlegen und berechnen ließen, wie eine
Schulaufgabe, vorurteilsvolle und konservative Ketzerrichter, denen sie
sich
fremd fühlte, und die sie beinahe fürchtete. Und dann: es war eine
stille und
helle Nacht gewesen. Und wenn man in solchen schweigenden Nächten zu
zweit
geht, von niemandem gehört und gestört, und sich die dunklen Schatten
der
Häuser über die Worte
senken
und die Stimmen ohne Nachhall in der Stille verwehen, da ist man so
vertrauensvoll, als ob man zu sich selbst spräche. Da wachen Gedanken
aus den
Tiefen auf, die in der bunten Unrast des Tages ungehört untergehen und
denen
erst die Stille des Abends sanfte Schwingen gibt; und die Gedanken
werden zu
Worten fast ohne daß man es will.
Der
lange Gang in der
einsamen Winternacht hatte sie einander nahe gebracht. Als sie sich zum
Abschied die Hände reichten, blieben ihre blassen kühlen Finger lange
hilflos
in seiner starken Hand liegen wie vergessen. Und sie gingen wie alte
Freunde
voneinander.
Sie
begegneten sich noch
oft in diesem Winter. Zuerst war es ein günstiger Zufall, der aber bald
Verabredung wurde. Ihn reizte dieses interessante Mädchen mit allen
ihren
Eigenarten und Seltsamkeiten, er bewunderte die vornehme Zurückhaltung
ihrer
Seele, die sich nur ihm offenbarte und sich zagend zu seinen Füßen warf
wie ein
erschrecktes Kind. Er liebte ihre tausendfachen Feinheiten, die
schlichte
Gewalt des Empfindens, die jeder Schönheit willenlos entgegenpulste und
doch
vor fremden Augen sich bergen wollte, um sich die reine Innigkeit des
Genusses
nicht zu stören. Aber diese zarten und innigen Empfindungen, die er so
voll und
hinreißend bei jemandem mitempfinden konnte, waren ihm selbst fremd.
Schon von
Jugend auf, noch ein halbes Kind, war er zu sehr von Frauen als
Künstler
verhätschelt und verführt worden, um in einer vergeistigten Liebe
Befriedigung
zu finden; er empfand zu wenig feminin, zu wenig
jünglinghaft, weil die ganze unverständige wunschlose Süße der
Gymnasiastenliebe sich nie in sein frühreifes Leben eingeschlichen
hatte.
Temperamentvoll und blasiert zugleich liebte er mit jenem schroffen
Begehren,
das der letzten sinnlichen Erfüllung zustrebt, um dort zu verbluten.
Und er kannte sich selbst und verachtete sich wegen jeder Schwäche, die ihn
überwältigte, er empfand jede dieser raschen Befriedigungen mit Ekel,ohne sich
wehren zu können, denn Leidenschaftlichkeit und Sinnlichkeit durchbebten sein
Leben wie seine Kunst. Auch die Meisterschaft seines Spieles wurzelte in dieser
festen, temperamentvollen Männlichkeit; die letzten verhauchenden
Nuancen, die wie leise Atemzüge einer schlummernden Melancholie sind, mußten seiner
energischen und doch zigeunerhaft-süßen Bogenführung entgehen. Eine
leise Furcht stand immer versteckt hinter der packenden Gewalt, mit der er zu
überwältigen wußte.
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