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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Liebe der Erika Ewald
Seite 2
Und
so furchtsam und
ergeben war auch ihre Liebe zu ihm. Sie liebte in seiner Person alle
ihre
Traumgestalten, die in den langen Jahren des Alleinseins eine gewisse
Wirklichkeit gewonnen hatten, sie verehrte den Künstler, der sich in
seinem
Wesen verkörperte, weil sie den mädchenhaften Glauben hatte, daß ein
Künstler
auch in seiner Lebensführung die priesterliche Würde verwirklichen
müsse.
Manchmal sah sie ihn mit einem fremden und unsinnlichen Blick an wie
ein
seltsames Bild, in dem man vertraute Züge empfinden will, und ihr
Anvertrauen
war wie zu einem Beichtiger. Sie dachte nicht an das Leben, weil sie es
nie
gekannt hatte, sondern es erlebt hatte wie einen haltlosen Traum. Darum
fehlte
ihr auch jede Angst und jedes Bangen vor der Zukunft, sie glaubte an
ein
sanftes und seliges Weiterklingen dieser unsinnlichen verehrenden
Liebe, die
sie zuversichtlich machte mit ihrer künstlerischen
Schönheit und innigen Reinheit. Manchmal
überraschte sie sich dabei, daß sie gar nicht das Bedürfnis hatte zu
sprechen, wenn sie bei ihm war. Er spielte oder schwieg, und sie saß
und träumte und
fühlte nur,wie ihre Träume immer heller und lichter wurden, wenn er
sprach oder sie
anblickte. Das war alles verklungen, kein irrer Lärm drang mehr vom
Tage herüber, nur Stille,Schweigen und silberne Feiertagsglocken tief
im Herzen. Und ein
sehnsüchtiges Zärtlichkeitsbedürfnis, ein Erwarten von lieben und
leisen Worten, die sie doch eigentlich fürchtete, bebte dann in ihr.
Sie ahnte, wie sie
ganz in seinem Banne stand, wie er sie mit seiner Kunst beherrschen
konnte,
Schmerzen und Jubel geben mit seinen lockenden Tönen; sie fühlte sich
wehrlos
seinem Spiel gegenüber, und so unsäglich arm, weil sie nichts geben
konnte und
nur empfing,mit offenen zitternden Händen bei ihm bettelte.
Es
war eine unabänderliche
Gewohnheit geworden, daß sie mehrmals in der Woche zu ihm kam. Zuerst
waren es
Proben zu einem gemeinsamen Konzert, aber bald konnten sie die wenigen
Stunden
gar nicht mehr entbehren. Sie ahnte gar nicht die Gefahr, die in der
wachsenden
Intimität ihrer Freundschaft lag, sondern ließ die letzte Zurückhaltung
ihrer
Seele vor ihm fallen und offenbarte ihm ihre verborgensten Geheimnisse
als
ihrem einzigen Freunde. Sie merkte es oft gar nicht in ihrem heißen,
fast
visionären Erzählen, wie er ihre Hände in wachsender Erregung umspannte
und
manchmal die Lippen brennend zu ihren Fingern herabsenkte, während er
ihr zu
Füßen lag und zuhörte. Und sie erkannte auch nicht, wie er manchmal in
den
drängendsten und verlangendsten Tönen seiner Geige nur zu ihr sprach, weil
sie in der Musik immer sich selbst suchte und
ihre Träume. Ein Verstehen und eine Erlösung war ihr diese Zeit für das
viele,
das sie bisher nicht laut zu sagen wagte, und noch nicht mehr. Sie
wußte nur,
daß eine solche stille Stunde viel Glanz hineinbrachte in ihren öden,
arbeitsvollen Tag und einen lichten Schein in ihre Nächte. Und mehr
wollte sie
nicht als still sein und selig sein; sie verlangte nur einen reichen
Frieden in
den sie flüchten konnte, wie zu einem Altar.
Aber
sie hütete sich wohl,
ihr Glück offen zu zeigen; ihre Lippen bargen oft ein Lächeln reinster
Seligkeit mit so herbverschlossener Gewalt vor den Leuten und vor ihrer
Familie, als sei es ein aufquellendes Weinen. Denn sie wollte ihre
Erlebnisse
bewahren vor fremden Blicken wie ein Kunstwerk mit hunderterlei
flüchtigen
Zusammenhängen, das in plumpen Fingern mit einem bangen Aufschrei
zerbricht.
Und sie baute kühle und abgenutzte Alltagsworte um ihr Glück und um ihr
Leben,
so daß es durch viele Hände gehen konnte, ohne verkannt zu werden und
in
wertlose Scherben zu zerbrechen.
Am
Samstag abend vor dem
Ausfluge besuchte sie ihn wieder. Als sie anklopfte, fühlte sie wieder
jene
merkwürdige Bangigkeit wie immer, wenn sie zu ihm ging, und die sich
immer mehr
steigerte, bis er selbst mit ihr war. Aber sie mußte nicht lange
warten. Er
öffnete rasch, geleitete sie in sein Studienzimmer, nahm ihr mit
vorsichtiger
Galanterie die Frühlingsjacke ab und streifte respektvoll mit den
Lippen ihre
schöne feingeäderte Hand. Und dann setzten sie sich zusammen auf
ein kleines dunkles Samtsofa, das bei seinem Schreibtisch stand.
Es
war schon düster im
Zimmer. Draußen am Himmel verfolgten sich graue Wolken hastig im
Abendwind, und
ihre Schatten trübten unruhig das matte Dämmerlicht. Er fragte, ob er
anzünden
solle. Sie verneinte. Das matte süße Licht, das nicht mehr erkennen und
nur
ahnen läßt, war ihr so lieb mit seiner sanften Melancholie. Sie saß
ganz still.
Man konnte noch die geschmackvolle Einrichtung des Zimmers deutlich
wahrnehmen,
den prächtigen Schreibtisch mit einer Bronzestatue, rechts einen
geschnitzten
Geigenständer, dessen Silhouette sich scharf von dem grauen Stück
Himmel abhob,
das durch die Scheiben gleichgültig hereinblickte. Irgendwo tickte eine
Uhr mit
schwerem abgemessenem Schlag, als sei es der harte Schritt der
mitleidslosen
Zeit. Sonst war es still. Nur ein paar bläuliche Rauchstreifen von
seiner
vergessenen Zigarette stiegen ebenmäßig in das Dunkel. Und durch das
geöffnete
Fenster kam ein lauer Frühlingswind zu ihnen herein.
Sie
plauderten. Zuerst war
es ein Lächeln und Erzählen, aber ihre Worte wurden immer schwerer im
drohenden
Dunkel. Er sprach von einer neuen Komposition, einem Liebeslied, das
sich an
ein paar schlichte wehmütige Volksliedstrophen anschmiegte, die er
einmal in
einem Dorfe gehört hatte. Ein paar Mädchen waren es gewesen, die von
der Arbeit
kamen, ihre Stimmen klangen weit von ferne, daß er die Worte nicht mehr
verstand und nur die leise, schweratmende Sehnsucht der Weise hörte.
Und
gestern war die Melodie wieder in ihm erwacht, spät am Abend und war
ihm ein
Lied geworden.
Sie
sagte nichts, sondern
sah ihn nur an. Und er verstand ihre
Bitte. Schweigend trat er zum Fenster hin und nahm seine Geige. Ganz
leise
begann sein Lied.
Hinter
ihm ward es langsam
wieder hell. Die Abendwolken waren in Brand geraten und glühten in
purpurnem
Glanz. Das Zimmer begann widerzuleuchten von dem hellen Schein, der
allmählich
düsterer und gesättigter wurde.
Er spielte das einsame Lied mit wundervoller Gewalt, er verlor sich selbst in seinen Tönen. Und
er verlor sein Lied und behielt nur die unendlich sehnsüchtige fremde
Volksmelodie, die in allen seinen Variationen immer wieder dasselbe stammelte, weinte und
jauchzte. Er dachte an nichts mehr, seine Gedanken waren fern und
verwirrt, nur
das strömende Gefühl seiner Seele formte mehr die Töne und gab sich
ihnen zu
eigen. Das enge dunkle Zimmer überflutete von Schönheit. . . Die roten
Wolken
waren schon schwere, schwarze Schatten geworden, und er spielte noch
immer.
Längst hatte er schon vergessen, daß er dieses Lied nur ihr als
Huldigung
spielte; seine ganze Leidenschaft, die Liebe zu allen Frauen der Welt,
zum
Inbegriff des Schönen wachte in den Saiten auf, die in seliger Inbrunst
erschauerten. Immer wieder fand er eine neue Steigerung und eine
wildere
Gewalt, aber nie die verklärende Erfüllung, es blieb auch im rasendsten
Aufschwung immer nur Sehnsucht, stöhnende und jauchzende Sehnsucht. Und
er
spielte immer weiter, wie einem bestimmten Akkord zu, einer
abschließenden
Auflösung entgegen, die er nicht finden konnte.
Plötzlich
brach er jählings
ab. . . . Erika war mit einem dumpfen hysterischen Schluchzen auf dem
Sofa
zusammengebrochen, von dem sie sich in ihrer Ekstase erhoben hatte, wie
angelockt von den Tönen. Ihre schwachen reizbaren Nerven unterlagen
stets dem
Zauber einer Gefühlsmusik; sie
konnte weinen bei wehmütigen Melodien. Und dieses Lied mit seiner
drängenden,
aufpeitschenden Erwartung hatte in ihr alle Gefühle erregt, ihre Nerven
in eine
furchtbare atemlose Spannung versetzt. Wie einen Schmerz empfand sie
die Wucht
dieser niedergehaltenen Sehnsucht, sie hatte ein Gefühl, als ob sie
aufschreien
müßte unter dieser engenden Qual, aber sie vermochte es nicht. Nur in
einem
jähen Weinkrampfe löste
sich ihre gesteigerte physische Erregung.
Er
kniete bei ihr nieder
und suchte sie zu beruhigen. Er küßte ihr leise die Hand. Aber sie
bebte noch
immer, und manchmal lief ein Zucken über ihre Finger wie von einem
elektrischen
Schlage. Er sprach ihr freundlich zu. Sie hörte nicht. Da wurde er
immer
inniger und küßte mit heißen Worten ihre Finger, ihre Hand und küßte
ihren
bebenden Mund, der unbewußt unter seinen Lippen erschauerte. Seine
Küsse wurden
immer drängender, dazwischen stieß er zärtliche Liebesworte hervor und
umfaßte
sie immer stürmischer und verlangender.
Mit
einem Male fuhr sie aus
ihrem Halbtraum und stieß ihn beinahe mit Heftigkeit zurück. Er stand
erschrocken und unsicher auf. Einen Augenblick blieb sie noch stumm,
wie um
sich an alles zu besinnen; dann stammelte sie mit unruhigem Blick und
gebrochener Stimme, er möge ihr verzeihen, sie habe öfters so nervöse
Anfälle,
und die Musik habe sie erregt.
Einen
Augenblick blieb ein
peinliches Schweigen. Er wagte nichts zu antworten, weil er fürchtete,
eine
niedrige Rolle gespielt zu haben.
Sie
fügte noch hinzu, sie
müsse jetzt gehen, es sei schon höchste Zeit, man würde sie zu Hause
schon
längst erwarten. Und
zugleich nahm sie ihre Jacke. Ihre
Stimme schien ihm kühl und fast frostig.
Er
wollte etwas sprechen,
aber es kam ihm alles so lächerlich vor nach den Worten, die er ihr
noch eben
in seiner leidenschaftlichen Trunkenheit gesagt hatte. Stumm und
respektvoll
geleitete er sie zur Türe. Erst wie er ihr die Hand zum Abschied küßte,
fragte
er zögernd: »Und morgen?«
»Wie
wir verabredet haben. Ich
denke doch?«
»Selbstverständlich.«
Er
war freudig berührt, daß
sie über sein Benehmen ohne ein Wort hinwegging, und bewunderte ihre
feine
Zurückhaltung, die ihm vergab, ohne es merken zu lassen. Ein flüchtiges
Abschiedswort sagten sie sich noch, dann fiel die Türe dumpf ins Schloß.
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