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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Liebe der Erika Ewald
Seite 4
Langsam kamen sie wieder in
die dunkle, tagesmüde Stadt, und es war Erika, als stiege sie von den
leuchtenden Firnen eines seligen Traumes ins harte, kalte und unerbittliche
Leben nieder. Mit fremden und ängstlichen Blicken trat sie in die nebelfeuchten
Vorstadtgassen, die vom häßlichen und aufdringlichen Lärm und Dunst erfüllt
waren; und ein Gefühl schmerzhafter Öde senkte sich auf sie herab. Sie fühlte
sich bedrückt von den rauchigen Häusern, die sich dunkel über ihr zueinander
drängten, ein finsteres Symbol des Alltagslebens, das sich mit rücksichtsloser,
drohender Gewalt in ihr Schicksal preßte, um es zu zermalmen.
Sie erschrak beinahe, als
er sie plötzlich mit einem Liebeswort ansprach, und sie erstaunte, daß sie die
zärtlichen Minuten und ihr Versprechen beinahe vergessen hatte. Wie fremd ihr
alles hier plötzlich geworden war in dieser dumpfen, beengenden Umgebung, was
ihr früher die jähe Impulsivkraft einer Rauschstimmung entlockt hatte. Sie sah
ihn an, ganz vorsichtig von der Seite. Seine Stirne war kraftvoll gefaltet, und
um den Mund lag die Ruhe eines Selbstsicheren, alles
war unbeugsame und selbstgefällige Männlichkeit in seinem Gesichtsausdruck.
Nirgends die sanfte Melancholie, die sonst seine Kräfte in eine schöne Harmonie
bannte, nur triumphierende Härte, die vielleicht eine lauernde Sinnlichkeit
war. Langsam wandte Erika den Blick. – Noch nie war er ihr so fremd und so
ferne gewesen wie in diesem Augenblick.
Und plötzlich hatte sie
Angst, tolle, unbändige Angst! Mit einem Male wachten tausend erschreckte
Stimmen in ihr auf, die warnten und lärmten und sich selbst überschrieen. Was
sollte jetzt kommen? Sie fühlte es nur dunkel, denn sie wagte es nicht
auszudenken. Alles empörte sich in ihr gegen das Versprechen, das ihr eine
Minute der Schwäche entrissen hatte, und ihre heiße Scham brannte wie eine
Wunde. Sie war nie sinnlich gewesen, das spürte sie nun in allen Tiefen ihres
Herzens, sie hatte kein Begehren nach einem Manne, nur Abscheu vor der
brutalen, zwingenden Macht. Nur Ekel empfand sie in diesem Augenblick, und
alles verfinsterte sich vor ihren Blicken und bekam eine häßliche und niedrige
Bedeutung; der leise Armdruck, den sie fühlte, die Liebespaare, die im Nebel
auftauchten und sich wieder verloren, jeder zufällige Blick, der sie im
Vorübergehen traf. Deutlich und zornig klopfte ihr Blut an den schmerzenden
Schläfen.
Mit einem Male ward ihr die
tiefe Schmerzlichkeit ihrer Liebe bewußt, die unter den Enttäuschungen bebte,
wie unter züchtigenden Schlägen. Was immer geschehen war, mußte wieder Erlebnis
werden. Die Sinnlichkeit des Mannes mordete die sanfte Liebe des Mädchens und
ihre heiligsten Schauer. Das Glück, das wie schimmernde Abendwolken über dem
Dunkel gehangen, war nun zerbrochen, und
die Nacht begann aufzusteigen schwarz und schwer mit drohender, leidvoller
Stille und unbarmherzigem Schweigen. . . .
Ihre Füße wollten kaum
weiter. Sie merkte, daß er den Weg gegen seine Wohnung nahm, und dieses
Bewußtsein betäubte sie. Sie wollte ihm alles sagen: wie ihre Liebe ganz anders
sei als die seine, wie sie nur das Versprechen gegeben im Banne einer Stimmung,
der ihr nervöses Empfinden unterlegen, und wie sich alles in ihr aufbäume gegen
diese vorbesprochene Liebesszene. Aber die Worte fanden keine Laute, nur
finstere und drängende Empfindungen, die ihre Seele quälten und marterten, ohne
sie zu befreien. Dunkle und bange Erinnerungen streiften sie wie mit
schwarzschattenden Schwingen. Und eine kam immer wieder, eine seltsame und doch
so alltägliche Geschichte von einem Mädchen, die mit ihr zur Schule gegangen
war. Die hatte sich einem Manne hingegeben, und als er sie verließ, aus Rache
und Zorn einem andern und dann wiederum andern – sie wußte selbst nicht mehr,
warum. Und Erika erschauerte immer, wenn sie an dieses Mädchen dachte, durch
deren Leben die Liebe gegangen war wie ein dunkler Wettersturm; und das
gewaltsame Widerstreben in ihr war mehr als die erste Scham eines unbefleckten
Mädchens, das vor dem unbekannten Geschehen bangt, es war die schöne Schwäche
einer zarten und schwächlich-scheuen Seele, die das laute Leben fürchtet und
seine brutale Häßlichkeit.
Aber das Schweigen blieb
kalt und scheidend zwischen den beiden, die nebeneinander hergingen, Arm in
Arm. Gern wollte Erika den ihren losmachen, aber es war, als hätten ihre
Glieder jede Bewegungsfähigkeit verloren, nur die Füße schoben sich in
traumhafter Gleichförmigkeit nach vorwärts.
Und ihre Gedanken wurden immer wirrer und schossen durcheinander wie glühende
Pfeile, die sich mit feinen brennenden Widerhaken in ihrem Gehirn festbohrten.
Und darüber legte sich immer dichter die schwarze Wolke der kraftlosen Furcht
und der verzweifelten Ergebung. Ein Gebet wagte sich immer wieder auf ihre
Lippen, daß jetzt plötzlich alles vorbei sein sollte, ein großes, dunkles,
schmerzloses Nichts, ein Nichtfühlen und Nichtmehrdenken müssen, ein Aufhören,
jäh und unvermittelt, wie das Erwachen, das aus einem bösen Traum befreit. . . .
Plötzlich blieb er stehen.
Sie fuhr auf und erschrak.
Sie waren vor dem Hause, in dem er wohnte. Eine Minute blieb ihr Herz ohne
Schlag, ruhig, ganz unbeweglich. Aber dann begann es wieder zu pochen, hastig
und wild, mit hämmernder Angst und steigender Schnelligkeit.
Er sagte ihr ein paar
Worte, liebe süße Worte. Sie hatte ihn beinahe wieder gern in diesem
Augenblick, so herzlich und feinfühlig sprach er zu ihr. Aber als er ihren Arm
fester erfaßte und ihren widerstandslosen Körper mit sanfter Zärtlichkeit
drängte, da kam wieder die alte dunkle Angst, und sie war betäubender und
furchtbarer denn je. Es war ihr so, als müßte plötzlich in ihr die Stimme
freigebunden werden und laut ihn betteln und bitten, daß er sie freigebe, aber
ihre Kehle blieb stumm und verschlossen. Halb bewußtlos ging sie an seinem Arm
durch das große, düstere Tor, jenen Schmerz des Unabwendbaren in der Seele, der
so tief ist, daß man ihn nicht mehr als Leid empfindet.
Eine dunkle Wendeltreppe
gingen sie hinauf. Sie fühlte die kalte, muffige Kellerluft und sah die gelben,
zitternden Gaslichter, die im kühlen Hauche
bebten. Jede Stufe spürte sie, alle diese Bilder glitten an ihr vorüber, wie
die Vorstellungen knapp vor dem Einschlafen, flüchtig und doch scharf, tief
eindringend und doch wieder verfliegend im nächsten Augenblicke.
Nun standen sie in einem
Gang. Sie wußte es, vor seiner Tür. . . .
Er ging voraus und ließ
ihren Arm.
»Einen Augenblick, Erika,
ich will nur Licht machen.«
Sie hörte seine Stimme von
innen, wie er hineinging und dort ein Licht anzündete. Der Augenblick gab ihr
Mut und Erwachen. Die Furcht kam plötzlich über sie wie ein Fieberschauer, der
die krampfhafte Starre löste. Und blitzschnell stürmte sie wieder die Treppe
hinab, ohne in ihrer wahnsinnigen Eile auf die Stufen zu achten, rasch, nur
rasch vorwärts. Ihr war noch, als ob sie seine Stimme von oben hörte, aber sie
wollte gar nicht mehr zur Besinnung kommen, sondern lief und lief, ohne
innezuhalten, immer vorwärts. Eine wilde Angst war in ihr erwacht, daß er ihr
nachfolgen könne und eine Angst vor ihr selbst, sie möchte zu ihm zurückkehren.
Und erst, als sie mehrere Straßen weit war und plötzlich sich in einer fremden
Gegend sah, blieb sie mit einem tiefen Seufzer stehen, um dann langsam der
Richtung ihrer Wohnung zuzuschreiten.
Es gibt leere, inhaltslose
Stunden, die Schicksal in sich bergen. Sie steigen auf wie dunkle gleichgültige
Wolken, die kommen, um sich wieder zu verlieren, aber sie bleiben hartnäckig
und trotzig. Und wie ein schwarzer, steigender Rauch
lösen sie sich auf, werden ferner und breiter, bis sie schließlich mit mattem,
schwermütigem Grau unbeweglich über dem Leben schweben, ein Schatten, der sich
unabwendbar und eifersüchtig an die Minute heftet und immer wieder seine
drohende Faust erhebt.
Erika lag auf dem Sofa in
ihrem dunkel heimlichen Zimmer, den Kopf in die Kissen gepreßt und weinte. Sie
fand keine Tränen, aber sie spürte sie in sich verfließen, heiß, quellend und
anklagend, und manchmal lief der jähe Schauer eines Schluchzens über ihren
Körper. Sie fühlte, wie ihr diese schmerzvollen Minuten Erlebnis wurden, wie
mit der ersten großen Enttäuschung sich das Leid tief in ihre Seele einsog, die
sich ihm ahnungslos erschloß. Eigentlich bebte der Triumph in ihrem Herzen, daß
ihr die Flucht gelungen war, noch im letzten entscheidenden Augenblicke, aber
es wollte keine helle, blinkende Freude und kein Jubel werden, sondern blieb
stumm wie ein Schmerz. Denn es gibt Naturen, in denen alle großen Ereignisse
und alle überragenden Geschehnisse mit der allgemeinen Erschütterung der Seele
auch die vorklingende dumpfe Saite einer verborgenen Schmerzlichkeit und
innigen Melancholie anschlagen, deren Klingen so laut und drängend wird, daß
alle anderen Stimmungen sich selbstlos in ihr auflösen. Und so war die Erika
Ewald. Sie trauerte um ihre Liebe, die jung und schön gewesen war, wie ein
spielendes Kind, das sich im Leben verliert. Und Scham war in ihr, heiße
brennende Scham, daß sie entflohen war wie ein stummes hilfloses Wesen, statt
ehrlich zu sein und zu ihm zu sprechen, kühl und mit herbem Stolz, dem er sich
hätte fügen müssen. Und sie dachte an ihn und ihre Liebe mit einem seligen
Schmerz und einer heißen Ängstlichkeit, und alle Bilder kamen
wieder und wirrten durcheinander, aber sie waren nicht mehr hell und froh,
sondern dunkel beschattet von der Wehmut der Erinnerung.
Draußen ging eine Türe. Sie
erschrak jäh und unvermittelt. Ängstlich horchte sie jedem Geräusch und suchte
sich jede leise Klangerregung zu deuten in einem unbestimmten Gedanken, den sie
nicht recht zu denken wagte.
Da trat ihre Schwester ein.
Erika war verwirrt. Sie
erstaunte, daß sie nicht daran, nicht an das Nächstliegende gedacht hatte, daß
ihre Schwester kommen müsse, und sie spürte wieder mit einem merkwürdigen
Gefühle, wie fremd, wie ungeheuer fern ihr doch alle diese Leute waren mit
denen sie lebte.
Die Schwester begann sie
über den Nachmittag zu fragen. Erika antwortete ungeschickt, und wie sie
merkte, daß sie unsicher sei, wurde sie hart und ungerecht. Man sollte sie
nicht immer mit Fragen belästigen, sie kümmere sich auch um niemanden. Und
außerdem habe sie jetzt Kopfschmerzen und wolle Ruhe haben.
Die Schwester erwiderte
nichts, sondern ging aus dem Zimmer. Mit einem Male fühlte Erika, wie ungerecht
sie gewesen war. Und Mitleid empfand sie mit diesem stillen,
schicksalsergebenen Wesen, das nichts erlebte und auch nicht bat darum, das
nichts besaß vom Leben, nicht einmal einen reichen, adelnden Schmerz, wie sie
selbst.
Das brachte sie wieder zu
ihren Gedanken zurück. Und die zogen heran und verloren sich wieder in der
Ferne, schwere, schwarzbeschwingte Boote, die sich durch die dunkle Flut
gerungen ohne Lärm und Rauschen, ohne Färbung und tiefeinschneidende Spur, nur
von unbekannten und unsichtbaren treibenden Gewalten gesendet und gelenkt. Aber ihre trübe Stimmung zitterte in Erikas Seele
fortschwingend dahin und löste sich nach dunkelschweren Stunden in einer
Müdigkeit, der sie sich willenlos ergab.
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