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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Liebe der Erika Ewald
Seite 5
Die
nächsten Tage brachten
für Erika nur Harren und Bangen. Im geheimen wartete sie auf einen
Brief, eine
Nachricht von seiner Hand; sie sehnte sich selbst nach einem Schreiben
mit
harten, unbarmherzigen Vorwürfen und zornigen Worten. Denn sie wollte
einen
Abschluß haben, ein Ende, das sich über die Vergangenheit legte und ihr
das
geheime Hinübertreten in ihre kommenden Tage verwehren sollte. Oder es
sollte
ein Brief sein mit milden, verstehenden Worten, die zu ihrer Seele
gingen und
sie wieder zurückführten in den Reigen der seligen Stunden, aus dem sie
geschieden.
Aber
keine Botschaft kam,
kein Zeichen stellte sich zwischen sie und die quälende Ungewißheit.
Denn Erika
war noch viel zu sehr im Banne ihrer Empfindungen und Erregungen, um zu
wissen,
ob ihre Liebe zu ihm noch lebte oder ob sie schon gestorben war oder
sich am
Ende im Umwandlungzustande neuer Phasen befand, von denen sie noch
nichts
ahnte. Sie spürte nur die Unruhe und Verworrenheit in sich, die
fortwährende
Spannung, die sich nicht lösen wollte und in ihr gereizte und häßliche
Stimmungen erweckte. Nervös und mit Kopfschmerzen ging sie in die
Stunden, die
ihr furchtbarer wurden als je, weil sie alles Falsche und Unharmonische
viel
schärfer spürte. Und jedes Geräusch irritierte sie, die Außenwelt wurde
ihr
unerträglich in ihrem lauten Hasten und Drängen, und selbst die eigenen
Gedanken verloren ihre sanfte, wohltuende
Traumhaftigkeit und bekamen harte einschneidende Spitzen. In jedem
Dinge
verbarg sich ihr eine geheime Feindseligkeit und eine trotzige Absicht,
die sie
verletzen wollte. Die ganze Welt, die sie umschloß, schien ihr nur mehr
ein
großes, dunkles Gefängnis mit tausend verborgenen Marterwerkzeugen
und erblindeten Scheiben, die dem Lichte den Eingang verwehrten.
Und diese Tage waren ihr
unerträglich lang und wollten kein Ende nehmen. Erika saß beim Fenster
und
wartete auf den Abend, der ihr ein wenig Frieden brachte mit der
sanften
Milderung aller Kontraste. Wenn die Sonne sich langsam hinter den
Dächern zu
senken begann, und immer matter und mehr abgedunkelt die Widerscheine
nachzitterten, wurde alles in ihr stiller und ruhiger. Dann fühlte sie
auch,
daß ihr ganzes Denken und Fühlen jetzt anders und fremder werden
wollte, daß
neue Geschehnisse und neue Gefühle vor der Pforte ihres Lebens standen
und
lärmten und Einlaß begehrten. Aber sie achtete ihrer nicht, denn sie
glaubte,
die Regungen, die in ihr wuchsen und sich formten, seien nur die
letzten
verscheidenden Zuckungen ihrer sterbenden Liebe . . . .
So
gingen zwei Wochen
dahin, ohne daß Erika eine Nachricht von ihm empfangen hätte. Alles
schien
vorüber zu sein und vergessen. Ihre Traurigkeit und Unbeständigkeit
verlor sich
noch nicht, aber sie befreite sich von ihrer häßlichen, gereizten Form
und fand
verfeinerten und durchgeistigten Ausdruck. Die schmerzlichen
Empfindungen
lösten sich leise und lind in schwermütigen Liedern, Melodieen mit
tiefen, verhaltenen Mollklängen und melancholisch
wehklingenden Akkorden. Manche Abende spielte sie so ohne Gedanken,
sich in
sanfter Abirrung vom eigentlichen Motive zu selbstgeschaffenen
Verbindungen
hinwendend, immer leiser und leiser werdend wie die Geschichte ihrer so
leidvollen Liebe, die nun langsam in Vergangenheit verrinnen wollte.
Auch
begann sie wieder zu
lesen. Jene herrlichen Bücher wurden ihr wieder nahe, denen die
Schwermut
entströmt wie ein schwerer betäubender Duft aus seltsam dunklen und
melancholischen Blüten. Die Maria Grubbe kam ihr wieder zur Hand, der
das harte
Leben eine heilige und tiefinnige Liebe zerstört, und die unglückliche
Madame
Bovary, die nicht entsagen wollte und ihr schlichtes Glück verstieß.
Und das
unsäglich rührende Tagebuch der Maria Bashkirceff las sie, zu der die
große
Liebe nie gekommen war, ob ihr auch ein reiches und sehnsuchtsvolles
Künstlerherz erwartungsvoll die Hände entgegenhielt. Und ihre gequälte
Seele
tauchte in diesem fremden Schmerze unter, um den eigenen zu verlieren
und zu
vergessen, aber manchmal kam ein Erschrecken über sie, in dem Furcht
sich dem
Stolze verschwisterte; denn Worte kamen ihren Blicken entgegen, die
auch in
ihrem eigenen Leben standen, und deren schicksalsschweren Sinn sie
verstand.
Und nun fühlte sie, wie ihre Geschichte nicht Ungerechtigkeit und Haß
des
Lebens verkündigte, sondern nur schmerzlich war, weil ihr der frohe
Tänzerschritt eines lachenden unbedeutenden Temperamentes fehlte, der
rasch
vergessend die dunklen, aber geheimnisreichen Abgründe des Schmerzes
überspringt. Nur ihre Einsamkeit senkte sich noch drückend auf sie
herab.
Niemand stand ihr nahe. Eine sonderbare Scham, sich mit ihren Tiefen
und
geheimen Schönheiten einem Fremden zu geben, hatte sie von
allen Freundinnen abgewandt; und ihr fehlte auch der seligvertrauende
Glaube
der Frommen, der zu einem Gotte spricht und ihm die verschwiegensten
Geständnisse zu eigen gibt. Der Schmerz, der von ihr ausging, floß
wieder in
ihre Seele zurück, und dieses unaufhörliche Sichselbstanvertrauen und
Zergliedern gab ihr schließlich eine dumpfe Müdigkeit und hoffnungslose
Trägheit, die nicht mehr mit dem Schicksal ringen wollte und mit seinen
verborgenen
Gewalten.
Sonderbare
Gedanken
überkamen sie, wenn sie vom Fenster auf die Gasse herabsah. Sie sah
Leute in
wildem Durcheinander, Liebespaare, die in seliger Versunkenheit
vorübergingen,
dann wieder hastende Burschen, vorbeischießende Radfahrer, rasch
dahinrollende
Wagen mit schwirrenden Rädern, Bilder des Tages und der Gewöhnlichkeit.
Aber
ihr war alles das so fremd. Wie von ferne, aus einer anderen Welt
schaute sie
zu, als könnte sie nicht verstehen, warum diese Wesen so eilten und
drängten
und vorbeistürmten, wenn alle Ziele so klein und verächtlich waren. Als
ob es
etwas Reicheres und Seligeres geben könne als den großen Frieden, in
dessen
Bann alle Leidenschaften schlafen und alle Sehnsüchte; der doch wie
eine
wunderwirkende Quelle war, in deren milder und geheimkräftiger Flut
sich alles
Kranke und Häßliche ablöste, wie eine lästige Schicht. Und wozu dann
alle die
Kämpfe und Überwindungen? Und wozu die heiße nimmermüde Sehnsucht, die
niemanden zurückweichen läßt?
So
dachte die Erika Ewald
manchmal und lächelte über das Leben. Denn sie wußte nicht, daß auch
der Glaube
an diesen großen
Frieden nur eine Sehnsucht ist, das innigste und unvergänglichste
Begehren, das uns
nicht zu uns selbst gelangen läßt. Sie glaubte ihre Liebe überwunden zu
haben und dachte ihrer, wie man eines Toten
gedenkt. Die Erinnerungen bekamen milde, versöhnliche Farben,
vergessene
Episoden tauchten wieder auf, und zwischen Wirklichkeit und sanfter
Träumerei
liefen geheime, verbindende Fäden hin und her, bis sie sich unlöslich
verwirrt
hatten. Denn sie träumte von ihrem Erlebnis wie von einem eigenartigen
und
schönen Roman, den man vor langem gelesen; seine Gestalten treten
langsam
wieder heran und sprechen die Worte, die bekannt sind und doch so
ferne, alle
Räume werden wieder sichtbar, wie erleuchtet von einem plötzlichen
aufblitzenden Licht, alles ist wieder wie einst. Und Erika dichtete
sich in
ihren Gedanken, die sich im Abend berauschten, immer wieder neue
Abschlüsse
dazu, aber sie fand keinen rechten, denn sie wollte ein mildes und
versöhnliches Ende voll Hoheit und reifer Entsagung, mit kühlem
freundschaftlichem Händereichen und tiefem Verstehen. Langsam gaben ihr
diese
romantischen Träume den innigen Glauben, daß auch er jetzt ihrer harre
und in
tausend seligen Schmerzen gedenke, und diese Idee, die sich in ihr
allmählich
zu einer unbeugsamen Tatsache verdichtete, ließ das Vertrauen immer
sicherer
sich entfalten, daß alles noch gut werden müsse und daß eine
versöhnende,
abschließende Konsonanz die seltsam bewegte Melodie ihrer Liebe erlösen
müsse.
Nach
langen, langen Tagen
wagte sich jetzt manchmal ein Lächeln über ihre Lippen, wenn sie ihrer
Liebe
gedachte mit all ihren bitteren Wunden, die nun vernarben wollten. Denn
sie
wußte noch nicht, daß ein tiefer Schmerz wie ein finsterer Gebirgsbach
ist, der
sich unterirdisch, mit unruhvollem Schweigen durch das Gestein wühlt
und in
ohnmächtigem Zorne lange an ungebahnten Pforten pocht und pocht. Aber
einmal
zersprengt er die Wand und stürmt mit
haltlosem Jubel vernichtend und kraftvergeudend in die blühenden Tale
hinab,
die sich in heiterem, ahnungslosem Vertrauen gewiegt . . . .
Es
sollte alles anders
kommen, als es Erika geträumt. Noch einmal trat die Liebe in ihr Leben,
aber
sie war anders geworden; nicht mehr so still und mädchenhaft nahte sie
mit
milden, segnenden Geschenken, sondern wie ein Frühlingssturm, wie eine
heiße,
begehrende Frau, die brennende Lippen hat und die tiefrote Rose der
Leidenschaft im dunklen Haare trägt. Denn die Sinnlichkeit der Männer
ist nicht
wie die der Frauen; bei jenen glüht sie vom Anbeginne, von den Jahren
der
ersten Reife, aber zu manchen Mädchen kommt sie vorerst in tausend
Verhüllungen
und Gestalten. Sie schleicht sich als Schwärmerei ein und als selige
Träumerei,
als Eitelkeit und ästhetisches Genießen, aber einmal kommt ein Tag, da
wirft
sie alle Masken von sich und zerreißt die bergenden Hüllen.
Eines
Tages war Erika alles
bewußt geworden. Kein lautes Ereignis hatte ihr die Erkenntnis
abgezwungen und
auch kein Zufall. Vielleicht war es ein Traum gewesen mit verwirrenden
Lockungen oder ein Buch mit heimlich verführender Gewalt, vielleicht
eine ferne
Melodie, die sie plötzlich verstanden oder ein fremdes, blühendes Glück
– es
war ihr nie klar geworden. Sie wußte nur plötzlich, daß sie sich wieder
nach
ihm sehnte, aber nicht nach gütigen Worten und schweigenden Stunden,
sondern
nach seinen kraftvollen Armen und nach den heißen Lippen, die einstmals
verlangend auf den ihren gebrannt, ohne daß diese ihre stummen,
bettelnden Worte verstanden. Vergebens widerstrebte ihre mädchenhafte
Scham
diesem Bewußtsein; sie suchte der früheren Tage zu gedenken, die nie
auch nur
ein schwacher Hauch schwüler Sinnlichkeit durchzittert, sie suchte sich
vorzulügen, daß diese Liebe schon längst tot und begraben sei, indem
sie jenes
Abends gedachte, da sie aus seinem Hause mit innerlichem Abscheu
geflüchtet.
Aber dann kamen Nächte, da sie ihr Blut brennen fühlte von glühendem
Begehren
und ihre Lippen in die kühlen Kissen sich einknirschen mußten, damit
sie nicht
stöhnten und seinen Namen hinausschrieen in die stumme, mitleidslose
Nacht. Und
da wagte sie sich nicht länger zu täuschen, und die Erkenntnis machte
sie
erbeben.
Nun
wußte sie auch, daß die
dumpfen Wallungen, die sie in allen diesen Tagen empfunden, nicht das
Absterben
ihrer schönen und hellen Liebe bedeutet hatten, sondern das langsame
Keimen
dieser drängenden Gewalten, die nun ihre Seele durchwühlten. Und mit
sonderbarer Scheu dachte sie dieser Neigung, die so schlicht und
alltäglich
gewesen war, und der doch unablässig neue Schmerzen entsprossen, die
feindlichen Kinder eines dunklen Geschickes. In dieser Leidenschaft,
welche wie
ein später Herbst gekommen war, der seine Früchte in die leeren,
fröstelnden
Felder wirft, einte sich die Kraft der Unberührtheit mit der Fülle der
unverbrauchten Jugendtage, die nie unter den drängenden Krisen des
Blutes
gelitten. Eine stürmische, siegende Gewalt war in ihr, gegen die es
kein
Widerstreben gab und kein Verweigern, weil sie über alle Schranken
sprang und
die letzte Überlegung ertötete.
Erika
ahnte noch nicht, wie
schwach sie gegen diese jähe Leidenschaft war. Sie fühlte nur das
Verlangen in sich siegreich werden, daß sie ihn wieder sehen
müsse, sei es auch nur von der Ferne, ganz von fern, ohne bemerkt zu
werden,
ohne daß auch eine Ahnung ihn überkommen könne, daß sie ihn sehe und
ersehne.
Sie holte sich wieder seine Photographie hervor, die in einer
versteckten Lade
beinahe verstaubt war und brachte ihr eine sonderbare Verehrung
entgegen. Sie
küßte in glühender Leidenschaft seinen Mund, dann stellte sie sie
wieder vor
sich hin und begann wirre und heftige Worte zu sprechen, die sie ihm
selbst
sagen wollte, daß er ihr verzeihen möge, weil sie damals kindisch und
erschreckt gehandelt habe. Und dann erzählte sie ihm in sich
übereilenden
Sätzen von ihrer Sehnsucht, und wie sie ihn wieder unendlich liebe,
mehr, als
er es jemals werde verstehen können. Aber alle diese Ekstasen
befriedigten sie
nicht, denn sie wollte ihn selbst wiedersehen. Mehrere Tage lang
wartete sie an
den Ecken der Straßen, die er zu passieren pflegte, doch vergebens. Und
so sehr
steigerte sich ihre Ungeduld, daß manchmal, aber ganz furchtsam und
unbestimmt,
der Gedanke in ihr erwachte, sie sollte zu ihm in die Wohnung gehen und
sich
für ihr Benehmen von damals entschuldigen. Aber da fand sie in den
Tagesblättern die Notiz, daß er nächstens in einem eigenen Konzerte
auftreten
wolle, eine Nachricht, die Erika wie mit einem seligen Rausche
erfüllte, denn
nun ergab sich die beste Möglichkeit, ihn zu sehen, ohne daß er es
ahnte. Und
langsam, furchtbar langsam verflossen ihr die Tage, welche sie von dem
festgesetzten, sehnlichst herbeigewünschten Abende trennten.
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