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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Liebe der Erika Ewald
Seite 7
Neben ihr lief ein
Schatten.
Sie achtete nicht darauf.
Sie merkte es auch nicht,
als er sich hart gegen den ihren neigte und mit ihm eine Zeitlang parallel
lief. Jemand ging neben ihr, ein Freiwilliger, und betrachtete ihr Gesicht
angelegentlich in dem Momente, als sie vor einer Laterne vorbeikamen. Erst wie
er sie höflich ansprach, fuhr sie jäh aus ihren Gedanken auf. Sie brauchte
einige Momente, um die Situation, in der sie sich befand, erst recht zu
erfassen und antwortete nicht.
Der Freiwillige, ein Kavallerist, sehr jung noch und ein bißchen
ungeschickt, ließ sich durch ihr Schweigen nicht einschüchtern, sondern redete
in einem halb vertraulichen Ton, aber mit einer gewissen Reserve weiter.
Offenbar war er mit sich nicht recht im klaren, mit wem er es eigentlich zu tun
hätte; sie hatte ihm nicht geantwortet und war doch so vornehm – solid
gekleidet. Und andererseits wieder dieses einsame langsame Spazierengehen spät
in der Nacht – ganz recht bekam er's nicht heraus. Aber er redete unbekümmert
weiter.
Erika schwieg. Instinktiv
hatte sie ihn abweisen wollen, aber alle Dinge von früher hatten sie auf
seltsame Gedanken gebracht. Sie wollte doch jetzt ein anderes Leben beginnen,
nicht mehr dieses traumvolle Dahindämmern und müßige Sichsehnen, das ihr
tausend Leiden geboren, es sollte ja für sie ein neues Leben beginnen, heiß
verwegen und voll wilder Gewalt. Und dann dachte sie wieder an ihn – eine Rache
wollte sie nehmen, eine furchtbare Schmach. Dem ersten besten, der gekommen,
wollte sie sich verschenken; weil er sie verschmäht, die Erniedrigung auskosten
bis zum letzten bittersten und vielleicht tödlichen Tropfen.
Alles wurde rasch in ihr Plan und Entschluß, eine grausame Selbstpeinigung, die
eine neue Schmach wählt, um die alte brennende zu vergessen . . . . wie sie zurecht
kam, die Gelegenheit . . . ein junger Mensch, ganz jung, der nichts davon
verstand, nichts wußte, der sollte es sein, der erste beste. . . .
Und plötzlich antwortete
sie ihm mit so hastiger Liebenswürdigkeit, er dürfe sie begleiten, daß er
beinahe wieder schwankend wurde, mit wem er es zu tun hätte. Aber ein paar
Fragen, das Opernglas, das sie vom Konzert mitbrachte und ihr vornehmes
Benehmen, veränderten seine oberflächliche Haltung
zu ihr. Er blieb recht befangen. Eigentlich war er noch ein halbes Kind, das in
einer Uniform sich so seltsam ausnahm, wie in einem kriegerischen Maskenkostüm;
und seine bisherigen Abenteuer waren so simpler Natur gewesen, daß sie keine
Abenteuer mehr waren. Zum ersten Mal sah er sich einem wirklichen Rätsel
gegenüber. Denn manchmal blieb sie Minuten still und unbeweglich, überhörte
alle Fragen und ging wie im Traum, bis sie dann plötzlich wie mit einer
provozierten Zärtlichkeit, die sie im Augenblick vergessen hätte, mit ihm
lachte und scherzte; aber manchmal wollte es selbst ihm so erscheinen, als sei
im Lachen ein falscher Ton.
Und in der Tat kostete es
Erika nicht geringe Mühe, die Rolle einer Entgegenkommenden und Leichtsinnigen
zu spielen, während ihr die tollsten Gedankenreihen durch den Kopf schwirrten.
Sie wußte, was das Ende sein würde, und sie wollte es, aber eine geheime Angst
beschlich sie immer wieder, daß sie gegen sich selbst frevle. Aber das
Bedürfnis nach Rache, das sich positiv nicht betätigen konnte, hatte hier ein
Mittel gefunden, sich zu entfalten, wenn auch in einer falschen Richtung, die
die Spitze gegen sich selbst kehrte, aber es war so überströmend und machtvoll,
daß sich ihre frauenhaften Empfindungen vergebens dagegen aufbäumten. Mochte
geschehen, was da wolle, sollte eine Reue kommen . . . . nur nichts wissen von
jener Schmach ..... nur vergessen, wenn auch in einem Rausch, einem künstlichen
und einem verderblichen .... aber nur nicht mehr daran denken müssen. . . .
So nahm sie auch gern den
Vorschlag des Freiwilligen an, mit ihr in ein Restaurant in ein separiertes
Zimmer zu gehen, obwohl sie dumpf ahnte, was das bedeutete. Aber sie wollte nicht daran denken . . . . nur nicht sich
immer besinnen müssen. . . .
Zuerst kam ein kleines
Souper, dem sie aber nicht zusprach. Aber Wein trank sie, in gieriger Hast,
Glas auf Glas, um sich zu betäuben. Ganz gelang ihr es noch nicht. Manchmal
übersah sie die ganze Situation mit furchtbarer Klarheit. Sie betrachtete ihr
Gegenüber. Das war eigentlich der Rechte, besser hätte sie sich ihn nicht
wünschen können: ein guter Kerl, von einer gesunden rotwangigen Derbheit, ein
bißchen eitel und nicht zu klug . . . . der würde nie ahnen, was in dieser Nacht
geschehen sei, was für eine Rolle er gespielt in einem armen gequälten
Menschenleben . . . . der würde sie übermorgen vergessen haben. Und das wollte
sie. . . .
In solchen Augenblicken der
Überlegung bekamen ihre Augen einen träumerischen Ausdruck, und in ihrem
Gesichte zeichnete sich der düstere Schatten eines inneren Schmerzes. Dann kam
sie langsam ins Träumen hinein .... ihre Finger zitterten leise . . . . sie hatte
alles vergessen, und die fernen versunkenen Bilder wollten langsam, ganz
langsam wieder auftauchen . . . .
Dann erweckte sie wieder
plötzlich ein Wort oder eine Berührung. Eine Sekunde brauchte sie immer, um
sich wieder recht in alles hineinzufinden, aber dann faßte sie wieder ein
Weinglas und leerte es auf einen Zug. Und dann noch eines und noch eines, bis
sie spürte, wie ihr der Arm schwer herabsank. . . .
Der Freiwillige hatte sich
inzwischen herübergesetzt und ziemlich dicht an sie angedrückt. Sie merkte es
noch, aber scherzte ruhig weiter . . . .
Allmählich aber begann sie
die Wirkung des Weins zu fühlen.
Ihr Blick wurde unsicher und sah wie durch trübe Wolken eines schweren
breitverströmenden Dunstes; und die zärtlichen und überredenden Worte, die sie
vernahm, schienen irgendwo von weiter, weiter Ferne herzukommen, ganz
verschwommen und verloren. Ihre Zunge begann zu lallen, und sie merkte, wie
trotz aller Bestrebungen ihr Gedankengang sich verwirrte und ein Blitzen und Surren
vor ihren Augen funkelte, gegen das sie sich nicht zu wehren wußte. Aber mit
der Müdigkeit, die sie immer enger und zärtlicher umfaßte, kam auch jene
Schwermut wieder, halb die lallende unmotivierte Melancholie der Trunkenen, und
halb der Schmerz, der schon den ganzen Abend ihre Brust durchstürmte und sich
noch immer nicht Bahn gebrochen hatte. Sie war ganz in ihr Leid verloren,
stumpf und gefühllos gegen die Außenwelt, taub gegen alle Worte und sanften
Liebkosungen.
Der junge Bursch verstand
ihr Verhalten nicht ganz und eine Unsicherheit überkam ihn, was er mit ihr
beginnen sollte; er hielt sie für betrunken, wollte sie jedoch bewegen, wach zu
werden, weil er sich schämte, ihre Trunkenheit sich zunutze zu machen. Aber
ihre Apathie war nicht durch Zureden, noch durch schmeichelnde Küsse zu lösen;
er fächelte ihr Kühlung zu; als er aber versuchte, ihr Kleid zu öffnen, geschah
etwas Unerwartetes, das ihn erschreckte.
Denn im Augenblicke, da er
sie umfaßte, fiel sie ihm plötzlich in die Arme und begann furchtbar zu weinen.
Es war ein unendlich schreckvolles und leidvolles Schluchzen, nicht das
wehmütige Duseln eines Trunkenen, sondern in ihrem Weinen war eine elementare
Gewalt; wie ein Raubtier war es, das jahrelang im Käfig gefesselt war und mit
einem Male in wilder Gewalt die Schranken durchbricht, es
war ihr ganzer heiliger und tiefer Schmerz, der ihr nur dunkel bewußt gewesen
war und sich jetzt in bebenden Schauern erlöste. Erika weinte aus tiefster
Brust, alles, alles schien jetzt gut zu werden, da diese glühende Last der
Tränen und die drückende Bürde der nichtentladenen Erregungen sich wie in
mächtigen Gewitterstößen von ihr losrang; sie weinte und weinte, jähe Schauer
liefen über ihren hilflos angeschmiegten Körper, aber die heißen Quellen ihrer
Augen schienen nicht versiegen zu wollen; es war, als spülten sie all das
bittere Leid mit sich hinweg, das sich langsam angesetzt hatte wie wachsende
Kristalle, die sich verhärten und nicht weichen wollen. Nicht ihre Augen
weinten, ihr ganzer schmaler und biegsamer Leib erbebte unter den harten
Stößen, und ihr Herz erbebte mit.
Der junge Mann war diesem
jähen und peinlichen Ausbruche gegenüber gänzlich hilflos. Er suchte sie zu
beruhigen, strich ihr leise und zärtlich über die dunklen Flechten; wie aber
ihre Anstrengungen sich immer verdoppelten, kam ein sonderbares Gefühl
mitleidsvoller Zuneigung über ihn. Er hatte noch nie so weinen gehört, und
dieses unerhörte Leid, von dem er nichts wußte, dessen Größe er aber ahnen
mußte, flößte ihm eine achtungsvolle Furcht vor dieser Frau ein, die willenlos
in seinen Armen lag. Wie ein Verbrechen erschien es ihm, ihren Körper zu
berühren, der zu schwach war, den mindesten Widerstand leisten zu können; nach
und nach kam ihm dann auch zu Bewußtsein, daß er sehr großartig dabei handle,
und diese kindliche Freude an einem seltsamen Erlebnis stärkte seine
Willenskraft. Er ließ einen Wagen holen und begleitete sie, nachdem er von ihr
die Adresse erfahren hatte, bis zum Hause hin, wo er
sich mit freundlichen und beruhigenden Worten verabschiedete.
Als Erika sich wieder in
ihrem Zimmer befand, war auch der letzte Rest des Rausches verflogen. Nur das
Geschehene der letzten Stunden war ihr unklar und verschwommen, aber sie dachte
nicht mit scheuer Ängstlichkeit zurück, sondern mit friedevoller Ruhe. In
diesen glühenden Tränen war ihre ganze junge Seele gewesen mit all ihrem
Schmerz: mit der großen drückenden Liebe, mit der wilden und brennenden Schmach
und der letzten, beinahe vollbrachten Erniedrigung.
Langsam kleidete sie sich aus.
Alles hatte so kommen
müssen; denn es gibt Menschen, die nicht zur Liebe geboren sind, denen nur die
heiligen Schauer der Erwartung blühen, weil sie zu schwach sind, die
schmerzhaften Seligkeiten der Erfüllungen zu tragen.
Erika dachte über ihr Leben
nach. Sie wußte nun, daß die Liebe nicht mehr zu ihr kommen würde, und daß sie
ihr nicht entgegengehen dürfe; die Bitterkeit des Entsagens nahte ihr zum
letzten Male.
Einen Augenblick zögerte
sie noch in geheimer unverständlicher Scham; doch dann löste sie die letzten
Hüllen vor dem Spiegel.
Sie war noch jung und
schön. In ihrem blütenweißen Körper lag noch die hellschimmernde Frische früher
Jahre, in sanfter, fast kindlicher Rundung bebten ihre Brüste, die in wilder
innerer Erregung sich hoben und senkten, leise und zart in rhythmisch
verfließendem Linienspiel. Stärke und Geschmeidigkeit prunkte
in den Gliedern, alles war geschaffen und bereit, eine schenkende Liebe
kraftvoll zu empfangen und zu erhöhen, Seligkeiten zu geben und zu nehmen im
wechselnden Spiel, dem heiligsten Ziele entgegen zu schaffen und das verklärte
Wunder der Schöpfung in sich zu erleben. Und das alles sollte ungenützt und
unfruchtbar vergehen, wie die Schönheit einer Blume, die ein Wind verweht, ein
taubes Korn im unübersehbaren Garbenfelde der Menschheit?
Eine milde versöhnliche
Resignation kam über sie, die Hoheit der Menschen, die durch den größten
Schmerz gegangen. Und auch den Gedanken, daß diese blühende Jugend einem, einem
einzigen bestimmt gewesen sei, der sie begehrt und verachtet habe, auch diese
letzte schwerste Prüfung fand keinen Groll mehr bei ihr. Wehmütig löschte sie
das Licht und sehnte sich nur mehr nach dem leisen Glück milder Träume.
Diese wenigen Wochen
umgrenzten das Leben der Erika Ewald. In ihnen lag alles beschlossen, was sie
erlebte, und die vielen späteren Tage gingen an ihr vorüber, gleichgültig wie
Fremde. Ihr Vater starb, die Schwester heiratete einen Beamten, Verwandte und
Freunde trugen Glück und Unglück, nur in ihre einsamen Stunden ließ sie das
Schicksal nicht mehr ein. Ihr konnte das Leben nichts mehr anhaben mit seiner
stürmischen Gewalt; die tiefe Wahrheit war ihr bewußt geworden, daß der große
heilige Friede, um den sie gerungen, nicht anders errungen wird, als durch einen
tiefen läuternden Schmerz, daß es kein Glück gebe für den, der nicht den Weg
der Leiden gegangen ist. Aber diese Weisheit, die sie dem Leben abgezwungen,
blieb nicht kalt und unfruchtbar; die
Fähigkeit zur spendenden Liebe, die einst ihr Wesen in heißen Konvulsionen
erschüttert, zog sie nun zu den Kindern hin, die sie Musik lehrte und denen sie
vom Schicksal und seinen Tücken erzählte, wie von einem Menschen, vor dem man
sich hüten muß. Und so gingen ihre Monate, Tag für Tag dahin.
Und wenn der Frühling ins
Land kam und warmer segnender Sommer, dann überströmten auch ihre Abende von
inniger Schönheit . . . .
Sie saß dann am Klavier
beim offenen Fenster. Von außen zitterte ein feiner würziger Duft herein, wie
ihn der erste Frühling bringt, und das Brausen der Großstadt war fern wie ein
Meer, das seine stürmischen Fluten gegen die weißen Gestade wirft. Im Zimmer
trällerte der Kanarienvogel die lustigsten Läufe, und draußen vom Gang hörte
man die Knaben des Nachbars mit ihren tollen, übermütigen Spielen. Wenn sie
aber zu spielen begann, dann wurde es draußen still; leise, ganz leise ging
dann die Tür auf, und ein Knabenkopf nach dem anderen schob sich herein, um
andächtig zu horchen. Und Erika fand wehmütige Melodieen mit ihren weißen
schmalen Fingern, die immer heller und durchleuchtender zu werden schienen,
dazwischen leise Phantasieen, bei denen verhallte Erinnerungen anklangen.
Und einmal, als sie so
spielte, kam ihr ein Motiv, dessen sie sich nicht entsinnen konnte. Und sie
spielte es immer wieder, bis sie es jählings erkannte; das Volkslied, die
wehmütige Liebesweise, mit der er sein Liebeslied begonnen . . . .
Da ließ sie die Finger
sinken und träumte wieder von der Vergangenheit. Ganz ohne Groll und Neid waren
ihre Gedanken. Wer weiß, ob es nicht das Beste gewesen, daß sie sich damals
nicht gefunden.... Und ob sie sich vertragen? Wer
kann es wissen?. . . . Aber . . . . – sie schämte sich beinahe des Gedankens –
ein Kind hätte sie gerne von ihm gehabt, ein schönes goldlockiges Kind, das sie
hätte wiegen und warten können, wenn sie allein war, ganz einsam war . . . . .
Sie lächelte. Was für dumme
Träumereien das doch waren!
Und tastend suchten ihre
Finger wieder das vergessene Liebesmotiv . . . . .
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