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04.3
Geschichten - Stefan Zweig
Legenden
Rahel
rechtet mit Gott
Abermalens
hatte das
halsstarrige und wetterwendische Volk zu Jerusalem des geschworenen
Bundes
vergessen, abermalens hatten sie den erzenen Götzen von Tyr und Ammon
blutige
Gabe gebracht. Und nun genug des Frevels, daß sie jenen räucherten auf
Höhen
und steinernen Altären – auch in Gottes leibeigenes Haus, das Salomo,
sein
Knecht, ihm gebaut, stellten sie Bildnis des Baal und schwemmten die
Fliesen
mit Schlachtwerk, bis die heilige Stätte stank von Raucher und Blut.
Als
nun Gott sah, daß sie
seiner spotteten bis in das innerste Herz seines Heiligtums, da
entbrannte
mächtig sein Zorn. Er rechte die Rechte, und sein Schrei zerschlug lang
alle
Himmel: zu Ende sei nun seine Langmut, austilgen wolle er die sündige
Stadt und
ihre Völker wie Streu zersprengen über den Rücken der Erde. Ein Donner,
sprang
diese Verkündung auf und dröhnte von einem bis zum anderen Ende seiner
Unendlichkeit.
Schaudernd
erbebten, als so
der Ingrimm Gottes zur Stimme ward, die gefesselte Erde und die Höhen
des
Himmels. Es flohen die Ströme davon und beugten sich die Meere, es
wankten die
Berge Trunkenen gleich, und sanken die Felsen ins Knie. Die Vögel
stürzten tot
aus den Lüften, und selbst die Engel bargen ihr Haupt unter die
riesigen
Flügel, denn auch sie, die Fühllosen, vermochten den Blitz seines
Zornblickes
nicht zu schauen, und der Schrei seines Ingrimms fuhr ehern in ihr Ohr.
Einzig
tief unten die
Menschen in ihrer gerichteten Stadt, dem Himmlischen taub, sie wußten
nichts
von dem Spruch ihres Endes. Nur dies gewahrten sie, daß mit einemmal
die Festen
der Erde erbebten und auslosch das Helle am leuchtenden Tag und ein
Sturmwind
anhub, unter dem die Zedern wie Halme brachen und die Büsche sich
duckten wie
kleines Getier. Auf dem Rücken des Sturmes aber kamen Wolken gefahren
und
verhängten den Himmel mit Finsternis, ob ihren Häuptern hob Verderbnis
sich,
und unter ihren Füßen schwankte gleich Wasser der Grund. Da entstürzten
jäh die
Geschreckten ihren Häusern, damit der First nicht über sie falle, und
als sie
aufsahen, erschraken sie abermals, denn schon hing das Gewölk über
ihnen
dräuender als Fels, und feurig von Schwefelfaden schmeckte die sausende
Luft.
Vergebens, daß sie nun Irrwitzigen gleich ihre Kleider sich abrissen
und die
Haare vollwühlten mit Staub, vergebens, daß sie ihr Antlitz zur Erde
warfen und
den Herrn um Vergebung anriefen für ihren Vorwitz – die Wolke wuchs
weiterhin
schwarz, und es erlosch das lebendige Licht über dem Lande.
So
dröhnend aber war der
Ingrimm Gottes ins Wort gefahren, daß nicht nur die Lebendigen seine
Kündung
hörten; auch die Toten wachten auf in ihren Gräbern, und die Seelen der
Verstorbenen schraken wach aus ihrem beinernen Schlaf. Denn so ist es
geteilt
und bestimmt: nicht dürfen die Toten Gottes Antlitz schauen – einzig
die Engel
ertragen solch ein Unmaß an lodernden Lichts -, doch die Posaunen des
Gerichts
zu hören und seine Stimme zu vernehmen ist ihnen gegönnt. So stunden
die Toten
senkrecht auf in ihren Gräbern und fuhren nach oben. Flatternd wie
Vögel wider
großen Wind, scharten sich die Seelen der Väter und Urväter alldort im
Kreise,
damit sie vereint den Allmächtigen anflehten und die Rache wendeten von
ihren
Kindern und den Zinnen der heiligen Stadt.
Isaak
und Jakob und
Abraham, die Erzväter, einer gedrängt an den andern, traten vor zur
rauschenden
Bitte. Doch der Donner zerbrach ihren Ruf, und in ihr Stammeln fuhr
neuerdings
des Herrn Wort: überlang schon habe er geduldet das Unmaß des Undanks,
jetzt aber
wolle er den Tempel zerschmettern, damit im Zorn ihn erkenneten, die
seiner
Liebe sich gewehrt. Und da nun die Erzväter hinsanken in die Ohnmacht
des
Worts, traten vor die Propheten Moses, Samuel, Elias und Elisa, die
Gottes
eigene Rede im Munde trugen, sie traten vor, die Männer der feurigen
Zunge, und
hoben ihr Herz an die Lippe. Doch der Herr achtete ihrer Rede nicht,
und sein
Wind schlug den Uralten ihr Wort zurück in die Bärte. Und schon
schärften sich
die Blitze, um ihr fressendes Feuer in
Turm und Tempel zu werden. So war den heiligen Männern der Mut
genommen, wie
zertreten Gras schauerten ihre Seelen leer vor dem Herrn, und kein Wort
wagte
zu atmen wider seinen Zorn. Verschüchtert schwieg jede irdische Stimme
– da
trat Rahel, die Erzmutter Israels, allein aus dem Wald ihres Ängstens.
Auch sie
hatte in ihrem Grabe zu Ramah Gottes Zornwort vernommen, und die Tränen
rannen
ihr nieder, da sie ihrer Kindeskinder gedachte. So packte sie stark die
Kraft
im eigenen Leibe und stieß sich hin vor den Unsichtbaren. Kniend erhob
sie ihre
Hände, knieend erhob sie ihr Wort zu dem Herrn:
„Das
Herz bebt mir im
Leibe, zu dir zu sprechen, Allmächtiger, doch wer denn du schufst mir
dies Herz
im Leibe, daß es bebend werde in deiner Furcht, und wer die Lippe, daß
sie ihre
Angst ausgieße ins Gebet? Aus deiner Furcht schreie ich mich auf in
deine
Liebe, aus meiner Kinder Not hebe ich mein klein Wort in deine
Unendlichkeit.
Nicht Klugheit gabst du mir, noch List, und nichts finde ich, um dein
Zürnen zu
beschwichtigen, denn von mir selbst zu sprechen, wie ich einstens
meinem Zorn
obsiegte. Wohl weiß ich, du kennst meine Rede, ehe sie geredet, ist
doch in ihr
jedes Wort längst gestaltet, ehe es Laut wird an der Menschen Lippe,
und jede
Tat, ehe sie ausfährt unserer irdischen Hand. Dennoch aber, ich flehe
dich an,
höre mich geduldig um der Sündigen willen.“
So
geredet, beugte Rahel
ihr Antlitz. Gott aber sah die Gebeugte und sah ihre Tränen. Da hielt
er einen
Atemzug inne in seinem Ingrimm, auf daß er der Leidenden lausche.
Das
Lauschen Gottes aber in
seinen Himmeln füllt alle Räume mit Leere und tötet die Zeit. Kein Wind
wagte
zu wehen, es verbarg sich der Donner, das Kriechende kroch nicht, das
Beflügelte flog nicht, und kein Hauch ging keinem vom Munde. Stille
standen die
Stunden und erzen harrten die Cherubim. Denn das Lauschen Gottes zieht
den Atem
ein alles Lebens und endet das Rauschen der Himmel; selbst die Sonne
wandelte
nicht und es rastete der Mond, und alle Ströme gingen stumm ein in
seine
Gegenwärtigkeit.
Tief
unten aber auf Erden
kauerten die Menschen und ahneten von Rahels Fürspruch nichts und
nichts vom
Lauschen in Gottes Ohr. Denn unwissend sind sie allezeit des Göttlichen
und
können nicht raten, was in den Himmeln geschieht. Nur dies gewahrten
sie, daß mit
einemmal das Stürmen innehielt über ihnen. Aber als sie hoffend
aufblickten zur
Höhe, stand die Wolke noch schwarz gefügt wie der ebene Deckel eines
Sarges,
und ohne Atem drohte die Finsternis. Da erschraken sie abermals sehr,
und so
kalt umfing sie die Stille wie das Hemd der Toten den verstorbenen
Leib.
Rahel
aber, da sie das
Lauschen Gottes fühlte, sich zugewandt, hob das Antlitz aus ihren
Tränen und
sprach mit dem Mute der Angst:
„Hirtin
war ich, Labans
Tochter – du weißt es – im Lande Haran, das gen Morgen liegt, und
hütete meines
Vaters Schafe nach seinem Gebot. Da wir sie aber eines Morgens zur
Tränke
führten und die Mägde nicht wußten den Stein des Brunnens zu rücken,
sprang ein
Jüngling helfend ein, fremd und wohlgestalt, und wir standen erstaunt
von
seines Leibes Kraft. Jakob war es, den du uns gesandt, meines Vaters
Schwestersohn, und kaum daß er sich nannte, führte ich ihn hin in
meines Vaters
Haus. Nur eine Stunde war es, daß wir einer den andern gesehen, und
schon
brannten unsere Blicke inwendig uns ein und unsere Herzen sehnten sich
eines
dem andern zu. Und ich lag nachts wach, seiner begehrend – doch siehe,
Herr,
ich schämte mich meines Blutes nicht, denn wer, wenn nicht du, Herr,
hast dies
in uns getan, daß jählings das Herz uns aufbricht zum flammenden
Dornbusch der
Liebe? Von dir, Herr, von dir allein ist es gewollt, daß die Jungfrau
sich
öffne dem Manne, daß Blick in Blick und Leib zum Leib stürmig sich
dränge.
Darum wehrten wir unserem Feuer nicht, sondern tauschten ein Gelöbnis
der Verbindung
an jenem ersten Tag noch, da Jakob mich, Rahel, sah.
Mein
Vater Laban aber –
Herr, du weißt es – war ein harter Mann, hart wie die steinige Erde,
die er
wundriß mit dem Pfluge, hart wie das
Horn seiner Stiere, die er niederbeugte ins Joch. Und als Jakob mich
heimzuführen begehrte, wollte er ernstlich erproben, ob jener Mann wäre
nach
seinem Willen, hart im Dienste und ehern in Geduld. So heischte er von
dem
Werbenden – Herr, du weißt es -, daß er ihm vorerst sieben Jahre um
meinetwillen diene. Meine Seele erbebte, dies lauschen, und abstarb das
Blut in
Jakobs Wangen, so unendlich lang schien uns Ungeduldigen die Frist.
Denn sieben
Jahre, Herr, ich weiß es, für dich sind sie bloß ein Tropfen, der
niederfällt,
ein Wimpernschlag kaum deinem ewigen Auge, geht doch wie Rauch die Zeit
durch
die Himmel deiner Urewigkeit. Doch sieben Jahre, Herr, geruhe zu
bedenken, uns
Menschen sind sie ein Zehent des Lebens, denn kaum daß wir die Augen
aufschlagen vom Dunkel in dein heiliges Licht, schon schließt sie uns
neu die
Nacht unseres Todes. Wie ein Strom im Frühling strömt rasch unser
Leben, und
keine Welle kehrt da nochmals zurück. Sieben Jahre darum, eine Ewigkeit
dünkte
sie uns Ungeduldigen, nie zu durchmessen, sieben Jahre der Ferne, indes
doch
ein Leib nahe weilte, dem andern und die Lippe verdurstete nach des
Geliebtesten Kuß. Aber dennoch, Herr, beugte sich Jakob dem Spruche,
dennoch
neigte ich mich meines Vaters Geheiß. Und wir faßten unser Herz in die
Hände,
daß wir es zähmten zu Gehorsam und großer Geduld.
Herr,
aber wie schwer ist
dies Gedulden deinen Geschöpfen, denn heiß hast du uns das Herz in den
lebendigen Leib getan und tief innen ein wissend Ängsten gepflanzt um
die Kürze
unserer irdischen Frist. Wir wissen, Herr, nah hängt der Herbst unserem
Frühling,
und der Sommer unseres Lebens, er währet nicht lange; darum wogt solch
ein
Ungedulden in unserem irdischen Blut, darum fährt so gierig unsere Hand
aus,
Geliebtes zu greifen und selbst des Vergänglichen sich eilends zu
freuen. Wie
sollten wir warten lernen, die wir altern in der Zeit, wie uns
gedulden, die
wir auslöschen über Nacht, wie sollten wir nicht brennen, an denen Zeit
zehrt
mit sausender Flamme, nicht eilen, die wir verfolgt sind von tödlichem
Schritt!
Dennoch aber, Herr, dennoch haben wir uns bezähmt und blieben mächtig
wider
unser Verlangen. Jeder Tag dauerte tausend Tage unserer Sehnsucht, so
liebten
wir einander. Und doch, als sie vergangen waren, dünkten die sieben
Jahre des
Wartens uns nicht mehr denn ein einziger Tag. So habe ich, Herr, auf
Jakob
gewartet, so hat mich Jakob geliebt.
Als
dann zum siebentenmal
das Jahr sich wendete, trat ich freudig vor Laban, meinen Vater, und
heischte
das Zelt der Vermählung. Doch Laban, mein Vater, sah hinweg über meine
Freude,
eine Wolke war seine Braue und ein starres Siegel sein Mund. Dann aber
befahl
er mir, Lea zu holen, meine Schwester. Lea, meine Schwester – Herr, du
weißt es
-, war die Erstgeborene und zwei Jahre vor mir kommen aus meiner Mutter
Schoß.
Unschön hattest du das Antlitz ihr gestaltet – so achteten die Männer
ihrer
nicht, und daß keiner ihrer begehrte, grämte sie sehr. Eben aber um
ihres
Leidens willen und ihrer Linde war sie mir lieb. Doch da mein Vater mir
gebot,
sie vor ihn zu führen, und mich auswies vom Zelte, da ahnte mir
eilends, er
wolle ein Trügliches mit ihr sinnen. So verbarg ich mich nebenan, ihrer
Abrede
zu lauschen. Mein Vater aber redete so:
„Höre,
Lea, mein
Schwestersohn Jakob ist gekommen und dient sieben Jahre schon, um Rahel
zu
freien. Doch dies dulde ich nicht um deinetwillen, denn wie ginge es
an, daß
die Jüngere das Haus vor der Älteren verlasse und die Erstgeborene
unbemannt
bleibe, den Mägden zum Spott. Wider Gottes Willen, lästerlich und
töricht wäre
solcher Brauch. Denn an den Anfang der Welt, in die Morgenfrühe der
Erde hat
der Herr uns gesetzt, daß wir sein Weltall ihm füllten mit Menschen und
daß
Myriaden einst seien, seinen Namen zu loben. Nicht will er, daß sein
Boden
brach bleibe und, was er lebend gezeugt, ohne Zeugung hingehe und
Frucht. Kein
Widder und keine Färse nachten in meinem Stalle, ohne daß sie sich
mehrten –
wie sollte ich da dulden, daß mein eigen Kind verschlossen bleibe in
Schande
und Scham. Darum rüste dich, Lea, nimm den bräutlichen Schleier und
schließe
ihn dicht über deinem Antlitz, daß ich dich zu Jakob führe an Rahels
Statt.“ So
sprach mein Vater zu Lea, die ängstlich erbebte und schwieg. Kaum hatte
mein
Herz solche Trugrede vernommen, so entbrannte es in Zorn wieder Laban,
meinen
Vater, und wider Lea, meiner Schwester – verzeihe es, Herr! Aber
bedenke, Herr,
bedenke doch nur, sieben Jahre hatte jener gedient einzig um
meinetwillen,
sieben Jahre hatten wir liebend gedarbt eines des andern, und nun
sollte die
Schwester umfangen, der meine Seele inniger war denn der eigene Leib?
Da stemmte
mein Sinn sich störrig auf und ich empörte mich wider meinen Vater, so
wie
meine Kinder sich empörten wider dich, ihren ewigen Vater, denn auch
dies,
Herr, hast du in uns getan, daß starr uns der Nacken wächst im Zorn,
sobald uns
ein Unrecht geschieht. So drängte ich mich heimlich zu Jakob und mahnte
ihn
flüsternd, er möge sich wahren, daß morgen mein Vater nicht eine andere
ihm
zulege an meiner Statt. Und damit er kundig sei wider jedweden Trug,
lehrte ich
ihn ein Zeichen des Erkennens. Dies Zeichen des Erkennens aber war, daß
die
Braut zu dreien Malen ihm die Stirn küßte, ehe sie eintrat in sein
Zelt. Und
Jakob verstand mich und merkte das Zeichen.
Des
Abends ließ Laban die
bräutlichen Schleier für Lea rüsten. Zwiefach umtat er ihr Antlitz,
damit Jacob
nicht vorzeit, ehe er ihren Leib erkannt, die Unterschobene erkenne.
Mich aber
verwies er in den Speicher, daß nicht einer der Diener mich gewahre und
den
Betrogenen warne. Eine Eule saß dort im Dunkel, und so wie die Stunde
wuchs
gegen Abend, so wuchs auch der Ingrimm in meinem Herzen, daß ich
meinte,
ausspringen müsse das Schmerzhafte meiner zuckenden Brust, denn – Herr,
du
weißt es – ich gönnte meiner Schwester Jakobs Beilager nicht. Und ich
biß die
Zähne in die Fäuste, als unten der Zimbeln Frohlocken anhub, und
Schmerz und
Neid zerrissen wie zwei Löwen meine Seele. So lag ich versperrt und
vergessen und fraß meinen eigenen Zorn, und schon ward es dunkel unter
dem
Dache, gleich dem Dunkel mir innen, da ging mit einemmal leise die Tür.
Und
siehe, Lea, meine Schwester, sie war es, die heimlich zu mir schlich
vor ihrem
bräutlichen Weg. Schon an dem Schritt erkannte ich sie, allein, obzwar
ich sie
erkannte, wandte ich mich feindlich ab, als erkennete ich sie nicht,
denn mein
Herz stand starr gegen sie. Milde jedoch nahte mir Lea, zart rührend an
mein
Haar mit ihren Händen, und als ich aufschaute, gewahrte ich, daß eine
Wolke der
Angst den Stern ihrer Augen verhüllte. Siehe, Herr – ja, ich gestehe es
dir -,
in diesem Augenblick frohlockte das Böse
in mir. Wohl tat mir ihre Bangigkeit, wohl tat mir ihr Ängsten, und wie
Rache
letzte dies Fühlen mich, daß auch ihr bitter worden mein eigener
bräutlicher
Tag. Sie aber, die Unselige, sie ahnete nichts von meiner bösen Freude,
hatten
wir doch die Milch der Mutter geschwisterlich geteilt und liebten
einander ohne
Abbruch von Kindheit her. So kam sie vertraulich und umfing meine
Schulter.
Ihre Lippen aber bebten noch blaß vor Angst, da sie klagte:
„Wie
soll das werden,
Rahel, meine Schwester? Mir ist so weh dessen, was der Vater getan. Dir
hat er
den Geliebten genommen und mir ihn gegeben – mich aber widert’s, den
Arglosen
zu trügen, denn wie könnte ich aufrechten Hauptes zu ihm gehen, der
deiner
begehrt, und mich ihm zugesellen? Ich fühle es, mein Schritt will
mich nicht tragen und mein Herz
redet mir ab, ich habe Angst Rahel, ich habe Angst, denn wie könnte es
sein,
daß jener mich nicht erkennete beim ersten Blick? Und Schande, wird sie
nicht
siebenfach auf mich fallen, wenn er mich unerbrochen jagt aus seinem
Haus und
Gezelt? Bis ins dritte Geschlecht werden die Kinder dann wider mich
spotten:
Lea ist dies, die Häßliche, die gierig zu einem Manne lief, damit er
sie
erkenne, und die er von sich gejagt wie ein räudiges Tier. Was soll ich
tun,
Rahel, hilf mir, du lieb Geschwister, soll ich es wagen oder soll ich
Trotz
bieten dem Vater, dessen Hand schwer auf uns hegt? Was soll ich tun,
Rahel,
damit Jakob nicht vorzeit mich erkenne und nicht Schande auf mich
Schuldlose
falle? Hilf mir, Schwester Rahel, hilf mir, ich flehe dich an um des
Allerbarmenden willen!“
Herr,
noch stand der Zorn
mir aufrecht im Leibe, und obzwar ich jene liebte, frohlockte noch
immer das
Böse in mir und ihre Angst letzte mich wie ein köstlich Gericht. Da sie
aber
deinen heiligen Namen nannte, Herr, deinen heiligsten Namen, den Namen
des Allerbarmers
– Herr, da durchfuhr’s mich wie ein feuriger Strahl, umgeschüttelt ward
mir
mein Herz im geweiteten Leibe, und deiner Güte Gewalt, deines Erbarmens
rauschende Macht, Herr, süß fühlte ich sie eindringen in die
verdunkelte Seele.
Denn dies ist deiner ewigen Wunder eines, Herr, daß die Wand des
eigenen Leibes
von uns fällt, sobald wir die Qualen des Nächsten erkennen und wissend
eingehen
in seine schmerzende Brust. Als die meine fühlte ich meiner Schwester
Angst mit
einemmal innen, und nicht meiner dachte ich mehr, sondern einzig ihrer
schreienden Not. Und, mitleidend meiner Schwester Leid, erbarmte ich
mich
ihrer, ich, deine törichte Magd – Herr, höre jetzt wohl auf mein Wort!
-, ich
erbarmte mich ihrer zu jener Stunde, weil sie in Tränen vor mir stand ,
so wie
ich in Tränen vor dir stehe. Ich erbarmte mich ihrer, weil sie meine
Barmherzigkeit anrief, so wie ich die deine nun anrufe mit brennendem
Mund. Und
wider ich selber lehrte ich sie, Jakob zu trügen, und verriet ihr das
abgeredete Zeichen. Ich hieß sie, dreimal ihm die Stirne zu küssen, ehe
sie
eintrete in sein Zelt – so, Herr, schlug ich, Rahel, meiner Eifersucht
ins
Antlitz, so verriet ich Jakob und meine eigene Liebe um deiner Liebe
willen.
Da
ich also getan und Lea
meinen Sinn erkannte, da vermochte sie nicht mehr an sich zu halten,
sie fiel
hin zu meinen Füßen und küßte meine Hände und meiner Kleider Saum, denn
auch
dies hast du in die Menschen getan, daß, wo immer sie deiner heiligen
Güte ein
Zeichen spüren, die Demut sie faßt und der Dank sie bewegt. Und wir
umhalsten
einander und küßten uns und näßten die Wangen mit unserer Tränen Salz.
Schon
war Lea getröstet und wollte hinab in das bräutliche Zelt. Doch da sie
aufstund
von der Erde, erdunkelte ihr abermals das Auge in Sorge, und abermals
bebte
blaß ihr die Lippe.
„Ich
danke dir, Schwester,
du Gütige“, sprach sie zu mir. „Ich danke dir und will tun nach deinem
Geheiß.
Aber wie, wenn auch dies Zeichen ihn nicht täuschte? Noch einmal rate
mir,
Schwester, noch einmal berate mich. Sag mir an, was soll ich tun, so er
mich
anspricht mit deinem Namen? Kann ich denn schweigsam verharren, so er
mich
anspricht, der Bräutigam die Braut, und darf doch nicht reden mit der
eigenen
Stimme, ohne daß er vorzeit den Trug schon erkennte? Was soll ich tun,
Schwester,
wenn er zu mir spricht, wie soll ich ihm antworten mit deiner Stimme,
wenn er
mich fragt? Hilf mir, Rahel, hilf mir, du Kluge, hilf mir, du
Hilfreiche, um
des Allerbarmenden willen!“
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