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04.3
Geschichten - Stefan Zweig
Legenden

Rahel
rechtet mit Gott
Seite 2
Und
abermals, Herr, da sie
mich anrief mit dem heiligsten deiner Namen, abermals ging dieser
feurige
Strahl durch mich hin und zertrennte jedwede Härte in meiner Seele, daß
sie
helle ward und offen ihrer klagenden Not. Und zum andernmal nahm ich
mein eigenes
schreiendes Herz, abermals trat ich das Schmerzhafte hin unter die
Füße. Und
als ich es aufhob und wieder faßte, war es lind in Erbarmen und jedem
Opfer
bereit. So anwortete ich ihr:
„Sei
getrost, Lea, meine
Schwester, und sorge dich nicht. Denn um des Allerbarmenden willen will
ich
dies auf mich nehmen, daß Jakob dich nicht erkenne, ehe er nicht deinen
Leib
erkannt. So will ich’s tun: indes der Vater dich ihm verschleiert
bindet, will
ich mich einschleichen in Jakobs Kammer und dort im Dunkeln kauern
neben eurem
bräutlichen Lager. Und spricht er dich an, so will ich mit meiner
Stimme
antworten an deiner Statt. Derart wird sein Argwohn weichen, und der
wird dich
umfangen und deinen Leib segnen mit seinem Samen. Dies aber will ich
tun, Lea,
um der Liebe willen, die wir eine zur anderen hegten von Kindheit an,
und um
des Allbarmherzigen, den du angerufen, damit auch er dereinst
barmherzig sei
meinen Kindern, wann immer sie ihn anrufen mit seinem heiligsten
Namen.“
Herr
da umfaßte mich Lea,
küßte die Lippen mir, eine andere und Erneute stand die Gebeugte auf
von ihren
Knien. Ohne Sorge nun ging sie hinab, sich im Schatten des Schleiers
Jakob
darzubieten. Ich aber tat meine bittere Tat: in Jakobs Zelt schlich ich
mich
heimlich und barg mich im Dunkel hart neben seinem Lager. Bald dröhnten
die
Zimbeln jauchzend heran, die Bräutlichen zu geleiten, und schon standen
sie
beide im Schatten des Eingangs. Ehe aber Jakob das Linnen aufhob, der
Verschleierten den Segen des Eingangs zu geben, zögerte er eine Weile,
meines
heimlichen Zeichens gewärtig. Da küßte ihm Lea, wie ich sie gewiesen,
dreimals
die Stirn. Und Jakob, zufrieden des Zeichens, nahm, mich vermeinend,
Lea
liebend an sich und trug sie hin auf die Lagerstatt, einen Atem nah von
meiner
zuckenden Lippe. Aber ehe er sie umfaßte, fragte er noch einmal: „Bist
du es
wahrhaft, Rahel, die ich fühle?“ Und da, Herr – hart ward es mir, du
weißt es,
Allwissender! - , da riß ich die Stimme aus mir wie einen Nagel vom
Fleische
und flüsterte von nahe: „Ich bin es, Jakob, mein Gemahl.“ Des war er
getröstet
und brach in sie ein mit seiner Liebe Gewalt. Ich aber – Herr, du weißt
es,
denn wie die Sense das Gras, so schneidet dein Blick durch die Dunkel –
ich
aber, Herr, ich kauerte eines Fingers Spanne nur von ihnen, und mir
war, als
läge ich lebendigen Leibes im Feuer, da jener liebend Lea umfaßte und
meinte,
mich zu nehmen, die ihm offenstand mit aller Glut ihres Blutes. Herr,
entsinne
dich, Allgegenwärtiger du, entsinne dich jener
Nacht, da ich sieben Stunden mit schmerzenden Knien und schmerzender
Seele neben ihnen kauerte und hören mußte, was mir galt und mir selbst
zu
fühlen versagt war! Sieben Stunden, sieben Ewigkeiten lag ich gebückt,
den Atem
verpreßt, und rang wider den eigenen Schrei, wie Jakob einst rang mit
deinem
Engel, und siebenzigmal dünkten sie mich länger, diese Stunden, als die
sieben
Jahre des Wartens. Und ich hätte sie nicht ertragen, diese Nacht meiner
Langmut, hätte ich nicht immer wieder deinen heiligen Namen gerufen und
mich
gestärkt im Gedanken deiner unendlichen Geduld.
Dies,
Herr, war meine Tat,
die einzige, deren ich mich rühme auf Erden, weil ich in ihr dir selbst
ähnlich
war in Langmut und Erbarmen – denn über aller Menschen Maß litt meine
Seele
Not, und ich weiß nicht, ob du jemals, Herr, ein Weib so hart versucht
hast auf
Erden denn mich in jener unseligen Nacht. Und doch, Herr, habe ich sie
durchduldet, diese Nacht aller Nächte, und als die Hähne krähten,
raffte ich
mich auf mit ausgeschöpftem Leib, indes jene ruhten in großer
Müdigkeit. Eilig
flüchtete ich hin in meines Vaters Haus, denn bald mußte doch klärlich
werden,
was wir trügerisch getan, und die Kiefer bebten mir im Munde vor Jakobs
Zorn.
Und wehe, wie ich’s geahnet, so erfüllte sich’s. Kaum ruhte ich im
Hause meines
Vaters, so brüllte des Getrogenen Stimme her wie eines zornigen
Stieres, und er
stürmte heran, ein Schlagbeil in Händen, daß er Laban, meinen Vater
treffe.
Meinem Vater Laban, dem alten, ihm lähmte Schrecken die Hände, da er
den
Wütigen hörte. Schauernd sank er zur Erde und rief deinen heiligen
Namen. Und
abermals, Herr, da ich deinen heiligsten Namen hörte, überkam mich
jenes
heiligen Mutes Kraft, und ich warf mich dem Stürmenden entgegen, damit
sein
Wüten über mich fahre an meines Vaters Statt. Jakobs Augen aber hitzte
das Blut
des Zornes, und kaum sah er mich, die ihn trügen geholfen, schlug er
mit
Fäusten in mein Antlitz, daß ich stürzte. Aber, Herr, ich duldete es
ohne
Klage, wußte ich doch, daß ein großes Lieben in seinem Zorne war. Und
hätte er
mich damals getötet – schon hob er rasend das Beil -, Herr, ich wäre
nicht
klagend getreten vor deinen ewigen Thron, denn um eines großen Leidens
willen
hatte ich ihn getrogen, und ich wußte, um einer großen Liebe willen
wütete sein
Zorn.
Kaum
daß der Wütige mich
hingeschlagen zu seinen Füßen sah, blutend und verstörten Blicks -
siehe, Herr,
da kam auch über ihn das Erbarmen. Lahm fiel das Beil, das gehobene,
aus seinen
Händen, er beugte sich nieder und küßte mein Blut von der Lippe. Und
nicht nur
meiner erbarmte er sich, auch meinem Vater, Laban, verzieh er um
meinetwillen
und verstieß nicht Lea aus seinem Zelte. Mein Vater gab mich nach
sieben Jahren
als zweite Gattin ihm zu, und er weckte mir Kinder aus meinem Schoß –
Kinder,
die ich nährte mit der Milch meines Leibes und dem Worte deiner
Verheißung.
Kinder, die ich mahnte, in höchster Not kühnlich dich anzurufen mit dem
Geheimnis
deines unverstellten Namens. Und mit diesem deinen Namen des
Allerbarmers,
Herr, rufe ich dich heute aus meiner letzlichen Not: tue, wie jener
getan,
lasse sinken das Schlagbeil deines Ingrimms und verwehen die Wolke
deines
Zornes! Um Rahels Erbarmens willen erbarme dich noch einmal, Herr, übe
Geduld
für meine Geduld und spare deine heilige Stadt! Schone, Herr, meiner
Kinder und
Enkel, verschone Jeruscholajim!“
Rahel
hatte die Stimme
aufgehoben, als müßte sie hundert Himmel durchfahren; so entsank nach
dem
flehenden Anruf ihrer Seele die Kraft. Sie brach in die Knie, das
erschütterte
Haupt beugte sich nieder zur Erde, und wie ein schwarzrinnend Wasser
strömten
die Strähnen ihres Haares über den zitternden Leib. – So kniete Rahel
und lebte
und wartete auf Gottes Antwort.
Gott
– aber – schwieg. Und
nichts ist furchtbarer auf Erden und in den Himmeln und in den
schwebenden
Wolken zwischen ihnen denn Gottes Schweigen. Wenn Gott schweigt, dann
endet die
Zeit und vergehet das Licht, dann ist Tag von Nach nicht mehr
geschieden und in
allen Welten nur mehr das Leere des Anbeginns. Was Regung hat, hört
auf, sich
zu regen, was fließt, stockt in dem Flusse, das Blühende kann nicht
mehr
blühen, das Meer nicht mehr strömen ohne sein innerlich Wort. Kein
irdisch Ohr
aber kann es tragen, das Dröhnen dieser Stille, kein irdisches Herz
sich halten
wider den Andrang dieses Leeren darin nur Gott ist und er selbst der
Lebendige
nicht, solange er schweigt, das Leben alles Lebens.
Und
auch Rahel, auch sie,
die Geduldigste, auch sie konnte es nicht ertragen, dieses endlose
Schweigen
Gottes über ihrer schreienden Not. Noch einmal hob sie ihre Augen wider
den
Unsichtbaren, noch einmal stieß sie auf ihre mütterlichen Hände, und
der
Zündstein des Zorns schlug ihr das Wort rot wie einen Funken vom Munde:
„Hast
du mich denn nicht
gehört, Allgegenwärtiger, hast du mich nicht verstanden,
Allverstehender – oder
muß ich mein Wort dir noch deuten, ich, deine unkunde Magd? So
begreife,
Hartköpfiger – auch ich war in Eifersucht verfallen, weil Jakob an
meine
Schwester sich ausgoß, so wie du nun eiferst, weil meine Kinder anderen
Göttern
räucherten an deiner Statt. Aber doch, ich schwach Weib, ich bezähmte
mein
Grollen, ich erbarmte mich um deinetwillen, den ich einen Barmherzigen
meinte,
ich erbarmte mich Leas, und Jakob erbarmte sich meiner, merke es, Gott:
wir
alle, die wir nur Menschen sind, arm und vergänglich, wir bezwangen das
Böse
des Neidens – du aber, du Allmächtiger, der alles erschaffen und alles
erschöpft, du, aller Wesen Anbeginn und Übermaß, du, dem alles Meer
ward, des
wir nur Tropfen haben – du wolltest dich nicht erbarmen? Wohl weiß
ich’s, ein
starrnackig Volk ist mein Kindvolk, und immer locken sie wider dein
heilig
Joch, aber doch, so du Gott bist und Herr aller Fülle, muß da nicht
deine
Langmut ihren Übermut übermessen und dein Erbarmen ihre Fehle? Denn
dies darf
nicht sein, daß vor deiner Engel Antlitz ein Mensch sich beschämte und
jene
redeten: es war ein Weib einst auf Erden, ein schwach, sterblich Weib,
Rahel
genannt, die bezähmte ihren Ingrimm. Er aber, Gott, der Herr aller ist
und des
Alls, er diente seinem Zorn als Knecht. Nein, Gott, das darf nicht
sein, denn
so dein Erbarmen nicht ohne Ende ist, dann bist du selber unendlich
nicht –
dann – bist – du – nicht – Gott. Dann bist du der Gott nicht, den ich
schuf aus
meinen Tränen und dessen Stimme mich anrief in meiner Schwester
geängstigtem
Schrei – ein Fremdgott dann bist du, ein Zorngott, ein Strafegott, ein
Rachegott, und ich, Rahel, ich, die nur den Liebenden liebt und nur dem
Barmherzigen diente, ich, Rahel – ich verwerfe dich vor dem Antlitz
deiner
Engel! Mögen diese hier, mögen deine Erwählten und Propheten sich
beugen –
siehe, ich Rahel, die Mutter, ich beuge mich nicht – aufrecht recke ich
mich
auf und trete in deine eigene Mitte, ich trete zwischen dich und dein
Wort.
Denn ich will rechten mit dir, ehe du rechtest mit meinen Kindern, und
so klage
ich dich an: dein Wort, Gott, ist Widerspruch wider dein Wesen, und
dein
zorniger Mund verleugnet dein eigentlich Herz. So richte, Gott,
zwischen dir
und deinem Wort! Bist du wahrhaft der Zornige, den du kündest, dann
wirf auch
mich in Finsternis zu meinen Kindern, denn als eines Zorngottes Antlitz
will
ich das deine nicht schauen, und mich widert die Wut deiner Eifersucht.
So du
aber der Barmherzige bist, den ich liebte von Anfang an und dessen
Lehre ich
lebte – dann laß dich endlich erkennen von mir, dann sieh mir ins
Antlitz mit
dem Leuchten deiner Milde und spare die Kinder, verschone die heilige
Stadt.“
Nachdem
Rahel so das
Schwert ihres Wortes in die Himmel gestoßen, brach ihr abermals die
Kraft. Sie
fiel hin in die Knie, rückgelehnt das Haupt in Erwartung des oberen
Wortes, und
ihre Lider lagen verschlossen gleich denen einer Toten.
Ängstend
aber wichen die
Erzväter und Propheten von Rahels Nähe, denn ein Blitz, fürchteten sie,
müsse
niederfahren auf die Frevlerin, die mit Gott gerechtet. Scheuen Auges
starrten
sie in die Himmel. Kein Zeichen jedoch kam ihnen zu.
Die
Engel aber, die vor
Gottes düsterer Braue ihr Haupt unter den Fittichen verbargen und
schauernd hin
auf die Verwegene blickten, die ihres Herrn Allmacht geleugnet, sie
sahen, daß
mit einemmal ein Licht ausging von Rahels Antlitz und ihre Stirne
glänzte. Wie
von innen hob ihres Leibes Haut an zu strahlen, und die Tränen auf
ihren
Wangen, den mütterlichen, funkelten morgenrötlich wie Tau. Des
erkannten die
Engel, daß Gott mit all seiner atmenden Liebe Rahel ins Antlitz
gesehen. Und
sie erkannten, daß Gott die Leugnerin seines Worte mehr liebte um ihres
Glaubens Unmaßes und Ungeduld willen denn die Diener, die frommen
seines Worts,
um ihrer Hörigkeit. Da schwand der Engel Ängste, sie hoben getrost die
Augen,
und siehe: es war wieder Helle und Herrlichkeit um Gottes Gegenwart,
und seines
Lächelns beseligend Blau überglänzte unendlich die Räume. Da rauschten
die
Cherubim auf mit klingenden Flügeln, und silbernen Fußes sprang der
Wind ihren
Fittichen nach, daß ein flüssig Tönen ging von Chorälen in des Himmels
weißem
Gezelt.
Das
Leuchten aber auf
Gottes Antlitz wuchs zu unendlichem Glanz, bis die Firmamente solche
Fülle
nicht mehr trugen und zu strömen begannen vom Brausen des Lichts. Und
aufklangen darin heiliger Eintracht die Stimmen der Engel und die
Stimmen der
Toten und aller jener, die Gott noch nicht zur Erde gerufen, bis alles
ein
selig Atmen ward und ein großer Gesang.
Die
Menschen aber tief
unten, ewig dem Ratschluß der Himmlischen fremd, sie ahnten noch immer
nicht,
was ob ihren Häuptern geschah. In Sterbegewänder gehüllt, beugten sie
dumpf die
Stirn zur verdunkelten Erde. Da war plötzlich dem einen und andern, als
ob über
ihnen ein sanftes Sausen anhübe gleich einem märzlichen Wind. Unsicher
blickten
sie auf und erstaunten. Denn auf der zerspaltenen Wand des Gewölks
stieg mit
einmal ein Regenbogen herrlich nach oben und trug in den sieben Farben
des
Lichts ihre Tränen Rahel, der Mutter, entgegen.


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