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04.3
Geschichten Stefan Zweig
Sommernovelette
aus
Vier Geschichten aus Kinderland
Sommernovelette
Seite 2
Dieses
Ereignis mahnte mich zuerst, dem Spiel ein
Ende zu machen, aber doch die Verlockung war zu stark, und ich
entschloß mich,
diesen Zufall als willigen Gehilfen zu wählen, und schrieb ihr am Abend
einen
ungewöhnlich langen Brief, der ihre Vermutung bestätigen mußte. Es
reizte mich,
nun mit zwei Personen zu agieren.
»Am
nächsten Morgen erschreckte mich die zitternde
Verwirrung in ihren Zügen. Die schöne Unrast war einer mir
unverständlichen
Nervosität gewichen, ihre Augen waren feucht und gerötet wie von
Tränen, ein
Schmerz schien sie im Tiefsten zu durchdringen. All ihr Schweigen
schien nach
einem wilden Schrei zu drängen, Dunkel lag um ihre Stirne, eine düstere
herbe
Verzweiflung in ihren Blicken, während ich gerade diesmal klare Freude
erwartet
hatte. Mir wurde bange. Zum erstenmal drängte sich etwas Fremdes ein,
die
Marionette gehorchte
nicht und tanzte anders, als ich
wollte. Ich grübelte nach allen Möglichkeiten und fand keine. Mir
begann angst
zu werden vor meinem Spiel, und ich kehrte nicht vor abends heim, um
der
Anklage in ihren Blicken zu entweichen. Als ich heimkam, verstand ich
alles.
Der Tisch war nicht mehr gedeckt, die Familie abgereist. Sie hatte fort
müssen,
ohne ihm ein Wort sagen zu können, und konnte den Ihren nicht verraten,
wie
sehr ihr Herz noch an einem einzigen Tage, an einer Stunde hing, sie
war
fortgeschleppt worden aus einem süßen Traum in irgendeine klägliche
Kleinstadt.
Daran hatte ich vergessen.
Und
ich
fühle jetzt noch wie eine Anklage diesen letzten Blick, diese
furchtbare Gewalt
von Zorn, Qual, Verzweiflung und bitterstem Weh, das ich, wer weiß wie
weit, in
ihr Leben hineingeschleudert habe.«
Er
schwieg. Mit uns war die Nacht gegangen, und von
dem durch Gewölk verhangenen Mond ging ein eigentümlich flirrendes
Licht aus.
Zwischen den Bäumen schienen Funken und Sterne zu hängen und die
bleiche Fläche
des Sees. Wir gingen wortlos weiter. Endlich brach mein Begleiter das
Schweigen. »Das war die Geschichte. Wäre es nicht eine Novelle?«
»Ich
weiß nicht. Es ist jedenfalls eine
Geschichte, die
ich mit den anderen mir bewahren will,
für die ich Ihnen schon dankbar sein muß. Aber eine Novelle? Ein
schöner
Einsatz, der mich verlocken könnte, vielleicht. Denn diese Menschen,
sie
streifen sich nur, sie beherrschen sich nicht ganz, es sind Ansätze zu
Schicksalen, aber kein Schicksal. Man müßte sie zu Ende dichten.«
»Ich
verstehe, was Sie meinen. Das Leben des jungen
Mädchens, die Heimkehr in die Kleinstadt, die furchtbare Tragik der
Alltäglichkeit ...«
»Nein,
nicht das so sehr. Das junge Mädchen
interessiert mich weiter nicht. Junge Mädchen sind immer uninteressant,
so
merkwürdig sie sich auch selbst dünken, weil ihre ganzen Erlebnisse nur
negative und darum zu ähnliche sind. Das Mädchen in diesem Falle
heiratet, wenn
ihre Zeit gekommen ist, den braven Bürgersmann daheim, und diese Affäre
bleibt
das blühende Blatt ihrer Erinnerungen. Das Mädchen interessiert mich
nicht
weiter.«
»Das
ist merkwürdig. Ich wieder weiß nicht, was Sie
an dem jungen Mann finden können. Solche Blicke, dieses Feuer im
Vorübersprühen, fängt jeder in seiner Jugend, die meisten bemerken es
gar
nicht, die anderen vergessen rasch daran. Man muß alt werden, um zu
wissen, daß
gerade dies vielleicht das Edelste und Tiefste ist,
das man empfängt, das heiligste Vorrecht der Jugend.«
»Es
ist auch gar nicht der junge Mann, der mich
interessiert ...«
»Sondern?«
»Ich
würde den älteren Herrn, den Briefschreiber,
umformen, ihn zu Ende dichten. Ich glaube, in keinem Alter schreibt man
ungestraft feurige Briefe und träumt sich in die Gefühle einer Liebe
hinein.
Ich würde darzustellen versuchen, wie aus dem Spiele Ernst wird, wie er
das
Spiel zu beherrschen glaubt, da das Spiel schon ihn beherrscht. Die
erwachende
Schönheit des Mädchens, die er als Beobachter nur zu sehen vermeint,
reizt und
faßt ihn tiefer. Und der Augenblick, da ihm plötzlich alles entgleitet,
gibt
ihm eine wilde Sehnsucht nach dem Spiel und – dem Spielzeug. Mich würde
jene
Umkehr in der Liebe reizen, die die Leidenschaft eines alten Mannes der
eines
Knaben sehr ähnlich machen muß, weil beide sich nicht ganz vollwertig
fühlen,
ich würde ihm das Bangen und die Erwartung geben. Ich ließe ihn unstet
werden,
ihr nachreisen, um sie zu sehen, und doch im letzten Augenblick sich
nicht in
ihre Nähe wagen, ich ließe ihn an denselben Ort wieder zurückkommen in
der
Hoffnung, sie wiederzusehen, den Zufall zu beschwören,
der dann immer grausam ist. In dieser Linie würde ich mir die Novelle
denken,
und sie wäre dann ...«
»Verlogen,
falsch, unmöglich!«
Ich
schrak auf. Die Stimme fuhr hart, heiser
zitternd und fast drohend in meine Worte. Nie hatte ich bei meinem
Begleiter
eine solche Erregung gesehen. Blitzschnell ahnte ich, woran ich
unbedachtsam
getastet hatte. Und wie er so hastig stehen blieb, sah ich, peinlich
berührt,
sein weißes Haar schimmern.
Ich
wollte rasch ablenken, umbiegen. Aber da sprach
er schon wieder, und jetzt ganz herzlich und dunkelweich mit seiner
ruhenden
tiefen Stimme, die von leiser Melancholie schön getönt war. »Oder Sie
mögen
recht haben. Es ist ja viel interessanter. ›L'amour
coûte cher aux vieillards‹, so hat, glaube ich, Balzac eine seiner
rührendsten Geschichten genannt, und es ließen sich noch viele zu dem
Titel
schreiben. Aber die alten Leute, die davon das Heimlichste wissen,
erzählen nur
gern von ihren Erfolgen und nicht von ihren Schwächen. Sie fürchten
lächerlich
zu sein in Dingen, die doch nur irgendwie der Pendelschlag des Ewigen
sind.
Glauben Sie wirklich, daß es ein Zufall war, daß gerade jene Kapitel
der
Memoiren des Casanova ›verloren gegangen'
sind, wo er
altert, wo aus dem Hahn ein Hahnrei, aus dem Betrüger der Betrogene
wird?
Vielleicht wurde ihm nur die Hand zu schwer und das Herz zu eng.«
Er
bot mir die Hand. Nun war seine Stimme wieder
ganz kühl, ruhig und unbewegt.
»Gute
Nacht! Ich sehe, es ist gefährlich, jungen
Leuten in Sommernächten Geschichten zu erzählen. Das gibt leicht
törichte
Gedanken und allerhand unnötige Träume. Gute Nacht!«
Und
er ging mit seinen elastischen, aber doch von
den Jahren schon verlangsamten Schritten ins Dunkel zurück. Es war
schon spät.
Aber die Müdigkeit, die sonst von der Wärme der weichen Nächte mich
früh
befing, war heute zerstreut durch die Erregung, die im Blute aufklingt,
wenn
einem Seltsames widerfährt oder wenn man Fremdes für einen Augenblick
wie
Eigenes erlebt. So ging ich den stilldunklen Weg entlang bis zur Villa
Carlotta,
die mit marmorner Treppe in den See niedersteigt, und setzte mich auf
die
kühlen Stufen. Wunderbar war die Nacht. Die Lichter von Bellagio, die
früher
nahe wie Leuchtkäfer zwischen den Bäumen funkelten, schienen nun
unendlich
ferne über dem Wasser, und langsam fielen sie, eins nach dem anderen,
in das
schwere Dunkel zurück. Schweigsam lag der See,
blank
wie ein schwarzer Edelstein und doch von wirrem Feuer an den Kanten.
Und wie
weiße Hände zu hellen Tasten, so griffen die plätschernden Wellen mit
leisem
Schwall die Stufen auf und nieder. Endlos hoch schien die bleiche
Himmelsferne,
aus der tausender Sterne Funkeln war. Ruhevoll, in blitzendem Schweigen
standen
sie: nur manchmal löste sich einer aus dem demantenen Reigen jäh los
und
stürzte in die Sommernacht hinein; hinein in das Dunkel, in Täler,
Schluchten,
Berge oder ferne Wasser, ahnungslos und von blinder Kraft geschleudert
wie ein
Leben in die jähe Tiefe unbekannter Geschicke.
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