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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald
Der
Stern über dem Wald - Seite 2
Franz
Carl Ginzkey
in
herzlicher Gesinnung
Am nächsten Tage war sein Gebaren gänzlich in den
Grenzen sorgfältig gezirkelter Überlegung und erzwungener Ruhe. Mit kühler
Gleichgültigkeit erledigte er seine Pflichten, und seine Gebärden hatten eine
so sichere und sorglose Gewalt, daß niemand hinter der trügerischen Maske den
herben Entschluß hätte ahnen können. Kurz vor der Stunde des Diners eilte er
mit seinen kleinen Ersparnissen in das vornehmste Blumengeschäft und kaufte
erlesene Blumen, die ihn in ihrer farbigen Pracht wie Worte anmuteten:
feuergolden glühende Tulpen, die wie eine
Leidenschaft waren, weiße breitgekränzte Chrysanthemen, die wie lichte und
exotische Träume anmuteten, schmale Orchideen, die schlanken Bilder der
Sehnsucht und ein paar stolze betörende Rosen. Und dann erstand er eine
prächtige Vase aus opalisierendem funkelndem Glase. Die paar Francs, die ihm
noch blieben, schenkte er im Vorübergehen einem Bettelkinde mit rascher und
sorgloser Gebärde. Und eilte zurück. Die Vase mit den Blumen stellte er mit
wehmütiger Feierlichkeit vor das Kuvert der Gräfin, das er nun zum letzten Male
mit einer voluptuösen und langsamen Peinlichkeit bereitete.
Dann kam das Diner. Er servierte wie immer: kühl,
lautlos und geschickt, ohne aufzuschauen. Nur zum Ende umfing er ihre ganze
biegsame, stolze Gestalt mit einem unendlichen Blicke, von dem sie nie wußte.
Und nie erschien sie ihm so schön, wie in diesem letzten wunschlosen Blick.
Dann trat er ruhig, ohne Abschied und Gebärde vom Tische zurück und ging aus
dem Saal. Wie ein Gast, vor dem sich die Bedienten beugen und neigen, schritt
er durch die Gänge und über die vornehme Empfangstreppe hinab der Straße zu: man
hätte fühlen müssen, daß er mit diesem Augenblick seine Vergangenheit verließ.
Vor dem Hotel blieb er eine Sekunde unschlüssig stehen: dann wandte er sich den
blinkenden Villen und breiten Gärten entlang einem Wege zu, weiter, immer
weiter wandelnd in seinem nachdenklichen Promenadeschritt, ohne zu wissen,
wohin.
Bis zum Abend irrte er so unstet in träumerischem
Verlorensein. Er sann über nichts mehr nach. Nicht über Vergangenes
und nicht über das Unabwendbare. Er spielte nicht mehr mit dem Todesgedanken,
so wie man wohl noch in den letzten Augenblicken den funkelnden, mit tiefem
Auge drohenden Revolver prüfend in der wägenden Hand hebt und wieder senkt.
Längst hatte er sich das Urteil gesprochen. Nur Bilder kamen noch, in
flüchtigem Fluge, gleich ziehenden Schwalben. Zuerst die Jugendtage bis zu
einer verhängnisvollen Schulstunde, da ihn ein törichtes Abenteuer aus einer
verführerisch winkenden Zukunft jählings in das Gewirre der Welt stieß.
Dann
die rastlosen Fahrten, Mühen um den Taglohn, Versuche, die immer wieder
mißglückten, bis die große finstere Welle, die man Schicksal nennt, seinen
Stolz zerbrach und ihn an einen unwürdigen Posten warf. Viele farbige
Erinnerungen wirbelten vorüber. Und schließlich glänzte noch die sanfte
Spiegelung dieser letzten Tage aus den wachen Träumen; und jählings stießen sie
wieder das dunkle Tor der Wirklichkeit auf, das er durchschreiten mußte. Er
besann sich, daß er noch heute sterben wollte.
Eine Weile sann er über die vielen Wege, die zum Tode
führen, und wägte ihre Bitterkeit und Behendigkeit gegeneinander ab. Bis ihn
plötzlich ein Gedanke durchzuckte. Aus trüben Sinnen fiel ihm jäh ein finsteres
Symbol ein: so wie sie unwissend und vernichtend über sein Schicksal
hinweggebraust war, so sollte sie auch seinen Körper zermalmen. Sie selbst
sollte es vollbringen. Sie selbst ihr Werk vollenden. Und nun hasteten die
Gedanken mit unheimlicher Sicherheit. In einer knappen Stunde, um acht Uhr ging
der Expreß ab, der sie ihm entführte. Dem wollte er sich unter die Räder
werfen, sich zerstampfen lassen von der gleichen stürmenden Gewalt, die ihm die
Frau seiner Träume entriß. Unter ihren Füßen wollte er verbluten.
Die Gedanken stürmten und stürmten gleichsam jubelnd einander nach. Er wußte
auch den Ort. Weiter oben am Waldhang, wo die rauschenden Wipfel den letzten
Blick auf die nahe Bucht verdunkelten. Er sah auf die Uhr: fast schlugen die
Sekunden und sein hämmerndes Blut den gleichen Takt. Es war schon Zeit, sich
auf den Weg zu machen. Nun kam mit einem Male Elastizität und Zielsicherheit in
seine schlaffen Schritte, jener harte eilige Takt, der das Träumen im
Vorwärtswandeln ertötet. Unruhig stürmte er in die dämmernde Pracht des
südlichen Abends der Stelle zu, wo zwischen den fernen bewaldeten Hügeln der
Himmel eingebettet war als purpurner Streif. Und er eilte vorwärts, bis er an
das Geleise kam, das mit seinen beiden silbernen Linien vor ihm aufglänzte und
seinen Weg geleitete. Und sie führten ihn in gewundenem Zuge aufwärts durch die
tiefen duftenden Tale, deren dunstige Schleier das matte Mondlicht
durchsilberte, sie lenkten ihn im steigenden Gange in das Hügelland, wo man
sah, wie ferne das weite nachtschwarze Meer mit seinen funkelnden Strandlichtern
aufglänzte. Und sie zeigten ihm endlich den tiefen, unruhig rauschenden Wald,
der das Geleise in seinen sinkenden Schatten begrub.
Es war schon spät, als er nun schweratmend am dunklen
Hange des Waldes stand. Schauerlich und schwarz reihten sich die Bäume um ihn.
Nur hoch oben in den durchschimmernden Kronen spann ein fahles zitterndes
Mondlicht in den Zweigen, die stöhnten, wenn sie die leise Nachtbrise in die
Arme nahm. Manchmal zuckten seltsame Rufe ferner Nachtvögel in diese dumpfe
Stille. Die Gedanken erstarrten ihm ganz in dieser bangenden Einsamkeit. Er
wartete nur, wartete und starrte, ob nicht unten an der
Kurve der ersten ansteigenden Serpentine das rote Licht des Zuges auftauchten
wollte. Manchmal sah er wieder nervös auf die Uhr und zählte die Sekunden. Dann
horchte er wieder nach dem fernen Schrei der Lokomotive. Aber es war eine
Täuschung. Ganz still wurde es wieder. Die Zeit schien erstarrt zu sein.
Endlich glänzte fern unten das Licht. Er fühlte in
dieser Sekunde einen Stoß im Herzen, wußte aber nicht, ob es Furcht oder Jubel
war. Mit jäher Gebärde warf er sich hin auf die Schienen. Zuerst fühlte er
einen Augenblick nur die wohlige Kühle der Eisenstreifen an seiner Schläfe.
Dann horchte er. Der Zug war noch weit. Minuten mochte es wohl dauern. Noch
hörte man nichts außer dem flüsternden Rauschen der Bäume im Wind. Wirr
sprangen die Gedanken. Und plötzlich einer, der blieb und sich wie ein
schmerzhafter Pfeil in sein Herz bohrte: daß er um ihretwillen starb und
sie es nie ahnen würde. Daß nicht eine einzige leise Welle seines
aufschäumenden Lebens die ihre berührt hatte. Daß sie nie wissen würde, daß ein
fremdes Leben an ihrem gehangen, an ihrem zerschmettert sei.
Ganz leise keuchte von ferne durch die atemstille Luft
der rhythmische Gang der steigenden Maschine. Aber der Gedanke brannte
unvermindert und folterte die letzten Minuten des Sterbenden. Näher und näher
ratterte der Zug. Und da schlug er noch einmal die Augen auf. Über ihm war ein
schweigender blauschwarzer Himmel und ein paar rauschende Kronen. Und über dem
Walde ein weißer blinkender Stern. Ein einsamer Stern über dem Walde.... Schon
begannen die Schienen unter seinem Kopfe leise zu schwingen und zu singen. Aber
der Gedanke brannte wie Feuer in seinem Herzen
und in dem Blicke, der alle Glut und Verzweiflung seiner Liebe faßte.
Alle Sehnsucht und diese letzte schmerzliche Frage
fluteten über in den weißen leuchtenden Stern, der mild auf ihn niedersah.
Näher und näher schmetterte der Zug. Und der Sterbende umfing noch einmal mit
einem letzten unsagbaren Blick den funkelnden Stern, den Stern über dem Walde.
Dann schloß er die Augen. Die Schienen zitterten und wankten, näher und näher
stampfte der ratternde Gang des fliegenden Zuges, daß der Wald dröhnte wie von
großen hämmernden Glocken. Die Erde schien zu taumeln. Noch ein betäubendes
sausendes Schwirren, ein wirbelndes Getöse, dann ein schriller Pfiff, der
ängstliche tierische Schrei der Dampfpfeife und das gelle Stöhnen einer
vergeblichen Bremse . . .
Die schöne Gräfin Ostrowska hatte im Zuge ein eigenes
reserviertes Coupé. Seit der Abfahrt las sie einen französischen Roman, sanft
gewiegt von der schaukelnden Bewegung des Wagens. Die Luft des engen Raumes war
schwül und getränkt von dem drückenden Dufte vieler welkender Blumen. Schon
nickten von den prächtigen Abschiedskörben die weißen Fliedertrauben müde herab
wie überreife Früchte, erschlafft hingen die Blüten an den Stengeln, und die
schweren und breiten Kelche der Rosen schienen zu welken in der heißen Wolke
der berauschenden Düfte. Erstickende Schwüle wärmte diese schweren Duftwellen,
die träge niederdrückten, selbst in der sausenden Eile des Zuges.
Plötzlich ließ sie mit matten Fingern das Buch sinken.
Sie wußte selbst nicht, warum. Ein geheimes Gefühl war es,
das sie aufriß. Sie fühlte einen dumpfen schmerzlichen Druck. Ein jäher,
unverständlicher beklemmender Schmerz umpreßte ihr Herz. Sie glaubte ersticken
zu müssen in dem schwülen betäubenden Dunst der Blumen. Und dieser ängstigende
Schmerz wich nicht, sie fühlte jede Schwingung der sausenden Räder, das blinde
Vorwärtsstampfen marterte sie unsäglich. Eine plötzliche Sehnsucht packte sie,
den eilenden Schwung des Zuges hemmen zu können, ihn zurückzureißen von dem
dunklen Schmerz, dem er entgegenstürmte. Nie hatte sie in ihrem Leben eine
ähnliche Angst vor etwas Furchtbarem, Unsichtbarem, Grausamem ihr Herz
umklemmen gefühlt, als in diesen Sekunden unverständlichen Schmerzes und
unbegreiflicher Angst. Und immer wilder wurde dieses unsagbare Gefühl, immer
enger der Druck um die Kehle. Wie ein Gebet stöhnte in ihr der Gedanke, daß der
Zug anhalten möge.
Da plötzlich ein schriller Signalpfiff, der wilde
warnende Schrei der Lokomotive und das klägliche knirschende Stöhnen der
Bremse. Und verlangsamt der Rhythmus der fliegenden Räder, langsamer und
langsamer, dann ein ratterndes Stammeln und ein stockender Stoß . . .
Mühsam tappt sie zum Fenster, um die kühle Luft zu
trinken. Die Scheibe rasselt nieder. Draußen schwarze, stürmende Gestalten ....
fliegende Worte von wechselnden Stimmen: ein Selbstmörder.... Unter den Rädern
. . . Tot. . . Auf freiem Feld . . .
Sie zuckt zusammen. Instinktiv trifft ihr Blick den
hohen schweigenden Himmel und drüben die schwarzen rauschenden Bäume. Und über
ihnen ein einsamer Stern über dem Walde. Sie fühlt seinen Blick wie eine
funkelnde Träne. Sie sieht ihn an und spürt jählings eine Traurigkeit, wie sie sie nie gekannt. Eine Traurigkeit voll Glut
und Sehnsucht, wie sie in ihrem eigenen Leben nie war . . .
Langsam rattert der Zug wieder weiter. Sie lehnt in
der Ecke und spürt leise Tränen über die Wangen tropfen. Die dumpfe Angst ist
gewichen, sie fühlt nur noch einen tiefen seltsamen Schmerz, dessen Spur sie
vergebens nachsinnt. Einen Schmerz, wie ihn verschreckte Kinder haben, wenn sie
in finstrer undurchdringlicher Nacht plötzlich erwachen und fühlen, daß sie
ganz einsam sind ....
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