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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Wunder des Lebens
- Seite 2
»Es war ein stiller verschlossener Mann, den mir mein
Freund gesandt. Nie habe ich von seinem Leben etwas erfahren, nur dunklen
Andeutungen entnahm ich, daß eine schöne Frau schmerzlichen Anteil an seinem
Geschicke habe und er um ihretwillen die Heimat verlassen. Und, wiewohl ich
keinen Beweis dafür habe und mich solches Tun ketzerisch und unchristlich
anmutet, so meine ich, daß jenes Bild, das Ihr gesehn und das er im Verlauf
weniger Wochen ohne Vorbild und mühsame Bereitung aus der Erinnerung gemalt,
jener Frau Züge erhalte, die er geliebt. Denn immer, wenn ich zu ihm kam, fand
ich ihn, wie er das gleiche süße Antlitz, das ihr
gesehen, von neuem versuchte oder träumend in seiner Betrachtung verweilte. Und
als ich nach des Bildes Vollendung in heimlicher Angst ob der Gottlosigkeit,
eine Dirne als Gottesmutter zu malen, ihm anbefahl, für das zweite Bild eine
andere Gestalt zu wählen, da blieb er stumm. Und des nächsten Tages, als ich zu
ihm ging, war er ohne ein Wort des Abschieds von hinnen gereist. Ich trug Bedenken
mit diesem Bilde den Altar zu schmücken, doch der Priester, den ich befragte,
verstattete es ohne jegliches Besinnen.....«
»Und er hat recht getan,« fiel der Maler beinahe
erregt ein. »Denn woher sollten wir die holde Schönheit unserer lieben Frauen
zu schildern wissen, wenn nicht von der Schönheit jeder Frau, die uns begegnet.
Sind wir nicht nach Gottes Bilde geschaffen und muß nicht, um das Vollkommenste
darzubieten, das Vollendetste unter den Menschen eine, wenngleich nur matte
Folie des Unsichtbaren sein! Seht! Ich, den ihr bestimmt, das zweite Bild zu
schaffen, ich bin einer der Armen, die nicht zu malen wissen ohne die Natur,
denen es nicht gegeben ist, von innen zu bilden, sondern die in mühsamer
Nachzeichnung des Wahrhaftigen ihr Werk erschaffen. Nicht meine Liebste würde
ich wählen, um die Mutter Gottes würdig zu bilden, denn es wäre sündhaft, die
Unbefleckte durch einer Sünderin Antlitz zu sehen, aber ich würde nach
Schönheit spüren und diejenige malen, deren Antlitz mir am meisten unserer Gottesmutter
Züge zeigte, wie ich sie in meinen frommen Träumen erschaut. Und glaubt,
obgleich eines sündigen Menschen Antlitz, wenn ihr in frommer Hingebung es
schafft, bleibt nichts von Schlacken der Begehrlichkeit und Sündhaftigkeit in
diesen Zügen, ja dieser wunderbaren Reinheit Zauber wirkt oft
weiter als ein Zeichen in der irdischen Frauen Angesicht. Dies Wunder meint’ ich
oftmals selbst zu sehn.«
»In jedem Fall – Euch traue ich. Ihr seid ein reifer
Mann, der viel geduldet und gelebt, und so Ihr keine Sünde darin findet...«
»Im Gegenteil! Ich find' es lobenswert, und nur die
Protestanten wie andere Sektierer eifern gegen den Schmuck des
Gotteshauses!«
»Da habt ihr recht. Doch bitt' ich Euch, beginnt bald
mit dem Bild, denn wie eine Sünde brennt dies ungelöste Gelübde auf mir. Durch
zwanzig Jahre vergaß ich an das zweite Bild: erst jüngst, als ich meines Weibes
gramvolles Angesicht sah, wie sie am Krankenbette meines Kindes weinte, fühlte
ich diese Schuld und erneute mein Gelübde. Und Ihr wißt, auch diesmal hat die
Muttergottes ein Wunder der Genesung dort gewirkt, wo alle Ärzte sich mit
Verzweiflung abgewandt hatten. Ich bitte Euch, zögert nicht lange mit dem
Werk.«
»Ich tue, was ich kann, doch frei herausgesagt, fast
nie in meiner langen Schaffenszeit ist mir ein Werk so schwer erschienen, denn
wenn es nicht als eines Stümpers leichtfertiges Gefüge neben dieses jungen
Meisters Bild erscheinen soll – von dessen Wirken ich mehr zu wissen begehre –
muß Gottes Hand mit meinem Werke sein.«
»Der fehlt seinen Treuen nie. Lebt wohl! Und schreitet
wohlgemut zum Werk. Ich hoffe, Ihr bringt mir bald frohe Kunde ins Haus.«
Der Kaufherr schüttelte ihm vor seiner Pforte noch
einmal innig die Hand und sah vertrauensvoll in die klaren Augen des Malers,
die wie ein helleuchtender Gebirgssee, den verwitterte Zacken und Schroffen
umgrenzen, aus dem derbdeutschen, kantigen
Gesichte entgegenblauten. Der hatte noch ein entgegnendes Wort auf den Lippen,
verschluckte es aber mutig und faßte mit festem Drucke die dargebotene Hand. In
innig verstehenden Gefühlen schieden die beiden.
Der Maler ging langsam den Hafen entlang, wie es stets
seine Gewohnheit war, wenn ihn nicht die Arbeit an seine Stube fesselte. Er
liebte dieses wilde farbenreiche Bild, darin die Arbeit ungebrochen pulste, und
manchmal setzte er sich auf einen Taupflock nieder, um irgend eines Schaffenden
seltsame Körperbiegung nachzubilden und der schwierigen Kunst der Verkürzungen
ein fußbreit Weges abzuringen. Ihn störte nicht der laute Ruf der Schiffer, das
Rasseln der Wagen und das Meer, das sich mit seinem gleichtönigen lallenden
Geschwätze an die Ufer warf, ihm waren jene Blicke gegeben, die zwar nicht
leuchten vom Abglanz innerer selbstgeschauter Bilder, die aber in allem
Lebenden, so gleichgültig es auch sich gebärden mag, jenen Strahl erkennen, der
ein Kunstwerk zu erleuchten vermag. Darum ging er auch immer ins Leben, wo es
sich am farbigsten ausstrahlte und verwirrende Fülle wechselnder Reize
ausatmete; zwischen dem Matrosenvolk streifte er mit langsamen Schritten und
suchendem Auge, ohne daß ihn jemand zu verlachen wagte, denn unter dem vielen
lärmenden unnützen Volk, das ein Hafen ansammelt, so wie der Strand die tauben
Muscheln und zerbröckelndes Gestein, fiel er durch sein stilles Gebaren und die
Ehrwürdigkeit seiner Mienen auf.
Diesmal aber stand er bald von seiner Suche ab. Des
Kaufherrn Geschichte hatte ihn im Tiefsten berührt, weil sie leise
auch an ein eigenes Schicksal gestreift, und selbst der Kunst sonst so
hingebender Zauber versagte heute seinen Dienst. Über allen Frauenantlitzen,
und ob sie auch nur plumpe Fischergestalten
waren, leuchtete der milde Glanz des Muttergottesbildes von des jungen Meisters
Hand. Unschlüssig wandelte er in träumerischen Gedanken eine Zeitlang dem
sonntäglich geputzten Getriebe entlang; dann aber mühte er sich nicht mehr, dem
sehnsüchtigen Drange zu widerstehen, und durch das dunkle Netz der winkeligen
Gassen suchte er wieder zur Kirche zurück zu jener milden Frau wundersamem
Konterfei.
Einige Wochen gingen seit
jener Unterredung dahin, in welcher der Maler seinem Freunde die Vollendung des
Bildes für den Altar der Gottesmutter zugesagt hatte, und noch immer blickte
die unberührte Leinwand vorwurfsvoll den alten Meister an, der sie beinahe zu
fürchten begann und die Stunden immer lieber auf der Straße zubrachte, um nicht
die grausame Mahnung und den schweigenden Vorwurf seiner Mutlosigkeit fühlen zu
müssen. In diesem Leben regsamer Arbeit, das vielleicht sogar zu viel gewirkt
hatte, um prüfend in sich selbst zu schauen, war seit jenem Tag, da der Maler
des jungen Meisters Bild erblickt, eine Wendung geschehen; Zukunft und
Vergangenheit waren jählings aufgerissen und blickten ihn an, wie ein leerer
Spiegel, in den nur Dunkelheit und Schatten strömen. Und nichts Furchtbareres
gibt es, als den Schauer eines Lebens, das schon auf dem letzten Grat seines
Aufstieges aufblickt, vom mutvollen Schreiten und dann von sinnender Angst befallen,
es habe den Fehlweg eingeschlagen, die Kraft verliert, die letzten leichtesten
Fußtapfen nach vorwärts zu machen. Mit einem Mal schien dem Maler, der in
seinem Leben schon hundert und aberhundert frommer Darbildungen gemalt, die
Fähigkeit zerronnen, eines Menschen Angesicht
würdig zu gestalten, daß es ihm selbst so schiene, als sei es göttlichen Wesens
würdig. Er hatte Frauen gesucht, solche, die ihr Antlitz verkauften für die
Stunde der Nachbildung, solche, die ihren Leib verkauften, Bürgersfrauen und
sanfte Mädchen, deren Gesicht überleuchtet war vom durchglühenden Schimmer
innerer Reinheit; aber stets, wenn sie nahe vor ihm standen und er den Pinsel
ansetzen wollte zum ersten Strich, da fühlte er ihre Menschlichkeit. Er sah die
blonde gefräßige Behäbigkeit in der einen, die wilde verhaltene Gier, sich im
Liebeskampfe auszutoben, in der andern, er fühlte die leere Glätte hinter den
kurzen glänzenden Mädchenstirnen und erschrak beim plumpen Schritt und bei der
verbuhlten Hüftenbiegung der Dirnen. Und die Welt ward ihm mit einem Male so
öde, alle diese Menschen, die er um sich sah: der Atem der Göttlichkeit schien
ihm ausgelöscht, überwuchert von dem blühenden Fleische dieser begehrlichen
Frauen, die nichts mehr wußten von dem mystischen Magdtum und den sanften
Schauern unbefleckter Hingebung an die Träume einer andern Welt. Er schämte
sich, die Mappen aufzuschlagen, die sein eigenes Werk enthielten, denn ihm
schien, als hätte er sich selbst wie von der Erde entfernt und sei sündig
gewesen, indem er plumpe Bauern zu Blutzeugen des Heilands und grasse Weiber zu
seinen Dienerinnen erwählt. Dumpfer und drückender wölkte sich diese Stimmung
über ihn herab. Er sah sich als jungen Knecht hinter seines Vaters hartem
Pfluge gehen, lange bevor er zur Kunst entlief, mit harten Bauernhänden die
Egge in die schwarze Erde stoßen und fragte sich, ob er nicht besser getan,
gelbes Korn zu säen und Kindern wohlgehüteten Bestand zu wahren, als mit
plumpen Fingern an Geheimnissen und Wunderzeichen zu rütteln,
die nicht für ihn geschaffen. Sein ganzes Leben schien ihm in den Fugen zu
wanken, emporgekeilt durch die flüchtige Erkenntnis einer Stunde, durch ein
Bild, das seine Träume durchschwebte und seiner wachen Minuten Folter und
Seligkeit war. Denn es war ihm nicht mehr möglich, die Muttergottes in seinen
Gebeten anders zu empfinden, als sie auf jenem Bilde war, welches so
holdseliges Konterfei bot und doch so abgewandt war von der Schönheit aller
irdischen Frauen, die ihm begegnet, so verklärt in dem Scheine fraulicher Demut
mit göttlicher Ahnung. Aller Frauen Bild, die er geliebt, verfloß in dem
trügerischen Dämmer der Erinnerung in die wundersame Hülle dieser Gestalt. Und
als er sich mühte, zum ersten Male, nicht dem Wirklichen abzulauschen, sondern
eine Muttergottes nach dem Phantasiebilde zu schaffen, das ihn durchschwebte,
Maria mit dem Kinde, sanft lächelnd und in froher ungetrübter Seligkeit, da
sanken seine Finger, die den Pinsel führen wollten, kraftlos nieder, wie vom
Krampf gelähmt. Denn der Strom versiegte, die Fertigkeit der Finger, des Auges
Worte zu sprechen schien hilflos gegenüber jenem hellen Traum, den er mit
seinem inneren Blick so deutlich sah, als sei er aufgemalt auf einer starren
Wand. Wie ein Feuer brannte dieser Schmerz der Unfähigkeit, den schönsten und
treuesten seiner Träume in die Wirklichkeit tragen zu können, wenn die
Wirklichkeit nicht selbst aus ihrer Fülle eine Brücke bot. Und er stellte sich
die bange Frage, ob er sich selbst noch Künstler nennen dürfe, da ihm solches
geschah und ob er sein Leben lang nicht nur ein mühsam bildender Handwerker
gewesen sei, der nur Farben nebeneinander gefügt, wie ein Kärrner die Steine zu
einem Bau.
Solche selbstquälerische Betrachtung ließ ihn keinen
Tag ruhen und trieb ihn mit zwingender Gewalt aus
seiner Stube, wo ihn die leere Leinwand und die sorgsam bereiteten Utensilien
wie höhnische Stimmen verfolgten. Mehrmals wollte er dem Kaufherrn seine Not
beichten, aber er fürchtete, daß dieser zwar fromme und auch wohlgesinnte Mann
ihn nie ganz verstehen könnte und eher an eine ungeschickte Ausflucht werde
glauben wollen, als seine Unfähigkeit, ein solches Werk zu beginnen, wie er sie
schon in großer Zahl und zum allgemeinen Beifall der Meister und Laien
vollendet hatte. Und so irrte er gewöhnlich ratlos und rastlos in den Straßen
umher, geheim erschreckend, wie ihn der Zufall oder eine verborgene Magie aus
seinen wandelnden Träumen immer wieder vor jener Kirche erwachen ließ,
gleichsam als binde ihn ein unsichtbares Band an dieses Bild oder eine
göttliche Kraft, die seine Seele selbst im Traume regiere. Manchmal trat er
ein, mit der geheimen Hoffnung, daß er Makel und Fehl entdecken könne und so
der zwingende Zauber gebrochen sei; vor dem Bilde aber vergaß er gänzlich des
jungen Meisters Schöpfung neidlich nach Kunst und Handwerk zu messen, sondern
er fühlte es wie Schwingen um sich rauschen, die ihn auftrugen in Sphären
sanfteren und verklärteren Genießens und Anschauens. Und erst wenn er die
Kirche verließ und begann, seiner selbst und eigenen Bemühens zu gedenken,
fühlte er den alten Schmerz mit doppelter Gewalt.
Eines Nachmittags war er wieder durch die
hellerleuchteten Straßen geirrt, und diesmal fühlte er seine quälerischen
Zweifel milder werden. Von Süden her war der erste Frühlingswind gekommen und
trug, wenn auch nicht die Wärme, so doch die Helle vieler heranblühender
Lenztage in sich. Zum ersten Male schien dem Maler jener graue stumpfe Glanz, den sein eigener Gram über die Welt
gelegt, sich zu lösen und Gottes Gnade in sein Herz zu rauschen, wie immer, wenn
das große Auferstehungswunder in flüchtigen Zeichen sich verkündete. Eine klare
Märzsonne wusch alle Dächer und Straßen blank, die Wimpel wehten bunt im Hafen,
der zwischen den sanft sich wiegenden Schiffen hervorblaute und im steten
Lärmen der Stadt brauste es wie jubelndes Singen. Ein Pikett spanischer Reiter
trabte über den Platz; man sah sie heute nicht mit feindlichen Blicken, wie
sonst, sondern freute sich des sonnigen Widerspiels ihrer Rüstungen und der
blinkenden Helme. Die weißen Hauben der Frauen, die der Wind mutwillig
zurückschlug, wiesen frische und farbige Gesichter; über das Pflaster aber
trappte flink der holzschuhklappernde Tanz der Kinder, die sich bei den Händen
faßten und singend in Ringelreihn sich drehten.
Auch in den sonst so dunklen Hafengassen, denen sich
nun der immer froher werdende Wandler zuwandte, flackerte ein leichter
Schimmer, wie ein sinkender Regen des Lichts. Die Sonne konnte nicht ganz ihr
leuchtendes Angesicht zwischen diese vorgeneigten Giebeldächer blicken lassen,
denn die neigten sich dicht zusammen, schwarz und verknittert, wie uralte
Hauben zweier Mütterchen, die in stetem geschwätzigem Gespräche stehen. Aber
von Fenster zu Fenster gab sich das spiegelnde Leuchten weiter, wie wenn
funkelnde Hände flirrend hinabgriffen und es hin- und herschnellten in
übermütigem Spiel. Und manchen Fleck gab es, da das Leuchten still und mild
blieb, wie ein träumendes Auge in der ersten Dämmerung des Abends. Denn unten,
auf der Straße, lag das Dunkel, unbeweglich und seit Jahren, nur selten im
Winter unter schneeigem Mantel geborgen. Und die
da wohnten, trugen in ihren Augen die Unlust und Traurigkeit steter Dämmerung;
nur die Kinder, denen die Seele brannte vor Sehnsucht nach Licht und Helle,
ließen sich von diesem ersten Strahl des Frühlings vertrauensvoll verführen und
spielten in leichter Gewandung auf dem schmutzigen, holprigen Pflaster, in
ihrer Unbewußtheit tief beglückt durch den schmalen, blauen Streif, der
zwischen den Dächern lugte und durch den goldenen Tanz der Sonnenkringel.
Der Maler ging und ging, ohne ein Müdewerden zu
fühlen. Es war ihm, als sei auch ihm ein geheimer Jubel beschieden und als sei
jedes Sonnenfunkens flüchtiger Schein Gottes leuchtender Gnadenstrahl, der zu
seinem Herzen ginge. Alle Bitternis war verloschen in seinem Angesicht, das so
milde und begütigend durchleuchtet war, daß die spielenden Kinder aufstaunten
und ihn fürchtig grüßten, weil sie einen Priester in ihm zu sehen meinten. Er
ging und ging, ohne an Ziel und Ende zu denken, denn in seinen Gliedern drängte
der neue Frühlingstrieb, wie in alten verknisterten Bäumen die Blüten bittend
an den haltenden Bast klopfen, daß er ihre junge Kraft aufschießen lasse ins
Licht. Sein Schritt war froh und leicht wie der eines Jünglings; frischer und
lebendiger schien er zu werden, obgleich der Weg schon Stunden währte, und
rascher geschmeidiger Takt maß die rasch zurückgelegten Strecken.
Plötzlich hielt der Maler wie versteinert inne und
fuhr sich mit der Hand schützend über die Augen, wie einer, den ein blitzender
Strahl verletzt oder ein schrecksames und unglaubliches Ereignis. Aufschauend
zum sonneüberleuchteten Schein eines Fensters hatte er den vollen Strahl des
zurückspiegelnden Lichtes schmerzhaft in den Augen gefühlt, aber
durch jenen Nebel von Purpur und Gold war eine seltsame Erscheinung, ein
wunderbares Trugbild auf dem wirrenden Scharlachschleier erschienen: die
Madonna jenes jungen Meisters, träumerisch und leise schmerzlich zurückgelehnt,
wie auf jenem Bild. Ein Schauer überlief ihn, die grausame Angst der
Enttäuschung vereint mit jenem selig zitternden Rausch eines Begnadeten, dem
die wundersame Vision der Gottesmutter nicht im Dunkel eines Traumes, sondern
in Tageshelle erschienen, ein Wunder, das viele bezeugten und wenige wirklich
erschaut hatten. Noch wagte er den Blick nicht zu erheben, weil er sich
nicht stark genug fühlte, um den niederschmetternden Augenblick unseliger
Entscheidung auf seinen zitternden Schultern tragen zu können, weil er
fürchtete, daß diese eine Sekunde sein Leben noch grimmiger zerstampfen könnte,
als die unerbittliche Selbstqual seines verzagten Herzens. Erst als seine Pulse
langsamer und ruhiger gingen und er nicht mehr schmerzvoll ihren Hammerschlag
in der Kehle spürte, raffte er sich auf und sah langsam, unter der überschattenden,
zitternden Hand zu jenem Fenster auf, in dessen Rahmen er das
verführerische Bild gesehn.
Er hatte sich getäuscht. Es war nicht das Mädchen von
des jungen Meisters Marienbild. Aber die erhobene Hand sank darum nicht
verzagend herab. Denn auch das, was er erschaute, schien ihm ein Wunder zu
sein, wenn auch ein viel lieblicheres, milderes und menschlicheres, als eines
Gottes Erscheinung, die im glühenden Strahl einer begnadeten Stunde erscheint.
Nur eine ferne und verlorene Ähnlichkeit hatte jenes Mädchen, das sich
nachdenklich über die leuchtende Brüstung des Fensters lehnte, mit jenem
Altarbild: auch ihr Gesicht war von schwarzen Locken umfaltet, und auch sie blühte in jener geheimnisvollen und
phantastischen Blässe, aber ihre Züge waren härter, geschärfter, fast zornig,
und um den Mund legte sich ein verweinter und trotziger Zorn, den nicht einmal
der verlorene Ausdruck ihrer träumerischen Augen mäßigen konnte, aus
denen eine alte und tiefe Trauer empordämmerte. Kindischer Mutwille und
vererbtes vergrabenes Leid funkelten zusammen in dieser mühsam gebändigten
Unrast. Eine Stille war in ihrem Ruhen, die sich jeden Augenblick in einer
jähzornigen Bewegung lösen konnte, etwas Phantastisches und Abenteuerliches,
über das kein sanftes Träumen hinwegtäuschen konnte; und der Maler fühlte an
einem gewissen gespannten Ausdruck ihrer Züge, daß in diesem Kinde schon eine
jener Frauen zu wirken beginne, die ihre Träume leben und mit ihren Sehnsüchten
verwachsen, deren Seele sich an die Dinge klammert, die sie lieben, mit allen
ihren Fibern und Fasern, und die sterben, wenn sie Gewalt von ihnen löst. Mehr
aber als alle diese Sonderbarkeit und Fremdheit in ihrem Gesichte erstaunte ihn
das Wunderspiel der Natur, das hinter ihrem Haupte im bespiegelten Fenster die sonnige
Glut aufstrahlen ließ wie einen Heiligenschein, der sich um ihre Locken
sammelte und sie funkeln ließ, wie schwarzen Stahl. Und in diesem Spiel meinte
er deutlich die Hand Gottes zu spüren, die ihm den Weg wies, sein Werk
wohlgefällig und würdig zu vollenden.
Ein Karrenführer stieß derb an den in Schauen
versunkenen Maler an, der verloren inmitten der Straße stand. »Gottes Zorn!
Könnt ihr nicht achtgeben oder hat es Euch alten Kerl die schöne Jüdin da
angetan, daß ihr gafft wie ein Lümmel und den Weg versperrt?«
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