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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Wunder des Lebens
Seite 3
Der Maler fuhr auf, erschreckt, aber nicht verletzt durch den groben Ton, den er überhört hatte über der
Kunde, die ihm dieser übelgekleidete und ruppige Genosse brachte. Und ganz
erstaunt richtete er das Wort an ihn.
»Das ist eine Jüdin?«
»Ich weiß nicht, aber man sagt es. Jedenfalls ist es
nicht der Leute Kind, sie haben es wo gefunden oder bekommen. Was schert's
mich, meine Neugierde hat's nie geplagt und wird's auch nicht sobald. Fragt den
Meister selbst, wenn ihr's wissen wollt, der weiß sicherlich besser als ich,
wieso er dazu gekommen ist.«
Der "Meister", auf den er wies, war ein
Wirt, der Besitzer einer jener dumpfen, verrauchten Schenken, in denen nie ganz
das Leben und Lärmen erstirbt, weil Spieler und Matrosen, Soldaten und
Müßiggänger sich dort einquartieren, um sie nur selten wieder zu verlassen.
Breit, mit aufgequollenem, aber gutmütigem Gesicht stand er in der schmalen
Türe, wie ein einladendes Schild. Ohne viel Besinnen trat der Maler auf ihn zu.
Sie traten ein in die Schenke; der Maler setzte sich in eine Ecke an einen der
beschmierten Holztische, ein wenig unruhig und erregt, und als der Wirt ihm das
geforderte Glas vorsetzte, bat er ihn, einen Augenblick mit ihm den Platz zu
teilen. Und leise, um ein paar Matrosen, die am Nebentische, schon ein wenig
betrunken, vor sich hingröhlten, nicht aufmerksam zu machen, sprach er sein
Anliegen aus. Er erzählte ihm in fliegenden, aber innerlich bewegten Worten von
dem Wunderzeichen, das ihm erschienen und bat schließlich den Wirt, der
erstaunt zuhörte und sich anscheinend bemühte, mit seinem langsamen, vom Wein
verqualmten Fassungsvermögen dem Maler zu folgen, – er möge gestatten, daß ihm
seine Tochter als Folie eines Marienbildes diene. Er vergaß nicht zu erwähnen, daß durch die gegebene Verstattung auch
der Vater teilhaftig werde an dem gottesfürchtigen Werk und merkte wiederholt
an, daß er bereit sei, den Dienst in barem Gelde zu vergüten.
Der Wirt antwortete nicht gleich, aber er wühlte mit
seinem dicken Finger unablässig in den breiten, aufgeblähten Nasenlöchern.
Endlich begann er.
»Ihr müßt mich nicht für einen schlechten Christen
halten, bei Gott nicht, aber das Ding ist nicht so einfach, wie ihr denkt. Denn
wäre ich der Vater und könnte zu meinem Kind sagen, geh hin und tu so, wie ich
dir's befehle, ich sag' Euch, unser Handel wäre schon erledigt. Mit diesem Kind
ist's aber eine eigene Sache..... Donnerwetter, was gibt's denn dort!«
Er war aufgesprungen, in hellem Zorn, denn er ließ
sich ungern in der Rede stören. Am andern Tische hämmerte einer wie toll mit
dem leeren Krug auf der Bank und begehrte neue Füllung.
Unwirsch riß ihm der
Wirt den Humpen aus der Hand und besorgte mit unterdrücktem Fluch die frische
Ladung. Gleichzeitig nahm er auch ein Glas und die Flasche mit, stellte sie zum
Tisch des Gastes und schenkte beide Gläser voll. Mit einem Ruck war das seine
hinabgespült, und wie erfrischt wischte er sich den struppigen Schnauzbart ab
und begann.
»Ich will Euch sagen, wie ich zu der Judendirne kam.
Ich war Soldat, in Italien drunten und dann in Deutschland. Ein schlechtes
Handwerk sag' ich Euch, nie schlechter als heute und damals. Ich hatt's auch
über und wollt' eben durch Deutschland nach Hause ziehn und ein ehrbares
Handwerk ergreifen, denn geblieben war mir just nicht viel; Beutegeld rinnt
zwischen den Fingern durch, und Knauser war ich
nie gewesen. Da kam's in einer deutschen Stadt; ich war just dort, als sich
eines Abends ein großes Getöse erhob. Warum, weiß ich nicht mehr, doch das Volk
hatte sich zusammengerottet, die Juden zu erschlagen, und ich zog mit, verlockt
von der Hoffnung, etwas zu erhaschen, auch aus Neugierde, was geschehen möchte.
Es ging toll zu, man stürmte, mordete, raubte, schändete, und die Kerle
brüllten vor Lust und Begierde. Bald hatt' ich's satt und riß mich aus dem
Haufen, denn mein ehrliches Kampfschwert mocht' ich nicht mit Weiberblut
besudeln und mit Dirnen nicht um Beute streiten. Da, in einer Nebengasse, durch
die ich heim will, springt ein alter Jude mit langem, zitterndem Bart und
verstörtem Gesicht, im Arm ein kleines vom Schlaf aufgeschrecktes Kind, auf
mich zu und stottert eine Flut kauderwelscher Worte. Alles, was ich von
seinem Judendeutsch verstand, war, daß er mir viel Geld bot, wenn ich sie beide
retten wollte. Mir tat das Kind recht leid, das mich erschreckt mit seinen
großen Augen anstarrte, der Handel schien nicht übel, so warf ich ihm meinen
Mantel über und führte sie in mein Quartier. Ein paar blieben stehn auf den
Gassen und zeigten nicht übel Lust, auf den Alten loszugehen, aber ich hatte
mein Schwert blank und so ließen sie die beiden ungeschoren. Ich brachte sie zu
mir, und weil mich der Alte auf den Knieen beschwor, verließ ich noch am selben
Abend die Stadt, in der Brand und Mord bis spät in die Nacht wütete.
Weit am
Wege sahen wir noch den Feuerschein, in den der Alte verzweifelt starrte, während
das Kind ruhig weiter schlief. Lang blieben wir drei nicht zusammen: der Alte
wurde nach wenigen Tagen auf den Tod krank und starb auf der Reise. Zuvor gab
er mir noch alles Geld, das er bei seiner Flucht zusammengerafft
hatte und ein beschriebenes Blatt in seltsamen Lettern, das ich in Antwerpen
bei einem Makler abgeben sollte, dessen Namen er mir nannte. Sein Enkelkind
befahl er mir noch sterbend an. Ich zog hierher und wies die Schriftzeichen
vor, die seltsam wirkten: der Makler gab mir eine stattliche Summe Geldes, mehr
als ich erwartet hatte. Ich war dessen froh, denn meines Wanderlebens wurde ich
so frei, kaufte mir das Haus und diese Schenke, und der tollen Kriegszeit hab'
ich bald vergessen. Das Kind behielt ich: es tat mir leid, dann hofft’ ich
auch, sie würde, wenn sie heranwachse, mir altem Hagestolz das Haus besorgen.
Doch das kam anders.
»Wie Ihr sie jetzt gesehn, so ist ihr ganzer Tag. Sie
gafft zum Fenster in die Luft hinaus, spricht niemand an und gibt nur scheue
Antwort, gleichsam geduckt, als ob sie einer schlagen wollte. Mit Männern
spricht sie nie. Anfangs dacht' ich, sie würde hier in meiner Schenke helfen
und so mir manchen Gast anlocken, wie es drüben des Wirten junge Tochter tut,
die mit den Gästen scherzt und sie anfeuert, daß sich ein Glas nach dem andern
leert. Doch die ist zimperlich: faßt sie mal einer an, so schreit sie auf und
saust zur Tür hinaus wie ein Wirbelwind. Und suche ich sie dann, so sitzt sie
sicherlich irgendwo in einem Winkel zusammengeknäult und heult, daß einem das
Herz brechen könnte und man dächte, es sei ihr, weiß Gott was für Leid
geschehn. Ein sonderbares Volk!«
»Und sagt,« unterbrach der Maler den Erzählenden, der
immer nachdenklicher in seiner Rede zu werden schien, »ist sie noch Jüdin oder
schon zum Glauben bekehrt?«
Der Wirt kratzte sich verlegen den Kopf. »Wißt Ihr,« hub
er dann an,»ich war ein Soldat und weiß von meinem Christentum
selber nicht viel. Selten war ich in der Kirche und bin's auch jetzt nicht, so
sehr mich's reut; und um das Kind da zu bekehren, schien ich mir immer zu
töricht. Ich hab's nie recht versucht, weil mir so schien, als sei's bei diesem
trotzigen Ding verlorne Liebesmüh. Einmal hat man mir schon die Priester auf
den Hals gehetzt und mir die Hölle heiß gemacht; ich habe sie vertröstet, bis
das Ding vernünftig werde. Doch damit hat's wohl noch lange Zeit, obwohl sie
heute schon ihre fünfzehn Jahre hinter sich hat, denn sie ist ganz versponnen
und trotzig. Wer kennt sich aus mit diesem Judenvolk, es sind so seltsame
Menschen; der Alte schien mir gut, und die ist auch kein übles Ding, so schwer
man auch an sie herankommt. Und was dann Eure Sache anlangt, die mir nicht übel
gefällt, weil ich meine, daß ein ehrlicher Christ nie genug für sein Seelenheil
tun kann und jedes Bemühn dereinst gewogen wird .... ich sage Euch offen, ich
habe keine rechte Gewalt über das Kind, denn wenn sie einen mit ihren großen
schwarzen Augen anschaut, hat man nicht rechten Mut, ihr was zuleide zu tun.
Doch Ihr werdet ja sehn. Ich will sie rufen.«
Er stand breitspurig auf, schenkte sich noch ein Glas
voll, das er stehend hinuntergoß und stapfte dann durch die Schenke, in die
eben wieder einige Matrosen eingetreten waren, die einen undurchdringlichen
Qualm aus ihren kurzen weißen Tonpfeifen emporstießen. Vertraulich schüttelte
er ihnen die Hände, füllte ihre Gläser und scherzte derb mit ihnen. Dann erinnerte
er sich seiner Absicht, und der Maler hörte ihn langsam und mit schweren
wuchtigen Schritten die Treppe emporstampfen.
Ihm war sehr seltsam zumute. Das selige Vertrauen, mit
dem ihn diese glückliche Bewegung beschenkt hatte, begann sich
zu trüben in dem schwellenden Lichte dieser Schenke. Straßenstaub und dunkler
Qualm legte sich über das schimmernde Bild seiner Erinnerung. Und immer und
immer wieder die dunkle Angst vor der Sünde, diese feiste und viehische
Menschheit, die sich überall mit den Gestalten der irdischen Trägerinnen so
erlauchter Gedanken vermengte, emporzutragen zu dem Thron seiner frommen
Träume. Ihm schauderte, aus welchen Händen er die Gabe empfangen sollte, zu der
ihm geheime und offenbare Wunderzeichen den Weg gewiesen.
Der Wirt trat wieder ein in die Stube, und in seinem
schweren breiten schwarzen Schatten zeichnete sich die Gestalt des Mädchens ab,
das unschlüssig und wie erschreckt von dem gröhlendem Qualm an der Schwelle
stehen geblieben war und sich mit den schmalen Händen wie hilfesuchend an den
Türpfosten festhielt. Ein derbes Wort des Wirtes, das sie eintreten hieß,
scheuchte ihren flüchtigen Schatten eher noch mehr in das Dunkel des
Treppenganges zurück, doch schon war der Maler aufgestanden und auf sie
zugetreten. Mit seinen beiden alten, derben, aber doch so milden Händen faßte
er die ihren und fragte sie leise und vertraulich, indem er ihr voll in die
Augen schaute: »Willst du dich nicht einen Augenblick zu mir setzen.«
Das Mädchen sah ihn erstaunt an, im tiefsten
überrascht durch diesen tiefen Glockenton der Milde und geklärten Liebe, der
ihr zum ersten Mal aus dem verräucherten Dunkel der Schenke entgegenschlug. Und
sie fühlte die Milde seiner Hände und die zärtliche Güte seiner Augen mit dem
süßschauernden Erschrecken derer, die Wochen und Jahre nach Zärtlichkeit
hungern und sie eines Tages mit staunender Seele empfangen. Ihres toten
Großvaters Bild erstand jäh in ihrem inneren
Blick, als sie die schneeige Milde dieses Hauptes umfaßte, und
vergessene Glocken schlugen an in ihrem Herzen und schlugen so laut und jubelnd
durch alle Adern und bis in die Kehle hinauf, daß sie kein Wort der Antwort
wußte. Sie errötete nur und nickte heftig, fast wie im Zorn, so eckig und hart
in der plötzlichen Bewegung. Bangend und erwartend folgte sie ihm an seinen
Platz und setzte sich halb an seine Seite, ohne die Bank recht zu berühren.
Der Maler beugte sich zärtlich zu ihr nieder, ohne zu
sprechen. Vor dem klaren Blick des alten Mannes glühte jäh die Tragödie der
Einsamkeit und stolzen Fremdheit auf, die so früh schon in diesem Kinde
kämpfte. Am liebsten hätte er sie an sich gezogen und ihr einen segnenden,
beruhigenden Kuß auf die Stirne gedrückt, aber er fürchtete sie zu erschrecken
und fürchtete die Augen der andern, die einander lachend die seltsame Gruppe
zeigten. Er verstand dieses Kind so ganz, ohne ein Wort von seinen Lippen zu
wissen, und ein brennendes Mitleid stieg in ihm empor, wie eine heiße strömende
Flut, denn er kannte die Schmerzlichkeit jenes Trotzes, die nur so hart und
jähzornig und drohend ist, weil er Liebe ist, eine große und unfaßbare Fülle
der Liebe, die sich verschenken will und sich verstoßen fühlt. Sanft fragte er
sie: »Wie heißt du, Kind?«
Sie sah vertrauend, aber verwirrt zu ihm auf. Noch war
ihr alles zu seltsam, zu fremd. Und ein schüchternes Zittern lag in ihrer
Stimme, als sie leise und sich halb abwendend sagte »Esther.«
Der alte Mann aber fühlte dennoch, daß sie Vertrauen
zu ihm hege, es nur noch nicht zu zeigen wage. Und sanft begann er:
»Ich bin ein Maler, Esther,
und ich will dich malen. Es wird dir nichts Übles geschehen, und du wirst
manches Schöne bei mir sehen und manchmal werden wir vielleicht zusammen
sprechen, wie gute Freunde. Nur eine oder zwei Stunden wird es jeden Tag
dauern, so lange, als es dir behagt. Willst du zu mir kommen, Esther?«
Das Mädchen wurde noch röter und wußte nicht zu
antworten. Dunkle Rätsel taten sich plötzlich vor ihr auf, zu denen sie keine
Wege fand. Schließlich sah sie mit einem unruhig fragenden Blick den Wirt an,
der neugierig daneben stand.
»Dein Vater erlaubt es und sieht es sogar gerne,«
beeilte sich der Maler zu sagen. »Von dir allein hängt die Entscheidung ab,
denn zwingen möchte und kann ich dich nicht. Willst du also,
Esther? «
Er hielt ihr seine große gebräunte Bauernhand
einladend entgegen. Sie zögerte einen Augenblick, dann legte sie verschämt und
wortlos ihre kleine weiße Hand zustimmend in die des Malers, die sich eine
Sekunde lang darum schloß, wie um eine gefangene Beute. Dann gab er sie mit
freundlichem Blick frei. Der Wirt staunte über den so rasch abgeschlossenen
Handel und rief einige Matrosen von den Tischen herbei, um ihnen das seltsame
Geschehnis zu zeigen. Aber das Mädchen, das sich verschämt im Mittelpunkt der
allgemeinen Aufmerksamkeit fühlte, sprang plötzlich auf und schoß wie der Blitz
zur Türe hinaus. Überrascht schauten ihr alle nach.
»Donnerwetter,« sagte der Wirt ganz verwundert, »Ihr
habt da ein Meisterstück gemacht. Nie hätte ich gedacht, daß das scheue Ding
einwilligen würde!«
Und wie zur Bekräftigung goß er wieder ein Glas hinab. Der Maler, dem es unbehaglich zu werden
begann in dieser Gesellschaft, die langsam vertraulich wurde, warf Geld auf den
Tisch, besprach mit dem Wirte alles nähere und schüttelte ihm dankbar die Hand,
beeilte sich aber aus der Schenke zu treten, deren Dunst und Lärm ihn
anwiderte, und deren saufende und gröhlende Insassen ihn mit Ekel erfüllten.
Als er auf die Straße trat, war die Sonne schon
gesunken, und nur mattrosa Dämmerung umhüllte noch den Himmel. Der Abend war
mild und rein. Mit langsamem Schritt ging der alte Mann heimwärts und dachte
der Ereignisse, die ihm so seltsam und so begütigend dünkten wie ein Traum. Und
gottesfürchtige Stimmung umfing sein Herz, das selig zu erzittern begann, wie
nun von einem Turme die erste Glocke zum Gebete rief und Glockenstimmen von
allen Türmen der Runde einfielen, mit hellen und tiefen, dumpfen und freudigen,
klingenden und murrenden Stimmen, wie Menschen in Freude und Sorge und Schmerz.
Unglaublich dünkte es ihm zwar, daß über ein Herz, das ein Leben lang schlicht
im Dunkel geraden Weges gegangen, noch spät die milden Leuchten göttlicher
Wunder sich entzündeten, aber er wagte nicht mehr zu zweifeln; und diesen Glanz
erträumter Gnade trug er durch das Dunkel der verdämmernden Straßen heimwärts
in ein seliges Wachen und einen wundersamen Traum . . .
Tage waren verflossen, und
noch immer stand die Leinwand unberührt auf des Malers Staffelei. Nun war es
aber nicht Verzagtheit mehr, die seine Hände fesselte, sondern ein sicheres
inneres Vertrauen, das nicht mehr mit Tagen rechnet und zählt, das nicht
hastet, sondern sich wiegt in seliger Stille und verhaltener Kraft.
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