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Literatur


04.3


Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald






Die Wunder des Lebens
Seite 4

Esther war gekommen, scheu zwar und verwirrt, aber bald hingebender, sanfter und schlichter werdend in dem wärmenden Lichte der väterlichen Güte, das der Seele dieses schlichten und fürchtigen Menschen zu entstrahlen schien. Sie hatten diese Tage nur zusammen verplaudert, wie Freunde, die einander nach langen Jahren begegnen und sich gleichsam wieder erkennen wollen, ehe sie die alten herzlichen Worte wieder mit innigem Empfinden durchtränken und den Wert der alten Stunden erneuern. Und bald verband ein geheimes Bedürfnis diese zwei Menschen, die sich so ferne waren und doch so ähnlich in einer gewissen Einfachheit und Einfalt ihrer Empfindung: der eine ein Mensch, den das Leben gelehrt, daß es in seinem tiefsten Grunde nur Klarheit und Stille ist, ein Erfahrener, den lange Tage und Jahre schlicht gemacht. Und die andre eine, die das Leben noch nicht empfand, weil sie wie in einer Dunkelheit versponnen sich verträumt hatte und den ersten Strahl, der aus der lichten Welt zu ihr kam, im Innersten auffing und in einfarbigem stillen Leuchten zurückspiegelte. Und beide waren sie allein zwischen den Menschen; so wurden sie sich ganz nahe. Der Geschlechter Unterschied sprach nicht zwischen beiden; bei dem einen war der Gedanke erloschen und warf nur noch den Abendschein klärender Erinnerung herüber in sein Leben, und dem Mädchen war das dunkle Empfinden ihrer Weiblichkeit noch nicht bewußt geworden und wirkte nur als milde, sehr unsichere und unruhige Sehnsucht, die sich noch kein Ziel weiß. Eine leise und schon erzitternde Wand stand noch zwischen ihnen: die der Fremdheit des Volkes und der Religionen, die Zucht des Blutes, sich immer fremd sehen zu müssen und feindlich, ein Mißtrauen zu hegen, das erst ein Augenblick großer Liebe überwindet.

Ohne diesen unbewußten Halt hätte sich längst das Mädchen, in der Liebe, versparte und edelste Liebe nach vorwärts drängte, weinend an die Brust des alten Mannes geworfen und ihm ihre heimlichen Schauer und werdende Sehnsucht, den Schmerz und Jubel ihrer einsamen Tage gestanden; so aber verriet sie das Geheimste ihrer Seele nur in Blicken und Verschweigungen, in unruhigen Gebärden und Andeutungen, denn immer, wenn sie fühlte, wie alles in ihr zum Lichte strömen wollte und sich in den klaren und überströmenden Worten innigster Empfindung verraten, da faßte sie wie eine dunkle unsichtbare Hand die geheime Kraft und preßte die Worte zusammen. Und auch der alte Mann vergaß nicht, daß er in seinem Leben an den Juden, wenn nicht auch gehässig, so doch mit dem Gefühl der Fremdheit vorbeigegangen sei. Ein Zögern hielt ihn zurück, mit dem Bilde zu beginnen,
weil er hoffte, daß ihm dieses Mädchen nur in den Weg gewiesen worden sei, um zum wahren Glauben bekehrt zu werden. Nicht an ihm sollte das Wunder gewirkt werden, sondern er sollte es wirken. Er wollte in ihrem Blicke die tiefe Heilandssehnsucht sehen, die die Gottesmutter selbst getragen haben mußte, als sie mit seligem Erwarten seiner Erscheinung entgegenbangte. Er wünschte ihr Wesen erst mit Gläubigkeit zu erfüllen, um eine Madonna schaffen zu können, in der noch die Schauer der Verkündigung beben, aber schon vereint mit dem süßen Vertrauen der Erfüllung. Und rings dachte er sich eine milde Landschaft in Vorfrühlingsstimmung, weiße Wolken, die wie Schwäne durch die Luft wanderten, als zögen sie an unsichtbaren Fäden den warmen Frühling hinter sich, ein erstes zartes Grün, das der Auferstehung entgegendrängte und schüchterne Blumen, die wie mit dünnen Kinderstimmen die große Seligkeit verkündeten. Aber des Kindes Augen waren ihm noch zu verschüchtert und zu demutsvoll; die mystische Flamme der Verkündigung und der Hingebung an eine dunkle Verheißung wollte sich noch nicht in diesen unruhigen Blicken entzünden, in denen noch der tiefe verschleierte Schmerz des Volkes lastete und manchmal der flackernde Trotz der Auserwählten, die mit ihrem Gotte gehadert. Noch kannten sie die Demut nicht und nicht die sanfte unirdische Liebe.
 
Er suchte sorgfältige und vorsichtige Wege, um den Glauben ihrem Herzen näher zu tragen; denn er wußte, wenn er ihn ihr hell und in seiner ganzen Fülle erglühend entgegentrüge wie eine Monstranz, in der die Sonne tausendfarbig funkelt, daß sie nicht erschauernd niedersinken würde, sondern sich schroff und hart abwenden, um das feindliche Zeichen nicht zu sehen. In seinen Mappen ruhten viele Bilder aus der heiligen Geschichte; eigene und viele großer Meister, die er in seiner Lehrzeit und auch später noch manchesmal, von lebhafter Bewunderung überwältigt, nachgezeichnet hatte. Die suchte er nun heraus, und sie betrachteten gemeinsam, Schulter an Schulter die Bilder; bald fühlte er den tiefen Eindruck, den manches der Blätter in ihrer Seele erzeugte, an der Unruhe ihrer blätternden Hände und den raschen Atemzügen, die warm an seine Wangen wellten. Eine farbige Welt von Schönheit tauchte plötzlich vor diesem einsamen Mädchen auf, das seit Jahren nur mehr die verquollenen Gestalten der Schenke, die verrunzelten Gesichter alter schwarzgekleideter Frauen und die schmutzige Plumpheit der schreienden und sich balgenden Straßenkinder gesehn hatte. Und hier waren sanfte, in wunderbare Gewande gehüllte Frauen von bezaubernder Schönheit, traurige und stolze, begehrliche und verträumte, Ritter in Rüstungen und langen Prunkgewanden, die mit diesen Frauen scherzten oder sprachen, Könige mit langwallenden weißen Locken, auf denen goldene Kronen schimmerten, schöne Jünglinge, deren Leib von Pfeilen durchbohrt sich am Marterstamm niedersenkte oder unter Qualen verblutete. Und ein fremdes Land, das sie nicht kannte und dessen Anblick sie süß, wie eine unbewußte Heimatserinnerung berührte, tat sich auf mit grünen Palmen und hohen Zypressen, mit einem leuchtenden blauen Himmel, der über Wüsten und Berge, Städte und Fernen in gleichem tiefen Glanze lag und viel leichter und freudiger zu sein schien, als dieser nördliche, der selbst wie eine einzige graue ewige Wolke war.
 

Nach und nach fügte er ihr kleine Erzählungen bei. Er erklärte ihr die Bilder mit den einfachen und so dichterischen Legenden des Testamentes und sprach von den Wundern und Zeichen der heiligen Tage mit solcher Glut, daß er die eigene Absicht vergaß und das gläubige Vertrauen, welches ihm die erträumte Gnade der letzten Tage verliehen, in ekstatischen Farben verkündete.

Und dieses alten Mannes begeisterter Glaube erschütterte tief das Herz dieses Mädchens, die selbst sich nun fühlte wie in einem erschlossenen Wunderlande, das sich jählings aus dem Dunkeln mit umfangenden Pforten geöffnet. Stärker und stärker begann ihr Leben zu wanken, das aus tiefster Nacht plötzlich in purpurner Dämmerung erwachte. Nichts schien ihr unglaublich, seitdem sie selbst so seltsames erlebt, nicht jene Legende von dem silbernen Sterne, hinter dem drei Könige aus fernem Lande gingen, mit Pferden und Kamelen, auf denen eine schimmernde Flut von Kostbarkeiten ruhte, – nicht daß ein Toter von einer segnenden Hand berührt, wieder zum Leben erstand, denn an sich selbst schien sie ähnliche Wundergewalt zu verspüren. Bald blieben die Bilder unbeachtet beiseite. Der alte Mann erzählte aus seinem Leben, manches Gotteszeichen mit den Legenden der Bücher vermählend; vieles, das er in den stummen Tagen seines Alters in sich versponnen und verträumt, hoben jetzt seine Worte ins Licht, ihn selbst erstaunend, wie etwas Fremdartiges, das man prüfend von eines andern Hand übernimmt; gleich einem Prediger war er, der in der Kirche mit einem Gotteswort begonnen, um es zu erläutern und zu durchleuchten; mit einem Male aber vergißt er Hörer und Ziel und gibt sich nur der dunklen Wollust hin, alle die rauschenden Quellen seines Herzens in ein tiefes Wort strömen zu lassen, wie in einen Kelch, in dem alle Süße und Heiligkeit des Lebens ist. Und über das niedere Volk
seiner betroffenen Hörer, die nicht mehr reichen bis zu seiner Welt und murren und sich bestarren, fliegt sein Wort höher und höher und ist selbst allen Himmeln nahe in seinem verwegenen Traum der vergessenen Erdenschwere, die sich plötzlich wieder bleiern an seine Schwingen hängt.  . . .

Der Maler schaute plötzlich um sich, wie noch umrauscht von dem purpurnen Nebel seiner ekstatischen Worte; die Wirklichkeit wies ihm wieder ihr geordnetes kaltes Gefüge. Aber was er sah, war schön wie ein Traum.

Zu seinen Füßen saß Esther und schaute zu ihm auf. Sanft an seinen Arm gelehnt und in diese stillen, blauen, geklärten Augen blickend, in denen sich plötzlich so viel Licht gesammelt, war sie nach und nach an ihm herabgeglitten, ohne daß er es in seiner gottnahen Aufwallung bemerkte, und kauerte an seinen Knieen, den Blick zu ihm erhoben. Alte Worte aus eigener Kinderzeit rauschten wirr in ihrem Kopfe, Worte, die der Vater an manchen Tagen im langen schwarzen Feiergewand, umhangen von weißen zerfaserten Binden, aus einem alten und ehrwürdigen Buche vorgelesen hatte, und die auch so voll dröhnender Feierlichkeit waren und voll inbrünstiger Andacht. Eine Welt, die sie verloren und von der sie wenig mehr wußte, ward in dämmernden Farben wieder wach und erfüllte sie mit weher Sehnsucht, die Tränenglanz in ihren Augen erschimmern ließ. Und als der alte Mann sich zu diesen schmerzlichen Blicken niederbeugte und ihre Stirne küßte, fühlte er, wie ein Schluchzen ihre zarten kindlichen Glieder in wildem Fieber schüttelte. Und er mißverstand sie. Denn er meinte, daß das Wunder sich vollendet habe und Gott in einem großen Augenblicke seiner sonst schlichten und wortkargen Sprache die glühenden Feuerzungen der Beredsamkeit geschenkt habe, wie einst den Propheten, da sie zu dem Volke gingen. Und er meinte, dieses Schauern sei die bange und noch fürchtige Seligkeit einer, die den Heimweg zu dem wahren und aller Seligkeiten Fülle tragenden Glauben gefunden habe und die zittert und schwankt, wie einer Fackel jäh entflammte Flamme, die noch unsicher hoch in die Luft tastet und wieder in sich zusammensinkt, ehe sie sich klärt zu stillem geruhigem Leuchten. Dieser Irrtum umfing mit jubelnder Freude sein Herz, das sich mit einem Male seinen fernsten Zielen nahe wähnte. Eine Weihe überkam seine Worte.
 

»Ich habe dir von Wundern erzählt, Esther! Viele sagen, daß sie vor Zeiten waren, ich aber fühle und sage, daß sie noch heute sind, nur daß sie stiller geworden sind und nur in den Seelen derer erstehen, die sie erwarten. Was zwischen uns war, ist ein Wunder, meine Worte und deine Tränen, sie sind eines in einer unsichtbaren Hand, die sie aus unserem blinden Innern gestoßen, ein Wunder der Erleuchtung. Da du mich verstanden, gehörst du schon zu uns; in diesem Augenblicke, da dir Gott diese Tränen geschenkt, bist du schon Christin. . . .«

Er hielt erstaunt inne. Denn bei diesem Wort war Esther von seinen Füßen mit abwehrenden Händen emporgefahren, wie um diesen Gedanken zurückzustoßen. Erschrecken flackerte in ihren Augen und der unbändige zornige Trotz, von dem man dem Maler gesprochen. Sie war schön in diesem Augenblick, da die Herbe ihrer Züge Trotz und Zorn wurde, die Linien um ihren Mund wie Messerschnitte so scharf, und in ihren zitternden Gliedern eine katzenhaft zur Verteidigung bereite Gebärde. Die ganze Glut, die in ihr schäumte, brach in einer Sekunde wildester Verteidigung empor. . . .

Dann ward wieder alles ruhiger. Sie schämte sich der Gewalttätigkeit dieser wortlosen Abwehr. Aber die Wand, die schon ganz durchleuchtet gewesen war von den Strahlen einer übersinnlichen Liebe, starrte wieder schwarz und hoch zwischen beiden. In ihren Blicken war Kälte, Unrast und Beschämung, nicht Zorn mehr und nicht mehr Vertrauen, nur Wirklichkeit und nicht mehr mystisch erschauernde Sehnsucht. Und schlaff fielen die Hände an ihrem schmalen Körper herab, wie Schwingen, die auf hochrauschendem Fluge zerbrochen. Noch immer war ihr das Leben ein Rätsel von Schönheit und Seltsamkeit, aber sie wagte nicht mehr den Traum zu lieben, aus dem sie so niederschmetternd erwacht war.

Auch der alte Maler fühlte, daß ihn ein voreiliges Vertrauen betrogen hatte, aber es war nicht die erste Enttäuschung seines langen suchenden Lebens, das nur Treue und Vertrauen war. So kam ihn kein Schmerz an, sondern nur Erstaunen und dann wieder fast Freude über ihre rasche Beschämung. Sanft faßte er ihre beiden schmalen Kinderhände, in denen noch das Fieber glühte. »Esther, du hast mich beinahe erschreckt mit deiner jähen Aufwallung. Ich meine es doch nicht schlecht mit dir. Oder denkst du das?«

Sie schüttelte beschämt ihren Kopf, um sich im nächsten Momente wieder aufzurichten. Und ihre Worte wurden beinah wieder trotzig:

»Aber ich will keine Christin sein. Ich will nicht. Ich« – sie würgte an dem Worte lange, ehe sie es mit gedämpfter Stimme sagte – »Ich. . . . Ich hasse die Christen. Ich kenne sie nicht, aber ich hasse sie. Was Ihr mir gesagt habt von der Liebe, die alle umfaßt, ist schöner, als jedes Wort, das ich in meinem Leben je erhört. Aber die Menschen um mich sagen auch, daß sie Christen sind, aber sie sind roh und gewalttätig. Und . . . . ich weiß nicht mehr alles klar, es ist schon zu lange her .... aber wenn wir zu Hause von den Christen sprachen, so war eine Angst und ein Haß in den Worten. . . . Alle haßten sie. . . . Und ich auch. . . . Denn wenn ich mit meinem Vater ging, so schrieen sie uns nach und einmal warfen sie Steine nach uns. . . . Mich selbst hat einer getroffen, daß ich blutete und weinte, aber mein Vater zog mich ängstlich fort, als ich nach Hilfe schrie. . .  Mehr weiß ich nicht von ihnen. . . . Doch, ich weiß noch. . . . Unsere Gassen waren dunkel und eng, wie die hier, wo ich wohne. Und nur Juden wohnten darin. . . . Aber drüben die Stadt war schön. Ich habe sie einmal hoch von einem Hause gesehn.... Ein Fluß war darin, der so blau und klar vorüberfloß und drüben eine breite Brücke, auf der Menschen in hellen Gewandungen gingen, wie ihr mir sie auf den Bildern gezeigt habt. Und die Häuser waren mit künstlichen Figuren geschmückt und mit Gold und Giebeln verziert. Dazwischen standen hohe, ach, so hohe Türme, in denen die Glocken sangen, und die Sonne kam herab bis in die Straßen. Es war alles so schön. . . . Als ich aber meinem Vater sagte, er möge hinübergehn mit mir in die helle Stadt, da wurde er ernst und sagte: "Nein, Esther, die Christen würden uns töten". . . . Ich erschrak bei dem Wort. . . . Und seitdem haßte ich die Christen. . . .«

Sie hielt inne in ihren Träumen, denn es ward wieder alles licht in ihr. Was sie längst vergessen hatte, was verstaubt und verschleiert in ihrer Seele gelegen, funkelte wieder auf. Sie ging wieder die dunklen Ghettogassen entlang bis zu dem Hause. Und mit einem Male waren Zusammenhänge da, alles wurde so klar, und sie erfaßte, daß was sie manchmal für einen Traum hielt, Wirklichkeit und vergangenes Leben war. Mühsam hasteten die Worte den klaren vorübereilenden Bildern nach.

»Und damals dieser Abend. . . . Plötzlich riß man mich aus dem Bett . . . . ich erkannte meinen Großvater, der mich in den Armen hielt, mit bleichem zitternden Gesicht . . . . das ganze Haus brauste und zitterte, die Luft war voll Schreien und Lärmen. . . . Aber jetzt dämmert es mir auf, ich höre wieder, was sie schrieen: die Fremden, die Christen. . . . Mein Vater schrie es oder meine Mutter. . . . Ich weiß nicht mehr. . . . Mein Großvater trug mich hinab in die Dunkelheit durch schwarze Gassen und Straßen. . . . Und immer das Lärmen und derselbe Schrei: die Fremden, die Christen.... Wie hab' ich das vergessen können!?. . . Und dann ein Mann, mit dem wir gehen. . . . Ich weiß nicht mehr, ich glaube, ich schlief. . . . Als ich erwachte, waren wir tief im Land, mein Großvater und der Mann, bei dem ich lebe. . . . Die Stadt sah ich nicht mehr, aber der Himmel war sehr rot, dort, von wo wir gekommen. . . . Und wir reisten weiter. . .«

Wieder hielt sie inne. Die Bilder schienen sich zu verlieren, langsamer dunkler zu werden.







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