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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Wunder des Lebens
Diese Enttäuschung aber konnte die drängende Kraft
dieser unbändigen Sehnsucht nicht zerbrechen und die ganze Wucht strömte wieder
zu den beiden Wesen zurück, die Aufgang und Niedergang ihres Tages umspannten.
Sie zählte die einsamen Stunden der Nacht, die sie noch vom Morgen entfernten,
mit Inbrunst und die Stunden des Tages, die vor ihrem Besuche bei dem Maler
lagen, mit fiebernder Glut, die sich auf ihrem Antlitz verriet. Und einmal auf
der Gasse warf sie sich ganz in den Arm ihrer Leidenschaft, wie ein Schwimmer
in eine aufschäumende Flut, und stürmte wie verzweifelt durch die ruhig
vorwärtsstrebenden Menschen, um erst Halt zu machen, wenn sie mit gerötetem
Gesicht und verwirrten Haaren vor dem Tore des ersehnten Hauses stand. Eine
Unbändigkeit und Lust an freier leidenschaftlicher Gebärde hatte in dieser Zeit
der Umformung Gewalt über sie gewonnen und gab ihr eine wilde begehrliche
Schönheit.
Und diese gierige, fast
verzweiflungsvolle Art ihrer Zärtlichkeit ließ sie das Kind vor dem alten Manne
bevorzugen, in dessen freundlicher inniger Milde etwas Ablehnendes, Abgeklärtes
gegenüber aller stürmischen Leidenschaft lag. Er wußte nichts von der
fraulichen Wandlung Esthers, aber er ahnte sie aus ihrem ganzen Wesen, dessen
so jäh erwachte Ekstatik ihn befremdete. Ihr Schranken zu setzen, versuchte er
nicht, weil er die elementare Kraft spürte, die sie vorwärts trieb in diese
zähe Leidenschaft. Und er verlor darum nicht die väterliche Liebe zu diesem
einsamen Kinde, wenngleich auch sein Sinn sich ganz wieder dem fernen Spiel der
geheimen Lebenskräfte zugewandt hatte. Er freute sich ihrer Gegenwart und
suchte sie sich zu bewahren. Das Bild war schon vollendet, er sagte es aber
Esther nicht, weil er sie nicht trennen wollte von dem Kinde, das sie mit
Zärtlichkeit gleichsam überflutete. Ab und zu tat er noch einen Pinselstrich,
aber es waren immer nur unwichtige Äußerlichkeiten, ein Faltenwurf, eine
leichte Schattierung des Hintergrundes oder eine flüchtige Nuance im Spiel des
Lichtes. Dem eigentlichen Gedanken des Bildes und seiner innerlichen Empfindung
wagte er nicht mehr zu nahen, denn der Zauber der Wirklichkeit war langsam
gewichen und das Doppelantlitz des Bildes schien ihm das vergeistigte Wesen
jenes wundervollen Schöpfertraumes, der ihm immer weniger Vollführung irdischer
Kraft schien, je weiter zeitlich die Erinnerung jenes Augenblickes zu
verdämmern begann. Jeder Versuch der Verbesserung schien ihm nicht nur Torheit,
sondern Sünde. Und im Innersten beschloß er, nach diesem Werke, da seine Hand
offenbarlich geleitet war, nicht weiteres Stümperwerk zu schaffen, sondern
seine Tage in tieferer Frömmigkeit und in Erspähung der Pfade zu verbringen, die sein Leben emporführen könnten in jene Höhen,
deren goldenes Abendleuchten er in diesen späten Lebensstunden noch verspürt
hatte.
Esther spürte mit dem feinen Instinkte, den die
Verwaisten und Zurückgestoßenen in ihren Seelen wie ein geheimes Netzwerk
empfindsamer Fäden haben, das alle Worte und auch die verschwiegenen umspannt,
die leichte Entfernung des alten und ihr so lieben Mannes, und sie litt beinahe
unter seiner gleichen milden Zärtlichkeit; sie fühlte, daß sie gerade jetzt
seines ganzen Wesens und der befreiten Fülle seiner Liebe bedurft hätte, um
ihre Seele mit ihren wachsenden Schmerzlichkeiten offenbaren zu können und
Antwort zu verlangen von den Rätseln, die sie umringten. Sie horchte auf den
Augenblick, da sie die Worte aus sich befreien konnte, die in ihr drängten und
überschäumten, aber das Erwarten ward endlos und machte sie müde. Und da wandte
sie ihre ganze Zärtlichkeit dem Kinde zu. Ihr ganzes Empfinden formte sie in
diesen kleinen unbeholfenen Körper, den sie mit heißer Gewalt umfing und küßte,
so ungestüm und vergessend, daß das Kind oft nur den Schmerz der Umarmung spürte
und zu klagen begann. Dann wurde sie zurückhaltend, behütend, beruhigend, aber
auch diese Ängstlichkeit war Ekstase, sowie ihr Empfinden kein mütterliches
war, sondern ein ängstlich-suchendes Emporwallen erotischer und dumpf
sehnsüchtiger Triebe. Eine Kraft in ihr drängte empor, und ihre Unwissenheit
ließ sie an diesem Kinde verschäumen. Es war ein Traum, den sie lebte, und eine
schmerzliche Betäubung; sie hielt sich nur krampfhaft an dieses Wesen, weil es
ein warmes Herz hatte, das pochte, so wie das ihre, weil sie alle
Zärtlichkeiten, die in ihr glühten, an diese stummen Lippen verschenken
konnte, weil ihre Arme, in denen eine unbewußte Sehnsucht war, ein Lebendes
umklammern konnten, ohne den Augenblick der Beschämung fürchten zu müssen, der
sie überfiel, wenn sie sich nur mit einem einzigen Worte einem Fremden
anvertraut hätte. Stunden und Stunden verbrachte sie so, ohne zu ermüden und
ohne zu fühlen, wie sie sich selbst betrog.
Dieses Kind umschloß nun für sie den Begriff des
Lebens, nach dem sie sich so wild gesehnt. Rings um sie verwölkten sich die
Zeiten, sie merkte es nicht. Abends standen die Bürger zusammen und sprachen
von der alten Freiheit und dem guten König Karl, der sein Flandern so sehr
geliebt, mit Bedauern und heimlichem Zorn. Unruhe wühlte in der
Stadt. Die Protestanten einten sich insgeheim, lichtscheues Gesindel rottete
sich zusammen, kleine Aufstände und Zusammenstöße mit den Soldaten häuften
sich, getragen von drohenden Botschaften aus Spanien; und in diesem unruhigen
Gezänke wetterleuchteten schon die ersten Flammen von Krieg und Rebellion. Die
Vorsichtigen begannen schon jetzt ihren Blick gegen das Ausland zu richten, die
andern trösteten und beruhigten sich, aber das ganze Land war mitgerissen in
eine fröstelnde Erwartung, die sich in jedem einzelnen spiegelte. In der
Schenke setzten sich die Männer in den Ecken zusammen und sprachen mit
gedämpfter Stimme, und zwischen ihnen durch scherzte der Wirt in seiner derben
Weise von Krieg und seinen Schrecknissen, doch das Lachen wollte allen nicht
recht aus der Kehle. Die sorglose Fröhlichkeit der üppigen Menschen verlosch in
Angst und unruhiger Erwartung.
Esther fühlte nichts von dieser Welt, nicht ihre
gedämpfte und furchtsame Art und nicht ihr geheimes Fieber. Das
Kind war still wie immer und lachte sie in seiner unbeholfenen Weise an, – so
merkte sie keine Veränderung in ihrer Umgebung. Ihr Leben trieb einer einzigen
Strömung nach in eine unselige Verwirrung; die Dunkelheit um sie ließ die
phantastischen Träume ihrer leeren Stunden ihr als Wirklichkeit erscheinen, so
ferne und fremd, daß sie für immer verloren war für die kühle besonnene
Verständigkeit der Welt. Ihre erwachte Weiblichkeit schrie nach einem Kinde,
aber dieses bange Mysterium wußte sie nicht, sondern sie erträumte es sich in
tausend Formen, in der schlichten Wunderbarkeit der biblischen Legende, wie in
der zauberischen Möglichkeit einsamer Phantasieen. Hätte ihr jemand dieses
Rätsel des Alltags in einfachen Worten erklärt, so hätte sie vielleicht mit
jenem verschämt betrachtenden Blicke wie sie Mädchen in dieser Zeit haben, die
Männer gemustert, die an ihr vorbeigingen. So aber dachte sie ihrer nicht,
sondern sah nur die Kinder auf den Straßen spielen und dachte träumerisch jenes
seltsamen Wunders, das ihr vielleicht auch eines Tages ein solches rosiges
spielendes Kind schenken könne, ein Kind, das ganz ihr gehörte und ganz ihre
Seligkeit wäre. Und so unbändig war der Wunsch in ihr, daß sie sich vielleicht
dem ersten besten hingegeben hätte, alle Scham und Ängstlichkeit vernichtend,
nur um dieses ersehnten Glückes willen; aber sie wußte nichts von dieser
schöpferischen Einung, und ihre Sehnsucht ging blinde und nutzlose Pfade in die
Irre. Und so kehrte sie immer und immer wieder zu diesem fremden Kinde zurück,
das ihr schon wie ein eigenes schien, so innig war ihre Zärtlichkeit geworden.
So kam sie eines Tages zu dem Maler, der mit geheimer
Unruhe ihre übertriebene und fast krankhafte Leidenschaft zu
dem Kinde bemerkt hatte, mit ihrem leuchtenden Gesicht und der funkelnden
Unrast in den Augen. Das Kind war nicht, wie gewohnterweise, zur Stelle. Das
beunruhigte sie, aber um es nicht einzugestehen, trat sie auf den alten Mann zu
und fragte ihn nach dem Fortgang des Bildes. Das Blut stieg ihr in die Wangen
bei dieser Frage, denn mit einem Male fühlte sie die stumme Beleidigung aller
dieser Stunden, in denen sie nie Aufmerksamkeit weder ihm noch seinem Werke
geschenkt. Die Vernachlässigung dieses so gütigen Menschen drückte sie wie eine
Schuld. Aber er schien nichts zu bemerken.
»Es ist fertig, Esther,« sagte er mit einem leisen
Lächeln, »und sogar schon lange. Nächster Tage werde ich es übergeben.«
Sie wurde blaß. Eine böse Ahnung befiel sie, die sie
nicht auszudenken wagte. Ganz leise und verschüchtert fragte sie. »Und ich darf
dann nicht mehr zu Euch kommen?«
Er streckte ihr beide Hände entgegen. Es war die alte
milde bezwingende Gebärde, die sie immer wieder gefangen nahm. »So oft du
willst, mein Kind. Und je öfter, desto lieber. Du siehst ja, daß ich hier
einsam bin in meiner alten Stube und, wenn du da bist, dann ist es allein
fröhlich und hell den ganzen Tag. Komm oft, recht oft, Esther.«
Ihre ganze alte Liebe zu diesem Manne flutete auf, wie
wenn sie nun alle Dämme überrauschen wollte und sich in Worten ergießen. Wie
groß und gut war er! War seine Seele nicht wahr und die des Kindes nur ihr
eigener Traum? Ihr Vertrauen war wieder groß in diesem Augenblick, aber der
Gedanke ihres Lebens hing noch lastend über dieser reifenden Saat wie eine
Gewitterwolke. Der Gedanke an das Kind peinigte
sie. Sie wollte diese Qual unterdrücken, sie preßte das Wort immer hinab und
hinab, aber es quoll auf, ein wilder verzweifelter Schrei. »Und das Kind.«
Der alte Mann schwieg. Aber seine Züge wurden härter,
beinahe unbarmherzig. Daß sie in diesem Augenblicke, da er ganz ihre Seele sein
Eigen hoffte, seiner vergaß, das stieß ihn zurück wie ein zorniger Arm. Kalt
und gleichgültig sagte er: »Das Kind ist fort.«
Er fühlte ihre Blicke gierig und in einer rasenden
Verzweiflung an seinem Munde hangen. Aber die finstere Gewalt in ihm zwang ihn,
trotzig und grausam zu sein. Er fügte nichts hinzu. In diesem Augenblicke haßte
er dieses Mädchen, das so undankbar die viele Liebe vergaß, die sie von ihm
empfangen, und der gütige und so milde Mensch empfand die Wollust einer
Sekunde, sie zu quälen. Doch es war nur ein flüchtiger Moment der Schwäche und
eigenen Verneinung, der wie eine einsame Welle in diesem unendlichen Meere der
sanften Klärung verrann. Und, von dem Bangen ihres Blickes mit Mitleid erfüllt,
wandte er sich ab.
Aber sie ertrug nicht dieses Schweigen. Mit wilder
Gebärde stürzte sie an seine Brust und umklammerte ihn schluchzend und
stöhnend. Nie brannte größere Qual in ihr, als in den verzweifelten Worten, die
sie weinte und schrie. »Ich muß es wieder haben, das Kind, mein Kind. Ich kann
nicht anders leben, es ist ja das einzige kleine Glück, das man mir stiehlt.
Warum wollt Ihr mir es nehmen?. . . . Ich war schlecht gegen Euch, aber verzeiht
und laßt mir das Kind. Wo ist es? Sagt es mir! Sagt es mir! Ich muß es wieder
haben. . . .«
Ihre Worte verschlugen sich
in ein tonloses Schluchzen. Tieferschüttert beugte sich der alte Mann über sie
herab, die in langsam erschlaffendem Krampfe weinend seine Brust umklammerte
und tiefer und tiefer herabsank wie eine ersterbende Blüte. Sanft strich er
über dieses lange, dunkle, gelöste Haar. »Sei klug, Esther! Und weine nicht.
Das Kind ist fort, aber. . . .«
»Es ist nicht wahr, nein, es ist nicht wahr,« fuhr sie
empor.
»Es ist wahr, Esther. Seine Mutter hat das Land
verlassen. Die Zeiten sind schwer für die Fremden und die Ketzer, aber auch für
die Fürchtigen und Treuen. Nach Frankreich sind sie oder nach England. Aber
warum willst du verzagen . . . . sei doch klug, Esther . . . . warte ein paar Tage . . . .
es wird alles wieder gut werden. . .«
»Ich kann nicht, ich kann nicht,« röchelte ihr irres
Weinen. »Warum hat man mir das Kind genommen. . . . Ich hatte doch sonst nichts
.... ich muß es wieder haben . . . . ich muß, ich
muß. . . Es hatte mich gern, es
war das einzige Wesen, das mir, das ganz zu mir gehörte .... wie soll ich jetzt
leben. . . . Sagt mir doch, wo es ist, sagt mir. . . .«
Klagen und Schluchzen flossen zusammen in ein wirres
und verzweifeltes Reden, das immer leiser und sinnloser wurde und schließlich
in ein stumpfes Weinen verquoll. Wie wirre Blitze zuckten die Gedanken durch
dieses zermarterte Gehirn, das nicht Klarheit und Ruhe gewinnen konnte; alle
Empfindung und Betrachtung schwang in wahnsinnig kreisender Drehung um diese
eine schmerzhafte Idee, die nicht loszureißen war aus ihren Reden, sondern
mitschwang und mitkreiste, rastlos mit unbarmherziger wirbelnder Kraft. Das unendliche stumme Meer ihrer suchenden Liebe
rauschte empor als verzweifelter und lauter Schmerz. Und die Worte strömten
wirr und heiß nieder, wie tropfendes und quellendes Blut aus einer Wunde, die
sich nicht schließen will. Verzagt schwieg der alte Mann, der versucht hatte,
diesen Schmerz mit sanften Worten zu stillen. Die elementare Gewalt dieser
Leidenschaft und ihre finstere Glut schienen ihm stärker, als alle Kraft der
Begütigung. Er wartete und wartete. Manchmal schien der aufschäumende Strom zu
stocken und die Erregung sich zu mildern, aber immer und immer stieß ein
Schluchzen verlorene Worte empor, die halb Schrei und halb Weinen waren. Eine
reiche und blühende Seele verblutete in diesem Schmerz.
Endlich konnte er zu ihr sprechen. Aber Esther hörte
ihn nicht. In ihren feuchten und starren Augen stand ein einziges Bild, und ein
Gedanke erfüllte ihr Empfinden. Wie aus Fieberphantasieen stammelte sie fort.
»Wie lieb es lachte. . . Mir gehörte es ja nur, mir ganz allein. . . . Diese vielen
schönen Tage. . . . Ich war seine Mutter. . . Und ich soll es nicht mehr haben. . .
Wenn ich es nur sehen könnte, nur noch einmal sehen. . . Nur sehen, nur einmal. . .«
Und wieder verlosch die Stimme in hilfloses Schluchzen. Langsam war sie von der
Brust des alten Mannes herabgesunken und umklammerte mit den matten,
durchschauerten Händen nur noch seine Kniee, ganz zusammengekauert in die
fließende Flut ihrer schwarzen Strähnen. Ihr zerknickter zuckender Körper mit
dem überwallten und versteckten Antlitz schien wie zerschmettert von zornigem
Schmerz. Und monoton, mit verlorenen erschlafften Gedanken lallte sie das Wort
immer wieder. »Nur sehen . . . nur einmal sehen . . . nur einmal . . . nur sehen.«
Tief beugte sich der alte
Mann zu ihr herab.
»Esther!«
Sie rührte nicht ein Glied. Die Lippen lallten noch
die Worte weiter ohne Sinn und Betonung. Er wollte sie emporheben; ihr Arm, den
er faßte, war kraftlos und ohne Regung wie ein abgebrochner Ast; schlaff fiel
er wieder zurück. Nur die Lippen stammelten eintönig und unbewußt ihren
traurigen Spruch weiter. »Nur einmal . . . nur sehen . . . nur einmal sehen. . .«
Da überkam ihn ein seltsamer Gedanke in seiner
suchenden Ratlosigkeit. Er neigte sich zu ihrem Ohre. »Esther! Du sollst es
sehen, einmal und so oft du willst!«
Sie fuhr auf, wie aus einem Traum gerüttelt. Durch
alle Glieder schienen diese Worte zu fließen, denn jähe Bewegung erfaßte ihren
Körper, und sie richtete sich auf. Langsam schien die Klarheit wiederkehren zu
wollen. Noch war ihr der Gedanke nicht ganz klar, denn instinktiv glaubte sie
nicht an ein so großes Glück, das sich aus dem Schmerze wieder erschließen
sollte. Unsicher sah sie den alten Mann an, wie mit schwankenden Sinnen. Sie
begriff ihn nicht ganz und wartete auf seine Worte. Alles war ihr so unklar.
Aber er sprach nicht, er sah sie nur mit gütiger Verheißung an und nickte ihr
zu. Lind umfaßte er sie mit seinem Arm, als hätte er Angst, ihr wehe zu tun. Es
war also kein Traum und nicht die Lüge eines Augenblicks. Ihr Herz schlug und
schlug in wirrer Erwartung. Willig wie ein Kind ging sie an ihn gelehnt, ohne
ein Ziel zu wissen. Aber er führte sie nur ein paar Schritte bis zur Staffelei.
Und mit rascher Bewegung löste er das hüllende Tuch von dem Bilde.
Im ersten Augenblicke blieb Esther reglos. Ihr Herz stand still wie erstarrt. Aber dann stürzte sie
gierig auf das Bild zu, als wollte sie dieses liebe lächelnde rosige Kind aus
dem Rahmen reißen, wieder zurück ins Leben, um es zu wiegen und zu
umschmeicheln, um die Zartheit seiner unbeholfenen Glieder zu spüren und das
Lachen um diesen kleinen törichten Mund zu erwecken. Sie dachte nicht, daß dies
nur ein Bild war, ein Stück bemalter Wand, das nur der Traum des Lebens war,
sie überlegte nicht, sondern fühlte nur, und ihre Blicke flatterten in seligem
Rausche. Reglos blieb sie knapp vor dem Bilde stehen. Ein Zittern und Reißen
war in ihren Fingern, die sich sehnten, die blühende Weiche dieses Kindes
wieder erschauernd fühlen zu können, ein Brennen in ihren Lippen, den
erträumten Körper mit zärtlichen Küssen bedecken zu können. Ein seliges Fieber
durchlief ihren Leib. Und dann brachen die warmen Tränen empor. Aber sie waren
nicht mehr zornig und anklagend, sondern wehmütig und beglückt, sie waren nur
ein Quellen und Überquellen von vielen seltsamen Gefühlen, die plötzlich ihre
Seele erfüllten und empordrängten. Leise löste sich der Krampf, der sie mit
seinen harten Händen umklammert, und eine unsichere, aber milde und
versöhnliche Stimmung hielt sie umschlungen und wiegte sie sanft und süß in
einen wachen, wunderbaren Traum, der ferne war von allen Wirklichkeiten.
Der alte Mann fühlte wieder jenes fragende Bangen in
seiner Freude. Wie wundersam war dieses Werk, daß es selbst diejenigen, die es
geschaffen und gelebt, so mystisch beseelte, wie unirdisch war diese sanfte
Erhebung, die ihm entstrahlte! War dies nicht wie die Bilder und Zeichen der
Heiligen, die man verehrte, und bei denen die Beladenen und Bedrückten jählings
ihren Schmerz vergaßen und heimgingen, von einem
Wunder geläutert und befreit? Und waren dies nicht heilige Flammen in den
Blicken dieses Mädchens, das ihr eigenes Bild besah, ohne Neugierde und ohne
Scham, sondern hingegeben und gottverloren? Er fühlte, es müsse ein Ziel geben,
zu dem so sonderbare Wege führten, es müsse ein Wille da walten, der nicht
blind sei, wie der seine, sondern hellsichtig und aller seiner Wünsche Meister.
Und wie fromme Glocken jubelten diese Gedanken durch sein Herz, das sich
erwählt dünkte für aller Himmel leuchtende Gnade.
Vorsichtig nahm er Esther bei der Hand und führte sie
weg vom Bilde. Er sprach nicht, denn auch er fühlte das warme Quellen von
Tränen, die er nicht zeigen wollte. Ihm war, als ruhte auf ihrem Haupte noch
ein warmer fließender Glanz, wie im Madonnenbilde, und als sei in dem Zimmer
bei ihnen noch etwas Großes und Unsagbares, das mit unsichtbaren
Schwingen vorüberrauschte. Er sah in Esthers Augen. Sie waren nicht mehr
verweint und trotzig; nur ein sanfter spiegelnder Flor schien sie noch zu
überschatten. Alles schien ihm heller, milder und verklärter ringsum.
Wundernähe und Heiligkeit wollte sich ihm in allen Dingen offenbaren.
Lange blieben sie noch beide zusammen. Sie begannen
wieder zu sprechen, wie in alter Zeit, aber ruhiger und geklärter, wie zwei
Menschen, die sich nicht mehr suchen müssen, sondern sich ganz verstehen.
Esther war still geworden. Der Anblick dieses Bildes hatte sie seltsam berührt
und sie so selig gemacht, weil er ihr das Glück ihrer schönsten Erinnerung
wieder schenkte, weil sie ihr Kind wieder besaß, aber nun viel heiliger, viel
tiefer und mütterlicher als in der Wirklichkeit. Denn nun war es nur ganz mehr Hülle ihres Traumes, ganz eigen und ganz ihre
Seele. Nun konnte es niemand mehr nehmen. Dies Bild gehörte ihr allein, wenn
sie es sah, und sie durfte es ja immer sehen. Gerne hatte der alte, von
mystischen Ahnungen durchschauerte Mann ihr die zage Bitte verstattet. Nun
hatte sie Tag für Tag gleiche Seligkeit und Lebensfülle, ihre Sehnsucht mußte
nicht mehr bangen und begehren; und diese kleine blühende Gestalt, die den
andern der Heiland der Welt war, war auch dem einsamen Judenkinde unbewußt ein
Gott der Liebe und des Lebens.
So kam sie noch einige Tage. Doch der Maler besann
sich seines Auftrags, den er beinahe vergessen hatte. Der Kaufherr kam, das
Bild zu betrachten, und auch ihn, der nichts von den heimlichen Wundern dieser
Schöpfung wußte, überwältigte die milde Form der Muttergüte und die schlichte
Weihe des ewigen Symboles in diesem Bilde. Begeistert drückte er seinem Freunde
die Hand, der alle Lobsprüche mit bescheidener und frommer Gebärde zurückwies,
als sei es nicht sein eigen Werk, vor dem er stand. Und sie beschlossen nicht
länger dem Altare seinen Schmuck vorzuenthalten.
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