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04.3
Geschichten
Stefan Zweig
aus
Die Liebe der Erika Ewald
Die
Wunder des Lebens
Seite 8
Am
folgenden Tage schon schmückte das Bild den andern
Altarflügel, der verwaist gewesen. Und seltsam war nun dieses fremde
Paar der
beiden Madonnen mit ihrer leichten Ähnlichkeit und so verschiedener
Gebärde.
Wie zwei Schwestern schienen sie, von denen die eine noch der Süße des
Lebens
sich vertrauend hingibt, während die andere schon die dunkle Frucht des
Schmerzes verkostet hat und die Schauer ferner Zeiten kennt. Aber über
beider
Haupt leuchtete ein gleicher Schein, als ob über ihnen Sterne der Liebe
glühen
würden, unter denen ihr Weg ein Leben lang ginge durch Freude und durch
Schmerzlichkeit. . . .
Und
auch in die Kirche
folgte Esther dem Bilde, als sei es ihr eigen Kind, das sie hier finde.
Langsam
verrauschte die Erinnerung in ihr, daß ihr das Wesen fremd war, und ein
Mutterglaube erwachte, der einen Traum zur Wahrheit werden ließ.
Stundenlang
lag sie hingestreckt vor dem Bilde, wie eine Gläubige vor des Heilands
Bild. Um
sie lebte ein andrer Glaube; die Glocken riefen mit ihren donnernden
Zungen zu
einer Andacht, die sie nicht kannte, Priester, deren Worte sie nicht
verstand,
sangen tiefe brausende Chöre, die wie dunkle Wellen die Kirche
durchrauschten
und aufflogen in die mystische Dämmerung, die wie eine duftende Wolke
hoch,
hoch über dem Gestühle hing. Und Frauen und Männer, deren Glauben sie
haßte,
waren rings um sie, und ihre murmelnden Gebete überraunten die leisen
Zärtlichkeiten, die sie zu ihrem Kinde sprach. Aber sie fühlte alles
nicht, ihr
Herz war zu verwirrt, um sich zu suchen und zu erspähen; sie gab sich
nur blind
an diesen einen Wunsch hin, tagtäglich ihr Kind zu sehen und dachte
nicht mehr
an die Welt. Die Stürme ihres reifenden Blutes hatten sich geklärt,
alle
Sehnsüchte waren verloren oder verströmt in diesen einzigen Gedanken,
der sie immer
und immer wieder hin zu dem Bilde trieb, wie ein magnetischer Zauber,
den keine
Kraft zu lösen vermag. Nie war sie so selig gewesen, wie in diesen
langen
Stunden in der Kirche, deren erhabene Feierlichkeit und geheime Wollust
sie
fühlte, ohne sie zu verstehen. Und ihr einziger Schmerz war, daß ab und
zu ein
Fremder vor dem Bilde kniete und gläubig aufblickte zu diesem Kinde,
das doch
nur ihr, ihr allein gehörte. Dann flackerte der alte unbändige
eifersüchtige
Trotz wild in ihr auf, eine Wut brannte in ihrer Seele, die sie zum
Schlagen
und zum Weinen treiben wollte; ihr Sinn verwirrte
sich mehr und mehr in solchen Augenblicken, sie wußte nicht mehr zu
scheiden
zwischen dieser Welt und der ihres Traumes. Und erst, wenn sie vor dem
Bilde
hingestreckt ruhte, kam wieder die große Stille in ihr Herz. –
So
war der Frühling mild und gütig gegangen, in dem
sich die Schöpfung vollendet hatte, und es schien, als wollte nun der
Sommer
nach all den Stürmen und Blüten ihr die große, feierliche Mutterstille
schenken. Die Nächte wurden warm und hell, aber das Fieber war
gewichen, und
sanfte zärtliche Träume neigten sich nieder auf Esthers Haupt. Nun
schien ihr
Leben geklärt zu sein, ein gleiches Wiegen zwischen gleichen Stunden im
Rhythmus friedlicher Leidenschaft, und alle Ziele, die im Dunkel sich
verloren,
wollte ihre hellen Wege deuten weit, weit in die Zukunft hinein.
Die
Sommertage brachten
endlich ihre leuchtendste Blüte, das Marienfest, Flanderns schönsten
Tag. Über
die goldenen Felder, die sonst emsige Arbeitsmühe erfüllt, schreiten
die langen
geschmückten Prozessionen mit wehenden Wimpeln und sich bauschenden
Fahnen. Wie
eine Sonne leuchtet die Monstranz über die Saaten, welche des Priesters
erhobene Hände segnen, und von betenden Stimmen ist so sanftes
Gebrause, daß
die Garben erzittern und sich demütig neigen und neigen. Hoch aber in
den
Lüften rufen die hellen Glocken unaufhörlich in die Ferne, und von
weitherüberleuchtenden Kirchentürmen antworten die freudigen
Freundesstimmen,
und ihr jubelndes Schwingen ist gewaltig, als ob die Erde selbst singen
würde
und die trotzigen Wälder und das rauschende Meer.
Und
dieser Glanz strömt aus dem blühenden Lande in die
Stadt und überspült die drohenden Mauern. Das trostlose Gelärme der
Handwerker
verstummt, die keuchenden Stimmen des Tagwerks schweigen; nur
Spielleute ziehen
mit Pfeife und Dudelsack von Gasse zu Gasse und in ihr fröhlich
Musizieren
jauchzen die hellsilbernen Stimmen der tanzenden Kinder. Die seidenen
Gewande,
die in den bergenden Spinden das ganze
Jahr verträumen
müssen, leuchten mit ihrem vergilbten Putz der Sonne entgegen;
feiertäglich
geschmückt einen sich plaudernde Gruppen zum Kirchgange. In dem Dome
aber,
dessen ladende Pforten mit blauen Weihrauchwellen und duftender Kühle
die
Frommen empfangen, blüht ein Frühling von gestreuten Blumen und üppigen
Guirlanden, die sorgsame Hände um Bilder und Altäre gebreitet. Tausende
von
Kerzen durchleuchten mit magischem Licht dieses duftende Dunkel voll
Orgelbrausen und Gesang, aus Tiefen und Höhen zittert geheimnisvolles
Leuchten
und mystische Dämmerung.
Und
dann scheint plötzlich diese fromme und fürchtige
Stimmung sich auf die Straßen zu ergießen. Ein Zug Andächtiger formt
sich, die
Priester heben das vielberühmte Marienbildnis des Hauptaltars, das
gleichsam
umrauscht ist von den Gerüchten vieler vollbrachter Wunder, auf
ihre
Schultern und eine feierliche Prozession beginnt. Und mit dem Bilde
tragen sie
gleichsam die Stille unter die lärmenden Gestalten der Straße, denn ein
Schweigen und Neigen geht durch die Menge. Und so zieht eine breite
Furche der
Andacht hinter dem Bildnis her, bis es wieder
zurückgelangt in die tiefe und kühle Kirche,
die es in ihr duftendes Grab aufnimmt.
In
diesem Jahre aber überschatteten trübe Wolken die
fromme Feier. Seit Wochen lastete ein dumpfer Druck über dem Lande,
dunkle und
unbestätigte Nachrichten mehrten sich, daß die alten Privilegien für
null und
nichtig erklärt werden sollten. Die Geusen und Protestanten begannen
sich zu
regen. Böse Gerüchte kamen aus dem Lande: von den protestantischen
Predigern,
die vor Tausenden auf freien Plätzen vor den Städten predigten und den
bewaffneten Bürgern das Abendmahl
reichten.
Spanische Soldaten waren überfallen worden, und beim Sange der Genfer
Psalmen
sollten Kirchen gestürmt worden sein. Noch war alles dies unverbürgt,
aber man
fühlte das heimliche Flackern eines werdenden Brandes, und der
bewaffnete
Widerstand, den die Besonnenen in ihren Stuben bei heimlicher Beratung
planten,
artete in jähen Trotz und Unbotmäßigkeit aus bei den vielen, die nichts
zu
verlieren hatten.
Der
Festtag hatte jene erste schmutzige Welle nach
Antwerpen gespült, jenen heillosen Pöbel, der nie geeint ist und sich
nur bei
Revolten plötzlich zusammenrottet. Finstere Gestalten, die niemand
kannte,
tauchten mit einem Male in den Schenken auf, fluchten und drohten wild
den
Spaniern und den Pfaffen. Aus den Winkeln und verrufenen Gäßchen quoll
seltsames tagscheues Volk mit trotzigem und gereiztem Gebaren. Die
Händel
mehrten sich. Ab und zu gab es kleine Zusammenstöße, aber sie griffen
nicht
über in die allgemeine Erregung, sondern erloschen wie einsam
aufzischende
Funken. Noch hielt der Prinz von Oranien strenge Zucht und überwachte
dieses
habgierige zanksüchtige und böswillige Gesindel, das nur um des
Gewinnes willen
mit den Protestanten gleiche Sache machte.
Die
große und prunkvolle Feierlichkeit der Prozession
reizte nur den Grimm der unterdrückten Instinkte. Zum ersten Mal
mischten sich
derbe Scherzworte in den Sang der Gläubigen, blinde Drohungen
flatterten auf
und höhnisches Lachen. Manche sangen den Text des Geusenliedes auf die
fromme
Melodie, ein junger Bursch ahmte zum Gaudium seiner Genossen mit
quäkender
Stimme den Prediger nach, andere grüßten das Bildnis mit
koketter
Hutschwenkung, wie eine geminnte Dame. Die Soldaten und die
wenigen Gläubigen, die sich zur Feier gewagt hatten, waren machtlos und
mußten
mit verbissenen Zähnen den Spott ertragen, der immer übermütiger wurde.
Und
immer ungebärdiger wurde das ungezügelte Volk, seitdem das Bewußtsein
seiner
trotzigen Kraft erwacht war. Fast alle schon gingen in Waffen. Und der
finstere
Wille, der sich jetzt nur in Flüchen und wuchtigen Drohungen Bahn
brach,
begehrte nach Taten. Wie eine Gewitterwolke lastete diese drohende
Unruhe am
festlichen Tage und an den folgenden über der Stadt.
Die
Frauen und die Besorgteren unter den Männern
hüteten seit den ärgerlichen und gefahrdrohenden Szenen bei der
Prozession das
Haus. Dem Pöbel und den Protestanten gehörte die Straße nunmehr allein.
Auch
Esther war daheim geblieben in den letzten Tagen. Aber sie wußte von
all diesen
Stürmen und Geschehnissen nichts. Sie merkte dumpf, daß sich mehr und
mehr in
der Schenke die Menschen drängten, daß sich kreischende Dirnenstimmen
in den
erregten Chor der streitenden und fluchenden Männer mischten, sie sah
rings
verstörte Frauengesichter und heimlich tuschelnde Gestalten, aber eine
dumpfe
Lässigkeit allen Dingen gegenüber erfüllte sie dermaßen, daß sie nicht
einmal
ihren Ziehvater darum fragte. Sie dachte nur mehr an das Kind, an jenes
Kind, das
längst in ihren Träumen das ihre geworden war; alle Erinnerung
verdämmerte in
diesem einen Bilde. Nicht mehr fremd schien ihr die Welt, sondern
wertlos, weil
sie ihr nichts zu geben hatte; in dem Kindesgedanken verlor sich ihre
liebende
Hingebung und das glühende Gottesbedürfnis ihrer Jahre. Nur die eine
Stunde, da
sie sich zu dem Bilde, das ihr Gott und Kind zugleich war, hinschlich,
atmete
sie wirkliches Leben, sonst war ihr Tun
und
Treiben nur das sehnsüchtige Irren einer Verträumten, die an den Dingen
wie
eine Mondsüchtige vorübergeht. Tag für Tag und einmal auch eine lange
und von
heißen Düften schwere Sommernacht, da sie verstohlen aus dem Hause
geflüchtet
war und sich in die Kirche hatte einschließen lassen, lag sie auf den
Knieen
vor diesem Bilde, das ihre unwissende Seele sich zum Gott gekrönt.
Und
diese Tage lasteten schwer auf ihr, denn sie
versperrten ihr den Weg zu ihrem Kinde. Während des Marienfestes
erfüllten
festliche Mengen die hohen Gänge und das orgelbrausende Kirchenschiff;
gekränkt
und demütig wie eine Bettlerin mußte sie sich aus dem Gewirre der
Frommen
wieder zum Ausgange wenden, denn Gläubige umstanden unablässig an
diesem Tage
die Marienbilder, und sie mußte fürchten erkannt zu werden. Traurig und
fast
verzweifelt ging sie zurück und fühlte all die schwere Sonnenhelle des
Tages nicht,
weil ihr der Anblick des Kindes versagt war. Neid und Zorn packte sie
beim
Anblicke der unablässig heranpilgernden Scharen, die in frommer
Wallfahrt durch
die hohe Pforte der Kathedrale in das blaue duftende Dunkel traten.
Und
trauriger wurde ihr noch der nächste Tag, da man
es ihr versagte, auf die mit gefährlichen Gestalten durchzogene Straße
zu gehn.
Ihre Stube, zu der der Lärm der Schenke aufbrauste wie ein dicker
häßlicher
Qualm, wurde ihr unerträglich. Ihrem verwirrten Herzen war ein Tag, da
sie das
Kind auf dem Bilde nicht sehen durfte, wie eine dunkle finstere Nacht
ohne
Schlaf und ohne Träume, eine Nacht nur mit Qual, Dunkel und Sehnsucht
angefüllt. Noch war sie nicht stark genug, eine Entbehrung zu tragen.
Spät
abends, als ihr Ziehvater in der Schenke mit seinen Gästen
saß, stieg sie ganz leise und behutsam die Treppen hinunter. Sie
tastete an die
Pforte und atmete auf: sie war offen. Leise und schon mit einem linden
Gefühle
lang entbehrter Lust schlüpfte sie durch die Türe und eilte der
Kathedrale zu.
Die
Straßen, die sie im Laufen durchmaß, waren dunkel
und voll dumpfen Gedröhnes. Allerorts hatten sich einzelne Scharen
zusammengerottet, und die Nachricht von der Abreise des Prinzen von
Oranien
hatte alle zügellosen Gewalten entfesselt. Die drohenden Worte, die
tagsüber
nur einzeln und unüberlegt aufgezuckt waren, klangen jetzt wie
Kommandorufe.
Dazwischen heulten die Trunkenen und sangen die Begeisterten die
Rebellionslieder, daß die Fenster dröhnten. Die Waffen wurden nicht
mehr
versteckt, Beile und Haken, Schwerter und Pflöcke blitzten im unruhigen
Fackelschein; wie eine gierige Flut, die nur noch minutenlang zögert,
alle
Dämme mit Schaum und Wogen zu überspringen, so ballten sich diese
finsteren
Massen zusammen, denen niemand zu wehren wagte.
Esther
hatte nicht acht auf diese ungebärdige Schar,
ob sie auch im Vorbeischlüpfen einmal einen rohen Arm zurückstoßen
mußte, der
nach ihrem hüllenden Kopftuche neugierig und begehrlich griff. Sie
fragte gar
nicht, warum solche Raserei plötzlich die Rotten erfüllte, deren
Treiben und
Rufen sie nicht verstand; nur Ekel und Angst überkam sie, und ihr
Schritt
beschleunigte sich mehr und mehr, bis sie endlich atemlos vor der
hohen, mit
weißen Mondschleiern überwebten Kathedrale stand, die tief in die
Schatten der
Häuser gebettet schlief.
Beruhigt
und mit einem leise erschauernden Beben trat
sie bei einer Seitenpforte ein. Es war ganz dunkel in den
hohen lichtlosen Gängen, nur um die
mattfarbigen
Scheiben zitterte ein mystisches mondsilbernes Licht. Menschenverlassen
war das
Gestühle. Kein Schatten schwankte in den weiten atemstillen Räumen, und
die
Heiligengestalten standen vor den Altären in schwarzem reglosen Erz.
Und wie
leise aufzuckendes Glühwurmblinken flackerte aus der Tiefe, die endlos
schien,
das schwankende Leuchten des ewigen Lichtes über den Kapellen. Alles
war heilig
und still in dieser unbewegten Ruhe, so daß sie, erfüllt von der
schweigsamen
Majestät des Raumes, ihre tappenden Schritte fürchtig dämpfte. Mühsam
tastete
sie sich so zum Seitengange durch und ließ sich erschauernd, mit einem
unendlichen und doch mystisch gedämpften Jubel vor dem Bilde nieder,
das in dem
fließenden Dunkel aus dichten und duftenden Wolken herabzublicken
schien,
unendlich nah und unendlich ferne. Und nun dachte sie nicht mehr. Es
war wie
immer: das ganze wirr-sehnsüchtige Fühlen ihrer werdenden Mädchenseele
zerspann
sich in phantastische süße Träume, die Inbrunst schien allen ihren
Fibern zu
entströmen und sich als berauschende Wolke ihrer Stirn zu umschmiegen.
Wie ein
süßes und sanft betäubendes Gift waren diese langen Stunden vereinter
unbewußter Gläubigkeit und unbewußter Liebessehnsucht, sie waren eine
dunkle
Quelle, die selige Hesperidenfrucht, die alles göttliche Leben erhält
und
nährt. Denn in diesen süßen, haltlosen und wollustdurchschauerten
Träumen war
alle Seligkeit. Einsam pochte ihr erregtes Herz in die große Stille der
leeren
Kirche. Vom Bilde kam ein ganz leichter, heller, gleichsam
silberdunstiger
Glanz, wie von einem tief innen strahlenden Lichte, aber sie erkannte
ihr Kind
in den ekstatischen Träumen, die sie von den frierenden kalten Stufen
emportrugen in eine milde warme Sphäre erträumten
Lichtes. Längst wußte sie nicht mehr, daß dies ein fremdes Kind gewesen
sei,
das sie nur gekannt. Sie träumte den Gott in ihm und den Gott einer
jeden Frau,
das eigene blutwarme Wesen ihres Leibes; dumpfe Gottessehnsucht,
sucherische
Ekstatik und werdende Muttersehnsucht spannen zusammen das
lügnerische Netz ihres Lebenstraumes. Für sie war nun Helle in dieser
lastenden
breiten Dunkelheit, ein zartes Tönen harfte auf in der schauernden
Stille, die
nichts wußte von Menschenwort und Uhrenschlag. Über ihren
hingestreckten Körper
ging die Zeit mit unhörbaren Schritten. . .
Ein
jäher Stoß erschütterte mit einem Male die Pforte.
Und ein zweiter und dritter, daß sie entsetzt auffuhr und in das
furchtbare
Dunkel starrte. Und neue donnernde Stöße, daß das ganze hohe stolze
Gebäude
erzitterte und die einsamen Lampen wie feurige Augen durch das Dunkel
rollten.
Wie hilfloses Schreien gellte das Feilen des gesprengten Türriegels
durch den
leeren Raum, dessen Wände sich die schaurigen Geräusche wirr und heftig
zuwarfen. Gieriger Zorn vieler Menschen hämmerte an der Pforte, und ein
Brausen
erregter Stimmen dröhnte in die hohle Einsamkeit, als hätte das Meer
donnernd
alle Dämme zerrissen und stände mit seinen anprallenden Wogen vor den
ächzenden
Türen des schlafenden Gotteshauses.
Esther
horchte verstört, wie aus einem Traume
geschreckt. Aber da schmetterte endlich das Tor nieder. Ein dunkler
Strom Menschen
quoll heftig herein und füllte mit jähem Johlen und Toben die gewaltige
Halle.
Und mehr, immer mehr. Tausende schienen draußen noch zu warten und sie
anzufeuern. Und trunkene Fackeln funkelten plötzlich hoch auf wie
gierige
Hände, und ihr irrer blutiger Schein fiel
auf
wilde, von blindem Eifer verzerrte Gesichter, aus denen die Augen heiß
quollen
wie sündige Begierden. Nun ahnte Esther erst dumpf die Absicht der
finsteren
Rotten, denen sie unterwegs begegnet war. Und schon knatterten die
ersten
Axtschläge nieder in das Holz der Kanzel, Bilder sausten zu
Boden,
Statuen knickten um, Flüche und Hohnworte wirbelten auf aus diesem
dunklen
Schwall, über dem die Fackeln unruhig tanzten, wie erschreckt von dem
wahnwitzigen Gebaren. Wirr ergoß sich die Flut gegen den Hauptaltar,
plündernd
und vernichtend, schändend und entweihend. Hostien flatterten zu Boden
nieder
wie weiße Blüten, eine ewige Lampe sauste von wilder Faust geschleudert
wie ein
Meteor durch das Dunkel. Und immer mehr Gestalten drängten nach, die
Fackeln
flackerten häufiger und häufiger. Ein Bild fing Feuer und die Flamme
leckte
hoch auf wie eine züngelnde Schlange. Irgend einer hatte die Orgel
gepackt; die
irren Töne ihrer zerschmetterten Pfeifen schrieen gell und hilfesuchend
durch
das Dunkel. Und Gestalten tauchten auf wie aus wirren und wahnsinnigen
Träumen.
Ein toller Geselle mit einem blutigen Gesicht schmierte sich unter dem
tierischen Jubel der andern die Stiefel mit dem heiligen Öle, zerlumpte
Schelme
stolzierten in reichbestickten Bischofstogen, eine
kreischende Dirne
trug in ihrem wirren schmutzigen Haar einer Statue goldenen
Heiligenreif. Diebe
tranken sich Wein zu aus den heiligen Gefäßen, und am großen Altar
kämpften
zwei mit blinkenden Messern um eine edelsteingeschmückte Monstranze.
Dirnen
tanzten geile und trunkene Tänze vor den Heiligtümern, Trunkene spieen
in die
Weihebecken, Zornige zerschmetterten mit ihren blinkenden Äxten,
gleichgültig,
was es traf, vor sich hin. Das Lärmen schwoll in ein Chaos polternder
Laute und kreischender Stimmen; wie ein
ekler und
dichter Pestdunst qualmte das Toben empor zu den schwarzen Höhen, die
finster
auf das springende Leuchten der Fackeln herabblickten und unbeweglich,
unerreichbar schienen für diesen verzweifelten Menschenhohn.
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