04.3
Kriminal-Roman
R. Kohlrausch
Das Geheimnis des Wassers
1933
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Das Geheimnis des Wassers
- Erstes Kapitel -
„Komm,
komm, Schatz,
laß uns noch einmal die Sache in Ruhe durchsprechen. Du bist ja doch
mein Liebstes
auf der Welt. Und ich wiederhole nur: Verdacht ist noch kein Beweis."
„Gewiß
nicht! Aber
mein Gefühl sagt m i r - "
„Gefühle
sind
wunderschön, - zwischen uns beiden zum Beispiel. Aber sie sind
gefährliche Ratgeber.
EinemVerbrechen gegenüber darf man sich nur an Tatsachen halten."
„War
meine Begegnung
im Garten denn keine Tatsache? Zuerst erschien sie mir ja selbst ganz
harmlos,
bevor ich wußte, was geschehen war. Aber hinterher, - mein Gott, ich
habe doch
das fortgeworfene Fläschchen ganz deutlich fallen hören."
,,Aber
nicht
gefunden."
,,Freilich
nicht! Aber
den Klang des fallenden Glases kann ich beschwören.“
„Einen
Ton kann man
bekanntlich nicht vor Gericht stellen. Also laß dich nicht fortreißen,
Erna,
durch dein Gefühl. Um deiner selbst willen muß ich dich warnen.“
Rechtsanwalt
Siemens
und seine Braut waren es, die so sprachen. Seine Stimme war bittend,
als er
wieder begann :
„In
der Hauptsache sind wir vollkommen einig, und ich
kann es nachfühlen, wie sehr dich die Verdächtigung einer Unschuldigen
aus dem
Gleichgewicht gebracht hat. Wir haben das alles ja wieder und wieder
nach jeder
Seite hin durchgesprochen und haben beschlossen, vorläufig noch zu
schweigen.
Schon darum, weil wir keinen zwingenden Schuldbeweis haben. Mir ist
nach allen
Umständen eine geheime Liebesaffäre das Wahrscheinlichste.“
„Wer aber soll denn schuld sein an dem Verbrechen?“
„Vielleicht
jemand, an den heute noch kein Mensch denkt.
Wäre dein Verdacht aber wirklich berechtigt, so lastete der Vorwurf
einer
großen Unvorsichtigkeit auf dir, Schatz, der Vorwurf, auch dort schon,
wo du
nur Verdacht hattest, ihn drohend und leidenschaftlich ausgesprochen zu
haben.“
„Du
hast recht, Liebster, ich bin selbst ärgerlich über
mich. Und ich kann zur Entschuldigung meiner Torheit nur anführen, daß
mein
Gefühl mich fortriß. Es galt ja nicht einmal so sehr dem Verbrechen an
sich; um
den Ermordeten mag das Gericht sich kümmern. Aber diese schändliche
Verleumdung
einer Unschuldigen —„
„Ich
kenne dich, Erna, und ich verstehe dich ganz. Du
hast gewarnt, wo du hättest sicher machen sollen, und glaube mir: wer
einen
Mord auf sein Gewissen lädt, scheut auch nicht vor einem zweiten
Verbrechen
zurück, um sich vor seinen Folgen zu schützen. Und noch dazu jetzt, in
heutiger
Zeit, ich bitte dich! Wie viele Menschen wissen denn gegenwärtig noch,
was gut
und böse, was recht und unrecht ist?“
„Wir
müssen es tragen. Ich halte mich fortab an unsere
Verabredung, aber das Geschehene kann ich nicht ändern. Ich habe mich
von
meinem Herzen treiben lassen, und es hat mich bisher immer sicher
geführt. Ich
muß das Rechte run, — das, was ich dafür halte wenigstens — ohne das
kann ich
nicht leben.“
,,Du
machst mir Angst und Freude zugleich, Erna. Dies
impulsive, warme Gefühl ist es ja gerade, was dir mein Herz gewonnen
hat. In
dieser Zeit ein so tapferes, gerades Wesen sein zu nennen, ist ein
hohes Glück.
Aber nun bewahre mir auch dieses schöne Glück. Sei vorsichtig und
achtsam,
schone dich und erhalte dich für uns beide. Versprich mir das, Erna!“
Sie
nickte nur stumm, und noch fester zog er sie zu sich
heran. Dann aber fiel sein Blick auf den Regulator an der Wand, und er
machte
sich eilig los . . .
„Mein
Gott, ich muß gehen! Es ist ja schon elf Uhr
vorüber. Ich muß aufs Gericht.“
„Schon?
— Ach, die Minuten fliegen, wenn du bei mir bist,
und sie schleichen auf Krücken, wenn ich dich nicht sehe.“
,,Wäre
es dir
lieber, wenn ich untätig wäre?“
,,Wann
sehen wir
uns wieder?“
,,Sobald
wie
möglich, du weißt es.“
,,Leb'
wohl, du
Lieber!“
Einen
Arm um seine
Schultern legend, ging sie neben ihm bis an die Tür. Im Gehen sagte
sie:
„Wenn
wir nur erst Nachricht
von Berta hätten! Drei Tage sind es doch beinahe schon, und sie hat
noch nicht
geschrieben.“
„Vielleicht
ist es besser
für sie, wenn sie noch schweigt. Goethe sagt, geschriebene Briefe
wären unsere
größten Feinde.“
„Das
Wort hat in diesem
Zusammenhang einen sehr ernsten Sinn. — Leb' wohl!“
Er
ging aus der Tür. Erna
horchte noch ein paar Sekunden lang auf seine verhallenden Schritte,
dann
wandte sie sich langsam in das Zimmer zurück. Sie setzte sich nicht
sondern begann
auf und ab zu gehen. Seine Mahnung zur Vorsicht kam ihr in den
Sinn und wirkte stärker als in seiner Anwesenheit. Ja, sie hätte
klüger handeln
können; sie hatte vielleicht eine gefährliche Feindschaft gegen sich
erzeugt. Aber nun wollte sie auf der Hut sein, seiner Bitte folgen und
sich
schonen für ihn, der ihres Lebens ganzer Inhalt war, der ihr alles
ersetzte, was
der Tod ihr genommen hatte; Vater und Mutter und ihn, den einzigen
Bruder, der
für sie so gut wie tot war. Die gewonnene Klarheit über die Richtung
ihres Tuns
hatte sie ruhiger werden lassen. Da wurde leise die Tür geöffnet, und
ihre getreue
Haushälterin kam herein, ihr einen Brief zu reichen.
Während
sie wieder
hinausging, warf Erna rasch einen Blick auf den Um-schlag des Briefes.
Er war
mit Schreibmaschine geschrieben, also vermutlich etwas Geschäftliches.
Gleichgültig hob sie nun ein blankes Falzbein vom Schreibtisch auf und
öffnete
langsam den Umschlag. Auch der Brief selbst zeigte Maschinenschrift;
aber
sobald Erna nur ein paar Worte gelesen hatte, trat angstvolle Spannung
auf ihre
Züge.
„Auch
das noch!“ sagte sie
leise, mit einem tiefen Seufzer vor sich hin. Dann las sie noch einmal:
Geliebte,
treue
Helferin!
Du wirst
erschrecken,
wenn ich Dir sage, daß ich für kurze Zeit wieder in Deiner Nähe bin.
Aber ich
muß Dich sehen und sprechen um jeden Preis. Ich habe für unser
Zusammensein
einen Ort ausersehen, wo wir sicher sind. Ich selbst hause dort für
diese
wenigen Tage bei Hildes früherer Jungfer, die, wie Du weißt, einen
leider sehr liederlichen
Müller namens Halsten geheiratet hat. In seiner dicht am Fluß in der
Auenstraße
Nr. 25 gelegenen, verfallenen Mühle bitte ich Dich,
mich morgen (Dienstag) abend um neun Uhr zu treffen. Es ist keine
schöne Gegend,
aber ich habe Dir eine sichere Führerin besorgt; ein altes Weib wird
auf Dich
an der Ecke der Gerberstraße warten; die Müllersleute selbst werden
fortgehen,
damit wir ungestört sprechen können. Sie glauben, es handelt sich um
ein
Stelldichein, Du kommst ihnen überhaupt nicht vor die Augen. Ich
beschwöre
Dich, komm! Du hast mir einmal schon
in großer Not
geholfen, Du wirst mir wieder helfen, ich vertraue darauf. Sage
niemandem, aber
auch niemandem! von diesem Brief und komm.
In treuer Liebe
Dein Bruder Ali.
So
klang es und bat es vom
toten Papier herauf in ihr warmes, lebendiges Herz. Und eins fühlte sie
dabei
gleich mit voller Sicherheit: sie würde diesem flüchtig durch sein
Vaterland irrenden Bruder helfen, wenn es irgend
möglich war, wie sie das früher schon getan
hatte. Sie konnte nicht vergessen, was er ihr in
den Tagen der Kindheit gewesen war. Sie glaubte
nicht an das Verbrechen,
dessen man ihn beschuldigte, an seine Mitwirkung bei der politischen
Mordaffäre.
Unglückliche
Zufälle nur hatten dahin führen können, daß man ihn für schuldig hielt.
Ein
hartes Urteil, der Tod vielleicht wartete seiner, wenn man ihn ergriff.
Nein,
sie mußte helfen, wenn zu helfen war.
Aber
neben diesem
Gefühl standen Sorge, Not und Angst als häßliche Genossen. War er auch
sicher
in der wüsten Behausung dieses Müllers, von dem er selbst sagte, daß er
liederlich und heruntergekommen sei? Nur einmal vor Jahren war sie bei
der
früheren Jungfer ihrer Kusine dort in der außer Betrieb gesetzten Mühle
gewesen, die mit ihren finsteren Räumen halb in den großen Fluß
hineingebaut war,
sodaß man sein Wasser durch die Spalten im Fußboden sehen, sein
drohendes
Rauschen in jedem Winkel der alten Baracke vernehmen konnte.
Sie
mußte gehen,
gewiß. Aber daß es gerade dieses düstere Bauwerk war, wohin sie gehen
sollte,
das ließ trotz ihres natürlichen Mutes einen frostigen Schauder über
ihren
Körper gleiten. Wenn sie nur jemanden hätte befragen können! Ihr Herz
wies nach Siemens und seinem ruhigen, stets das Rechte treffenden
Urteil. Er
wußte von diesem Bruder und der Gefahr, in der er beständig schwebte;
durfte
sie da nicht auch jetzt seinen Beistand erbitten? Aber mit immer
stärkerem
Nachdruck tönten als Antwort auf ihre Frage die Worte des Briefes in
ihr Ohr:
Sage niemandem, aber auch niemandem von diesem Brief! Nein, sie mußte
dem
dringenden Gebote gehorchen, mußte schweigend handeln auf eigene
Gefahr.
Um
sich von ihren
ängstlichen Gedanken möglichst abzulenken, begann Erna schon zeitig die
Vorbereitung für ihren abendlichen Gang. Vor allem suchte sie zusammen,
was an
Geld im Hause war, und packte es zusammen in ein kleines Paket, um es
auf ihrer
Brust unter Kleid und Mantel zu verbergen.
In
wachsendem
Bangen verging ihr der Tag. Fröstelnd fuhr Erna mitunter zusammen, aber
es war
mehr die wachsende Aufregung als Kälte, was ihr in dem wohldurchwärmten
Zimmer
solchen Schauder in den Adern weckte. Stärker und stärker wurde bei dem
untätigen Warten die Sehnsucht nach ihrem Verlobten und einem guten,
klugen
Worte von ihm. Zuletzt — es war schon sieben Uhr — ertrug sie es nicht
mehr und
beschloß, dem Brief und seiner Mahnung zum Trotze doch noch Siemens
aufzusuchen
und ihn um seinen Rat, vielleicht auch um seine Begleitung zu der
düsteren
Mühle zu bitten.
In
dem Gefühl,
doch nichts genießen zu können, hatte sie der Haushälterin schon vorher
gesagt,
sie sei zum Abendbrot eingeladen, und hatte sie für einen um sieben Uhr
beginnenden Advetistenvortrag beurlaubt, an dem, wie sie wußte, die
religiöse
Seele der alten Dienerin hing. —
Das
Haus, in dem
ihr Verlobter seine Wohnung hatte, lag im älteren Teile der Stadt
in einer hohen, stark bevölkerten Mietskaserne, die Siemens an
sich niemals
angelockt haben würde; doch für seine Praxis war diese Gegend günstig.
Erna
schaute von weitem
schon zu dem zweiten Stockwerk des Hauses hinauf, um zu sehen, ob nicht
ein
freundlicher Lichtschein aus den Fenstern des Geliebten sie grüßte;
doch sie
sah dort in der graugelben Wand nur schwarze Fenstervierecke.
Trotzdem ging sie die beiden Treppen hinauf, und klingelte an der von
keinem
dienstbaren Geiste bewachten Jungesellenwohnung; tiefe Stille nur gab
ihr da
drinnen Antwort. Eine kleine Weile wartete sie, läutete noch einmal und
wartete
wieder, um sich dann mit einem Seufzer loszureißen und langsam die
Treppe
hinunterzugehen. Es war vergebens, ihr Verlobter
war fort, sie mußte seinen Schutz und Rat entbehren. Mit fatalistischem
Gefühl
aber murmelte sie: ,, Wenn es nicht sein soll, ist es vielleicht besser
so.“
Der
Mißerfolg hatte sie
merkwürdigerweise mehr beruhigt als enttäuscht. ,,Es ist wohl besser
so“ sagte
sie noch ein paarmal vor sich hin.
Das
Wetter war womöglich
noch unfreundlicher geworden, und auf dem Wege zum Flusse hatte Erna
gerade
gegen den beinahe schwülen Wind anzukämpfen, der sie erbarmungslos
traf.
Die
Hand auf das an ihrer
Brust verborgene Geld gepreßt, ging sie rasch ihren einsamen Weg. Er
wurde das
mehr und mehr, je weiter sie kam. In den belebteren Straßen war ihr
noch ab und
zu ein Mensch begegnet, aber Menschen und Lichter wurden
seltener, je mehr sie sich der Mühle näherte. Der abschüssige, mit
einem
glatten Schlamm überzogene Boden zeigte, daß der Fluß jetzt nicht mehr
fern
war.
Aus
den rotverhangenen
Fenstern baufälliger Schifferkneipen drang trun-kener Gesang und ließ
Erna die
Schritte noch mehr beschleunigen.
Mühsam
entzifferte sie die
Namen der Straßen, durch die sie ging; bis sie die Gerberstraße fand.
Vergeblich
schaute Erna an
der Straßenecke nach der ihr verheißenen Führerin um. Alles war leer
und stumm;
nur das Heulen des Windes und mitunter ein abgerissener Laut aus einer
der
Kneipen unterbrachen die lastende Stille. Rasch ging Erna die Straße
hinunter; sie
war nicht lang; unten am Ende wurde sie von einer anderen gekreuzt.
Beide waren
sehr matt von ein paar
vereinzelten Lampen beleuchtet, aber soviel war für Erna doch
erkennbar, daß
auch an der anderen Ecke keine Frauengestalt auf sie wartete. Zögernd,
mit
verlangsamten Schritten ging sie trotzdem bis dorthin, aber sie war im
stillen
schon entschlossen, umzukehren und von dem abenteuerlichen Unternehmen
abzulassen,
wenn die versprochene Führerin nicht käme.
So
war sie zur unteren
Straßenecke gelangt und schaute nun stehenbleibend nach beiden Seiten
aus.
Plötzlich erklang nahe hinter der Umherspähenden ein rasches,
taktmäßiges
Aufstoßen wie von einem Stocke, zugleich der Ton eilig schlürfender
Füße.
Sich umwendend, sah sich Erna der tief gebückten, auf einen schweren
Stock sich
stützenden Gestalt eines alten Weibes gegenüber, das wohl aus
einem der Hauseingänge gekommen
sein mußte. Doch blieb ihr keine Zeit, sie genauer zu betrachten; denn
sie fühlte
sich unvermutet mit wütender Heftigkeit am Arme gepackt, und in
zischender
Bosheit kam es von den Lippen des Weibes: ,,Hab ich dich!"
Erna
versuchte,
sich von der umklammernden Hand freizumachen, und rief mit angstvoller
Stimme: ,,Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“ Und
merkwürdig — als ob eine
besänftigende Kraft in ihrer Stimme läge, so löste sich plötzlich der
Griff der
Alten, sie sank tiefer in sich zusammen und stützte sich fester auf
ihren Stock.
Zugleich verwandelte sich nun der Ton ihrer Worte, wurde
bittend und weinerlich.
,,Oh,
seien Sie mir
nicht böse, Fräuleinchen. Das war ja nur ein dummer Irrtum. Ich hatte
Sie nicht
ordentlich gesehen, da hielt ich Sie für meine Enkelin. Das ist ein
liederliches Frauenzimmer, das abends auf den Straßen umherstreift und
ihrer alten Großmutter nur Kummer macht. Eine Verwechslung war es,
nichts als
eine Verwechslung. Also nicht böse sein, Fräuleinchen!“
,,Ich
habe nichts
mit Ihrer Enkelin zu tun. Wenn Sie mir also nichts weiter zu sagen h a
b e n — „
„Doch,
doch! Ich
wüßte wohl noch etwas für Sie: wenigstens wenn Sie die Dame sind, — ich
soll eine
Dame hier treffen und sie führen, wohin sie gern gehen möchte. Du
lieber Gott, ich
war auch einmal jung und weiß, wie gut es tut, einen
lieben Menschen so still und im Verborgenen zu treffen. Er wartet schon
—„
,.Sagen
Sie mir,
wohin Sie mich führen sollen, dann weiß ich, ob ich mich Ihnen
anvertrauen kann.“
„Freilich
können
Sie das, natürlich können Sie das. In die Mühle soll ich sie ja führen,
hier in
der Auenstraße, — oh, Sie werden
schon wissen.“
,,Ich
weiß
allerdings. Und wenn Sie wirklich die mir geschickte Führerin sind, so
kommen Sie
schnell.“
,,Freilich“
Er
wartet ja schon, der Herr.“
Ohne
weiter zu sprechen,
schlug Erna die Richtung ein, die der Stock der Alten ihr wies, und
ging neben
ihr so rasch vorwärts, wie der Wind es ge-stattete. Die Straße, die sie
verfolgten, lief parallel nahe dem Flusse dahin; die Wasserseite war
nur zum
Teil bebaut; schiefe Baracken wechselten hier mit Holzlagerplätzen und
Werkstätten.
„Da
wären wir,
Fräuleinchen,“ sagte die Alte endlich mit leiser Stimme, während sie
rechts auf
ein Bauwerk deutete, das ebenso dunkel und ebenso verfallen wie die
vorhergehenden dastand.
Erna
blieb einen
Augenblick zögernd stehen.
„Das
Haus ist ganz
dunkel. Wenn ich erwartet werde, warum brennt kein Licht?“
„Da
brennt schon Licht,“ begütigte das Weib „man
kann es nur von hier aus nicht sehen.“
Gleichzeitig
öffnete sie die Tür, und nun drang wirklich ein matter Lichtschein aus
dem Innern
hervor, der Erna Mut machte, das unheimliche Bauwerk zu
betreten. Die Tür wurde von der Alten gleich hinter ihr wieder
geschlossen. Das
matte Licht einer kleinen Petroleumlampe beleuchtete den Raum, in dem
sie sich
befanden, und während Erna sich darin umschaute, sah sie, daß es der
gleiche
war, in dem sie vor Jahren einmal gewesen war. Und eine Bestätigung
dafür gab
ihr das laute Rauschen des Flusses, der unter den morschen Planken des
Bodens
dahinschoß.
Von
einem Grausen
geschüttelt, sagte sie mit krampfhafter Stimme: „Hier ist niemand.
Ich sollte ja doch erwartet werden.“
„Gewiß,
gewiß,
Geduld! Sehen Sie das Licht nicht in der Tür da gegenüber? Dort ist
er.“
Sie
zeigte mit
ihrem Stock auf eine schmale Tür gegenüber vom Eingang, in der ein
kleines
Oberlicht wirklich einen Lichtschein erkennen ließ.
„Dort
hinein soll
ich gehen?“
„Freilich,
freilich! Lassen Sie den Herrn doch nicht warten. Nur immer geradeaus!“
Ein
Zaudern von
einer Sekunde noch, dann ging Erna dem winkenden Lichtschein in der Tür
mit
raschem Schritt entgegen. Plötzlich aber klang ein furchtbarer Schrei
durch den
Raum. Ein Krachen von Holz, ein dumpfes Aufrauschen des Wasser ertönte
als
häßliches Echo, — der Platz, auf dem Erna zuletzt gestanden hatte, war
leer.
Aber an seiner Stelle hatte sich ein schwarzes, viereckiges Loch im
Fußboden
aufgetan, und lauter noch als zuvor drang die grausame Stimme des
Flusses aus
der Tiefe. Nahe an diese Öffnung trat nun das alte Weib heran, schaute
gespannt
hinab und murmelte befriedigt:
,,Gut, gut ist's gegangen, — so war es recht!“
Bei
diesen Worten hob
sich ihre Figur plötzlich aus der gebückten Haltung empor und straffte
sich zu
jugendlicher Höhe. Sie warf den Stock von sich und holte einen
Bootshaken herbei.
Dann kniete sie nieder neben dem schwarzen Viereck im Boden, beugte
sich hinab und
fügte den Eisenhaken in einen Ring an der dort niederhängenden Falltür,
die sie
damit in die Höhe zog. Dann
schob sie zwei schwere Riegel wieder vor, und nun lag der Boden wieder
fest und
geschlossen da. Sie prüfte zuerst noch vorsichtig mit einem Fuße, dann
mit
ihrem ganzen Körpergewicht den Verschluß und nickte befriedigt. Dann
trug das
plötzlich verjüngte Weib den Bootshaken in seinen Winkel zurück,
löschte das Licht
in dem völlig leeren Zimmer nebenan, dann auch die kleine Lampe im
vorderen Raum.
Im Dunkeln tappte sie sich zur Tür, öffnete, trat hinaus und schloß
hinter sich
gleich wieder ab.
Wohl
eine Stunde lang
war in dem düsteren Raume nichts lebendig. Dann wurde die T ü r wieder
aufgeschlossen, der Schritt von vier Füßen erklang auf dem Boden, ein
Mann machte
Licht und sagte zu der mit ihm eingetretenen, den Regen von ihren
Kleidern schüttelnden
Frau: ,,Na, sie scheinen ja fort zu sein. Einen Besuch, der so gutes
Geld
einbringt, kann man sich schon gefallen lassen. Wir haben wenigstens
einen
vergnügten Abend gehabt — hoffentlich haben sie
sich auch gut amüsiert.“
oben
weiter
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