04.3
Kriminal-Roman
R. Kohlrausch
Das Geheimnis des Wassers
1933
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Das Geheimnis des Wassers
- Fünftes Kapitel -
Frau
van Bergs
Gestalt in ihrer anmutigen Trauerkleidung stach stark ab von dem
hellen, in
gelben Seidentapeten leuchtenden Salon, in dem sie wartend auf und
nieder ging.
Auch das blinkende Teegeschirr, das auf einem Tischchen allerlei
kostbares
Gebäck umgab, sprach nicht von unstillbarer Trauer der Witwe. Trotzdem
lag eine
Trübung auf ihren Zügen. Aber es war mehr Zorn als Leid, was ihr die
Stirn
krauste.
Der
Mißmut in
ihren Augen schien jetzt ein Ziel gefunden zu haben. Sie war an einen
zierlichen Damenschreibtisch herangetreten, der allerlei Bilder und
Nippsachen
trug. Die junge Frau griff nach einer dort aufgestellten Photo-graphie
des
Malers Grothof. Auf dieses Bild schaute sie lange, während ihr Atem
rascher ging.
Dann sagte sie leise mit einem Ausdruck zornigen Verlangens: „Ich will
dich
wiederhaben!“
Die
Falten auf
ihrer Stirn aber glätteten sich, als der Diener den Rechtsanwalt
Siemens
meldete.
Sie
reichte dem
Eintretenden mit liebenswürdigem Lächeln die Hand. Er beugte sich
darüber und
küßte sie. „Gnädige Frau haben eine Lebensbotschaft von mir gewünscht.
Hier ist
junges Leben.“ Damit gab er ihr einen leuchtenden Strauß von Veilchen
und
Schneeglöckchen, der einen Hauch von frischem Frühling um sie
verbreitete.
„Wie
reizend, —
vielen Dank!“ Sie hob den Strauß empor und atmete tief den Duft. „Ach,
der
Mensch müßte jedes Jahr eine neue Jugend haben wie die Natur.“
„Wie
kann Ihnen
ein solcher Wunsch kommen, gnädige Frau? Wer so das Bild schönster
Jugend ist
wie Sie, so ganz unberührt im Äußeren auch von den traurigen Dingen der
letzten
Zeit; — auf dem Friedhof gestern, da waren Sie freilich bleich, aber
heute —“
„Sprechen
Sie
nicht vom Friedhof und von all dem Gräßlichen. Ich will damit fertig
sein.
Jetzt soll Neues kommen, Neues und Schönes.“
Er
sah sie
nachdenklich und prüfend an, während sie den vom Diener gebrachten Tee
eingoß. „Und
Sie waren ein paar Jahre lang die Gattin eines kranken Mannes!“
„Ja,
das war
ich! — Wollen Sie damit sagen: Sie müssen schwer gelitten haben, dann
haben Sie
recht. Zur Krankenschwester bin ich nicht gemacht. Aber ich habe meinen
Mann
treu gepflegt, — er war ja doch einmal der, dem ich mich verkauft hatte
—“
„Gnädige
Frau!“
„Jawohl,
ich
will aufrichtig sein. Tausende von jungen Mädchen verkaufen sich an
einen Mann
und leugnen es; ich aber habe den Mut, es auszusprechen. Glauben Sie,
daß ich
diesen Menschen hätte lieben können? — Ich wollte frei sein, und er
machte mich
frei. Ich sollte die tugendhafte höhere Tochter sein und bleiben. Aber
das
paßte mir nicht. Er kam, und ich nahm ihn.“
„Und
sind jetzt
nach seinem Tode doppelt frei.“
„Jawohl,
das
bin ich.“
Ein
forschender
Blick war zu ihr hinübergeflogen, bevor er sprach: „Und — für wen?“
„Für
den, der
mich zu gewinnen versteht.“
„Ich
wüßte
gern, wie man das macht.“
„Er
müßte mir vor
allen Dingen meine Freiheit lassen und dann mich an-beten, mich
verwöhnen. —
Mein Mann hätte mich am liebsten mit einer goldenen Kette festschmieden
lassen.
Vorlesen, für ihn arbeiten, — jawohl, ich habe für ihn arbeiten müssen.
Ich
mußte Tippfräulein spielen. Sehen Sie hin, dort am Fenster steht mein
Marterinstrument.“
„Dort?
Ich sehe
nur einen schönen Goldbrokatstoff.“
„Das
ist nur,
damit mir das gräßliche Ding von Schreibmaschine mit seiner
Stillosigkeit nicht
meinen Salon verdirbt. Ich habe mich hierher geflüchtet, um nicht immer
im
Krankenzimmer sitzen zu müssen. Mein Mann brauchte mir nur kurze
Notizen zu
geben, ich faßte schnell auf und schrieb dann hier die Briefe.“
„Also
Talent
und Geist ebenbürtig der Schönheit.“
Sie
lachte
leicht auf: „Das Kompliment war ein wenig fade.“
„Es
tut mir
leid, — ich bin sehr ungeschickt.“
„Geben
Sie sich
nur bei mir in die Lehre. Dann will ich Sie schon dressieren. — Sagen
Sie mir
eins: haben Sie zuweilen an mich gedacht?“
Jetzt
hefteten
sich seine Blicke fast gewaltsam auf sie. Dabei war in seinen Augen ein
Glanz,
der sie leicht erschauern ließ. Zugleich legte seine Hand sich auf
ihren Arm. „Sie
fragen, ob ich an Sie gedacht habe? Glauben Sie mir, ich habe
keinen anderen Gedanken mehr. Sehen Sie, das haben Sie aus mir
gemacht.“
„Mein
Gott, Sie
tun mir ja weh!“
Langsam
löste
Siemens den Griff seiner Hand: „Verzeihen Sie, — lieben Sie die
Leidenschaft nicht?“
„Ob
ich sie
liebe! Sie macht ja das Leben allein lebenswert. Nur braucht sie nicht
wehe zu
tun. Beglücken soll sie mich, berauschen.“
Sie
lehnte den
Kopf zurück mit halbgeschlossenen Augen. Aber dann grub sich wieder
eine Falte
in ihre Stirn, und in den weit geöffneten Augen war ein gefährliches
Leuchten. „Lieben
will ich, geliebt werden will ich!“ rief sie leidenschaftlich.
Leise
faßte
Siemens ihre Hand, und nun war er es, dessen Arm sie mit ihren Fingern
umklammerte. „Kommen Sie her, sehen Sie mich an; bin ich nicht schön?“
Gedämpft
erklang in diesem Augenblick ein Klopfen an der Tür. Dann meldete der
Diener, daß
eine Frau draußen sei, die dringend bitte, Frau van Berg in einer
eiligen Sache
sprechen zu dürfen.
„Kennen
Sie die
Frau?“
Der
Diener
verneinte; sie scheine nach ihrer Kleidung aus dem Volke zu sein.
„Es
wird eine Bettlerin
sein, aber warum soll ich ihr nicht etwas geben? Bitte, warten Sie hier
auf
mich.“
Siemens
verbeugte sich; und sie ging hinaus.
Langsam
stand
Siemens auf und blieb einen Augenblick in tiefem Sinnen stehen. Dann
aber nahm
er plötzlich aus seinem Taschenbuch ein Blatt Papier, das einen
merkwürdigen
Anblick bot. Es war zerknittert, mit ausgelaufener Schrift, als wenn es
aus
einem Kehrichthaufen hervorgesucht worden wäre. Das Blatt glättend,
trat
Siemens ans Fenster, wo die Schreibmaschine stand, von der Frau van
Berg ihm
gesprochen hatte. Vorsichtig nahm er dann den leuchtenden Brokatstoff
auf, hob
den Deckel
von
der Maschine
und spannte schnell eins von den daneben liegenden Blättern ein. Und
nun war in
wenigen Minuten des beschmutzten Papiers Inhalt kopiert.
Beides barg Siemens in seinem Taschenbuch, brachte die Maschine wieder
in
Ordnung und ging zum Tisch zurück.
Jetzt
kam auch
Frau van Berg wieder herein. „Es war natürlich eine Bettlerin,“ sagte
sie „scheinbar
aber wirklich ein trauriger Fall. Gut, wenn man helfen
kann!“ Sich rasch zu Siemens wendend, fügte sie hinzu: „Sie wollen doch
nicht
schon gehen?“
„Zu
meinem
großen Bedauern muß ich es. Mich erwartet eine wichtige Sitzung.“
Ein
ärgerlicher
Blick flog zu ihm hinüber. Aber sie beherrschte sich. „Wenn Sie müssen.
Ich
hoffe jedenfalls, bald wieder die Freude zu haben.“
„Sobald
wie
möglich. Es wird mich hertreiben. — Auf Wiedersehen!“
„Auf
Wiedersehen!“
Er
ging hinaus,
und sie blieb allein. Der Ausdruck von Ärger und Mißtrauen trat jetzt
noch stärker
auf ihrem Gesichte hervor. Langsam ging sie auf dem dicken Teppich hin
und her,
bis ihr Blick auf die Brokatdecke fiel. Sie beugte sich scharf
beobachtend
über den schimmernden Stoff und sagte dann leise vor sich hin: „Die
Decke hat
vorher anders gelegen.“ . . . .
* *
*
In
ihrem
kleinen Zimmer neben der Küche saß Fräulein Spillerberg, die frühere
Haushälterin Erna Herterichs, ganz allein in der ihrer Obhut vorläufig
noch
anvertrauten Wohnung. Sie fuhr erschreckt zusammen, als die Klingel
ertönte.
Beim
öffnen der
Korridortür stand der Maler Grothof ihr gegenüber. Sie wußte nicht
gleich, wer
er war, doch sein Gesicht kam ihr bekannt vor, und als er sie mit
Nennung
seines Namens daran erinnerte, daß er vor einiger Zeit ihrer Herrin
einen
Besuch gemacht habe, wußte sie Bescheid.
„Sie
kommen in
eine leere Wohnung, Herr Grothof. Ich bin hier ganz allein.“
„Ich
weiß. Aber
Ihretwegen gerade bin ich gekommen. Kann ich Sie einen Augenblick
sprechen?“
„Bitte!“
„Würden
Sie die
Freundlichkeit haben, mir ein paar Fragen zu beantworten?“ fragte der
Maler.
„Wenn
ich kann.“
„Sie
können es
gewiß. Also zunächst: wer war die Frau, die gestern abend mit Herrn
Siemens hier
war?“
„Hier?
Eine
Frau? Gestern abend?“
„Ja;
haben Sie
nichts von den beiden gesehen?„
Sie
schüttelte
den Kopf. „Nein!“ sagte sie dann überlegend. „Aber möglicherweise kann
der Herr
Doktor doch hier gewesen sein, er hat einen Schlüssel zur Wohnung. Ich
selbst
war gestern abend fort.“
„Sie
wissen,
daß Fräulein Haverland, meine geliebte Braut, verschwunden ist. Nun ist
sie doch
häufig hier ins Haus gekommen, — können Sie mir nicht irgendeinen
Fingerzeig
geben, was aus meiner Braut geworden ist?“
„Ich,
— nein, wie
sollte das möglich sein? Ich habe ja doch nichts mehr von ihr gesehen,
seit sie
hierherkam an dem schrecklichen Abend, — o, mein Gott, —“ sie legte
voll
Schrecken die Hand auf ihren Mund — „ich hätte das ja nicht sagen
dürfen. Mein Gott,
ich habe das nicht einmal der Polizei gesagt, weil Fräulein Herterich
es mir
verboten hatte.“
„Machen
Sie sich
keine Sorge, ich werde Sie nicht verraten. Und mit mir ist es doch auch
etwas ganz
anderes. Ich stehe hier vor Ihnen mit einem nach Hoffnung suchenden
Herzen. Mir
können und müssen Sie sagen, was Ihnen über meine Braut bekannt ist.“
Fräulein
Spillerbergs
Gewissen wehrte sich noch. „Ach, ich soll es nicht sagen.“
„Doch,
jetzt müssen
Sie sprechen. Sie sagten vorhin, meine Braut wäre zuletzt hier gewesen
an dem
schrecklichen Abend. — Meinen Sie den Abend, an dem der Mord geschah?“
„Ja,
den habe
ich gemeint. Ich glaube, sie muß direkt nach ihrer Flucht aus der Villa
hierhergelaufen sein zu Fräulein Herterich. Sie war furchtbar
aufgeregt, als
ich ihr die Tür aufmachte, hat aber weiter nichts mit mir gesprochen,
sondern
ist gleich hinein zu dem gnädigen Fräulein.“
„Was
haben sie
mit einander geredet? Wissen Sie das nicht?“
„O,
nein! Mit
bestem Willen kann ich nichts weiter sagen. Ich habe Fräulein Haverland
auch nicht
wiedergesehen, weil mein Fräulein sie hinterher selbst hinausbegleitet
hat.“
„Und
hat Fräulein
Herterich später nichts über diesen Besuch gesagt?“
„Sie
hat mir
versichert, ihre Freundin wäre nicht schuldig an dem Verbrechen, und
hat mir streng
verboten, über ihr Hiersein zu sprechen. Ach, und nun ist mir das heute
doch
passiert.“
„Lassen
Sie es
gut sein. Sagen Sie mir noch eins: haben Sie hier in der Wohnung nichts
von dem
Bündel gesehen, das die Frau gestern abend fortgetragen hat?“
„Ich
habe kein
Bündel gesehen; ich weiß von keinem Bündel.“ —
Grothof
erkannte, daß er bei Fräulein Spillerberg erreicht hatte, was möglich
war, und nahm
daher mit beruhigenden Worten von ihr Abschied. —
Dann
hatte er
das Bedürfnis, in der Stille zu überdenken, was er gehört hatte. So
schlug er unwillkürlich
die Richtung nach dem Flusse hin ein, aber nicht nach jener Seite, wo
das
lärmende Hafenleben tobte, sondern dem Wasserlauf entgegen, wo ein
gerader Weg
aus der Stadt hinausführte. Kaum ein Mensch war zu sehen, der Fluß
allein
leistete dem Grübelnden Gesellschaft.
Wirre
Gedanken
tobten in seinem Hirn. Daß er in Siemens einen Schuldigen zu sehen
hatte, davon
war Grothof überzeugt. Worin aber sein Verbrechen bestand, ob es an des
Malers
Braut oder an der eigenen — zum erstenmal kam ihm auch diese
Möglichkeit
aufregend in den Sinn — begangen worden, war noch ungewiß. Aber immer
leidenschaftlicher, immer gewaltsamer wuchs in ihm
das Verlangen, Licht in dieses Dunkel zu bringen.
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weiter
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