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Literatur


04.3


Kriminal-Roman
R. Kohlrausch

Das Geheimnis des Wassers
1933

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Das Geheimnis des Wassers

- Sechstes Kapitel -


Ein Knistern von Papier klang in der Morgenfrühe durch Grothofs Atelier und verkündete das Beben unsicherer Hände. Sie hielten einen Brief, — das erste Lebenszeichen seiner Braut seit ihrem Verschwinden! Mit Jubel, Unruhe, Sorge zu gleicher Zeit las der Maler immer wieder die wenigen, flüchtig hingeworfenen Zeilen. Ein Datum fehlte, doch zeigte der Stempel des Umschlags, daß der Brief am Tage vorher aufgegeben worden war.
 
          Mein Freund! —

Ich will nicht von hier fortgehen ohne ein Lebewohl. Es ist ein Lebewohl für immer. Ich habe Dir oft schon sagen müssen, daß ich Dir niemals angehören kann; jetzt lastet auch noch die falsche Beschuldigung eines abscheulichen Verbrechens auf mir. Nun ist es aus! Ich wäre schon weit fort, aber ich bin wider Willen bis jetzt hier festgehalten worden.

Hab Dank für Deine Liebe, sei glücklich!
                                                         B. H.

Das jubelnde Freudegefühl Grothofs über diese Botschaft, mochte sie noch so spät gekommen sein, übertönte zunächst alles andere. Berta hatte seiner gedacht auf ihrer Flucht, und eine Versicherung ihrer Unschuld war die Bestätigung seines Gefühls. Aber daneben stand diese Weigerung, ihm jemals anzugehören. Darüber hinaus aber noch der Hinweis auf einen geheimen Zwang, der auf sie wirkte, der sie bis jetzt hier festgehalten hatte wider ihren Willen. Wer übte solche Gewalt über sie? Das konnte nur einer sein, immer derselbe: Siemens. Und wenn er wirklich Berta jetzt weit aus der Stadt fortgeschafft hatte, — das wenigstens wollte Grothof erfahren, wo sie bisher verborgen gehalten war.

Er machte sich sogleich fertig zum Ausgehen; ein Plan war bereits während schlafloser Stunden der Nacht in ihm gereift. Um ihn zu verwirklichen, schlug er heute wieder den Weg in die häßliche Hafengegend ein. Er ging zunächst an dem sauberen und netten Häuschen vorüber, in dem er die Bewohnerin mit Siemens beobachtet hatte, dann zu dem Lagerplatze hinüber, wo noch der zusammengestürzte Holzhaufen von seinem nächtlichen Abenteuer sprach. Ein alter Mann erweckte Grothofs Vertrauen.

Der Maler trat an ihn heran: „Entschuldigen Sie, wissen Sie vielleicht gut Bescheid unter den Bewohnern dieser Straße?“

Die Falten in dem alten Gesicht vertieften sich und machten es heiter und jünger. „Ja, wenn man so seine zwanzig Jahre da umherhantiert, soll man wohl allerlei Volks kennen.“

„Ich frage nur wegen der Frau, die hier schräg gegenüber in dem kleinen Hause wohnt.“

„Ach, die Pregern meinen Sie?“

„Die Frau Preger, jawohl! Könnten Sie mir wohl sagen, ob sie zuverlässig und ordentlich ist? Man hat sie mir in einer gewissen Angelegenheit empfohlen —“

„In einer besonderen Angelegenheit, — aha! Woll wegen so was Kleines, nich wahr?“ lachte der Alte.

„Sie können recht haben. Die Frau Preger hat Kostkinder, nicht wahr?“

„Gegenwärtig nur eins.“

„Ist sie eine nette Frau?“

„Na, — nett? Mein Fall wäre se nich; sie hat so was von ’nem Eiszapfen an sich. Aber alles, was recht is, ordentlich un sauber muß man se nennen.“

„Nicht wahr? Das ist mir schon gesagt worden. Kennen Sie den Rechtsanwalt Siemens vielleicht auch?“ Grothof tat aufs Geratewohl seine Frage, doch war das Glück ihm günstig.

„Siemens, den berühmten Verteidiger? Ob ich den kenne! Hat er mich doch selber mal ’rausgehauen aus ’ner dummen Geschichte.“

Voll Freude zog der Maler seine Zigarrentasche hervor und reichte dem Alten ein paar Zigarren, worauf dessen Vertraulichkeit noch wuchs. Er beugte sich nach wortreichem Danke näher zu Grothof hinüber und sagte halblaut: „Übrigens, was der Herr Siemens is, unter uns gesagt, ich glaube, der hat auch so’n kleines Geschäft mit Frau Pregern.“

„Wahrhaftig?“

    „Jawoll, jawoll!

Ich hab ihn schon ein paarmal da hineingehn sehen; un vor’n paar Abenden war auch ’ne junge Dame dabei.“

Grothof mußte sich mit Gewalt bezwingen, um in ruhigem Tone zu sagen: „War das vielleicht am vergangenen Sonntag?“

„Sonntag, — nee, — Sonntag, da kann’s nicht gewesen sein. Ich kam aus der Stadt zurück, weil ich was hatte kaufen wollen, un Sonntag sind ja die Lädens geschlossen. Aber warten Se mal, warten Se mal. Das war aber, — das war vergangenen Dienstag.“

Nicht also der Tag, an dem Berta verschwunden war. Grothof fragte noch weiter. „Können Sie mir sagen, wie die Dame ausgesehen hat?“

Mit schlauem Lächeln gab der Alte zur Antwort: „Nee, das kann ich nich, — hab’ ich se doch nur von hinten gesehen.“

„Die Kleidung der Dame, — können Sie mir nicht wenigstens darüber Auskunft geben?

Trug sie vielleicht einen grauen Mantel?“

„Grau? — Nee, grau hat se nich ausgesehen.“

Grothof nahm mit freundlichem Dank Abschied von dem Alten, der ihm verschmitzt lächelnd nachschaute.

Tief in Gedanken ging nun der Maler schräg über die Straße zu Frau Pregers Häuschen hinüber. Da fiel ihm eine hölzerne, dicht am Latteneingang befestigte Tafel ins Auge, auf der in schon etwas verwischten Buchstaben zu lesen war: Johann Preger, Schiffer. Bootsvermietung, auch auf Stunden.

Die nach der Seite hin gelegene Haustür machte mit einer alten, schrillen Glocke beim öffnen viel Spektakel. Die Bewohnerin konnte sich infolgedessen Zeit lassen mit ihrem Erscheinen, und Grothof sah sie durch eine rechts offenstehende Tür schreibend an einem Tische sitzen, bevor sie sich nach ihm umschaute. Sie saß in der Küche, und ihr Küchentisch, an dem die Schublade zum Teil herausgezogen war, diente für den Augenblick zum Schreiben. Ein kleines Kontobuch lag darauf.

Die Frau stand langsam auf und betrachtete den Besucher mit Augen, in denen kluges, mißtrauisches Prüfen zu lesen war.

„Ich habe wohl das Vergnügen, mit Frau Preger zu sprechen?“ fragte Grothof.

„Ich heiße Preger.“

„Sie nehmen Kostkinder auf, nicht wahr?“

„Ich nehme Kostkinder auf, jawohl.“

Sie sprach automatenhaft, ohne jeden Ton des Entgegenkommens.

„Haben Sie gegenwärtig mehrere Kinder in Kost?“

„Augenblicklich nur eins. Aber ich will das Geschäft vergrößern. Es fehlt nur noch an Möbeln und Wäsche.“

„Das macht viel Ausgaben, ich weiß. Aber ein Kind würden Sie doch wohl noch aufnehmen können?“

„Eins noch, jawohl.“

„Es wäre möglich, daß ich mich deswegen demnächst an Sie wende. Man weiß aber doch gern, in welche Gesellschaft ein Kind kommt. Würden Sie mir vielleicht sagen, wer Ihnen das bereits vorhandene Kind anvertraut hat?“

„Nein, das kann ich nicht sagen. Ich muß unbedingt Diskretion wahren.“

„Das ist höchst ehrenwert von Ihnen und mir in gewisser Weise willkommen zu hören. Aber es handelt sich um ein Kind aus vornehmen Kreisen, und ich muß mir die Sache dann doch noch einmal überlegen.“

„Wie Sie wollen.“

Der Ton ihrer letzten Worte war so kühl, daß Grothof sich gewissermaßen aus der Tür gewiesen fühlte. Während aber der Maler noch nach einer neuen Anknüpfung suchte, kam ihm unerwartete Hilfe. Vom Nebenzimmer aus erklang plötzlich Kindergeschrei, was Frau Preger veranlaßte, nach der Tür zu gehen.

„Ich darf wohl solange hier warten? Ich möchte Sie noch etwas fragen.“

Sie verschwand im Nebenzimmer, und Grothof konnte sich ungestört umschauen. Er trat rasch an das Büchlein auf dem Küchentisch heran und sah, daß es in der Tat ein Anschreibebuch über die täglichen Ausgaben und Einnahmen war. Unter den Einnahmen war an zwei Stellen das Wort ›Unverhofft‹ verzeichnet, nichts weiter, das eine Mal neben einer sehr ansehnlichen Summe. Diskretion also auch hier.

Grothofs Blicke glitten in den halboffenen Tischkasten hinein. Rechts obenauf lag ein zusammengefalteter Zettel. Der Maler griff danach.  Rasch überflog sein Auge die wenigen Zeilen:
 

Bitte, leihen Sie der Überbringerin Ihr Boot. Ich hafte für etwaigen Schaden.
                                                                                                         S.

Grothof fühlte sich sonderbar davon berührt. Obwohl er Siemens’ Handschrift nicht kannte, sagte sein Gefühl ihm, daß der Zettel von keinem anderen geschrieben sei. Von einem unwiderstehlichen Drange beherrscht, griff er nach den anderen Papieren, doch in diesem Augenblick verstummte plötzlich das Kindergeschrei. Rasch tat er den Zettel wieder an seinen Platz, aber in der Hast verschob er ein wenig die Schriftstücke darunter und fühlte sich zugleich wie von einem elektrischen Schlage durchzittert. Es war ihm gewesen, als wenn er die Handschrift seiner verschwundenen Braut erkannt hätte.

Noch stand er in der Nähe des Küchentisches, als die Frau wieder hereinkam. Das gefiel ihr anscheinend nicht; wenigstens schlug sie das Anschreibebuch zu, tat es in den Tischkasten und schob ihn hinein. Grothof suchte nach Worten, Gedanken. Was tun? Sie fragen? Das hatte keinen Zweck. Ein Mittel finden, hier einmal heimlich einzudringen und selbst weiterzuforschen.

Jetzt nur vorsichtig und ruhig bleiben!

„Womit kann ich noch dienen?“ fragte Frau Pregers trockene Stimme.

„Mir kam ein Gedanke. Ganz leicht wird es Ihnen in diesen teuren Zeiten wohl auch nicht werden, durchzukommen. Ich wüßte vielleicht ein kleines Nebengeschäft für Sie.“

„Jedes ehrliche Geschäft ist mir willkommen.“

    „Sie wissen sicher, daß gegenwärtig viele früher vermögende Leute gezwungen sind, Einrichtungsgegen- stände, Bilder, Kunstwerke zu verkaufen, um leben zu können. Einer von meinen Freunden ist in dieser Lage. Nun mag er aber den Verkauf nicht gern persönlich vornehmen und sucht eine Mittelsperson. Würden Sie das übernehmen?“

„Wieviel Prozent vom Verkaufspreise gibt er?“

„Darin wird er sicher anständig sein. Zehn Prozent gewiß, vielleicht auch mehr.“

„Für fünfzehn will ich es tun. Wo wohnt er?“

„Der Herr selbst möchte gern ungenannt bleiben. Er hat mir verschiedene Sachen übergeben, und wir können damit erst einmal einen Versuch machen. Ich will Ihnen ein paar Stücke davon herbringen.“

„Wann?“

„Wann Sie wollen. Ich könnte morgen früh schon kommen.“

„Gut. Morgen früh. Für fünfzehn Prozent.“

„Er hat schon halb und halb einen Käufer in Aussicht, von dem er gehört hat. Und wenn Sie geschickt sind —“

Mit ihrem grellen Geklingel schnitt ihm die Hausglocke das Wort ab. Die Tür zum Korridor stand offen, und in ihr erschien jetzt ein Polizeibeamter. Frau Preger blieb äußerlich ganz ruhig, aber Grothof sah, daß ihr Gesicht erblaßte.

„Womit kann ich dienen?“

„Dies hier hat man aus dem Wasser gezogen. Ihr verstorbener Mann hatte doch ein Boot, nicht wahr?“

Der Schutzmann hielt in der Hand ein Stück von einer Bootsplanke. Des Malers Augen erkannten die darauf gemalten Worte: Lisbet. Eigentümer Johann Preger.

Die Frau hatte mit einem etwas heiseren „Jawohl „ geantwortet, und jetzt sagte der Schutzmann: „Sehen Sie sich das hier einmal genauer an. Ist es ein Stück von Ihres Mannes Boot?“

„Anscheinend — ja.“

„Nicht, als wenn wir darüber zweifelhaft wären. Aber Sie sollen Zeugnis dafür ablegen.

Wissen Sie, wann und wo dieses Boot verunglückt ist?“

„Nein.“

„Ich will es Ihnen sagen. Wir bei der Polizei haben allen Grund anzunehmen, daß in diesem Boote das ertrunkene Fräulein Herterich verunglückt ist.“


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