04.3
Kriminal-Roman
R. Kohlrausch
Das Geheimnis des Wassers
1933
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Das Geheimnis des Wassers
- Achtes Kapitel -
In
zitternder
Aufregung hatte Grothof das Haus der Frau Preger verlassen. Der Zettel,
den er
gelesen hatte, die Handschrift seiner Braut und schließlich die von der
Polizei
gefundene Spur des verunglückten Bootes, — das alles wirbelte durch
einander in
seinem Kopf, ohne sich zum festen Ganzen zusammenschließen zu wollen.
In dem
Boote, von dem er mit eigenen Augen ein Stück gesehen hatte, war Erna
Herterich
verunglückt. Siemens hatte nach dem Zettel, der aller
Wahrscheinlichkeit nach
von ihm stammte, bei dieser geheimnisvollen Bootfahrt seine Hand im
Spiele
gehabt. Wie hatte Siemens wissen können, daß ein Unfall, wie der
tatsächlich geschehene,
seiner Braut begegnen würde?
Sein
Haß gegen
Siemens trieb den Maler immer wieder an, eine Lösung des Rätsels zu
versuchen. Was
konnte diese Wasserfahrt bedeuten? Ja, wenn Siemens mit im Boote
gewesen wäre,
dann hätte sich auf dem Flusse draußen schon die Gelegenheit für ein
Verbrechen
finden können. Aber nach der Angabe des Kapitäns hatte sich in dem von
seinem
Dampfer überfahrenen Boote nur eine weibliche Gestalt befunden.
Höchstens eine
Möglichkeit gab es noch: Wenn Erna Herterichs Verlobter sie in ihrem
leidenschaftlichen
Gefühle gekränkt und so zur Verzweiflung getrieben hätte, dann wäre die
Bootfahrt vielleicht nur ein geschickt suggeriertes Mittel
gewesen,
um sie zum Selbstmorde zu bringen.
Aber
was war es
gewesen, womit Siemens die Braut so zur Verzweiflung brachte? Bei
dieser Frage
griff die Tragödie der beiden Beteiligten auf den Maler selbst hinüber.
Wenn
sein Verdacht richtig war, wenn Siemens wirklich Grothofs Braut
nachstellte, dann
wurde Berta Haverland wissentlich oder unwissentlich in dem furchtbaren
Drama
zur Mitspielerin. Und in diesem Lichte gewann der Brief mit ihrer
Handschrift unter
den Papieren der Frau Preger eine furchtbare Bedeutung für ihn selbst.
Von
diesen
Gedanken bedrängt, verbrachte der Maler die Nacht ohne Schlaf. Selten
war ihm
des Morgens erste Helle so willkommen gewesen wie heute. Ein erzwungen
langsames Frühstück mußte die Zeit hinbringen helfen,
bevor er
fortgehen konnte. Sein erster Weg galt einem Freunde von auswärts, der
für ein
paar Tage hier im Hotel wohnte. Der sollte sein Helfer
werden bei dem
fingierten Verkaufe des mitgenommenen Pokals. Als lustiger und
hilfsbereiter Mensch
fand er großes Gefallen an der ihm zugedachten Rolle, sodaß er mit
Vergnügen den
Vorschlag des Malers begrüßte. Nachdem Grothof so seines Planes
Ausführung
vorbereitet hatte, ging er in aufgeregter Eile nach Frau Pregers
Wohnung
hinaus.
Da
Grothof es
klug vermied, von dem ihr offenbar sehr unangenehmen Besuche der
Polizei zu sprechen,
und gleich von dem kleinen Handelsgeschäfte begann, wurde die Frau
zugängig. Er
wickelte den Pokal aus und wies ihn ihr mit einem Lobe seiner
Schönheit. Ihr
aber war der Begriff der Schönheit offenbar nur insofern interessant,
als er
sich in Geld umsetzen ließ. Mit einem Anflug von Eifer fragte sie: „Was
kann
der wert sein?“
Der
Maler
nannte den Preis, den er mit seinem Freunde verabredet hatte, dann
trieb er sie
an, sich gleich zum Ausgehen fertigzumachen. Nachdem sie noch einen
Augenblick nachgedacht
hatte, sagte sie: „Fünfzehn Prozent, ja, dafür will ich es tun. Ich
mache mich gleich
fertig. Das Kind hat seine Milch gehabt, es wird ruhig schlafen.“
„Darf
ich Sie
hier erwarten?“ fragte der Maler. „Es wäre vielleicht auch wegen des
Kindes gut,
wenn —“
Sie
fiel ihm
ins Wort, ohne Lebhaftigkeit aber mit bestimmter Kälte. „Nein, dazu
kennen wir einander
noch zu wenig. Wenn Sie wieder vorsprechen
wollen —“
„Gewiß.
Ich
will noch einen Spaziergang machen und komme möglicherweise schon auf
dem
Rückwege vor. Aber unter dem angesetzten
Preise dürfen
Sie mir nicht verkaufen.“
„Das
wird in
meinem eigenen Interesse nicht geschehen.“
Während
sie
hinausging, sich Hut und Mantel zu holen, trat Grothof rasch ans
Fenster heran,
dessen Verschluß er öffnete, während er es im übrigen unverändert ließ.
Schnell
ging er dann wieder auf seinen Platz.
Frau
Preger kam
eilig zurück, und gemeinsam verließen sie das Haus. Sobald sie draußen
waren,
verabschiedete sich Grothof und wandte sich nach der Seite, wo die
Straße bald in
freies Land hinausführte. Dorthin ging er dann wirklich eine Strecke
weit.
Nach
einiger
Zeit wandte Grothof sich um und schaute zurück. Er hatte sich nicht
verrechnet;
Frau Preger war verschwunden, er durfte zur Ausführung seines Planes
übergehen.
Doch er zwang sich zum gemäßigten Spaziergangstempo. Nur sein Herz ging
in
raschem Takte. So kam er zu dem vor kurzem erst verlassenen Häuschen
zurück.
Voll erzwungener Behäbigkeit betrat Grothof den Garten und schaute sich
suchend
um. Wenn er sich nahe der hinteren Hauswand hielt, konnte er nicht
gesehen
werden. Dann trat er mit ein paar Schritten zum Küchenfenster, dessen
Verschluß
er vorher geöffnet hatte, drückte die Flügel nach innen und schwang
sich leicht
über die niedrige Brüstung in die Küche. Tief aufatmend fand er sich am
ersehnten Ziel.
Der
Küchentisch
hatte keinen Verschluß, die Schublade ließ sich vorziehen. Was er
zunächst bemerkte,
war das Fehlen des Zettels, den er gestern in Händen gehabt hatte. Aber
ein
kleiner Packen anderer Schriftstücke war noch vorhanden, obenauf das
Kontobüchlein der ordnungsliebenden Frau, und dann lag vor ihm der
bisher nur
flüchtig gesehene Briefumschlag, auf dem die vertraute Handschrift
seiner verschwundenen Braut unleugbar zu ihm sprach.
An
Frau Preger
war der Brief gerichtet, ihr Name stand auf dem Umschlag. Grothof holte
das
darin verborgene Blatt hervor und las die wenigen Zeilen, die darauf
geschrieben standen:
Liebe
Frau Preger!
Ich
schicke hier die nötige Summe für Evchens Pflege. Wie traurig war
ich,
als ich von ihrer Krankheit hörte. Sparen Sie nichts, damit nur der
kleine Liebling
wieder gesund wird; ich werde für alle Kosten aufkommen. Herr Doktor
S., von
dem Sie wissen, wie liebevoll er sich meiner annimmt, wird in den
allernächsten
Tagen persönlich einmal zu Ihnen kommen und mir berichten. Ich bitte
Sie noch
einmal, machen Sie mein Kind wieder gesund!
B. H.
Ein
Gefühl, als
ob der Boden unter seinen Füßen fortgezogen würde, kam über den Maler.
Die Züge
der Schrift verschwammen vor seinen Augen, die mit grausamem Nachdruck
bestätigte, was er schon wußte: daß diese Worte von der über alles
Geliebten
stammten. Zwei von ihnen klangen mit mörderischer Schärfe hervor aus
den übrigen,
die vernichtenden Worte
›Mein Kind‹.
Alles andere verging vor dieser Bestätigung von etwas unmöglich
Erachtetem. Hier
also war das Geheimnis verborgen, das immer
hindernd vor
sein Glück hingetreten war, wenn er nach ihm greifen wollte. Berta war
die Mutter
dieses Kindes!
Er
mußte sich
niedersetzen, seine Kräfte versagten unter dem furchtbaren Schlage.
Erst nach
und nach kämpften sich Gedanken und Vorstellungen wieder aus dem
brausenden Dunkel
hervor. Seine Braut wurde für ihn zum
beklagenswerten
Opfer eines übermächtigen Verführers. Und er wußte, wer dieser
Verführer war.
Der Mann, von dem sie geschrieben hatte, daß er sich ihrer ›so
liebevoll
annähme‹. Sehr liebevoll, in der Tat!
Gab
es nicht
etwa noch deutlichere Zeugnisse hier in diesem Versteck, die den
Schändlichen vollends
entlarvten? Grothof sprang wieder auf und begann, abermals unter den
Papieren
zu suchen. Aber kein weiterer Brief Bertas war zu finden. Dieser eine
Brief
aber genügte vollauf, um Grothofs Erbitterung auf Siemens hell wieder
anzufachen.
Er
barg mit
einem letzten, schmerzlichen Blicke den Brief Bertas wieder in seiner
Hülle, legte
die Papiere zurück an ihren Platz und schaute vorsichtig zum Fenster
hinaus.
Menschenleer wie zuvor lagen die Gärten; er konnte die Fensterbrüstung
wieder
ungesehen übersteigen.
Sein
Rückzug
blieb unbemerkt wie sein Kommen, und als
er die Fensterflügel sorgsam wieder angelehnt hatte, ging er um das
Haus herum
zur Straße zurück. Eine Sehnsucht nach einsamer Stille kam über ihn,
und er
wandte sich wieder dem Flußlaufe zu. Mit gesenkten Blicken ging er, vor
sich
hingrübelnd, ein paar Minuten lang dahin. Dann hob er den Kopf und sah
nun in
einiger Entfernung vor sich eine weibliche Gestalt. Bei ihrem Anblick
durchfuhr
ihn ein furchtbarer Schreck. Wuchs, Haltung, Kleidung, — vor allem die
Kleidung, — Gott im Himmel, das war ja seine verschwundene
Braut! In
diesem violetten Kleide, in diesem grauen Mantel war sie noch am Tage
vor der Bergschen
Tragödie neben ihm gegangen.
Er
verdoppelte
seine Schritte, fing an zu laufen, rief: „Berta! Berta!“ Nun wandte sie
sich um
und blieb stehen. Jetzt stand er vor ihr und
— — taumelte
zurück wie vor einer Spukerscheinung. Die da vor ihm war nicht seine
Braut!
Aber sie trug ihre Kleider. —
„Mein
Fräulein,
— Sie sind vielleicht erschrocken über mein Betragen. Ich habe Sie für
meine
Braut gehalten. Sie sind es nicht, aber Sie tragen ihre Kleider, und
Sie
müssen, — müssen mir Auskunft geben, wie dieser Mantel, dieses Kleid,
in Ihren
Besitz gekommen sind.“
Mehr
und mehr
hatte sich des Mädchens hübsches Gesicht zum Weinen verzogen, jetzt
brachen die
Tränen hervor. „O, bitte, bitte, machen
Sie mich nicht
unglücklich, verraten Sie mich nicht. Sie sollen alles wissen, — aber
nicht hier
draußen. Das da vor uns ist meiner Mutter Haus, bitte, bitte, kommen
Sie mit
mir herein.“
Er
stimmte zu,
und sie betraten zusammen das Häuschen der Mutter, einer in traurigen
Hungertagen
bleich und mager gewordenen Frau. — Verwirrt und ungeordnet beichtete
diese,
wie sie zu den Kleidern gekommen wäre,
und trotz der
Verwirrung machten ihre Worte den Eindruck der Wahrheit.
Die
Mutter —
das war der Kern ihrer Erzählung — hatte noch die Gewohnheit, auf einem
gegenüberliegenden Grundstück im Flusse ihre Wäsche zu spülen. Dabei
war ihr
vor einigen Tagen ein auf und nieder schwankender Gegenstand im Wasser
aufgefallen, den sie dann mit einem Haken ans Land gezogen hatte.
Das in ein Tuch eingeknotete Bündel war durch
Gottes Fügung, wie die Frau gemeint hatte, gerade hier neben ihrem
Waschplatz
am Nagel eines Pfahls im Wasser hängen geblieben. Eilig war
sie damit ins
Haus gelaufen und hatte ausgepackt, was ihr der Himmel beschert hatte.
Sie hatte
die Sachen sorgsam gereinigt und hergerichtet,
und heute zum
ersten Male hatte das junge Mädchen Kleid und Mantel getragen.
Grothof
nahm
fast ohne Vorwurf die Mitteilung der Frau auf, bat sie sogar, das
aufgefundene Zeug
vorläufig zu verwahren. Daß jenes vor seinen Augen ins Wasser geworfene
Bündel es
war, das hier so rasch neue Besitzer gefunden hatte, war ihm keinen
Augenblick
zweifelhaft. Aber er fürchtete sich vor neuen Enthüllungen.
Kurz
nahm er
Abschied von den beiden Frauen, deren Tränen immer aufs neue flossen,
doch gab
er ihnen das Versprechen, der Polizei fürs erste keine Nachricht von
ihrem
Funde zu geben. Taumelnd, mit unsicheren Schritten
trat er auf die
Straße hinaus und schlug fast willenlos den Weg zur Stadt hin ein. Erst
bei Frau
Pregers Haus kam ein erneutes Wirklichkeitsbewußtsein
über ihn. Eine
furchtbare Wut gegen Siemens packte den Maler wieder, indem er sich
fragte, wie
dieser Mensch in den Besitz von Bertas Kleidern gekommen sei. Diese
Kleider hatte
sie getragen bei der Flucht aus der Villa van Berg, nun waren sie im
Wasser
gefunden worden, von Frau Preger hineingeworfen auf Siemens’ Befehl.
War das nicht
ein Beweis, daß auch Bertas Leben ihm zum Opfer gefallen war? Das
phantastische
Bild eines doppelten Mordes erschien auf einmal vor seiner aufgeregten
Seele.
Mit knirschenden Zähnen, mit geballten
Fäusten ging er
dahin; zischend sprach er eine wilde Drohung ins Leere hinein: „Hüte
dich, —
hüte dich vor mir!“
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