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Literatur


04.3


Kriminal-Roman
R. Kohlrausch

Das Geheimnis des Wassers
1933

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Das Geheimnis des Wassers

- Neuntes Kapitel -
 

In einer von den Baracken der Auenstraße war eine Station der Schutzmannschaft. Es war noch nicht spät, kaum halb neun Uhr, und in der geräumigen Küche, die den Aufenthaltsraum dieser Sicherheitsabteilung bildete, saßen drei Schutzleute. Plötzlich hob der eine von ihnen horchend den Kopf.

„Was war das eben da draußen?“

„Ich habe nichts gehört“ sagte sein Kollege Wilhelm Kraus, und Christian Mauter versicherte das gleiche.

„Es klang mir, als ob ein Schuß fiele.“

Mit einem „Ach was, Unsinn!“ erklärte Kraus die Sache für erledigt. Doch von der Haustür her klang jetzt der schrille Ton der Eingangsglocke. Dem aufgesprungenen und eilig öffnenden Nußbaum trat ein Knabe von etwa vierzehn Jahren mit ärmlicher Kleidung gegenüber, der ihm zurief: „Herr Kriminal, Vater läßt sagen, vor unserm Haus liegt ’n toter Mann.“

Auch die beiden anderen Schutzleute sprangen jetzt auf, und Mauter machte sich mit Nußbaum zusammen eilig fertig, um dem Jungen zu folgen.

Rasch gingen die Beamten ihrem Ziel entgegen. Der Junge lief schwatzend nebenher, indem er auskramte, was er von der geschehenen Tragödie wußte. „Sie haben auf ihn geschossen; wir haben den Schuß gehört, und Vater is gleich rausgelaufen, und rundum auf dem Boden is Blut; Vater sagt —“

Jetzt erschien vor ihnen auch bereits eine Gruppe von dunklen Gestalten. Beim Nahen der Schutzleute traten ein paar von den Leuten zurück und machten Platz. Nun zeigte sich ihnen ein männlicher Körper, hingestreckt auf dem Boden, das Gesicht nach unten.

„Das ist keiner von unseren Kunden hier“ sagte Nußbaum „sondern ein besserer Herr. — Vor allen Dingen Licht und Wasser her.“

Ein paar Frauen liefen fort, um das Geforderte zu holen. Eine Schüssel, ein Krug mit Wasser, eine Petroleumlampe waren schnell zur Stelle. Das Licht fiel hell auf den hingestreckten Körper; mit erhöhter Aufmerksamkeit betrachtete Nußbaum ihn jetzt und kniete dann neben ihm nieder, während er zu seinem Kollegen sagte: „Der Herr hat einen Schuß in die Brust; komm, wir wollen ihn umdrehen, es könnte vielleicht noch Leben in ihm sein.“

Zusammen führten die beiden vorsichtig Nußbaums Vorschlag aus, und nun erschien dort auf dem Boden ein totenbleiches Gesicht unter blondem Haar, von dem der Hut heruntergefallen war.

Als das den Umstehenden im Lichte der hochgehaltenen Lampe deutlich wurde, klang aus der kleinen Schar ein undeutlicher Schreckensruf hervor. Mauter, der gerade nach jener Seite hingeschaut hatte, sprang auf, stand im nächsten Augenblick einer der Frauen gegenüber, und fragte: „Na, Frauchen, was gibt’s denn hier zu schreien?“

„Ich weiß nicht, — ich — ich habe nicht geschrien.“

„Wie man’s nennen will; ums Wort wollen wir uns nicht streiten. Aber gewaltig erschrocken sind Sie, als Sie das Gesicht des Herrn gesehen haben. Deshalb müssen Sie den Herrn wohl kennen.“

„Ich weiß nicht, — nein, — das heißt, — wenn ich ihn mir deutlich ansehe, — ja, mir ist es, als wenn ich ihn kenne.“

„So, — nun kommen wir der Sache bereits näher. Jetzt also: wer ist es?“

„Mir scheint, — wenn ich mich nicht irre, dann ist es Herr Dr. Siemens.“

„Rechtsanwalt Siemens, — wahrhaftig! Deshalb kam er mir auch gleich bekannt vor. — Jawohl, der ist es. Und Sie, sind Sie nicht Frau Holsten aus der Mühle drüben?“

„Ja, das bin ich,“ antwortete sie nach einem widerstrebenden Zögern.

„Gut, so wären wir einig. Und nun sagen Sie mir noch —“

Er kam nicht weiter, denn mitten in seine Worte hinein rief der immer noch neben dem Hingestreckten knieende Nußbaum lebhaft aus: „Der Mann lebt noch!“

„Wahrhaftig?“

Zuerst war es nur ein Zittern der Augenlider, ein Zucken um den halb geöffneten Mund. Jetzt aber ein tieferer Atemzug, ein leises Regen des Kopfes, ein bewußterer Blick aus erwachenden Augen.

„Wir müssen ihn in ein Haus bringen“ sagte Nußbaum. „Er kann hier nicht liegen bleiben.“

„Wird gemacht!“ entgegnete Mauter. „Wer hat hier denn das bequemste Sofa, wo wir ihn betten können? Sie, Frau Holsten?“

„Ich? Ach nein, — wir sind ganz einfache Leute.“

„Ach was, machen Sie keine Fisematenten. Ich war schon mal in der Mühle; Sie haben’s da ganz proper und ordentlich. Vorwärts, angefaßt, aber mit Vorsicht und Menschenliebe!“

Mit Nußbaum zusammen hob Mauter den anscheinend wieder Bewußtlosen auf, ein paar Männer halfen bereitwillig. So trugen sie ihn zur Mühle. Frau Holsten schritt an der Spitze des kleinen Zuges. Dann öffnete sie die Haustür der Mühle, die Erna Herterich an jenem dunklen Regenabend zu ihrem Verderben betreten hatte. Wie damals tobte der Fluß unter den gebrechlichen Bodenplanken, und seltsam! — auf derselben Stelle, wo damals Erna hinabgesunken war, stand auch in diesem Augenblick wieder eine Frauengestalt, nicht hierhergehörig, keine Frau aus dem Volke, reich und elegant, in Trauer gekleidet, eine Dame der Gesellschaft — hier in der wüsten Mühle.

Sie wich zurück vor dem Anblick des Bewußtlosen, die Beamten aber hatten vorerst keinen Blick für die Fremde sondern strebten der Tür im Hintergrunde zu, die Frau Holsten geöffnet hatte. Dicht an der schwarzgekleideten Dame vorüber trugen sie den Körper. Ein Sofa stand an der einen Wand; Frau Holsten legte schnell ein paar Decken darüber, und auf ihnen bettete man den Verwundeten:

Wie magnetisch angezogen war die Fremde Schritt für Schritt hinter den Männern hergegangen und stand nun da, starr hinblickend. Mauter nahm seinen Helm vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, während Nußbaum sagte: „Wir müssen einen Arzt haben; und ein Krankenwagen muß her, damit wir den Verwundeten ins Krankenhaus bringen. Du könntest mal telephonieren, Christi.“

„Wird gemacht!“ entgegnete Mauter und eilte hinaus.

Währenddessen war die Fremde nahe zu Nußbaum herangetreten und fragte:

„Verzeihen Sie, Herr Schutzmann, kann ich nicht irgendwie behilflich sein?“

Da öffnete sich die Tür nach kurzem Anklopfen, und in dem dunklen Viereck erschien Dr. Berninger.

„Wahrhaftig, er ist es!“ rief er nach einem raschen Blick auf den regungslos Daliegenden, und rasch trat er nahe heran. „Siemens, alter Freund, was ist mit Ihnen geschehen?“

Es war, als ob der Klang seiner Stimme die Lebensgeister des Verwundeten zurückriefe. Er öffnete die Augen und sah mit einem flüchtigen Lächeln auf das bekannte Gesicht.

„Gott sei Dank, er lebt!“ sagte Berninger mit schonend gedämpfter Stimme. „Der Arzt wird bald hier sein. Vorläufig ist anscheinend alles geschehen, was nötig war. Und nun . . .“

Er war bisher so sehr mit Siemens beschäftigt gewesen, daß er Frau van Bergs Anwesenheit noch nicht bemerkt hatte. Aufblickend fand er sich nun ihr gegenüber und schaute betroffen auf sie.

„Gnädige Frau . . .“

„Ja, wir kennen uns, Herr Doktor. Über den traurigen Tod meines Mannes haben Sie mich ein paarmal vernehmen müssen. Schreckliche Dinge sind auf mich eingestürmt in der letzten Zeit. Erst meines Mannes Tod, hinterher meiner Kusine schreckliches Ende, nun heute dieses neue Mißgeschick.“

„Das ist wirklich viel für ein weiches Gemüt, gnädige Frau,“ sagte Berninger, sie scharf betrachtend. „Es ist ja fast, als wenn der Tod Sie verfolgte.“

Mit großen Augen schaute sie in dem Raume umher. „Als wenn der Tod mich verfolgte, — jawohl, „ sagte sie leise.

„Gnädige Frau gestatten mir die Frage . . .“

„Sie sind erstaunt, mich hier zu finden. Das kann ich verstehen; aber es erklärt sich sehr einfach. Die Frau Holsten hier war früher meine Kammerjungfer, und ich hatte mit ihr zu sprechen.“

„Sie haben Mut, wenn Sie sich so spät am Abend in diese Gegend wagen.“

„An Mut hat es mir nie gefehlt.“

„Gnädige Frau waren schon hier, als der Schuß fiel?“

„Gewiß. Ich war gerade im Begriffe, wieder fortzugehen.“

„Haben Sie vielleicht vor dem Schuß einen Streit, einen Wortwechsel gehört?“

„Nein, — aber man hört hier auch schwer wegen des Lärms, den das Wasser macht.“

„Allerdings. Und Sie, Frau Holsten, haben Sie nicht etwa beim Hinausgehen etwas Verdächtiges bemerkt? Haben Sie niemanden fortlaufen sehen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Kennen Sie den Herrn Siemens? Ist es möglich, daß er Sie hat besuchen wollen?“

„Ich kenne den Herrn von der Zeit her, als ich noch Jungfer bei der gnädigen Frau war. Zu mir hat er jedenfalls nicht gewollt.“

> „Es ist merkwürdig, daß er abends in diese Gegend gekommen ist. Sie, gnädige Frau, haben mir Ihr Hiersein erklärt, — hat Siemens etwa davon gewußt?“

„Nein, sicher nicht. Es wäre für ihn auch viel bequemer gewesen, mich in meiner Wohnung aufzusuchen.“

„Bequemer und angenehmer; da haben Sie recht.“

„Er hat mich erst kürzlich ein paarmal besucht“ fügte Frau van Berg hastig hinzu.

„So? Hat er dabei vielleicht irgendetwas gesagt über einen Verdacht hinsichtlich des Todes von Fräulein Herterich?“

„Einen Verdacht?“

„Über das Boot, in dem sie die Todesfahrt gemacht hat, ist man ja jetzt unterrichtet. Aber ganz im Dunklen sind wir noch immer darüber, was die junge Dame denn zu dieser nächtlichen Fahrt überhaupt veranlaßt haben kann. Vielleicht hat Siemens danach forschen wollen.“

„Er hätte hier darüber jedenfalls nichts erfahren“ sagte Frau Holsten. Sie war jetzt frei von der anfänglichen Unsicherheit. Frau van Berg war schweigend ein wenig weiter in den Schatten getreten.

„Es gibt noch andere Häuser hier am Wasser als nur das Ihre“ entgegnete Berninger. „Die Nähe des Flusses ist für meine Vermutung das Entscheidende. Man könnte sich denken, daß ein Mann, der durch einen so geheimnisvollen Unfall seine Braut verloren hat, immer wieder zu dem Flusse hingezogen wird; daß er kein Mittel unversucht läßt, um herauszubringen —“

Das Signal eines Autos klang von der Straße herein. Berninger ging eilig zur Tür. Von draußen kam Sanitätspersonal mit einer Bahre herein, der Arzt mit ihnen, der den Krankenwagen unterwegs getroffen hatte. Nachdem alle den Raum betreten hatten, in dem Siemens lag, ging Frau van Berg leise hinaus.

Der Verwundete wurde nun kunstgerecht verbunden und auf die Bahre gelegt. Berninger fragte den Arzt halblaut nach dem Befunde; die Verletzung sei schwer, bekam er zur Antwort, aber nicht hoffnungslos. Dann setzten die Träger sich in Bewegung; Frau Holsten blieb allein in dem hinteren Zimmer. Als Berninger mit Nußbaum den vorderen Raum passierte, schrak er beinahe zurück vor einer schwarzen, aus einer finsteren Ecke auf ihn zutretenden Gestalt.

„Sie noch hier, gnädige Frau?“

„Jawohl. — Ich mußte wissen, was der Arzt gesagt hat. Wird er leben?“

„Dr. Mertens hofft es.“

„Vielen Dank!“

„Darf ich Sie nicht unter meinen Schutz nehmen?„

„Sie sind sehr gütig, — aber ich möchte noch ein paar Worte mit Frau Holsten sprechen.“

Berninger verabschiedete sich eilig. Als der Wagen fortgefahren war, begab er sich auf den Heimweg.


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