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Literatur


04.3


Kriminal-Roman
R. Kohlrausch

Das Geheimnis des Wassers
1933

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Das Geheimnis des Wassers

- Zehntes Kapitel -

Ärgerlich über den bisherigen Mißerfolg der Polizei, versuchte Berninger mit großem Eifer das Dunkel aufzuhellen. Siemens war mehrere Tage nicht vernehmungsfähig, und so mußte sich vorläufig die Nachforschung auf die Bewohner der Auenstraße beschränken. Die Tat war in einer noch nicht späten Abendstunde geschehen, und wenn auch die Gegend um diese Zeit meist sehr einsam war, hatten sich doch vermutlich noch einzelne Bewohner auf der Straße befunden. Ein paar von ihnen wurden auch gefunden und verhört. Leider aber zeigten sie sich sehr unbestimmt in ihren Bekundungen.

Genaueres konnte nicht ermittelt werden; ein Zeuge für das Attentat selbst war nicht aufzufinden. So blieb auch hier wieder das verhaßte Dunkel bestehen, und Berningers einzige Hoffnung blieb es, daß von dem Überfallenen selbst etwas Bestimmtes ausgesagt werden könnte.

Nach vier Tagen war Siemens vernehmungsfähig, und Berninger begrüßte den Freund herzlich und freudig.

„Seit man mir die blaue Bohne glücklich herausgezogen hat,“ sagte Siemens „geht es vorwärts mit mir. Natürlich bin ich noch sehr geschwächt, aber das wird sich schon geben. Ich hoffe auch, daß ich bald wieder in meine Wohnung übersiedeln kann.“

„Warum denken Sie daran schon jetzt? Sie sind hier doch vortrefflich aufgehoben.“

„Gewiß! Aber meine Geschäfte beunruhigen mich.“

„Mit Geschäften dürfen Sie sich jetzt nicht abgeben.“

Mit einem klugen Lächeln auf dem blassen Gesichte sah Siemens ihn an. „Sind Sie nicht selbst ein wenig in Geschäften hier, mein lieber Freund?“

Berninger mußte lachen. „Sie haben mich erkannt, ich muß es ehrlich gestehen. Und mir scheint, Sie sind frisch genug, um mir etwas auf die Sprünge zu helfen.“

„Sie haben recht, auch bestätigt es der Arzt.“

„So darf ich meinen Adlatus wohl hereinkommen lassen?“

Berninger ging zur Tür, und ließ Naumann, der draußen gewartet hatte, hereinkommen.

Dann sagte Siemens: „Viel Freude werden Sie nicht an meiner Vernehmung erleben. Ich weiß verflucht wenig von dem, was Ihnen wichtig erscheinen wird.“

„Berichten Sie mir vor allem, wie sich der Überfall abgespielt hat.“

„Ich ging, in Gedanken versunken, die Straße hinunter —"

„Sie sprechen von der Auenstraße, nicht wahr? Bitte, wie kamen Sie zu solcher Stunde dorthin?“

„Ich möchte den Grund meines Dortseins verschweigen dürfen. Der Überfall hat unmöglich etwas damit zu tun.“

„Trotzdem wäre mir dieser Punkt von Wichtigkeit.“

„Und ich möchte meine Bitte wiederholen, darüber schweigen zu dürfen.“

Eine Stille folgte; Berninger sagte sich in diesem Schweigen, daß er den immer noch Schwachen schonen müsse.

„Gut, lassen wir das für heute. Erzählen Sie mir für jetzt nur, wie die Sache passiert ist.“

„Wie gesagt, ich ging die Straße hinunter und hatte den Eindruck, völlig allein zu sein. Ich erschrak deshalb, als ich ein leises Geräusch hinter mir hörte. Während ich mich umwandte, stand auch schon eine Gestalt vor mir, und im gleichen Augenblick fiel der Schuß, der mich verwundete.“

„War der Täter ein Mann oder eine Frau?“

Der Befragte schien sich einen Augenblick zu besinnen, antwortete dann aber: „Das kann ich nicht sagen.“

Verwundert schüttelte Berninger den Kopf. „Nicht einmal das?“

„Nein! Ich habe das in der Dunkelheit nicht unterscheiden können. Wenn ich nachdenke, steht eine ganz undeutliche, schwarze Gestalt vor mir, ich sehe den erhobenen Arm, der Schuß blitzt auf, und unmittelbar hinterher war ich bewußtlos.“

Berninger schaute sinnend vor sich hin, Zweifel und Mißtrauen waren in seinen Augen. „Haben Sie nicht wenigstens eine Vermutung irgendwelcher Art, wer Ihnen aufgelauert haben könnte?“

„Am wahrscheinlichsten ist es mir, daß eine Verwechslung vorliegt, wodurch ich das Opfer eines unglücklichen Zufalls geworden bin.“

Er bat Berninger, ihm ein Glas Wasser zu reichen. „Ich habe meine Kräfte doch wohl überschätzt,“ sagte Siemens dann mit müdem Lächeln. „Wenn Sie keine wichtigen Fragen mehr haben —“

„Jedenfalls will ich Sie jetzt nicht weiter quälen. Es gibt allerdings noch mancherlei, was Aufklärung verlangt, aber das kann für ein andermal bleiben.“

Er verabschiedete sich mit nachdenklicher Freundlichkeit und ging mit seinem Begleiter hinaus. Während sie die Treppe hinunterstiegen, sagte Naumann halblaut vor sich hin: „Ein treuer Knecht war Fridolin —“

Berninger schaute auf: „Was reden Sie da wieder, Phantasus?“

Der andere lachte leicht: „Ich wollte nur meinem Gedächtnis nachhelfen, weil ich nicht gleich auf einen Vers kommen konnte. Jetzt weiß ich ihn: ›Herr, dunkel war der Rede Sinn‹ —“

„Wahrhaftig, dunkel war seine Rede, da haben Sie recht!“

Plötzlich wurde er sehr ernst. „Es wird mir immer klarer, Naumann, wir bewegen uns in einem Kreise von Geheimnissen und Verbrechen. Wir müssen dieses Kreises Mittelpunkt finden, und wir haben alle Geheimnisse gelöst.“ — 

* * *

Ein Zusammenbruch der Nerven war nach den Aufregungen über den Maler Grothof gekommen. Er hielt sich fast immer zu Hause, den Verkehr mit Menschen angstvoll meidend. Meist lag er still hindämmernd auf einem Divan seines Ateliers.

In solcher Abspannung lag er auch eines Abends mit geschlossenen Augen; und in einem leichten Zucken der Hände kündigte nahender Schlaf sich an, als ein leises Pochen an der Tür ertönte. Er fuhr empor und sprang hastig auf, als die Tür sich auftat, ohne daß er „Herein“ gerufen hatte, während eine weibliche Gestalt in der Dämmerung sichtbar wurde. Sie schloß hinter sich die Tür und stürzte dann auf den Maler in fliegender Eile zu, dessen Körper sie mit ihren Armen umklammerte.

„Bei dir, — Gott sei Dank! Du mußt mir helfen, mich retten. Sie will mich töten, und ich will nicht sterben!“

„Du hier? Was ist geschehen?“

„Geh, sieh hinaus!“ flehte Frau van Berg, halb gelähmt vor Angst. „Sieh nach, ob sie mir nicht nachgekommen ist. Verschließe die Tür, sie soll nicht herein!“

Er gehorchte der Bitte, während er noch einmal fragte: „Was ist geschehen? Ich kenne dich nicht wieder in deiner Angst.“

„Ich kenne mich selbst nicht. Aber ich weiß, daß ich sterbe, wenn ich sie noch einmal sehe. — Oskar, die Toten stehen auf!“

Den Maler wieder hilfesuchend umfassend, fiel sie jetzt vor ihm nieder auf die Knie.

„Ich will es dir sagen, du sollst alles wissen. Aber laß mich bei dir bleiben!“

„Komm zu dir! Setze dich nieder und erzähle.“

„Ich habe sie gesehen vor einer halben Stunde. Sie hat mich fortgejagt aus meinem Hause, hierher zu dir.“

„Du sprichst von —“

„Von Erna Herterich. Wir haben sie doch begraben da draußen, und ich habe sie dennoch heute gesehen. Es war unten in dem großen Gartenzimmer. Als ich hinaufgehen wollte, fiel mein Blick auf eins der Fenster. Da stand sie draußen hinter den Scheiben und schaute michan und hielt ihr brennendes Herz in den Händen.“

„Ihr brennendes Herz?“

„Dieses gräßliche Leuchten! — Er hat es mir neulich schon gezeigt, er steht auch im Tode noch mit ihr im Bunde. Sie wollen mich verderben, sie wollen mich töten!“

„Jetzt nimm dich zusammen! Sprich ruhig, — oder laß mich allein.“

„Das nicht, nur das nicht! Schlage mich, tritt mich mit Füßen, aber laß mich bei dir bleiben. Ich sterbe, wenn du mich heute von dir stößt!“

Sie hatte sich wieder an ihn angeklammert und zog ihn nieder auf den Diwan. Er aber wehrte sie von sich ab.

„Wenn ich dir raten kann, ich will es tun um alter Zeiten willen. Darüber hinaus gibt es nichts mehr zwischen uns. Ich war in einem Rausch, und bin aufgewacht, — er kommt niemals wieder.“

„Deine Liebe war mehr als ein Rausch. Du warst glücklich durch mich und kannst es wieder sein.“

„Laß das ruhen. Es ist so tot wie die Tote, von der du sprichst.“

„Bedeutet es nichts, gar nichts, wenn ich dir sage — ich, eine Frau, die Hunderte bewundern, — ich liebe dich und nur dich allein? — Ich war leichtsinnig, das weiß ich gut genug. Aber durch dich ist über mich die große, wahre Liebe gekommen —“

„Und ich sage dir, du kannst überhaupt nicht lieben. Das große, veredelnde Gefühl, du hast es niemals gekannt. Daß ich es auch zu spät erst kennen lernte, das war mein Unglück. Ich habe mich durch dich täuschen lassen, aber die Wahrheit ist mir aufgegangen. Ich war dir nichts als ein Spielzeug; du hättest es gleichgültig fortgeworfen, wenn du seiner müde geworden wärest. Aber weil es dir vorher fortgenommen wurde von anderer Hand —“

„Jawohl, du bist mir geraubt worden, und ich ertrage das nicht. — Ist es dir nicht bewußt, was ich für dich getan habe?“

Der Maler fuhr vor ihr zurück: „Du hast meine Braut ins Elend getrieben, du hast mir genommen, was ich in Wahrheit liebte —“

„Sag das nicht; ich kann es nicht hören, wenn du von einer anderen Liebe sprichst. Ist alles denn vergessen, was du mir, hier in diesen Räumen gesagt hast? Hier hat es angefangen, unser Liebesglück, hier sind wir glücklich gewesen. Diese Wände, diese Bilder haben es gesehen. Du bist mein gewesen und sollst es wieder sein.“

„Laß mich, geh! — Ich will nichts mehr hören; ich habe deinen Zweck erkannt. Alles ist nur Komödie, — deine angebliche Todesangst war nichts als ein Vorwand für diesen Überfall. Erna Herterich liegt still im Grabe, sie kommt nicht wieder.“

“Doch, doch, ich habe sie gesehen. Ich hatte sie nur für einen Augenblick vergessen; du hast sie wieder gerufen. Sie steht vor mir und schaut mich an, — hab’ Erbarmen und rette mich vor diesem gräßlichen Anblick. Behalte mich hier diese Nacht —“

„Ah, darauf läuft es hinaus? Jetzt wollen wir dem Spiel ein Ende machen.“

Er sprang auf, stellte sich drohend vor sie hin. “Vergiß nicht, was du mir getan hast. Und sei gewiß: ich vergesse dir das niemals. Du bist schuld, wenn meine Braut fälschlich angeschuldigt worden ist; um deiner Verleumdung willen ist sie geflohen, hilflos, allein in die grausame Welt hinaus. Und ich verzehre mich in Sehnsucht nach der Verlorenen —“

„In Sehnsucht nach einer Mörderin!“ schrie sie fassungslos auf in wilder Wut.

„Schweig! Jetzt ist meine Geduld erschöpft!“

Er ging zur Tür und riß den Flügel auf. „Hinaus! Und ich sage dir als letztes Wort: einer Mörderin bin ich vielleicht niemals näher gewesen als in dieser Stunde!“

Sie stieß einen dumpfen Laut von Angst und Schrecken aus, hob die Hände, wie zur Abwehr, wollte sprechen, — doch die Stimme versagte, die Hände sanken ihr herab. Scheu zur Seite weichend, glitt sie dann langsam zur Tür und hinaus.


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