04.3
Kriminal-Roman
R. Kohlrausch
Das Geheimnis des Wassers
1933
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Das Geheimnis des Wassers
- Zwölftes Kapitel -
In
dem kleinen
Zimmer hinter dem vorderen Raum der Mühle gelang es dem Maler Grothof,
von Frau
Holsten volle Aufklärung zu erlangen. Aus Angst vor der Polizei gestand
die
Frau, die an dem Mordversuch augenscheinlich unschuldig war, in welcher
Weise
sie Frau van Berg behilflich gewesen war. Eine kühne Frage Grothofs
lockte auch
das Geständnis aus ihr heraus, daß sie das Morphium für Frau van Berg
besorgt und
es ihr ausgehändigt hatte. Befriedigt ging der Maler; er hatte genug
gehört.
Als er fort
war, schien Frau Holsten zur Besinnung zu kommen. Aus einem Kasten
holte sie
Geld hervor, so viel darin vorhanden war, warf sich ein Tuch über die
Schultern
und eilte zur Tür hinaus, die sie hinter sich verschloß. Fast laufend
gelangte
sie zu der nächsten, größeren Verkehrsstraße, winkte dort ein Auto
herbei,
stieg ein und wurde mit Eile dem Ziel entgegengetragen, das der
Wagenführer von
ihr gehört hatte.
Fast nicht
minder eilig als Frau Holsten ging der Maler durch die Straßen. Aber
der Weg
zur Polizeidirektion war weit. Berninger war zugegen, und mit
fliegender Hast
erzählte Grothof dem gespannt Aufhorchenden, was er getan und erreicht
hatte.
Der Beamte
nickte befriedigt. „Ein Verdacht gegen die schöne Frau war schon länger
in mir.
Sie haben den Beweis geliefert, und ich bin Ihnen von Herzen dankbar.
Ich fülle
sofort einen Haftbefehl aus, wir müssen jetzt rasch sein.
Kommen Sie mit
mir hinaus in die Villa van Berg oder . . .?“
Wenige Minuten
darauf saßen die beiden in Begleitung von zwei Beamten in einem Auto,
das in
rasendem Tempo der Villa zujagte.
Grothof und
Berninger verließen allein den Wagen, und auf ihr Läuten öffnete der
Diener die
Tür, der mit einem bedauernden Achselzucken erklärte, daß Frau van Berg
vor
wenigen Minuten erst im Auto fortgefahren sei.
„Haben Sie das
Auto geholt?“
„Nein, es
wartete hier vor der Tür.“
„Wer war darin
gekommen?“
„Die frühere
Jungfer der gnädigen Frau, die jetzt an den Müller Holsten verheiratet
ist.“
„Sind sie
zusammen fort?“
„Ja. Die Frau
Holsten war nur ein paar Minuten hier, dann sind sie mit einander
fortgefahren.„
„Wohin, —
wissen Sie das?“
„Nein, ich habe
das nicht gehört.“
Berninger, der
die Fragen an den Diener gestellt hatte, wandte sich zu Grothof.
„Kommen Sie, —
schnell!“
„Wohin?“ fragte
der Maler beim Einsteigen.
„Zur Mühle.
Vielleicht finden wir die beiden am ehesten dort.“
Mit noch
größerer Geschwindigkeit als vorher jagte das Auto dahin.
„Vor uns ein
Auto!“ rief der eine Beamte, ohne sich umzuwenden. Dann wieder nach ein
paar
Sekunden: „Es hält, — vor der Mühle hält es. Zwei Frauen sind
ausgestiegen und
hineingegangen.„
Die Herzen der
Verfolgenden klopften im Takte mit ihrem vorwärtsjagenden Auto. Jetzt
ein Ruck,
ein Halt, sie sprangen aus dem Wagen, sie waren am Ziel.
Grothof riß die
Tür der Mühle für Berninger auf, sie traten zusammen ein. Es war jetzt
bereits dämmerig,
und in dem weiten, vorderen Raume nahmen Menschen und Sachen undeutlich
verschwimmende
Formen an. Aber die Gesuchten waren da, zwei vor den Eintretenden
angstvoll
zurückweichende Schattengestalten, die sich ins tiefste Dunkel
verkrochen. Frau
van Berg hatte sich rechtshin zurückgezogen, Frau Holsten stand mit
hilfeflehend gerungenen Händen an der hinteren Wand.
„Nun, ist heute
der Boden hier fest?“ fragte Berninger eintretend, indem er mit einem
Fuß auf
die geschlossene Falltür stampfte. „Man soll ja hier mit ganz
besonderen
Menschenfallen arbeiten. Wissen Sie nichts darüber, Frau
van Berg?“
Von der
Schattengestalt aus der tiefen Dunkelheit kam kein Laut herüber, man
hörte nur Frau
Holstens leises Weinen.
„Sie werden
schon sprechen lernen müssen, Frau van Berg. Wir haben einander
mancherlei zu
sagen. Aber wir tun das besser an einem helleren Ort. Ich
ersuche Sie daher, mir zu folgen.
Wieder ein
Schweigen, wieder nur der stumme Schatten in der Dunkelheit.
„Ich muß wohl
deutlicher sprechen. Frau van Berg, ich verhafte Sie wegen schweren
Verdachts, Ihren
Ehemann ermordet zu haben.“
Jetzt endlich
ein Ton, der Klang von über den morschen Boden hinspringenden Füßen.
Vorschnellend stürzte der Schatten auf Grothof zu.
„Du, du hast
mir dies angetan! Du bist ja hundertmal schuldiger als ich. Was ich
getan habe,
tat ich aus Liebe zu dir. Jawohl, ich habe gemordet, aber ich tat es,
weil ich
dich liebte. Dich wiederzuhaben, war mir kein Mittel zu schlecht. Auch
du hast mich geliebt und bringst es über das Herz, mich zu verraten.
Schäme dich,
schäme dich!“
„Genug“ rief
Berninger mit lautem Befehl. „Verhaften Sie diese Frau.“
Sie stand für
einen Moment ganz ruhig, als der Beamte auf sie zutrat; sie schien ihm
willig folgen
zu wollen. Als er aber bereits nahe vor ihr war, glitt sie mit
Schlangengewandtheit vor seinen aufgehobenen Händen zurück, war mit
einem Satz
an der Seitenwand, wo sie vorhin gestanden hatte, riß eine kleine Tür
auf und sprang
ins Freie hinaus. Mit ungeheurer Schnelligkeit schob sie draußen einen
Riegel
an der Tür vor, daß der Beamte ihr nicht folgen konnte.
Die Flüchtige
befand sich in einem schmalen Gange, der nach der einen Seite zur
Straße
hinauf, nach der anderen zum Flusse hinabführte. Sie wandte sich in
verzweifeltem Laufe linkshin, wo ein hölzerner Steg an der Hauswand
entlang
führte. Mitten darauf zog eine schmale Latte sich von der Wand nach dem
Geländer hinüber, eine stumme Warnung, den Steg nicht weiterhin zu
betreten.
Aber die Verzweifelte mißachtete die Warnung. Sie warf sich gegen das
leichte
Holz, durchbrach es mit rasendem Anprall, daß es krachend in Splitter
ging und ihr
den Weg freigab. Doch indem es geschah, schien das leise Krachen ein
vielfaches
Echo zu wecken. Die morschen Bohlen bogen sich, wichen unter ihren
Füßen,
brachen zusammen und ließen den haltlosen Körper hinuntergleiten in die
Flut.
Ein lauter Schrei noch, dann war alles vorüber.
* * *
Als
Erna neben
ihrem Gatten am ersten Tage nach ihrer Hochzeit in dem behaglichen
Wohnzimmer saß,
das ihr wie das ganze Haus bisher allein gehört hatte, nun aber ihr
gemeinsames
Heim geworden war, da griff sie mitten aus einem törichten
Liebesgespräch
heraus nach einem Buche, das vor ihr auf dem Tische lag.
„Höre, das muß
ich dir noch vorlesen. Ich las diesen Vers hier in der größten Gefahr,
der furchtbarsten
Stunde meines Lebens, als ich dem Tode so nahe war wie nie zuvor.
Damals waren
die Worte meines Dante mir nur die Verheißung eines geträumten Glückes,
das in Wahrheit
noch durch einen schwarzen Abgrund von mir getrennt war. Jetzt aber
sind sie Wirklichkeit
geworden. Wenn ich so neben dir sitze, wenn ich dich ansehe, wenn du
mich in deine
Arme nimmst, ist es mir, als wenn ich immer wieder diesen Paradiesvers
laut
hinausrufen müßte:
„O Lust, o
unnennbare Seligkeit!
O
friedenreiches, lieberfülltes Leben!
O sichrer
Reichtum, ohne Wunsch und Neid!“
Er zog sie mit
aufstrahlenden Augen leidenschaftlich ganz nahe zu sich heran und
wiederholte leise,
mit verhaltenem Jubel:
„O
Lust, o
unnennbare Seligkeit!“
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