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04.3
Am Kamin
Paul Rosenhaym
09 Der Similischmuck
______________________
Der
Similischmuck
(Berlin)
Das Telephon auf dem hellen Jalousie-Schreibtisch schlug
an. Mr. Joe Jenkins, der eben vom ersten Frühstück auf sein Zimmer
zurückgekehrt
war, hob den Hörer ab. Eine aufgeregte männliche Stimme sagte hastig
und
atemlos:
„Mr. Jenkins, ich bin es . . . Michaelis . . . etwas
Unbegreifliches, Mr. Jenkins . . . bitte beiben Sie zu Hause . . . ich
komme
unverzüglich . . .“
Jenkins sah auf die Uhr: halb zehn. „Wann können Sie hier im
Hotel sein,
Herr Michaelis?“
„In einer guten Stunde.“
„Well. Ich erwarte Sie.“ Der Detektiv nahm die kurze
Briar-Pfeife vom Kaminsims, entzündete sie umständlich und gewissenhaft
und
ging dann gemächlich die Treppe hinunter in die unteren Räume des
Hotels, in
denen das Lesezimmer lag. Hier, auf ungeheuren grünbespannten Tischen,
lagen
Zeitungen aller Sprachen. Jenkins setzte sich behaglich in einen der
tiefen
weichen Klubsessel und vertiefte sich in die Chicago Daily News. —
„Mr. Jenkins!“
Der Portier öffnete die
Tür. „Ein Herr ist da, der Sie sprechen möchte!“
Der Ankömmling trat mit
raschen Schritten ein. Eine tödliche Spannung lag auf seinem Gesicht,
aus dem
der letzte Blutstropfen gewichen war. Die Augen lagen tief eingesunken
in ihren
Höhlen, wie bei einem Schwerkranken, und in den großen Pupillen
schimmerte ein
fiebriger Glanz. Joe Jenkins reichte dem Besucher die Hand; die Rechte
des
andern lag einen Augenblick zitternd in der Seinen.
„Sie haben mir etwas
Besonderes zu melden, Herr Michaelis?“ fragte er mit ruhiger Stimme.
„Ja, Mr. Jenkins.“ Der
Besucher sank, halb unwillkürlich, in einen Sessel. „Sie entschuldigen
wohl,“
sagte er mit müder Stimme, „aber . . . ich habe das Gefühl, als ob ich
in der
nächsten Minute einen Herzschlag bekommen soll. Mr. Jenkins.“
Der Detektiv lies einen
schnellen Blick durch das Lesezimmer gleiten. „Wir sind allein“, sagte
er.
„Erzählen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben. Und denken Sie
daran:
die Dinge sind nie so schlimm wie sie auf den ersten Blick scheinen.“
„Es ist,“ begann der
Holzbildhauer nach einer langen Pause, „es ist etwas Unerklärliches,
was ich
Ihnen zu sagen habe. Etwas,was nicht in meinen Kopf hinein will. Ich
erzählte
Ihnen schon, Mr. Jenkins: um den Wunsch meiner Frau, den
Lichtspielpalast mit
ihr zu besuchen, erfüllen zu können, war ich gezwungen, eine eilige
Arbeit zu
unterbrechen: eben die sechs Truhen für den Juwelier Stevenbrink. Hätte
ich
gestern etwa bis zwei Uhr in der Nacht ununterbrochen daran
weiterarbeiten
können, so wäre ich wohl damit fertig geworden, wie es mit meinem
Kunden vereinbart war. Nun, der eigensinnige
Einfall meiner Frau ist mir dazwischen gekommen, und ich konnte die
Truhen
nicht wie verabredet heute um acht früh abliefern.
Heute früh um halb zehn
klingelt es an meiner Tür. Ich öffne; vor mir steht Herr Stevenbrink,
der
Besitzer des großen Juweliergeschäftes, in eigener Person; in ziemlich
schroffem Ton stellt er mich zur Rede. Ich, ein wenig verlegen, führe
meinen
Auftraggeber höflich ins Wohnzimmer und versichere ihm: bis heute abend
um
sieben Uhr würden alle sechs Truhen geliefert sein. Um ihm vor Augen zu
führen,
daß die Arbeit bis auf eine Kleinigkeit vollendet sei, hole ich die
fünf
fertigen Truhen herbei. Ich öffne eine von ihnen und mache Herrn
Stevenbrink
darauf aufmerksam, wie herrlich sich auf diesem dunklen,
mattschimmernden Holz
ein funkelnder Schmuck ausnehmen müsse. Dabei kommt mir der Einfall,
den
Similischmuck meiner Frau — denselben,
den Sie gestern abend an ihrem Halse gesehen haben — aus ihrem
Toilettentischchen herbeizuholen und ihn zur Unterstützung meiner Worte
in die
Truhe zu legen . . .
Herr Stevenbrink tritt
interessiert näher und wirft einen Blick auf das Halsband. Im nächsten
Augenblick fragt er erstaunt:
‚Herr Michaelis . . .
wie kommen Sie zu diesem kostbaren Schmuck?‘
Ich antworte lächelnd:
‚Es freut mich, daß er Ihnen gefällt, Herr Stevenbrink . . . aber
leider ist er
unecht . . . meine Frau hat ihn für zwölf Mark von einem Hausierer
gekauft.‘
Mein Kunde sieht mich
mit einem erstaunten Blick an. ‚Gestatten Sie‘, sagt er und nimmt den
Schmuck
in die Hand. Er zieht ein Vergrößerungsglas aus der Tasche und läßt den
Schmuck
langsam durch die Finger gleiten. Nachdem er fast jeden Stein eingehend
betrachtet hat, wendet er sich zu mir herum und sagt:
‚Dieser Schmuck ist
echt, Herr Michaelis. Ja . . . und nicht nur echt . . . diese Steine
sind von
einer ganz außerordentlich seltenen Reinheit . . . Was, sagten Sie,
haben Sie
dafür bezahlt?‘
„Zwölf Mark‘, stammelte
ich.
‚Für diesen Schmuck‘,
sagt er und sieht mir unverwandt ins Gesicht . . . ‚für diesen Schmuck
zahle
ich Ihnen auf der Stelle hundertsechzigtausend Mark auf den Tisch.‘
Ich trete taumelnd einen
Schritt zurück und starre meinen Besucher an, der mich unablässig
betrachtet.
Und da sehe ich, wie in seinen Augen der Argwohn aufglimmt. Ich fühle,
wie mir
das Blut aus dem Herzen tritt; ein Zittern geht durch meinen Körper,
ich umklammere
krampfhaft die Lehne meines Stuhls . . . Was bedeutet das alles, Mr.
Jenkins?
Tausend Gedanken schießen mir durch das Hirn. Wie kommt der Hausierer
zu diesem
Schmuck, der ein Vermögen bedeutet? Und . . . warum verkauft er ihn uns
für ein
paar Mark? Wußte er um die Echtheit des Schmuckes? Sagte der Juwelier
die
Wahrheit? Irrte er sich?“
Zufällig sehe ich in den
Spiegel. Ich fange einen Blick des Juweliers auf, der mißtrauisch von
dem
Schmuck zu mir, von mir zu dem Schmuck hin und her gleitet. Und
plötzlich fühle
ich’s: du mußt irgend etwas zur Erklärung sagen . . . er darf nicht
fortgehen
mit einem so furchtbaren Verdacht im Herzen . . . ein Wort von ihm, und
das
Verderben bricht vielleicht herein . . . und indem ich mich
zusammenraffe, sage
ich mit einem schwachen Versuch, einen scherzenden Ton anzuschlagen:
‚Ich
wollte Sie nur ein bißchen auf die Probe stellen, Herr Stevenbrink . .
.
natürlich ist der Schmuck echt . . . er ist von Goudstikker in Paris .
. . ich
habe ein Etui dafür anzufertigen für einen holländischen Großkaufmann.‘
Herr Stevenbrink nickt
lächelnd. Indem er mir noch einen seltsam zweifelnden Blick zuwirft,
geht er
schließlich fort. Mein erster Weg war ans Telephon, Mr. Jenkins: wie
danke ich
Gott, daß Sie da sind, mir zu raten und — vielleicht zu helfen!“
Der Detektiv trat ans
Fenster und blickte eine Weile gedankenverloren auf die Linden hinab.
Das
Menschengewimmel hatte um diese Zeit seinen Höhepunkt erreicht: an der
Kreuzung
der Friedrichstraße brandete die Flut der Automobile und der Equipagen
widerwillig zurück, um den Strom vorbeizulassen, der sich brausend in
der
Richtung zum Bahnhof ergoß.
„Sie erzählten mir“, Joe
Jenkins wandte sich herum, „von einem Buch. Einem Buch, das sich in der
Mitte
der Nacht von selber öffnete. Haben Sie es bei sich?“
Der Holzbildhauer nickte
und legte ein broschiertes Heft auf den Tisch.
„Und der Schmuck? Ich
nehme an, Sie haben auch diesen mitgebracht?“
„Ja, Mr. Jenkins . . .“
Aus einer Aktentasche nahm der Besucher ein schwarzes Etui und stellte
es auf den
Tisch.
„Welche Seiten des
Buches lagen obenauf?“
„Seite 30 und 31.“
Michaelis öffnete das Buch, blätterte ein wenig darin herum und
überreichte es
dem Detektiv. Dieser nahm den Kalender interessiert in die Hand und
ließ einen
aufmerksamen Blick über die Blätter gleiten. „Gut,“ er legte das Buch
in die
Schublade seines Schreibtisches, „ich möchte mich ein paar Tage damit
beschäftigen . . . Nun zu Ihrem Schmuck. Sie sind überzeugt, daß Ihr
Juwelier .
. . gleichwohl“, unterbrach er sich. „Kommen Sie. Wir werden uns das
Gutachten
Ihres Kunden auf alle Fälle von einem zweiten Juwelier bestätigen
lassen.“
Die beiden gingen die
Treppe hinunter und traten ein paar Sekunden später auf die
sonnenbeschienene,
menschenerfüllte Straße hinaus. —
Der Inhaber des großen Juweliergeschäfts
kam den beiden mit einer tiefen Verbeugung entgegen: „Wir möchten
nichts
kaufen“, sagte Mr. Jenkins lächelnd. „Wir haben lediglich die Absicht,
Sie um
ein Sachverständigen-Gutachten zu bitten.“ Damit klappte er das
schwarze Etui
auf und überreichte es dem Juwelier. „Haben Sie die Güte, dieses
Kollier auf
seinen Wert zu taxieren.“
Der Aufgeforderte
schaltete die Nernstlampe ein, deren Strahlen sich blendend über die
funkelnden
Steine ergossen. „Ein seltenes Stück!“ sagte er, fast zu sich selbst.
Und
während er, die Lupe vor dem Auge, auf das Geschmeide blickte, nahm
sein
Gesicht allmählich einen fast andächtigen Ausdruck an. „Dieses
Halsband,“ sagte
er endlich, fast verzückt, „ist eine Arbeit, wie ich sie so wundervoll
bis
heute kaum gesehen habe. Wenn Sie mich nach ihrem Wert fragen: nun . .
. ich
selbst würde auf der Stelle für dieses Schmuckstück
zweimalhunderttausend Mark
zahlen . . . und dabei noch gut verdienen . . .“
Joe Jenkins warf einen
schnellen Blick auf seinen Begleiter, der bleich und mit starren Augen
die
Bewegungen des Juweliers verfolgte. „Ich danke Ihnen. Das genügt uns.
Ihre
Rechnung, wenn ich bitten darf.“
„Und nun, Herr
Michaelis,“ brach Joe Jenkins das Schweigen, nachdem die beiden langsam
die
Budapester Straße hinabgeschritten waren, „tun Sie, was ich Ihnen sage:
fahren
Sie unverzüglich nach Hause . . . lassen Sie Ihre Frau nicht aus den
Augen . .
. den Schmuck brauche ich auf vierundzwanzig Stunden; Sie müssen ihn
mir schon
lassen.“
„Nicht mehr als gern,
Mr. Jenkins“, antwortete der Holzbildhauer. „Denn Sie werden es mir
glauben:
dieses unheilvolle Halsband brennt mir in den Händen!“
Die beiden Männer
drückten sich die Hand. „Erwarten Sie meinen Besuch“, sagte Jenkins.
Ich komme:
wenn ich nötig bin, werde ich zur Stelle sein!“
Michaelis ging eilig
über den Potsdamer Platz auf die andere Seite, an der irgendwo die Bahn
nach
Perlitz abfuhr. Und während der Detektiv ihm schweigend nachblickte,
schien es
ihm, als ob der Gang des Davonschreitenden mit jedem Schritt schwerer
und
langsamer wurde . . . wie der eines alte Mannes, der stumm und traurig
eine
schwere Last durch das Leben zu tragen hatte . . .
Jenkins wandte sich und
ging mit schnellen Schritten die Leipziger Straße hinunter.
Der Hotelportier faßte
grüßend an die Mütze. „Ein Telegramm, Mr. Jenkins!“ Der Detektiv nickte
und riß
das zusammengefaltete Blatt auf. Es lautete:
„Gräfin Ankarström heute
abend Gartenfest schwedische Gesandtschaft.“
Joe Jenkins las die
wenigen Worte zwei-, dreimal und stieg in den Lift. Und während er
hinauffuhr,
erhellte sich sein Gesicht mehr und mehr, und seine Lippen spitzten
sich zu
einem lustigen Ragtime.
* * *
Der Garten der
Gesandtschaft, der sich weit und schattig hinter dem Palais hinzog,
strahlte im
Lichte der Tausenden von Lampions. Durch das Grün der Bosketts
schimmerten
farbige Lichter; von einer verdeckten
Estrade rieselten die Klänge eines brasilianischen Reigens auf die
erlesene
Gästeschar nieder, die lachend und plaudernd unter den uralten Bäumen
lustwandelte.
An einem der kleinen Tische
hielt eine der gefeiertsten Schönheiten der internationalen
Gesellschaft, die
Gräfin Ankarström, förmlichen Cercle. Eben schweiften ihre lächelnden
Blicke
hinüber zu dem schlanken amerikanischen Attaché, der ihr einen Strauß
Orchideen
überreicht hatte. Plötzlich machte sie eine erschreckte Bewegung nach
ihrem
Halse, und im nächsten Augenblick fiel das kostbare Brillantkollier,
das ihren
Nacken schmückte, klirrend zu Boden. Sie wandte sich um. Ein fremder
Herr stand
vor ihr.
Bevor sich die Gräfin bücken
konnte — niemand aus ihrer Gesellschaft hatte das kleine Mißgeschick
beachtet —
beugte sich der fremde Herr, der zufällig vorübergehen mochte, nieder
und gab
der Dame mit einer Verbeugung ihr Eigentum zurück. Sie dankte lächelnd
und
legte den Schmuck wieder um den Hals. Als sie sich wieder zu dem
Fremden
herumdrehte, hatte ihn das Gewühl schon verschlungen. „Was haben Sie,
Mr.
Taylor?“ fragte die Gräfin lachend den Attaché, der nachdenklich, fast
bestürzt
in die Richtung starrte, in der der dienstbereite Unbekannte
verschwunden war.
„Was haben Sie, Mr. Taylor?“ wiederholte die Gräfin fragend.
Der Attaché wandte
verwirrt den Kopf. Auf seinem Gesicht lag noch immer der Ausdruck eines
grenzenlosen Befremdens, als er zögernd sagte, wie zur Entschuldigung:
„Der Herr, der Ihnen
eben das Halsband aufgehoben hat . . . der Herr . . .“
„Nun, mein lieber
Attaché . . . was ist mit diesem Herrn?“
„Dieser Herr,“ sagte der
Amerikaner fast atemlos, „dieser Herr war kein anderer als mein
berühmter
Landsmann Mr. Joe Jenkins. . .“
* * *
Das Automobil, das
ratternd und fauchend vorwärts raste, hatte die letzten Ausläufer der
großen
Stadt verlassen und bog in die schweigende Pappelallee ein, die
langgestreckt
und düster auf die kleine Villenkolonie Perlitz zulief. Am Horizont
drüben
stand drohend die schwärzliche Silhoutte des nächtlichen Nadelwaldes.
Ein
feuchter Südwest strich seufzend durch die Bäume. Drüben, über dem
Walde, brach
einen Augenblick der Mond zwischen den geballten Wolken hervor, und
seine
zitternden Strahlen flimmerten seltsam auf den Erlenbüschen, die den
moorigen
See umsäumten. Fern bellte ein Hund — ein Zeichen des Lebens in dieser
Totenstille.
Ein paar Lichter
blitzten auf und ertranken wieder in den schweren Schatten. Ruhiger
glitt der
Wagen dahin: die Kiesstraße hatte ihn aufgenommen. Ein kurzes Signal;
der Wagen
hielt vor einem dunklen Hause.
Einen Moment schien es,
als ob hinter einem der Bäume jenseits der Straßenkurve eine
menschliche
Gestalt auftauche; ein leises Knirschen wie von eilenden Tritten, dann
zerfloß
der Schatten im Dunkel der Bäume.
Joe Jenkins klinkte die
Gittertür auf und ging mit festen Schritten um das Haus herum. Dort
hinten
blitzte ein Licht auf. Der Detektiv klopfte an das Fenster der
hellerleuchteten
Werkstätte.
„Mr. Jenkins!“ Auf das
Gesicht des Holzbildhauers trat ein Ausdruck der Freude, als er den
Gast
eintreten ließ.
„Ja, Herr Michaelis“,
die Stimme des Detektivs klang ernst . . . „Sie werden erstaunt sein
über die
späte Stunde meines Besuches. Indessen — ich komme nicht ganz mit
leeren Händen
. . .“
„Ich bin Ihnen dankbar,
daß Sie gekommen sind, Mr. Jenkins“, antwortete der Holzbildhauer mit
einem
tiefen Atemzug. Ich habe die letzte Nach keinen Schlaf gefunden. Und so
wäre das
wohl alle diese Nächte gegangen . . .“
Der Detektiv warf einen
schnellen Blick in den nächtlichen Garten hinaus. Ein kaum merkliches
Lächeln
zuckte um seinen Mund — knirschte da draußen nicht ein leiser Tritt?
„Hier
bringe ich Ihnen den Schmuck zurück“, er knipste den Deckel des
schwarzen
Kästchens auf; der andere warf einen kurzen Blick darauf und nickte.
Jenkins
stellte das Etui auf das kleine Seitentischchen, das unweit des
Fensters in
einer Ecke stand. „Übrigens . . . eine schauderhafte Hitze hier . . .
gestatten
Sie?“ und ohne eine Antwort abzuwarten, riß er einen Flügel des kleinen
Fensters auf. Die frische, feuchtwarme Nachtluft drang in duftschweren
Wellen
herein.
„Um mit dem Nächstliegenden
anzufangen, Herr Michaelis,“ begann Joe Jenkins, „so will ich Ihnen
zunächst
einiges über das Similihalsband erzählen, das Sie für zwölf Mark
gekauft haben,
und das sich plötzlich als ein echter Schmuck im Werte von 200.000 Mark
erwiesen hat . . . Ist es Ihnen bekannt, daß die letzte Stellung Ihrer
Frau die
einer Kammerzofe bei der Gräfin Ankarström war?“
Ein wenig überrascht
wandte sich der Holzbildhauer herum. „Gewiß, Mr. Jenkins . . . sie war
zwei und
ein Vierteljahr bei der Gräfin Ankarström.“
„Wissen Sie auch, daß
Ihre Frau zu jener Zeit so gut wie verlobt gewesen ist . . . verlobt
mit dem
Kammerdiener des Grafen?“
Der Gefragte fuhr
zurück. „Verlobt . . . mit dem Kammerdiener?“ wiederholte er stammelnd.
„Nein .
. . das wußte ich nicht . . . das ist . . . das ist ja . . .“
Machen Sie sich darüber
keine Gedanken“, wehrte der Detektiv lächelnd ab. „Ihre jetzige Frau
hat das
Verlöbnis aufgegeben, nachdem sie Sie kennengelernt hat — sie hat in
dieser
Hinsicht korrekt und anständig gehandelt. Und um Ihnen auch zu sagen,
warum
Ihre Frau das Verlöbnis mit jenem aufgehoben hat: sie entdeckte eines
Tages,
daß er ein Dieb war.“
Der Künstler schüttelte
traurig den Kopf. „Und von alledem hat sie mir niemals ein Wort
gesagt!“
„Und sie hat recht daran
getan!“ sagte Joe Jenkins nickend. Denn wozu sollte sie Ihnen unnötig
den Kopf
schwer machen? Sie hat allein genug daran zu tragen gehabt . . . denn
wenn
nicht alles täuscht, hat sie ihn sehr lieb gehabt!“
Unwillig hob Michaelis
den Kopf. „Woraus schließen Sie das?“ fragte er in trotzigem Tone.
„Sie werden es gleich
hören . . . im übrigen: kein Grund zur Eifersucht auf den armen Schelm!
. . .
Eines Tages, während die Gräfin verreist war, entdeckte Felix, der
Kammerdiener, plötzlich, daß die junge Witwe seines verstorbenen Herrn
— denn
er war schon unter dem Grafen Ankarström in seiner Stellung gewesen —
nun, daß
seine Herrin ihr kostbares Brillantkollier versehentlich zu Hause hatte
liege
lassen. Die gräfliche Familie wohnte damals auf einer Besitzung in der
Nähe von
Glücksburg, und die Gräfin war in Erbschaftsangelegenheiten auf drei
Wochen
nach Gothenburg gefahren.
Felix, der Kammerdiener,
sah das Kollier, das einen ungeheuren Wert repräsentierte, und ihm kam
ein
Gedanke . . . drei Wochen hatte er Zeit . . . drei Wochen . . . das
genügte, um
eine genaue Kopie dieses herrlichen Schmucks anfertigen zu lassen. Das
kostete
ihn zwar fast seine gesamten Ersparnisse . . . indessen . . . lohnend
genug
blieb das Geschäft immer noch. Und als die Gräfin nach drei Wochen
zurückkehrte
und zum ersten Male den Schmuck wieder anlegte, da ahnte sie nicht, daß
sie
eine Sammlung von wertlosem Glas um den Hals trug . . . Eins mag zur
Entschuldigung gelten: Felix war in diesem männerlosen Haushalt
gekündigt
worden; am nächsten Fünfzehnten sollte er das Haus verlassen . . . die
Mißstimmung über diese Entlassung, die er für unbegründet und
überflüssig
hielt, mag ihn mitbestimmt haben.
Nun begann eine Periode
der Enttäuschungen für Felix, der sich schon als reicher Mann fühlte.
Gerade
der hohe Wert dieser auffallend großen und seltenen Steine, ihr
unerhört
eigenartiger Schliff, waren ihm überall im Wege; überall drohte die
Seltenheit
der Steine zum Verräter zu werden. Endlich, nach vielen vergeblichen
Bemühungen, war es dem Kammerdiener klar: in Europa war an einen
Verkauf der
Steine nicht zu denken. Er entschloß sich, nach Amerika zu fahren und
machte
seiner damaligen Braut den Vorschlag, mitzugehen. Notgedrungen muße er
sich entschließen
— eben um ihr die Vorteile einer gemeinsamen Auswanderung vor Augen zu
führen —
ihr zu offenbaren, was er getan hatte . . . und welches Vermögen in
seinen
Händen lag. Er hoffte wohl, sie durch den Glanz des Reichtums zu
blenden. Er
hatte sich verrechnet. Voll Abscheu wandte sie sich von ihm.
Lange hat dann Ihre Frau
nichts von ihm gehört. Inzwischen hat sie Sie kennengelernt und hat Sie
bald
darauf geheiratet. Da . . . eines Tages . . . erhält sie in Ihrer
Abwesenheit
den Besuch ihres früheren Verlobten, der Gott weiß wie ihren Aufenthalt
ausfindig gemacht hat. Er berichtet ihr, daß er sich verfolgt glaube .
. .
wahrscheinlich eine Nerventäuschung, wie man sie häufig an Leuten mit
einem
schlechten Gewissen beobachtet — und bittet sie, den Schmuck in
Verwahrung zu
nehmen, bis bessere Zeiten einträten. Sie lehnt ab, entrüstet . . . was
soll
ihr Gatte davon denken? Aber auch darauf hat er eine Antwort: er wird
ihr in
der Maske eines Hausierers in Gegenwart ihres Gatten den Schmuck als
unecht
verkaufen . . . sei es unter dem Einfluß seiner Persönlichkeit, die ihr
manche
glückliche Stunden in die Erinnerung zurückgerufen haben mag . . . sei
es, daß
auch die weibliche Eitelkeit dabei erwachte . . . sie sagte endlich ja.
Da, plötzlich, sieht er
eines Tages in einer Wochenchronik im Film, der die Ankunft Sven Hedins
zeigt,
eine andere Person, deren Anblick seinen Herzschlag stocken macht: die
Gräfin
Ankarström auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin. Sein erster Gedanke ist:
ihre
Anwesenheit gilt ihrem Schmuck . . . gilt dir! Alles ist verloren . . .
Er will seiner früheren
Braut einen Wink geben . . . eine Warnung . . . sie hat ja den Schmuck
und man
wird sie für mitschuldig halten; aber, da Sie Ihre Frau acht Tage lang
nicht
aus den Augen ließen, ist es ihm unmöglich, an sie heranzugelangen.
Endlich
kommt er auf einen rettenden Gedanken und bringt . . . das Buch.“
„Das Buch?“ fragte
Michaelis zitternd und atemlos.
„Ja . . . den
Modenkalender.“ Sehen Sie her. Joe Jenkins zog das Buch aus der
Brusttasche,
entzündete ein Taschenfeuerzeug und hielt den Kalender über die Flamme.
Langsam
tat sich das Buch auf.
„Betrachten Sie die
Nummer!“
Der Holzbildhauer beugte
sich über den Kalender, von dem ein leichter, grauer Dampf aufzusteigen
schien.
„Es sind die Seiten 30 und 31“, sagte er leise.
„Jahwohl. Die Sache ist
nicht sehr kompliziert. Der Rücken dieses Buches und diese beiden
Blätter, die
die Nummern 30 und 31 tragen, sind mit einer Flüssigkeit bestrichen
worden —
und zwar, soviel ich konstatieren kann, mit dem Saft der japanischen
Planze
Rhus vernicifera, des Sumachstrauchs. Dieser Saft, der auch in der
Firnisfabrikation verwendet wird, hat die Eigenschaft, sich unter dem
Einfluß
der Wärme auszudehnen und beim Erkalten sich zusammenzuziehen. Sie
legten das Buch
in jener Nacht auf die Marmorplatte des Nachttisches und vergaßen, wie
Sie mir
erzählten, die Lampe auszudrehen. Nun, die wärmenden Strahlen der
Glühlampe
genügten, um die expandierende Wirkung des Lacks auszulösen; das Buch
ging auf.
Am nächsten Morgen hatte es sich wieder geschlossen — denn Sie hatten
in der
Nacht die Lampe ausgedreht.“
Der andere stand eine
Weile mit gesenktem Kopf. „Und die Botschaft?“ fragte er endlich.
„Sehen Sie her.“ Joe
Jenkins hielt die Seite 31 gegen das Licht der Lampe. Zu seiner
Überraschung
erblickte Michaelis unter einigen der Textworte feine Nadelstriche. Die
betreffenden Sätze lauteten:
„Der Lotse sah sie
lächelnd an.“ „Was ist das für ein Schiff hier?“ fragte er
kopfschüttelnd. „Wollen wir pünktlich in Uleaborg sein, so werden
wir verhindern müssen, daß man uns als verdächtig verfolgt! Das ist
alles,
was ich raten kann. Es ist die einzige Taktik . . . oder wir sind alle
verloren!“
Ratlos sah der Lesende
auf. „Lesen Sie die mit der Nadel unterstrichenen Worte
hintereinander“, befahl
der Detektiv.
Und mit stockendem Atem
las Michaelis:
„Sie ist hier. Wir
werden verfolgt! Alles ist verloren!“
Der Detektiv nickte. „Diese
Botschaft ist nicht an ihre Adressatin gelangt,“ fuhr er fort, „denn
Sie nahmen
das Buch an sich.
Halb verzweifelt irrte
der Kammerdiener nun um Ihr Haus herum — vergeblich — es gelang ihm
nicht, Ihre
Frau zu sprechen. Da, endlich , kam ihm der Einfall, wieder unter die
Maske des
Hausierers Ihrer Frau die beiden Kinobilletts zu schenken. Sie wußte
natürlich
auf der Stelle, daß es eine besondere Bewandtnis mit diesem
Lichtspielpalast
haben müsse, und war sofort entschlossen, um jeden Preis hinzugehen.
Hier, in der
Wochenschau, sieht Ihre Frau plötzlich die Gräfin, ihre frühere Herrin
. . . in
Berlin . . . die Beraubte auf der Spur des Diebes . . . sie selbst als
Hehlerin
. . . als Mitschuldige . . . ihre Todesangst löst sich in einem
gellenden
Schrei und in einer tiefen Ohnmacht. —
Ich habe mir gleich am
selben Abend die betreffende Szene der Filmwochenschau nochmals
angesehen. Mit
Hilfe der schwedischen Gesandtschaft war es mir nicht schwer, die
meisten der
Personen dieses Bildes zu rekognoszieren — war es doch ein Extrazug aus
Schweden mit verhältnismäßig wenig Passagieren.“
Die schweren Atemzüge
des Künstlers gingen keuchend durch den Raum. „Und . . . was soll nun
werden,
Mr. Jenkins,“ fragte er endlich, fast flüsternd, „aus meiner Frau . . .
aus mir
. . . wie soll der Schmuck der Gräfin . . .“, in diesem Augenblick
erweiterten
sich seine Augen wie im Fieber, und indem er mit der zitternden Hand
nach dem
kleinen Seitentischen deutete schrie er:
„Allmächtiger Gott . . .
der Schmuck . . . Mr Jenkins . . . der Schmuck . . . Jemand hat ihn
soeben
gestohlen!“
Der Detektiv wandte sich
gelassen herum. Und indem er in den nächtlichen Garten hinausblickte,
trat
allmählich ein behagliches Lächeln auf seine Züge. „So ungefähr habe
ich’s mir
gedacht“, sagte er nickend.
„Der Schmuck . . . Mr.
Jenkins . . . jetzt ist alles verloren!“
„Im Gegenteil“,
antwortete der Detektiv ruhig und nahm eine Zigarette aus dem Etui.
„Alles ist
gut. Ich habe mir nämlich das Vergnügen gemacht, einen kleinen Umtausch
vorzunehmen. Der echte Schmuck prangt bereits seit drei Stunden wieder
auf dem
Nacken seiner rechtmäßigen Besitzerin — die übrigens noch heute keine
Ahnung
davon hat, daß sie zwei Jahre lang eine Imitation mit sich
herumgetragen hat .
. . Das andere Halsband aber . . . das, mit dem Herr Felix vermutlich
in diesem
Augenblick hoffnungsfreudig durch die Pappelallee stürmt . . . dieses
andere Halsband
ist nichts anderes als dieselbe Imitation, die Herr Felix selbst vor
zwei
Jahren hat herstellen lassen . . . ich habe nach dem Spruche gehandelt:
„Jedem
das Seine! . . . und nun . . . ich höre schon die mißtrauischen
Hupensignale
meines Droschkenchauffeurs . . . gute Nacht . . . grüßen Sie Ihre Frau
von mir!
. . . und noch eins . . . geben Sie mir ein bißchen Feuer für meine
Zigarette.“
oben
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