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Literatur


04.3


Am Kamin
Paul Rosenhayn

Elf Abenteuer des Joe Jenkins
02 Wenn die Toten wiederkehren

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Wenn die Toten wiederkehren
- Seite 2 -

Jetzt richteten sich alle Blicke auf Frau Forsting, die langsam die Augen aufschlug und verwirrt um sich blickte. „Ist das wahr?“ fragte der Chefarzt mit leiser Stimme, aus der es fast wie ein leichter Vorwurf klang. „Sie haben eben wieder Ihren Gatten gesehen?“

Die Gefragte sprang plötzlich auf, blickte die Versammelten verwirrt an und schrie dann laut: „Er war es! Ich habe ihn gesehen, Herr Professor“ Ich habe ihn gesehen! An meinem Fenster ist er eben erschienen! Mit einer blutigen Wunde in der linken Schläfe.“

Die beiden Ärzte wechselten einen Blick und sahen dann auf Mr. Jenkins, der stumm vor sich niedersah.

„Schwester Maria,“ sagte der Chefarzt nach einer Pause, „Sie haben Ihre Pflicht versäumt. Sie dürfen Ihre Pflegebefohlene nicht allein lassen . . . Beruhigen Sie sich, Frau Forsting. Hier, nehmen Sie etwas Brom. Danach werden Sie gut schlafen. Und morgen früh werden wir weiterreden. Schwester Maria, bringen Sie Ihre Patientin wieder auf ihr Zimmer.“

Die beiden Frauen verließen das Zimmer Und plötzlich drang ein seltsamer, rührender Ton durch die Räume: die Ängste und Schmerzen der bedauernswerten Frau hatten sich in einem unaufhaltsamen, hilflosen, trostlosen Weinen aufgelöst.

Mr. Jenkins erhob sich. „Ich will gehen, Herr Professor. Ich danke Ihnen, meine Herren. Sie haben meinen Erfahrungsschatz um einen wertvollen Beitrag aus der Geschichte menschlicher Leiden und menschlicher Tragik bereichert.“

Joe Jenkins ging nachdenklich den langen Parkweg hinunter, der zwischen dunklen Tannen hindurch zum Tor des Sanatoriumsgartens führte. Und je mehr er sich dem Ausgang näherte, desto mehr verfinsterte sich sein Gesicht.

Plötzlich stuzte er. In einem Seitengebüsch knackte es; im nächsten Augenblick löste sich aus dem Dickicht eine menschliche Gestalt, eine Hand faßte die seinige und eine zitternde Stimme rief in beschwörendem Tone:

„Retten Sie Frau Forsting, Mr. Jenkins“!

Eben wollte er etwas erwidern, als die Hand ihn losließ, ebensoschnell, wie sie gekommen war, schlüpfte die Gestalt in die Büsche zurück, und nur im Vorbeihuschen konnte der Detektiv einen Blick auf das Gesicht und das Kleid der Enteilenden werfen. Es war Schwester Maria. — — —

Drei Tage später las man in den Berliner Blättern folgende Notiz:

„Frau Regierungsrat Forsting, von deren aufsehenerregenden Erlebnissen hier wiederholt berichtet wurde, ist für unheilbar geisteskrank befunden worden. Die Bedauernswerte ist daher gestern in eine hiesige Irrenanstalt übergeführt worden. Der Fall ist um so trauriger, als soeben die Nachricht eintrifft, daß die Dame Erbin eines großen Vermögens geworden ist, das ihr durch den Tod ihres einzigen Bruders zugefallen ist, der in Südamerika ungeheure Waldungen besaß. Zum Verwalter ihres Vermögens ist der Bruder ihres verstorbenen Gatten, der Rentier Amandus Forsting ernannt worden.“

* * *

Das Konzil der Ärzte, das über das weitere Schicksal der Frau Forsting beraten sollte, tagte im Sitzungszimmer des Dr. Stellenmannschen Irrenhauses. Den Vorsitz führte Dr. Stellemann persönlich, ihm zur Seite saß sein Assistent Dr. Haller, ein noch ziemlich junger, aber sehr bedeutender Spezialist für Nervenleiden, den Dr. Stellmann mit großer Auszeichnung behandelte. An den beiden Längsseiten des Tisches hatten Professor Racor und Dr.  Loy Platz genommen. Nachdem die geheime Konferenz beendet war, hatte man Frau Forsting hereingerufen, die nun in einem bequemen Fauteuil, vom Licht der Lampen voll bestrahlt, der Unterredung beiwohnte. — Dr. Loy hatte soeben seinen instruktiven Vortrag beendet. Sein Chef Professor Racot hatte den Ausführungen mit sichtlichem Stolz zugehört und mehrere Male anerkennend genickt. Auch der Irrenhausdirektor lächelte zustimmend und blickte seinen Assistenten Dr. Haller fragend an. Dieser erhob sich nach einer Weile und begann:

„Ich danke Ihnen, Herr Dr. Loy, für das ausführliche und anschauliche Referat, das Sie uns gegeben haben. Mein Chef, Herr Direktor Dr. Stellemann, hat diesen Fall in meine Hände gelegt und ich soll die Patientin weiter observieren und behandeln — soweit sich hiervon ein Erfolg erwarten läßt.“

Professor Racot warf einen bedenklichen Blick auf Frau Forsting, die in ihrem Sessel lehnte und den Worten des Vortragenden mit Aufmerksamkeit folgte.

Dr. Haller fuhr fort: Wenn ich richtig verstanden habe, haben sich also die Erscheinungen vier- oder fünfmal wiederholt, und zwar hat die Dame ihren verstorbenen Gatten jedesmal mit dem Wundmal in der linken Schläfe erblickt, also in einem Zustande, in dem sie ihn selbst nie gesehen hat. Nicht wahr, Frau Forsting, so war es doch?“

Hier stand Professor Racot, nachdem er sich leise mit Dr. Loy unterhalten hatte, auf und sagte mit einem Blick auf Frau Forsting in warnendem Ton: „Ich weiß wirklich nicht recht, Herr Kollege, ob es ratsam ist . . . in Gegenwart der Patientin . . . diese Dinge . . .“

Dr. Haller machte eine begütigende Handbewegung. „Ich spreche in einer bestimmten Absicht — Sie werden gleich sehen, in welcher. Lassen wir die Patientin hier. Ich bin gleich zu Ende. Also“, wandte er sich nunmehr an Dr. Loy, „es gibt zwei Möglichkeiten. Frau Forsting hat die von Ihnen anschaulich beschriebenen Halluzinationen gehabt. Das steht außer Frage. Nach Ihrer Meinung folgt daraus, daß sie wahnsinnig ist. Nicht wahr?“

Der Assistenzarzt blickte ein wenig erstaunt auf den Sprechenden und sagte trocken: „Selbstverständlich, Herr Doktor.“

„Nun“, fuhr Dr. Haller fort, „haben Sie selbst aber die gleiche Erscheinung gehabt wie Frau Forsting: Sie haben, nach Ihren Angaben, den Offizier mit der Schläfenwunde, also die Erscheinung des Hauptmanns Forsting, in Ihrer Wohnung gesehen, und zwar nach seinem Tode. Der Offizier kam zu Ihnen, um Sie aufzufordern, seiner Frau Hilfe zu leisten. Wie erklären Sie sich dies, Herr Dr. Loy?“

Der Gefragte zog die Brauen zusammen und zuckte die Achseln. „Dafür vermag ich natürlich eine Erklärung nicht zu geben. Zumal ich, trotz dieses unerklärlichen Vorfalls, an Spiritismus nicht glaube.“

„Sie werden das eine zugeben: es ist unlogisch, daß, wenn Sie und Ihre Patientin die gleiche Erscheinung gehabt haben — daß dann der eine normal und der andere irrsinnig sein soll. Es gibt, wie ich schon bemerkte, nur zwei Möglichkeiten: entweder die Erscheinung des toten Offiziers war in der Tat eine Halluzination, dann sind Sie beide irrsinnig, Sie und Frau Forsting.“ Hier machte Dr. Haller eine Pause, und alles blickte mit unverhohlenem Argwohn auf Dr. Loy, der bleich, mit halbzugekniffenen Lidern, dasaß und den Sprechenden anstierte. „Oder aber, die Erscheinung war eine reale — dann, Herr Dr. Loy, — dann sind Sie — ein Schuft.“

Die Wirkung dieser Worte war eine unbeschreibliche. Die drei Herren waren aufgesprungen, Professor Racot war mit zwei Schritten auf Dr. Loy zugegangen und stellte sich vor ihn hin, als ob er von ihm Rechenschaft fordere.

Eben wollte Dr. Loy zu reden anfangen. Tiefe Stille trat ein; da geschah etwas Unerwartetes. Wie von unsichtbarer Hand getrieben, öffnete sich die Tür und in ihrem Rahmen stand die Gestalt eines Offiziers, bleich, auf einen Krückstock gestützt, mit einer blutigen Wunde an der linken Schläfe.

Mit einem Schrei fuhr Frau Forsting empor, deutete mit der zitternden Hand auf die Erscheinung und schrie: „Da ist er! Da ist er!“ Dr. Loy stand in gebrochener Haltung, auf die Tischkante gestützt, und stierte auf den Offizier im Türrahmen.

„Nun, Herr Doktor?“ wandte sich Dr. Haller lächelnd an den Assistenzarzt, „sind wir nun alle wahnsinnig? Denn ich glaube, meine Herren, Sie, Herr Professor Racot und Sie, Herr Direktor Stellemann, sehen die Erscheinung ebenfalls ganz deutlich!“ Professor Racot aber wandte sich langsam zu seinem Assistenten herum mit einem Blick, in dem eine fürchterliche Drohung lag.

Dr. Haller ging langsam auf die Erscheinung zu und zog sie ins Zimmer. Erst jetzt wurden zwei Männer sichtbar, die rechts und links der Tür von außen Posto gefaßt zu haben schienen.

Dr. Haller schloß die Tür und sagte lächelnd: „Sie gestatten wohl, Herr Geist, daß ich Sie ein wenig vermenschliche? Damit sich diese Herrschaften nicht weiter vor Ihnen fürchten . . . Gestatten Sie!“ . . Damit nahm er vom Schreibtisch einen feuchten Briefmarkenschwamm, näherte sich dem Offizier und fuhr ihm damit über das Wundmal an der Schläfe. Zum Erstaunen der Zuschauenden schwand die rote Farbe augenblicklich unter der Einwirkung des Schwammes, und ebenso waren die Furchen im Gesicht der Erscheinung im nächsten Augenblick verschwunden. Darauf riß Dr. Haller der Erscheinung die Mütze herunter und gleichzeitig eine Art von Perücke und fragte, zu Frau Forsting gewendet:

„Kennen Sie diesen Mann?“

Frau Forsting hatte mit weit aufgerissenen Augen die Manipulationen des Arztes verfolgt. Auf seine Aufforderung erhob sie sich, ging drei Schritte auf den Entlarvten zu und sagte mit zitternder Stimme:

„Ja, ich kenne ihn. Es ist Amandus Forsting, mein Schwager, der Bruder meines Mannes.“

„Es freut mich,“ antwortete Dr. Haller, „daß Sie so scharf und kühl denken und erkennen. Beweist es mir doch, daß Sie normal und im Besitz Ihrer vollen Geisteskräfte sind. Sie müssen nämlich wissen, meine Herren: dieser würdige Herr wußte schon seit Wochen von dem Tode des Bruders der Frau Forsting und von dem ihr zugefallenen Vermögen. Er hat nun den Plan gefaßt, sich dieses Vermögens zu bemächtigen, und er rechnete darauf, mit einer schwachen, nervösen Frau ein leichtes Spiel zu haben. Ein Zufall kam ihm zu Hilfe: er erhielt die Nachricht von dem Tode seines Bruders früher als dessen Ehefrau; die Abschrift des Telegramms, die Sie hier sehen, ist mir von der Post zur Verfügung gestellt worden. Nun hat er sich an seinen ehrenwerten Freund und Studiengenossen Dr. Loy gewandt, einen verkrachten Studenten, der im übrigen noch weniger als ein Doktor ist — ein Kapitel, das die Behörde noch gesondert beschäftigen wird. Die beiden haben nun zusammen einen menschenfreundlichen Plan ausgeheckt. ‚Mord‘, so kalkulierten sie, ist immer eine riskante Sache, denn sie kann den Kopf kosten. Einen Menschen dagegen langsam, aber sicher in den Irrsinn treiben — das führt genau zu dem gleichen Ziel: nämlich zum bürgerlichen und rechtlichen Tod des Betreffenden, ist dabei aber ganz ungefährlich, denn es kommt nicht heraus.‘ Mit der Feststellung des Irrsinns bei Frau Forsting war notwendig ihre Unmündigkeitserklärung verbunden. Verwalter ihres Vermögens, also der ihr zugefallenen Erbschaft, wurde alsdann ihr Schwager, der würdige Herr Amandus Forsting. Nach einigen weiteren Halluzinationen — und die wären bestimmt eingetreten — war mit ziemlicher Sicherheit der Tod der bedauernswerten ‚Irrsinnigen‘ zu erwarten dafür hätte ein so tüchtiger Arzt wie Herr Dr. Loy schon gesorgt — und dann war Herr Amandus Forsting im Besitz des Vermögens seiner Schwägerin, denn weitere Verwandte hat die Dame nicht.

Nun, Herr Forsting hat seine Rolle als Geist seines Bruders nicht schlecht gespielt; das fiel ihm um so leichter, als er seinem Bruder sehr ähnlich sieht. Herr Dr. Loy hat ihm geschickt assistiert. Er hat seine Blicke jedesmal verständnislos ‚ins Leere‘ schweifen lassen und mit der unschuldigsten Miene von der Welt erklärt, er sähe keinen Offizier; in Wirklichkeit hat er ihn natürlich genau so gut gesehen, wie wir alle ihn jetzt erblicken. Der ‚Geist‘ ist dann jedesmal hinter einem Gebüsch ‚verschwunden‘. Es ist Frau Forsting aufgefallen, daß sie die Erscheinung zwar sehen, aber nicht hören konnte; dies erklärt sich dadurch, daß der Geist von der praktischen Erfindung der Gummisohlen Gebrauch gemacht hat. Diese Gummisohlen, deren gitterartigen Abdruck ich im Sande des Parks fand, haben mich überhaupt zuerst auf die richtige Fährte gebracht. Er hat nun seinen Chef, Herrn Professor Racot, systematisch über den Zustand der Frau Forsting getäuscht, indem er ihm planmäßig ein falsches Krankheitsbild entworfen hat.“

Hier drückte Dr. Haller auf einen Knopf, die beiden Männer erschienen und Dr. Haller sagte, zu ihnen gewendet: „Hiermit übergebe ich Ihnen Herrn Dr. Loy und Herrn Amandus Forsting als Arrestanten.“

Nun blickte Dr. Haller Frau Forsting an und sagte in freundlichem Ton: „Wie mir Herr Direktor Dr. Stellemann eröffnet, sind Sie frei, gnädige Frau. Mein Automobil steht vor der Tür; ich werde die Erbe haben, Sie selbst in Ihre Wohnung zu geleiten.“

Teils bewundernd, teils voll Ingrimm, schaute jetzt alles auf diesen jungen Arzt. Dr. Loy machte eine Bewegung auf ihn zu, wurde aber im nächsten Augenblick zurückgerissen. „Wer . . . sind . . . Sie?“ fragte er heiser, die Augen starr auf Dr, Haller gerichtet. Dieser lächelte. „Ihre Frage beweist mir, daß Sie in meine Person einige Zweifel setzen. Nun, Sie haben nicht unrecht.“ Damit riß er Bart und Brille herunter. „Mein Name ist Joe Jenkis!“


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