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Literatur


04.3


Drei von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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2. Kapitel

Der Reklamechef des Old-Palastes wird verhaftet


Ellen lehnte matt und offenbar recht verzweifelt an der Tür.

„Mein Gott“, flüsterte sie reuevoll, „das habe ich nicht gewollt . . .! Nein, — — Mr. Elsen, glauben Sie mir, ich bin hieran schuldlos, ich habe Sie belogen . . . Ich habe Mr. Hemmerfolk nichts mitgeteilt, es sind auch keine Detektive in der Nähe, — — ich bin sehr unglücklich darüber, daß . . .“

„Schweigen Sie!“, herrschte der mittelgroße stämmige Polizeiinspektor sie an. „Wer sind Sie überhaupt? Was wollten Sie bei diesem Mr. Elsen, in dem wir nun endlich einen von der Feme erwischt zu haben hoffen?“

Ellen Clinton weinte leise. Aber sie war trotzdem erstaunlich geistesgegenwärtig . . . „Ich wollte Mr. Elsen, der als Menschenfreund hier bekannt ist, um ein Darlehn bitten, weil mein Vater . . .“

Der Inspektor ließ sie gar nicht aussprechen.

„Darlehn?! Nun gut, ich glaube Ihnen . . . — Sergeant Goddard, bringen Sie das junge Mädchen wieder auf die Straße . . . — Mr. Elsen, — — strecken Sie die Hände aus, ich kann Ihnen die Handschellen nicht ersparen. — So, nun habe ich Sie sicher. Und was Sie betrifft, Miß, so rate ich Ihnen dringend, von dieser Verhaftung zu schweigen! Sie wissen wohl, daß die Verfolgung der Feme dem Spezialkommissar Baaker übertragen worden ist. Ich handele in Baakers Auftrag, und ich möchte betonen, daß der Verdacht gegen Mr. Elsen bisher nur eben ein Verdacht geblieben ist, ich habe hier nichts Belastendes gefunden. Wenn Sie, Miß, auch nur ein Sterbenswörtchen verraten, könnte das für Sie die übelsten Folgen haben. — Goddard, geleiten Sie Miß . . ., — wie war doch Ihr Name?“

„Ellen Clinton, London-Woolwich, Packhard-Street Nummer 18 . . .“, erklärte Ellen plötzlich ungewöhnlich ruhigen Tones.

„ . . . Also geleiten Sie Miß Clinton hinab und besorgen Sie ein Auto, Goddard . . . Etwas flink!!“

Ellen warf mir noch einen eigentümlichen Blick zu und meinte leise: „Verzeihen Sie, Mr. Elsen . . . Ich hoffe Ihnen für Ihre Güte danken zu können . . . .“

Zehn Minuten später wurde ich in eine dunkle Limousine verstaut, und der Inspektor und der Sergeant nahmen aus meiner Wohnung noch vier große gefüllte Koffer mit. Goddard steuerte das Auto, und da gerade bei unserer Abfahrt ein kurzer Gewitterregen herniederging, hatte mein Abtransport keinerlei neugierige Zeugen herbeigelockt. Von Ellen und ihrem Verlobten Mac Forster war nichts mehr zu sehen.

Als der Wagen dann aber das freie, noch unbebaute Gelände jenseits West-Norwood erreichte, stoppte der Sergeant plötzlich auf der einsamen regennassen Straße, da mitten auf dem Fahrdamm eine scheinbar leblose Frauengestalt im Lichte der Scheinwerfer lag.

Der Inspektor befahl Goddard, nach der Frau sich umzutun.

„Es ist Miß Clinton!“, rief der Sergeant erstaunt, nachdem er die Frau halb aufgerichtet hatte.

In demselben Augenblick erschien neben dem Auto ein Mann, der ein seidenes Taschentuch bis zu den Augen vor das Gesicht geknotet hatte.

„Hände hoch, Inspektor!“, rief er drohend. „Öffnen Sie Mr. Elsens Handschellen, oder — —ich drücke ab!“

Dem Wettermantel nach konnte es sich nur um Mac Forster handeln.

Der Polizeiinspektor mit dem struppigen Schnurrbart gehorchte widerwillig. Dann riß Forster die Tür auf, zog mich auf die Straße und floh mit mir in den buschreichen Wellington-Park hinein, der seine Westecke bis hierher an die Straße vorschickte.

Ich sah noch, daß Ellen dem Sergeanten einen so kräftigen Stoß versetzte, daß er bis in den Straßengraben taumelte, und gleich darauf konnte ich mich von meinen beiden Befreiern mit herzlichem Dank verabschieden.

„Sie haben für mich zu viel gewagt, Miß Clinton“, sagte ich, ihr die Hand drückend. „Ich bin mir keiner Schuld bewußt und werde mich daher, damit Sie keine Unannehmlichkeiten haben, wieder der Polizei stellen. In jedem Falle — —schweigen Sie!“

Ellen starrte mich ungläubig an. „Sind Sie denn nicht der berühmte „Henker mit dem Bajazzolied“, Mr. Elsen?“

„Nein, bestimmt nicht!“, konnte ich wahrheitsgemäß erwidern. — Ellen verwechselte mich mit Freund Sheffield. „Leben Sie wohl . . . Der Polizeiinspektor wird gleichfalls im eigenen Interesse schweigen, denn Sie, Mr. Forster, haben ihn in recht beschämender Art überrumpelt. Gehen Sie diesen Hauptweg entlang, dann finden Sie beide eine Autobushaltestelle. Nochmals meinen aufrichtigsten Dank.“

Ich kehrte durch das Buschwerk zur Straße zurück, wo die Limousine noch immer hielt.

Aber der Inspektor und der Sergeant waren merkwürdigerweise verschwunden, am Steuer saß jetzt ein gut gekleideter Herr, und im Innern rauchte ein zweiter mit etwas eckigem Gesicht gemütlich eine Zigarre.

Ich stieg ein. Baronett Sheffield, der so selten lacht, meinte vergnügt:

„Olaf, das war der feinste Trick, den wir drei bisher angewandt haben. Die Geschichte klappte weit besser, als wir voraussehen konnten!“

„Allerdings, — denn Ellen und Mac sind nun von ihrem Verdacht, die Feme wohne in der Albemarle-Street, gründlich geheilt, und daß die beiden über ihr Abenteuer nichts verlauten lassen, ist genau so selbstverständlich. Ein sehr sympathisches Brautpaar, die beiden, — ich gönne ihnen von Herzen den ersten Preis des großen Rätselwettbewerbs.“

Gegen halb elf, noch bevor die Theater sich geleert hatten, stieg ein Herr im tadellosen Frackanzug und Frackmantel, dem vor der Weste ein randloses Einglas an dünner Seidenschnur hing, die Treppe zu den Kabarett-Sälen des Old-England empor, gab seine Garderobe ab und zupfte vor dem Spiegel seine Schleife zurecht.

Es war ein schlanker, fast magerer Herr mit sehr gemessenen, dennoch kraftvollen Bewegungen. Man konnte ihn seines gebräunten, frischen Gesichts wegen für einen Offizier der englischen Marine halten, zumal die etwas zugekniffenen Augen und die leichten Falten um die Mundpartie ein ungewöhnliches Maß von Energie und Kaltblütigkeit verrieten.

Diesem Herrn, der seit einiger Zeit regelmäßig um diese Stunde den Old-Palast besuchte, folgte ein zweiter, ähnlich vornehmer Gentleman, der einen Smoking trug und dessen Spitzbart und Schläfen bereits die ersten Silberfäden zeigten.

Der Herr im Frack wandte sich jetzt dem schmalen Flur zu, der die Türen der Direktionsräume des großen Vergnügungslokales enthielt, klopfte in bestimmter Art an eine dieser weißlackierten Türen und trat ein.

Das fast überladen elegant ausgestattete Büro enthielt unter anderm einen sehr kostbaren Schreibtisch, hinter dem in einem wahren Prunksessel ein kleines, unscheinbares, kahlköpfiges Männchen hockte. Es war dies Mr. Seymour Flox, Generaldirektor des Old-Palastes, Millionär und Mitbesitzer eines Bankgeschäfts.

„n’ Abend, Blaag“, begrüßte er seinen Reklamechef vertraulich und deutete auf einen zweiten Sessel. „Da, — nehmen Sie sich eine Zigarre. Ich bin Nichtraucher, das wissen Sie, obwohl mir heute so etwas Nikotin zur Beruhigung meiner Nerven recht dienlich wäre. Zunächst habe ich das so schwer vermietbar gewesene oberste Stockwerk vorhin dem bewußten Ausländer glücklich und endgültig angedreht,— dort liegt der Vertrag, und der Monsieur Bellard hat sofort für drei Monate vorausgezahlt. Also eine erfreuliche Nachricht. — Die zweite ist leider um so ungemütlicher. Kurz gesagt, mein lieber Blaag: Der verwünschte „Warner“ hat mir einen seiner berüchtigten Briefe vor genau fünf Minuten durch einen Dienstmann zukommen lassen, und, — — na, lesen Sie nur selbst, Sie werden eine leichte Gänsehaut spüren, genau wie ich. Diese Feme bedeutet geradezu eine öffentliche Gefahr für jeden anständigen Geschäftsmann, und . . .“ — Flox, der sich jetzt in hellste Wut hineingeredet hatte, hielt mitten im Satz inne, da sein vornehmer Reklamechef äußerst belustigt auflachte.

Er klemmte sein Monokel ein, entfaltete den Bogen und überflog die getippten Zeilen:

Mr. Flox, Ihr sogenanntes Preisrätsel werden Sie sofort widerrufen und den Gästen Ihres Lokals, die bereits so leichtsinnig waren, den einen Schilling Aufgeld auf ihre Zeche zu zahlen, das Geld zurückgeben. — Dies ist ein Befehl. — Im Auftrage der Drei von der Feme: Der Warner.

Mr. Charly Blaag zuckte mitleidig die Achseln.  „Und das ist alles?! Das ist nichts als eine Frechheit“, meinte er noch geringschätziger.

Plötzlich jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck.

„Was gibt’s?!“, fragte der kahlköpfige Flox neugierig. „Sie starren das Papier ja in einer Weise an, als ob . . .“, — er erhob sich schnell und beugte sich weit über den Tisch.

So wurde dann auch er Zeuge, wie unter dem „Befehl“ des Warners langsam neue Schriftzeichen sichtbar wurden, und er und Blaag lasen nun mit recht gemischten Empfindungen:

„Mr. Flox, uns ist bekannt, daß Ihr Reklamechef Charley Blaag Sie stets abends halb elf besucht, da er am Tage anderweitig beschäftigt ist. Sie haben ihn auf seine tadellosen Zeugnisse hin engagiert, aber wir sind überzeugt, daß dieser Blaag niemals derselbe Mann ist, der in Paris drei große neue Lokale durch seine Geschicklichkeit in die Höhe gebracht hat. — Sie werden „Blaag“, der recht seltsame Dinge am Tage treibt, diesen Brief zu einer Zeit geben, wo unsere Nachschrift sichtbar wird, und das wollten wir. Mr. „Blaag“ wieder dürfte es interessieren, daß Sie, Seymour Flox, vor vier Jahren aus Amerika nach England zurückkehrten und mit der drüben geraubten halben Million das Bankhaus Flox gründeten. In Wahrheit heißen Sie Sylvester Blooc und sind in Newyork Bandenführer gewesen. Ihr famoser Reklamechef Charly Blaag wird ein ähnliches Früchtchen sein. — Widerrufen Sie das Preisrätsel! — Dies ist ein Befehl — Der Warner.“

Seymour Flox befeuchtete sich mit nervös zitternder Zunge die trockenen Lippen. Er versuchte es mit einem höhnischen Auflachen, aber es wurde nur ein heiseres Krächzen.

„Blaag“ meinte er haßerfüllt, „die drei Schufte,  die sich als Hüter wahrer Gerechtigkeit aufspielen, sind infame Lügner. Ich bin nie drüben in Amerika gewesen, ich habe mit jenem berüchtigten Sylvester Blooc nichts zu schaffen, und . . .“ — er schwieg plötzlich, schnellte aus dem Sessel hoch und schrie gellend: „Da — — hören Sie, — —  was bedeutet das?! Es ist der Lautsprecher im Nebenzimmer!“

„Ich höre“, sagte Charly Blaag unerwartet gleichgültig. „Es ist das Bajazzolied aus der gleichnamigen italienischen Oper.“ Und er stand auf, öffnete die Tür zum Nebenzimmer und starrte in die Dunkelheit hinein. Dann schwieg der Lautsprecher ebenso plötzlich, Blaag eilte zur Flurtür, schaute den Korridor entlang, aber den Herrn im Smoking, der leise die Treppe zum obersten Stockwerk hinanstieg, konnte er nicht mehr bemerken.

Achselzuckend kehrte er zu Flox zurück. „Wissen Sie“, sagte er sehr ernst, „die Sache mit dem Preisrätsel kann uns teuer zu stehen kommen. Blasen Sie die Geschichte ab, Mr. Flox. Mit den Leuten ist nicht zu spaßen . . .!“

„Niemals!!“, erklärte der Chef des Old-Palastes mit unheimlicher Ruhe, die zu seiner bisherigen Angst in auffallendem Widerspruch stand. „Zunächst möchte ich von Ihnen erfahren, wer Sie nun eigentlich sind!“ Das klang wie eine Drohung, und Seymour Flox hob auch bereits den Hörer vom Tischtelefon und rief zur Hauszentrale hinab: „Schicken Sie sofort drei Detektive zu mir — sofort! Außerdem befehle ich, daß Mr. Blaag das Haus nicht verlassen darf!“


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