04.3
Drei
von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
____________________________
Ich suche Sylvester Blooc - und wen
finde ich?!
Die
Tür zum Vorzimmer war weit
offen geblieben, und der Lautsprecher mit seinem längst
fertiggestellten
Nebenanschluß fing jeden Ton auf und gab ihn verstärkt in das oberste
Stockwerk
wieder, wo in einer der als Büro ausgestatteten Räume an einem
einfachen
Schreibtisch der Herr im Smoking saß, der sich als Mr. Bellard schon
vorgestern
bei Seymour Flox vorgestellt hatte.
Die
Abhöranlage, die Freund Bick
mit gewohnter Geschicklichkeit hier eingerichtet hatte, arbeitete
tadellos, und
ich konnte mit übergestülptem Kopfhörer genau verstehen, wie der
zweifelhafte
Mr. Blaag jede Auskunft über seine Person verweigerte und sich getrost
abführen
ließ.
Da
ich nichts mehr erlauschen
konnte, legte ich den Kopfhörer beiseite, entfernte die Anschlußleitung
und
begab mich über die Haupttreppe in die Vorhalle, ließ mir Mantel und
Hut aus
der Kleiderablage geben und wartete unter dem Glasvorbau des
Old-Palastes etwa
zehn Minuten, bis eine unscheinbare dunkle Limousine langsam
vorüberrollte und
weiter oben in der Straße anhielt.
Ich
setzte mich neben Freund
Bickfort, und der Wagen fuhr weiter. — Mein Bericht schien auch den
Warner
nicht recht zu befriedigen.
Die
Familie Clinton, die einst in
sehr guten Verhältnissen gelebt hatte, dann aber durch immer mehr
verarmt war,
wohnte jetzt in dem Pförtnerhäuschen einer durch Brand vernichteten
Fabrik, die
nicht wieder aufgebaut worden war. Schräg gegenüber hatte Ellens
Verlobter Mac
Forster ein Erdgeschoßzimmer gemietet.
Ich
verließ unseren Wagen und
schlenderte langsam an der hohen Mauer des Fabrikgeländes und an den
dunklen
Fenstern des Pförtnerhäuschens vorüber. Ich war heute zum dritten Mal
in den
letzten Tagen in der stillen Packford-Street, und ich hatte lediglich
die
Absicht, mich etwas sorgfältiger um Macdonald Forster zu bekümmern, der
mir in
vielem ein Rätsel war. Als Angestellter einer Anwaltsfirma bezog er nur
ein
bescheidenes Gehalt, ging trotzdem immer tadellos gekleidet und schien
sein
Zimmer sehr wenig zu benutzen.
Als
ich nun auf der andern
Straßenseite umkehrte, stieß ich auf einen uralten, buckligen Bettler,
der mit
einem Hausiererkasten voller Zündhölzer schlurfenden Schrittes mir
entgegenkam
und wehleidig um ein Almosen bat. Ich warf ihm einen Schilling in
seinen
Kasten, und die brüchige Stimme des Greises flüsterte plötzlich
überraschend
deutlich:
„Forster
ist nicht daheim . . .
Gib aber genau acht, Olaf . . . Es bereitet sich hier etwas vor . . .
In der
Kellerkneipe drüben sitzen zwei Leute, die ich für amerikanische
Knacker halte,
und ein dritter ist Forster gefolgt. Dieser hübsche Mac mit den
verschlossenen
Zügen gibt uns genau so viel zu raten auf wie die edlen Herren Flox und
Blaag.
Ich bleibe in der Nähe.“
Der
Baronett Roger Sheffield
entfernte sich humpelnd, und ich selbst stellte mich in die dunkle Ecke
der
Toreinfahrt der niedergebrannten Fabrik und bemerkte nach wenigen
Minuten einen
Motorradler, der eine verwegene Schiebermütze und einen Lederrock
trug und
für kurze Zeit in der Kellerkneipe verschwand. Der Mann hatte einen
krausen
schwarzen Bart und eine sehr dicke, blaurote Nase, aber seine
Bewegungen
verrieten durchaus nicht die Schwerfälligkeit der Gewohnheitstrinker.
Er und
zwei ähnliche fragwürdige Gestalten betraten dann das schmale Haus, in
dem Mac
Forster vorn das Zimmer gemietet hatte, um in Ellens Nähe sein zu
können.
Offenbar benutzten die drei Nachschlüssel, und Freund Rogers Vermutung
mochte
wohl zutreffen, daß sie es aus irgend einem Grunde auf Mac Forsters
bescheidenes Heim abgesehen hatten.
Jetzt
blitzte hinter den
geschlossenen Fensterladen Mac Forsters wirklich Licht auf, und das
Unbegreifliche
der ganzen Situation wurde noch dadurch erhöht, daß ich bei einem Blick
nach
links Ellen Clintons Kopf in einem Fenster des Pförtnerhäuschens
bemerkte. Das
Mädchen hatte einen dunklen Schal um den Kopf und die Schultern
geschlungen, um
nicht aufzufallen.
In
demselben Moment begriff ich
auch, was hier gespielt wurde, zumal die drei Einbrecher nun wie
gehetzt auf
die Straße stürmten und alle drei das schwere Motorrad zur eiligsten
Flucht
benutzten.
„Was
sollten Sie bei Mac
Forster?“, fragte ich den verängstigten Burschen, dessen Aussprache des
Englischen sofort den Amerikaner verriet. „Wenn Sie zu lügen versuchen,
ergeht
es Ihnen schlecht, junger Freund. Sie haben nämlich das zweifelhafte
Vergnügen,
den Drei von der Feme in die Hände geraten zu sein, und wir haben
unsere
besonderen Methoden, Leute zur Wahrheit anzuhalten.“
Der
Mensch war ein Feigling. Die
Gerüchte, die über uns allgemein verbreitet waren, mochten seine Furcht
ins
Ungemessene steigern. Mit zitternder Stimme erzählte er, daß er
und seine
beiden Kumpane drüben in Newyork zur Sylvester Blooc Bande gehört
hätten, daß
Blooc mit ihnen noch immer in Verbindung stehe, daß sie ihn aber nicht
zu
Gesicht bekämen. Er verkehre wie früher nur schriftlich mit ihnen. Wo
er wohne,
wüßten sie nicht, heute hätten sie bei Forster eindringen und dessen
gesamte
Papiere stehlen sollen.
Was
der Mann noch weiter verriet,
gab uns die Möglichkeit, Sylvester Bloocs Fährte aufzunehmen. Daß beim
Aufziehen einer Schreibtischlade gleichzeitig zwei
Magnesiumblitzlichter
aufgeflammt waren, brauchte der Bursche gar nicht erst zu erzählen.
„Jedenfalls
sind wir fotografiert
worden“, fügte er angstschlotternd hinzu. „Deshalb flüchteten wir so
Hals über
Kopf . . . — — Ich bitte Sie, lassen Sie mich laufen . . .“,
wiederholte er
noch weinerlicher.
„Wenn
Sie zu schweigen
versprechen, ja!“, bedeutete ich ihm mit einem strengen Hinweis auf die
Folgen
eines Ungehorsams.
Er
schwor hoch und heilig, sofort
aus London zu verschwinden, und als er dann unser Auto verlassen
durfte, rannte
er schleunigst davon.
Zwei
Stunden später, gegen drei
Uhr morgens, ereigneten sich in einer der vornehmsten Straßen am
Hyde-Park
recht merkwürdige Dinge, die für den Uneingeweihten vollkommen
unverständlich
bleiben mußten.
Ein
kleiner geschlossener Sportwagen
mit einer Dame am Steuer hielt unweit einer Laterne, an der ein Mann
lehnte,
der ein kleines Paket in der Hand hatte und auf einen bestimmten Zuruf
der Dame
das Päckchen in den Wagen reichte.
Das
kleine Auto schoß sofort
davon, und als es allzu eilig um die nächste Ecke bog, streifte der
rechte
Kotflügel einen Herrn, der scheinbar schwer getroffen zurücktaumelte.
Gleichzeitig
erschien ein
Schutzmann, versperrte dem Sportwagen den Weg und half der Dame, den
Verletzten
in das Auto zu heben. Der Polizist verzichtete darauf, Meldung zu
erstatten,
nachdem die leichtsinnige Autofahrerin ihm ein Papier gezeigt und
versprochen
hatte, den Herrn für den zerrissenen Mantel und die Verletzung zu
entschädigen.
Auf
diese Weise gelangte ich in
das vornehme, villenartige Haus Miß Evelyn Baakers, wo das junge
Mädchen alles
tat, meinen bösen Nervenschock durch geeignete Mittel zu lindern.
Meine
Verletzungen waren übrigens
ganz geringfügiger Art, und im Grunde war es mir peinlich, diese
Komödie mit
Hilfe des Paketüberbringers, also Freund Rogers, und des „Polizisten“
Bickfort
durchgeführt zu haben, denn Evelyn Baaker ahnte auch nicht im
entferntesten,
wie sehr ich in ihrem Salon übertrieb und weshalb ich mich beinahe
hatte
überfahren lassen.
Der
Damensalon enthielt auch einen
Schreibtisch, der offenbar von Evelyn viel benutzt wurde. Es war nun
einmal
meine Aufgabe, hier gewisse Zusammenhänge festzustellen, und so erhob
ich mich
flink von meinem Diwan und durchwühlte die auf der Schreibtischplatte
liegenden
Papiere. Ich stieß dabei auf einen vielfach korrigierten Entwurf eines
Preisrätsels — des Preisrätsels, des großen
Fotografiewettbewerbs!!
Ich
war starr! — Zweifellos hatte
die Idee für dieses „Preisrätsel“ also aus diesem vornehmen Hause am
Hyde-Park
ihren Ausgang genommen!!
Schleunigst
legte ich mich wieder
auf den Diwan zurück, und ich mußte den Zufall segnen, der mir so
schnell
dieses Papier in die Hände gespielt hatte.
Denn
ich lag noch keine Minute
als „Patient“ wieder auf dem Ruhebett, als ich durch die
offenen Schiebetüren in den dunklen Nebenzimmern einen Schatten
wahrzunehmen glaubte, den ich nur in einem Eckspiegel sehen konnte.
Ich
hatte mich nicht getäuscht.
Es
war ein schlanker Mann in
dunkler Hausjacke, der lautlos über die dicken Teppiche näherglitt,
dann stehen
blieb und mich nun beobachtete.
Ich
schloß die Augen und
blinzelte nur durch die Lidspalten nach dem verräterischen Spiegel hin.
Ich
mußte mich zusammennehmen, um
mich nicht durch eine jähe Bewegung der Überraschung zu verraten.
Der
Herr dort war Charly Blaag,
der Reklamechef des Old-Palastes! Er war also auch gleichzeitig der
„unsichtbare“ Spezialkommissar Harry Baaker, den die Regierung sich
eigens zum
Zweck der Aufspürung der Feme der Drei aus den afrikanischen Kolonien
herbeordert hatte und über dessen Person man nichts als die Stichworte
kannte:
Sehr elegant, sehr energisch, sehr verschwiegen!
Da
hatte ich mich ja hier
ahnungslos in die Höhle des Löwen hineingewagt, des sogenannten
unsichtbaren
Löwen vom Kongo, denn gerade in den englischen Kongogebieten sollte
dieser Mann
mit eiserner Faust gegen üble Mißstände aufgetreten sein.
Die
Gestalt verschwand wieder,
und dann kehrte Miß Evelyn zurück, der gegenüber ich mich Charles
Bellard,
französischer Kaufmann, genannt hatte.
Evelyn
war jetzt von einem
Küstenaraber in Dienerlivree begleitet, und dieser stämmige, große,
braunschwarze Bursche mit den intelligenten Zügen blieb
abwartend an der Tür stehen.
Eine
ungewisse Ahnung stieg da in
mir auf, daß „Monsieur Bellard“, Mieter der obersten Etage des
Old-Palastes,
seine ganze Geistesgegenwart zusammenraffen müsse, um aus dieser
Löwenhöhle wieder entwischen zu können.
Hatte
die ebenso schöne wie
pikante Evelyn, die schon am Kongo ihren Bruder tatkräftig unterstützt
haben
sollte, irgendwie Verdacht geschöpft?
Schon
die nächsten Minuten mußten
mir Gewißheit geben.
oben
weiter
______________________________
|