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Literatur


04.3


Drei von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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5. Kapitel
 
   Evelyn und Ellen

Ellen Clintons Vater gehörte mit zu den Glücklichen, die von der Firma Bellard eingestellt worden waren. Er wurde zunächst mit ganz leichten Aufträgen im Außendienst beschäftigt, so daß er viel Gelegenheit hatte, sich an der frischen Luft zu bewegen.

Die Familie Clinton war jetzt förmlich aufgelebt, Not und Sorgen waren glücklich überstanden, nur Mac Forsters Benehmen bereitete den Eltern des jungen Mädchens einige Bedenken, während Ellen die Wandlung der Dinge ziemlich kühl hinnahm. Mac war verschlossener denn je, hatte auch seine Wohnung gewechselt, ließ sich immer seltener sehen und schien es gar nicht zu bemerken, daß Ellens rasch erwachte Zuneigung zu ihm hierdurch langsam erkalten mußte.

Acht Tage nach der eigentlichen Eröffnung der Auskunftei säuberte Frau Amalie Pellwoor, die gleichfalls bei der Firma Bellard eine feste Anstellung als Aufwärterin und sogar im Seitenflügel für sich und ihre Poussy eine kleine Wohnung gefunden hatte, das Privatbüro Mr. Bellards, der zumeist verreist war, und unterhielt sich zu dieser späten Abendstunde wie so oft mit dem buckligen Sekretär, der ein fanatischer Radioschwärmer war und die Kopfhörer kaum einmal ablegte.

Zwischen Frau Amalie, Poussy und dem alten Samuel Sotter bestand längst eine Art besondere Freundschaft, obwohl die frühere Hausiererin den hinter seiner Tapetenwand arbeitenden Sam Sotter selten zu Gesicht bekam. Aber eine Tapetenwand gestattet auch eine Unterhaltung, ohne daß man sich sieht.

Das bejahrte, noch sehr flinke Weiblein fragte jetzt besorgt, ob Mr. Sotter sich erkältet habe. „Sie sprechen heute noch heiserer als sonst, und daß Sie mit dem Schnupfen so lange Überstunden machen, ist geradezu leichtsinnig, Mr. Sotter, genau so leichtsinnig wie Mr. Clintons Besuche bei Miß Lilian Goust, der Filmdiva. Meine Nichte ist dort Kammerzofe, und ein kränklicher Herr wie Clinton sollte nicht noch Stadtreisender spielen und . . .“

„Jeder hat einen Nebenverdienst, liebe Frau Pellwoor“, meinte ich scheinbar ganz uninteressiert. — In Wahrheit stellten Amaliens Andeutungen über Stuart Clinton einen weiteren Faden zu dem großen Netz dar, an dem ich so emsig arbeitete.

Die gute Amalie ahnte noch immer nicht, daß „Sotter“ nur ein Sammelname für drei verschiedene Persönlichkeiten war, die sich regelmäßig hinter der Tapetenwand ablösten.

Wir drei waren dadurch äußerst mißtrauisch geworden, daß Spezialkommissar Harry Baaker seit jener Nacht, als ich in sein Heim mich eingeschmuggelt hatte, wie vom Erdboden fortgefegt war. All unsere Versuche, seine Spur wieder aufzufinden, waren ergebnislos geblieben, und schon aus diesem Grunde war Mr. Bellard so häufig abwesend. Wir fühlten uns in den Räumen der Auskunftei, die ein erster Subdirektor und Fachmann leitete, nicht mehr sicher.

Heute hatte ich als „Sotter“ hinter der Tapetenwand Dienst, und Frau Amalie, deren Mundwerk ungern stillstand, erzählte mir in einem Atem mit ihrer Sorge um meinen Schnupfen, daß Poussy soeben durch das offene Fenster auf die Plattform der Feuerleiter hinausgeklettert sei. Dann hörte ich, wie sie ihre Katze zärtlich lockte, das Fenster schloß, und plötzlich auch der Lichtschalter zweimal knackte.

„Mr. Sotter  . . !!“ flüsterte Amalie nun dicht an der Tapetenwand . . . „Mr. Sotter, — — habe ich nur einen Schreck bekommen!! Der Kerl ist wieder da! Schon gestern bemerkte ich ihn . . . Unten im Hof steht er . . .“

„Ja, — der neue Wächter, Frau Pellwoor“, erwiderte ich sehr gegen meine eigene Überzeugung. „Gute Nacht, verschlafen Sie Ihre Ängste“, fügte ich scherzend hinzu.

Kaum aber hatten Amalie und Poussy die Büroräume verlassen, als ich auf eine etwas eigentümliche Art meinen fensterlosen Verschlag gleichfalls verließ und mich Minuten später droben auf dem flachen Dache des Old-Palastes befand. Amalie ahnte nicht, wie wichtig mir ihre Beobachtungen waren. Ich kroch bis zur Dachrinne vorwärts und blickte in die Tiefe hinab.

Gerade am Fuße der Feuerleiter drunten im Hofe bemerkte ich tatsächlich eine Gestalt, die dort um diese Stunde nichts zu suchen hatte. Ich besaß jedoch bessere Augen als die Aufwärterin, und da die Person jetzt den Kopf hob, erkannte ich zu meiner größten Verblüffung Ellen Clinton, die in einem Männeranzug mit Schiebermütze steckte und die dazu noch einen prall gefüllten Rucksack trug.

Der Hofraum war bis auf einige Lieferautos leer.

Ellen schien sich erst einmal orientieren zu wollen, klomm dann aber recht flink die Feuerleiter hinan und machte vor den Fenstern des Privatbüros des Mr. Flox halt, schwang sich geschickt auf einen Mauervorsprung bis zum vierten Fenster und öffnete dieses mit der Gewandtheit eines Einbrechers.

Es war der Kassenraum des Old-Palastes, in den sie eingedrungen war. — „Kassenraum“ war eine etwas großsprecherische Bezeichnung, denn Generaldirektor Flox ließ jede Nacht nach Geschäftsschluß die Geldbeträge noch zur Bank bringen, und der veraltete Geldschrank in dem „Kassenraum“ enthielt lediglich Geschäftsbücher und die zahllosen Briefe derer, die sich an dem großen Preisrätsel bisher beteiligt hatten. Gewiß, der Tresor war ein umfangreiches Ungetüm, — wir drei wußten dies am besten, und als Bickfort Tomsen, unser Spezialist ihn vor einiger Zeit ohne äußerliche Spuren dieser Eigenmächtigkeit geöffnet hatte, war dem vielseitigen jungen Absender der berüchtigten „gelblichen Briefe“ so manches an diesem Stahlschrank aufgefallen.

Jetzt schien Ellen Clinton aus noch nicht recht klaren Gründen dasselbe wie Bickfort versuchen zu wollen. Das Tun des Mädchens war mir wirklich unverständlich. Ellen wußte offenbar, daß die Wächter ihre Rundgänge erst um halb zwölf begannen und daß Mr. Seymour Flox heute Sonnabend das Wochenende auf seinem Landsitz an der Themse verbrachte. Die Zeit war also gut gewählt. Wie das junge Mädchen allerdings den Tresor allein ohne fremde Hilfe aufzuschweißen gedachte, blieb ein Rätsel.

Nachdem einige Minuten verstrichen waren, benutzte ich ebenfalls die Feuerleiter, landete glücklich vor dem betreffenden Fenster und schob die Wolldecken, die Ellen innen befestigt hatte, etwas zur Seite.

Ich war gerade im richtigen Augenblick zur Stelle, denn soeben hatte Ellen ihrem Rucksack einen elektrischen Schweißapparat kleineren Formats entnommen und wollte die Anschlußschnur an einer Schaltdose befestigen, als unter einem der Bürotische, vor dem Musterkartons aufgehäuft waren, eine zweite Gestalt lautlos hervorglitt, Ellen mit einer Laterne beleuchtete und ihr gleichzeitig eine Pistole entgegenhielt.

Es war erstaunlich, wie gute Nerven Ellen besaß.

Sie schrie weder auf noch wich sie ängstlich zurück, nein, sie heftete nur ihre Augen ganz fest auf das durch eine Maske völlig verhüllte Gesicht des zweiten Mannes und sagte seltsam scharfen Tones, wenn auch nur halblaut:

„Du solltest dich schämen, Mac, daß du all meine Schritte überwachst oder überwachen läßt. Ich erkenne dich, du kannst die Larve abnehmen, ich werde niemals so töricht sein, dich für einen der Drei von der Feme zu halten. Ich glaube kaum, daß wir beide uns noch etwas zu sagen haben. Meine Liebe zu dir war einer jener Irrtümer, die jedem jungen Mädchen, das in bescheidenen Verhältnissen lebt und sich plötzlich von einem anscheinend sympathischen Manne umworben sieht, zustoßen kann. Du hast mich zu bitter enttäuscht. Du wünschtest nicht eine Bekanntschaft mit mir anzubahnen, sondern die Sekretärin Kommissar Hemmerfolks wolltest du aushorchen. Hinterher ist mir das alles klar geworden. Deine Absichten zielten von vornherein darauf ab, dir die ausgesetzte Belohnung von fünftausend Pfund für die Ergreifung der Drei von der Feme zu sichern — durch mich! — Willst du etwa noch weiter Komödie spielen und leugnen, daß du Macdonald Forster bist?! Eins verrät dich trotz der viel zu weiten Handschuhe und trotz deiner Maskerade: Dein Parfüm! Du solltest damit wechseln. Du bist Mac!“

Die Person, die der enttäuschten und empörten Ellen auf zwei Schritt gegenüberstand, senkte jetzt die Waffe und erwiderte mit verstellter, dumpfer Stimme, die mich freilich nicht täuschen konnte:

„Miß Ellen, Sie befinden sich in einem bösen Irrtum. Ich bin nicht Ihr Verlobter, — daß er dasselbe Parfüm bevorzugt, ist ein Zufall. Da — sehen Sie meine Hand. Ist das die Hand Macdonald Forsters?!“

Der Fremde hatte schnell den rechten Handschuh abgestreift.

Ellen flüsterte ungläubig: „Oh, — eine Frau! Das ist eine Frauenhand! — Wer sind Sie?!“

Aber die Maskierte schüttelte energisch den Kopf.

„Mein Name tut nichts zur Sache. Trotzdem können Sie mich nach den Worten, die Sie soeben an Mac Forster zu richten glaubten, als Ihre Verbündete betrachten.“

Jetzt verstellte Evelyn Baaker, die Schwester unseres gefährlichen Gegners, der in Wahrheit „unsichtbare Kongolöwe“, ihre Stimme nicht mehr.

In herzlicher Anteilnahme ergriff Evelyn Ellens Hand. „Was wollten Sie hier? Schnell, — — wir haben nicht mehr viel Zeit . . . Seien Sie ehrlich! Auch ich bin es. Ich bin vor Ihnen eingeschlichen und wollte ebenfalls den Tresor öffnen, freilich nicht mit Gewalt, das ist nicht notwendig. Es geht auch ohne Ihre Einbrecherwerkzeuge, Ellen Clinton. Da, — geben Sie acht . . .!“

Sie trat schnell vor den Stahlschrank hin, berührte wie spielend eine der Zierrosetten neben denn Schloß, und die schwere Tür schwang geräuschlos nach außen.

Ellen hatte sich vor Staunen kerzengerade aufgerichtet. Unter ihrer tief ins Gesicht gezogenen Mütze leuchteten ihre Augen vor Freude und Triumph.

Evelyn Baaker drehte sich nach ihr um und fragte nochmals in demselben warmen, freundlichen Tone:

„Nun, Kind, — was wollten Sie hier?“

Ellen senkte schnell den Kopf. Sie war verlegen, — man fühlte, wie schwer ihr das Lügen wurde.

„Ich . . . ich . . . brauche Geld!“, stammelte sie noch scheuer.

Die Schwester des berühmten Harry Baaker seufzte enttäuscht. „Schade um Sie, Ellen Clinton! Ich hätte mehr von Ihnen erwartet. Ich habe Ihnen den Weg zum Inhalt des Tresors freigemacht. Ist das Ihr Dank, Ellen?!“

Ellen lehnte halb verzweifelt an einem Aktenregal.

„Ich . . . darf Ihnen nicht die Wahrheit sagen“, flüsterte sie, gegen die aufsteigenden Tränen umsonst ankämpfend. „Meine Ansichten über Recht und Unrecht sind so ganz andere, als Sie sie vertreten dürften.“

Evelyn Baaker beugte sich vor und legte ihr leicht die Hand auf die Schulter. „Kind, geht es um die Drei von der Feme?“, fragte sie nachsichtig und liebevoll.

„Ja!“, erwiderte Stuart Clintons einziges Kind jetzt ohne Zögern.

Evelyns Hand sank herab.

„Ich fürchtete es . . .“, meinte sie leise. „Obwohl ich die Zusammenhänge nicht ganz verstehe . . .“ —

Ich verstand sie. Das genügte. Mir war plötzlich eine Offenbarung gekommen, wer der stille Kompagnon Seymour Flox war, — dieses schattenhafte Wesen, das in den Direktionsräumen des Old-Palastes immer erst nach Mitternacht wie aus dem Nichts auftauchte und mit Flox so leise Gespräche führte, daß unsere Abhöranlage zumeist versagte.


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