04.3
Drei
von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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Ein Gefangener auf
Ehrenwort
Frau
Amalie Pellwoor, die mit
ihrer geliebten Poussy im Seitenflügel des Old-Palastes im Erdgeschoß
zwei Stübchen
bewohnte, wurde in dieser Nacht gegen halb Drei von ihrem Freunde
Samuel Sotter
herausgeklingelt.
Sotter,
der Mann mit dem
Kopfhörer aus dem Büroverschlag der Auskunftei Bellard, hatte noch
einen
Bekannten bei sich, der einen dritten, scheinbar kranken stützte.
Frau
Amalie war sofort
einverstanden, den durch „Straßenräuber“ Überfallenen insgeheim bei
sich
aufzunehmen, denn Mr. Sotter verstand es vortrefflich, ihr eine lange,
rührende
Geschichte zu erzählen, und noch niemand hatte vergebens an Amaliens
gutes Herz
sich gewandt. Die einstige Hausiererin hatte nun einmal eine Schwäche
für
„Samuel Sotter“, obwohl dieser doch nur ein Sammelbegriff für drei
Personen
darstellte, die stets nur sehr heiser durch die Tapetenwand Amalies
Vorliebe
für einen Plausch gefördert hatten. Vielleicht lagen die Dinge so, daß
in
Amaliens Unterbewußtsein (daß es so etwas gab, dürfte ihr fremd sein)
die
Vorliebe für die Drei von der Feme von Norwood, Albermarle-Street, her
sich
nach dem Old-Palast weiter verpflanzt hatte.
Wie
dem nun auch sein mochte,
Tatsache blieb, daß mein glücklicher Gedanke, den halb besinnungslosen
Mac
Forster, den wir in unserem Auto vom Flusse bis hierher geschafft
hatten, bei
Amalie unterzubringen, die allerbesten Früchte trug und daß ich,
nunmehr wieder
nur Sotter, der Radiobegeisterte, Macs Schußverletzungen weit
leichter
beurteilte, als dies dem starken Blutverlust nach zunächst geschehen
war. Es
handelte sich um glatte Durchschüsse, die Wundränder hatten sich
bereits wieder
geschlossen, und nach einigen Gläschen Whisky war Forster bereits bei
voller
Besinnung.
„Frau
Pellwoor“, sagte ich zu
meiner Freundin in der Küche, „Ihr Patient hat keine Ahnung, wer ich
bin. Es
ist auch nicht nötig, daß er das erfährt. Erklären Sie ihm, ein paar
Fremde
hätten ihm beigestanden, mehr wüßten Sie nicht. Und wenn morgen ein
junges
Mädchen, seine Braut, ihn besuchen sollte, wundern Sie sich nicht
weiter
darüber, daß es jene Miß Clinton ist, — — Sie besinnen sich wohl,
—dieselbe, die in Norwood nach wohltätigen
Herren sich
erkundigte.“
Amalie
blickte mich seltsam an.
In ihren lebhaften, intelligenten Augen erschien ein fast zärtlicher
Schimmer.
Mit freudiger Geste legte sie ihre verarbeitete Hand auf ihr Herz und
flüsterte
mit pfiffigem Schmunzel: „Lieber Mr. Sotter, mir kann man die Zunge
herausreißen, — — ich verrate nichts, gar nichts. Ich weiß,
Sie sind der sogenannte Warner der Drei von der Feme. . .!“
Ich
schüttelte genau so pfiffig
lächelnd den Kopf. „Bedaure, Frau Pellwoor,—
Sie
tun mir wirklich zu viel Ehre an! Hier
meine Hand: Ich bin nicht der Warner! Es tut mir leid, Sie
enttäuschen zu müssen. Aber ein so altes Männlein wie ich, — —
der Gedanke ist zu komisch, — ich
will Sie auch nicht weiter aufhalten, —
— gute Nacht . . . Ein Arzt wird sehr
bald erscheinen.“
Unser
Abschiedshändedruck ließ in
Amaliens Handfläche das unverkennbare Bild einer Zehnpfundnote zurück.
Draußen
vor dem Old-Palast in der
Hollborn-Street war es längst still geworden. Die große
Vergnügungsstätte
war geschlossen, nur wenige Nachtschwärmer kamen noch vorüber, und
unsere
Limousine stand ganz einsam auf dem Parkplatz.
Ich
stieg ein. „Amalie hatte
leisen Argwohn geschöpft“, sagte ich zu meinen Freunden, die genau
wußten, daß
die Hauptarbeit dieser bereits entschwindenden Nacht uns erst noch
erwartete.
„Zum Glück konnte ich es Amalie unschwer ausreden, daß ich einer der
Feme sei.
Sie hielt mich für den Warner. —
Lieber Bickfort, du kennst unser Ziel . . . Beeile dich . . . Wir
müssen
unbedingt noch vor Tagesanbruch die Sache ins Reine zu bringen.“
Zwanzig
Minuten später schritten
Sheffield und ich am Nordufer jenes Seitenkanals der Themse gemächlich
in
Arbeitertracht entlang, auf den Mac Forster mit seinem Ruderboot
zugesteuert
war. Der Baronett, der genau wie Bick niemals eine überflüssige Frage
stellte,
erklärte nach einiger Zeit, als ich verschiedene alte halbwracke
Schleppkähne,
die am Ufer vertäut waren, scharf gemustert hatte: „Suchst du eine
bestimmte
Person, Olaf?! Glaubst du, daß Mac Forster, der in Wahrheit
Rechtsanwalt, sehr
wohlhabend und nur aus Neigung Hilfsbeamter der Kriminalpolizei ist,
hier
irgendwo jemanden verbirgt?!“ — Es
waren das weniger Fragen als etwas ironisch gemeinte Feststellungen.
Die
blitzschnelle geistige
Anpassungsfähigkeit meiner treuen beiden Helfer kannte ich seit langem.
Gewiß,
es sei immer wieder betont, daß jeder von uns dreien einen bestimmten
Typ
darstellte. Das Wertvolle hierbei war, daß wir uns gegenseitig
ergänzten und
zumeist auf verschiedenen Wegen zu denselben Schlußfolgerungen
gelangten.
Diesmal allerdings hatte es der Zufall gefügt, daß ich sowohl Freund
Roger als
auch Bick um ein Bedeutendes voraus war.
Ich
blieb stehen. „Er verbirgt
jemanden, — das ist freilich nur
beschränkt richtig“, erwiderte ich zerstreut.
Meine
ganze Aufmerksamkeit galt
jetzt einem Schleppkahn, der, vollkommen wrack, an einer sumpfigen
einsamen
Uferstelle lag.
Keine
Laufplanke führte vom
Bollwerk an Land, nichts deutete darauf hin, daß sich drüben ein
lebendes Wesen
auf dem kläglichen, verrotteten Fahrzeug befände.
Und
doch stieß mir etwas auf: Der
kleine Schornstein der Heckkajüte, freilich nur ein Blechrohr, war —
neu!
Sheffield,
der gemächlich an
seiner Zigarre sog, pfiff leise durch die Zähne. „Hm, — ich werde ein
Boot besorgen, Olaf . . .!“
Dann
waren wir an Bord, stiegen
in die Heckräume hinab, und hinter einem Berg morscher Kisten fand ich
noch
eine Tür zu einem Verschlag mit einer Waschgelegenheit. Die Tür war
durch zwei
Vorhängeschlösser versperrt gewesen und dazu mit Eisenblech benagelt.
Meine
Karbidlaterne erhellte die
Finsternis, und außer dem Waschbecken nebst Zubehör sahen wir eine neue
Matratze, auf der ein in Decken gehüllter Mann friedlich faulenzte,
während auf
einem Schemel neben ihm eine Lampe stand und Bücher, Zigaretten und
Lebensmittel lagen.
Der
Mann paßte in diese Umgebung
nicht recht hinein. Er trug eine Frackweste, ein zerknittertes Oberhemd
und
darüber eine farbige Wollweste. An den Füßen hatte er ein Paar neue
Morgenschuhe. Seine Lackstiefel und der Frack lagen auf einem zweiten
Schemel.
Der
grelle Lichtschein und das
Geräusch unserer Dietriche in den Vorhängeschlössern hatten ihn
geweckt. Er
blinzelte uns verschlafen an und fragte mürrisch: „Sind Sie’s, Mr.
Warner?“
Warner?!
— Sollte Mac Forster die Unverfrorenheit besessen haben,
seinem
Gefangenen gegenüber als einer von der Feme aufzutreten? — Es mußte
wohl so sein.
Wir
traten näher, und wie
vereinbart spielten wir nun die durch diesen Fund völlig überraschten
Flußdiebe.
„Na
nu, Sir, was machen Sie denn
hier?!“, meinte Sheffield im übelsten Englisch der verrufenen Londoner
Stadtviertel.
Der
Gentleman klemmte gemächlich
ein Monokel ins Auge.
„Notquartier!“,
entgegnete er
leichthin.
„So
. . . so . . .! — Na, du scheinst ja eine ganz feine Marke
zu sein, old Boy“, grunzte Freund Roger scheinbar enttäuscht. „Bist
wohl so
einer von den Hochstaplern, die im Westen der City die Dummen fangen?
Hast de
wenigstens für uns arme Strompiraten ’n paar Schillinge übrig? Dann
verraten
wir dich nicht — Her mit’s Geld!! — Oho, ein nobler Herr! Schau an, — —
fünf Pfund!! Sehr gut, — dann wollen
wir nicht weiter stören, — —wir sind ehrliche Gauner, wir halten den
Mund!“
Roger
Sheffield trat zurück.
Der
feine Gentleman konnte nur
wenig von uns sehen, da meine Laterne ihn zu sehr blendete. Aber ich
war mit
Rogers Abwicklung der Unterhaltung nicht ganz einverstanden. Ich wollte
über
einen bestimmten Punkt Gewißheit erlangen.
„He,
du“, sagte ich genau so im
östlichen Dialekt, „hier haust wohl noch’n Freund von dir? Du warst ja
eingeschlossen, Mensch!“
„Ein
sehr guter Freund wohnt hier
noch“, lächelte der Vornehme etwas bissig. „Warner heißt er, und
Taschendieb ist er . . .“
„Taschendieb?!
Pfui Deibel!!“,
meinte der Baronett verächtlich. „Wir sind anständ’je Flußdiebe! Es ist
ein
saures Brot . . . Aber Taschendieb?!“
Ich
warf die Tür zu, verschloß
sie wieder, häufte die Kisten davor auf, Roger half mir, und als wir am
Ufer
unserer Limousine zuschritten, sagte der stämmige Baronett mit dem
eckigen,
strengen Gesicht kopfschüttelnd:
„Es
ist das erste Mal, Olaf, daß
mein Hirn streikt. Was in aller Welt tut der Spezialkommissar Harry
Baaker in dem
elenden Loch?!“
„Haft
mit Bewegungsfreiheit auf
Ehrenwort, daß er nicht entfliehen will“, erwiderte ich, während wir
bereits in
unsere Limousine kletterten.
Bickfort
Tomsen, der am Steuer
saß, meinte lediglich:
„Habt
ihr Evelyns Bruder
gefunden? – das sollten die hohen Herren von Scotland Yard ahnen, daß
Mac
Forster den berühmten unsichtbaren Kongo-Löwen so fein geschnappt hat!“
„Und
zwar als „Warner“, mein
lieber Bick“, sagte ich nur halb scherzend, denn die weitere
Entwicklung der
Dinge bereitete mir Sorgen. „Baaker glaubt, er befände sich in der
Gewalt der
Feme. Wie Mac Forster als einzelner Mann es fertiggebracht hat, Baaker
in das
Wrack zu verschleppen, ist eine der vielen dunklen Fragen des
Preisrätsel-Falles . . .“
„Und
des Falles Sylvester Blooc,
Bankräuber aus Newyork“, ergänzte der Baronett und zündete sich
gemächlich eine
Zigarette an.
oben
weiter
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