04.3
Drei
von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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Stuart Clinton erhält einen
Auftrag
„Nehmen
Sie Platz, Mr. Clinton“,
sage ich zu dem mageren, kaum mittelgroßen Manne, der sich in letzter
Zeit
infolge besserer Ernährung und durch den häufigen Aufenthalt an
frischer Luft
gut erholt hatte.
Heute
freilich kämpfte der
bescheidene Stuart Clinton mit einem beginnenden Schnupfen und
Husten und
räusperte sich andauernd.
Clinton
war ein Mann mit einem
ungewöhnlich widerspruchsvollen Gesicht. Die Leidensmiene, die er
zumeist zur
Schau trug, stand in schroffem Gegensatz zu seiner fast kühnen Nase und
der
stark ausgebildeten Kinnpartie. Auch seine Augen, über denen ganz dünne
Brauen
wie mottenzerfressene Haarstreifen sich wölbten, wechselten sehr häufig
den
Ausdruck, besonders wenn Clinton sich unbeobachtet glaubte.
Ich
hatte diesen verarmten
Kaufmann, der einst sogar Zweiggeschäfte im Ausland unterhalten hatte,
mit der
Zeit sehr genau kennengelernt.
Ich
durfte es daher auch wagen, ihm
einen Auftrag zu erteilen, der über die Grenzen der Tätigkeit einer
Auskunftei
hinausging.
„Mr.
Clinton, ein neuer Kunde von
uns, dessen Name verschwiegen werden muß, sucht einen Verwandten, der
offenbar
zu erpresserischen Zwecken verschleppt worden ist“, sagte ich völlig
sachlich
und bot Clinton eine Zigarre an, die er in Rücksicht auf seine starke
Erkältung
dankend ablehnte. — Er war wirklich
sehr erkältet, und anscheinend hatte er bereits leichtes Fieber.
„Die
Ermittlungen sollen nun in
aller Stille ausgeführt werden“, fügte ich erläuternd hinzu. „Dazu
brauche ich
eine Vertrauensperson. Nach den bisherigen Feststellungen dürfte sich
der
Verschleppte irgendwo in der Nähe von Lawenstick, der
Werftarbeiterkolonie
unweit des Tiburn-Seitenarmes der Themse befinden. Kennen Sie die
Gegend bei
den Docks?“
„Ja,
Mr. Bellard. Von meiner
früheren besseren Zeit her. Ich besaß ja sogar zwei Frachtdampfer.“ Er
seufzte
schmerzlich, und der Seufzer ging in einen hohlen, trockenen Husten
über.
„Nun
gut. Die Wetterwarte hat
Abkühlung und für die späteren Nachmittagstunden Nebel angesagt.
Meine
Ansicht geht dahin, daß der Verschleppte sich auf einem wracken
Frachtschiff
des östlichen Teiles des Tibure-Seitenarmes befindet. Glauben Sie, daß
Sie in
Ihrem jetzigen Zustand, denn Sie sind nicht ganz auf dem Posten,
imstande sind,
den Auftrag zu übernehmen?“
„Gewiß“,
erklärte Stuart Clinton
mit allem Nachdruck und lächelte selbstbewußt. „Ich bin vielleicht
zäher, als
man glaubt, und . . .“
Es
hatte geklopft, der
Vorzimmerboy trat ein und überreichte mir einen Brief. „Entschuldigen
Sie, Mr.
Bellard, aber der Herr hat es sehr eilig . . .“
Ich
riß den frisch zugeklebten
Umschlag auf. Er enthielt nur eine Visitenkarte:
Edward
Summer,
Export,
Import.
London,
Oxford Street.
Auf
die Rückseite war mit
Bleistift gekritzelt: Bitte um sofortige Rücksprache. Hohes Honorar.“
„Mr.
Summer wird in drei Minuten
vorgelassen werden“, bedeutete ich dem Büroboy, der dann verschwand.
Ich
verabschiedete auch Clinton.
„Es
bleibt also dabei . . . Sie
nehmen die Ermittlungen heute gegen sechs Uhr auf, Mr. Clinton.“
Kaum
war ich allein, als ich,
durch die Karte mit der Zusage eines hohen Honorars gewarnt, eiligst
die
Tapetentür zum Verschlage Mr. Sotters öffnete und hier auf den Tisch
stieg.
Über
dem Tische war eine
Lüftungsklappe angebracht, die neuerdings beträchtlich vergrößert
worden war
und in einem Lüftungsschacht mündete, der bis zum Dache lief. Von
dieser
Vergrößerung war freilich nichts zu bemerken. Das Ziergitter machte den
Eindruck, als ob dort kaum ein kleines Kind hindurchschlüpfen
könnte.
Ich
benutzte diesen nur uns
dreien bekannten Weg zum Dache jetzt zum zweiten Male. In dem Schacht
waren
Steigeisen angebracht, es hingen dort auch Beutel mit Kleidern und
anderen Dingen,
und als Kommissar Hemmerfolk mit sechs Beamten mein Privatbüro betrat,
offenbar
auf Grund einer längst erwarteten anonymen Anzeige als Vertreter Harry
Baakers,
traf er im Vorraum nur einige wartende Kunden.
Mein
Zimmer war leer.
Hemmerfolk
nahm diesen Fehlschlag
sehr gelassen hin und meinte nur zu dem ihn begleitenden
Detektivinspektor:
„Ich
sah das voraus . . . Die
Feme hat ihr besonderes Spionagesystem. Dieser Bellard muß gewarnt
worden
sein.“
Zur
selben Zeit verließ ein
Arbeiter mit einem Rucksack über die Hintertreppe das
Old-Palast-Gebäude und
schritt, da er das Blechschild der Angestellten der Vergnügungsstätte
an der
Mütze trug, unangefochten an den an den Ausgängen postierten Detektiven
vorüber
und traf in einer stillen Nebengasse eine unauffällige Limousine, in
die er
eilends hineinschlüpfte. Am Steuer saß diesmal Freund Roger, während
Bickfort
Tomsen, der Warner, der als Edward Summer aufgetreten war, in einer
Ecke
lehnte.
„Olaf“,
sagte er achselzuckend,
„unsere feine Auskunftei ist uns fernerhin verschlossen. Du hattest
wieder
einmal die richtige Witterung: Der Bursche, der seinen Gemüsekahn
wegsacken
ließ, nachdem er Mac Forster mit einigen Kugeln bedacht hatte, hat sich
für das
kalte Bad in der Themse gerächt und uns angezeigt. Diesmal bist du
wirklich mit
knapper Not entwischt.“
„Immerhin
entwischt“, brummte der
ewig mißvergnügte und doch so herzensgute Baronett Sheffield, der
die
Kasse der Feme immer wieder auffüllte, wenn es nottat.
Das
Auto rollte davon, und das
Spiel um Freiheit und Gerechtigkeit ging weiter. —
Hemmerfolk
durchsuchte Mr.
Charles Bellards Schreibtisch. Er hatte seine Sekretärin mitgebracht
und ließ
sie nun folgendes Stenogramm aufnehmen: „In der Mittelschieblade eine
notarielle Urkunde vorgefunden, deren Inhalt besagt, daß Bellard
genötigt sei,
für Jahre nach Südamerika zu gehen und daß die Auskunftei in den Besitz
Miß
Ellen Clintons übergehen solle samt dem Stammkapital von fünftausend
Pfund.“
Hemmerfolk
warf Ellen einen
langen Blick zu, und Ellen senkte schnell den Kopf.
„.
. .Die Urkunde besagt weiter,
daß kein Angestellter entlassen werden und daß der Fachmann und
Subdirektor Mr.
Wilton die Auskunftei für Miß Clinton fortführen soll . . . — Hm, —
sehr sonderbar, aber unbedingt sehr sozial gedacht von diesem Bellard.
Glauben
Sie, Miß Ellen, daß er einer der Feme war?“
Ellen
blickte Hemmerfolk ruhig
an. „Nein, — die anonyme Anzeige war
eine Lüge und sicherlich nur ein
Konkurrenzmanöver.“
Hemmerfolk
schwieg dazu.
Er
sah ein, daß es keinen Zweck
hatte, die Drei erwischen zu wollen.
Man
blamierte sich nur dabei. Das
wußte er am allerbesten. Er kannte die Arbeitsmethoden der Feme vom
Fall „Mäusebussard“
her, und wenn er vor sich selbst ganz ehrlich sein wollte, mußte er
zugeben,
daß die berüchtigten Drei unbedingt das Herz auf dem rechten Fleck
hatten. Wie
sollte er auch nachweisen, daß „Bellard“ mit einem der drei identisch
gewesen?!
Gleich
darauf räumte die Polizei
in aller Stille den Oberstock, nachdem Hemmerfolk den Angestellten
noch
erklärt hatte, daß die Auskunftei wie bisher weitergeführt würde. —
An
demselben Tage gegen fünf Uhr
nachmittags kehrte die bekannte Filmdiva Lilian Goust von einer
Aufnahme in ihr
luxuriöses Heim zurück, dessen erlesenen Prunk sie hauptsächlich dem
Reichtum
ihres etwas sehr geheimnisvollen Freundes Mr. Smith verdankte, von dem
sie im
übrigen nur das eine mit Bestimmtheit wußte, daß er sich aus
Sensationshunger
und Abenteuerlust als Amateurdetektiv betätigte und bei ihr sehr häufig
sich zu
diesem Zweck maskierte.
Lilian
hatte als Filmstar sehr
rasch Karriere gemacht, war ein unverdorbenes, sehr natürliches Mädchen
und
nahm Mr. Smiths mehr väterliche Huldigungen und Verehrung in aller
Arglosigkeit
hin. Er hatte ihr den raschen Aufstieg ermöglicht, er war ihr seit
Jahren ein
scheinbar selbstloser Freund, und seinen kleinen echt englischen
Spleen,
verkleidet umherzulaufen, belächelte sie nur nachsichtig. Andrerseits
war sie
oft erstaunt, wie vollkommen sich Smith verändern konnte. Häufig
erkannte sie
ihn selbst nicht wieder, und genau so erging es ihr heute.
Smith
erwartete sie im Salon.
Nach kurzer Begrüßung wurde Lilian dann ein Mr. Belson-Lard in
dringender
Angelegenheit gemeldet. Sie ließ ihn in den Salon bitten.
Der
Fremde war diskret-elegant
gekleidet, verneigte sich knapp vor Lilian und Smith und begann sofort
in
gedämpftem Tone zu sprechen.
„Miß
Goust, ich will mich ganz
kurz fassen. Ihr Freund Smith, der Herr dort, ist ein Verbrecher, und
er hat
Sie nur deshalb als Künstlerin gefördert, um irgendwo einen sicheren
Schlupfwinkel
zu haben.“
Mit
eisiger Ruhe musterte der
Mann von der Feme den großen Betrüger, dem Lilian so blindlings
vertraute.
Aber
ihr Vertrauen schwand, als
dieser Mr. Smith mit bleichem Gesicht und mit allzu starker Theatralik
ihr den
Arm wie schützend um die Schultern legte.
Sie
fühlte, daß dieser Arm
zitterte und daß „Smith“ unter der Wucht der Anschuldigungen fast
zusammenbrach.
Ich
sprach weiter . . . „Miß
Goust, es liegt nur in Ihrem Interesse, die Bekanntschaft mit Smith
abzubrechen
und auch abzuleugnen, was auch geschehen mag. Wechseln Sie sofort Ihr
Hauspersonal. Hier sind dreihundert Pfund. Entlohnen Sie Ihre Leute
reichlich
und schützen Sie eine Auslandsreise vor . . . Es werden sich in kurzem
Dinge
ereignen, die Ihnen die Augen vollends öffnen werden. Stellen Sie sich
nicht
bloß, — schweigen Sie!
Smith
hüstelte und rief heiser:
„Lilian, — es ist einer von diesen
Schurken, die sich die Feme nennen! Ich
werde dafür sorgen, daß . . .“, —
seine Hand glitt in die Brusttasche,
aber dieselbe Hand sank schnell wieder herab.
„Ich
pflege immer zwei Sekunden
früher als meine Gegner abzudrücken, Mr. Smith“, lächelte der elegante
Belson-Lard harmlos und streichelte seine Waffe.
„Es
ist richtig, Miß, ich gehöre
zur Feme . . . Ich wollte Ihnen nur Ungelegenheiten ersparen. Das lag
in
unserem Programm. Werfen Sie diesen Smith hinaus — — und verraten Sie
nichts! Ich habe die Ehre . . .“
Minuten
später verließ „Smith“
sehr eilig und mit wutverzerrtem Gesicht das Haus der Diva und eilte
ahnungslos
an einer langsam fahrenden Limousine vorüber.
Bickfort
betrachtete ihn
kopfschüttelnd.
„Sollte
man es für möglich halten, Olaf!! Der
Bursche hat plötzlich Fett angesetzt!!“
„Er
wird es ebenso rasch wieder
verlieren“, meinte ich doppeldeutig.
Der
junge Warner lachte. „Freund
Roger“, rief er unserem Schofför zu, „ist dir nun ein Licht
aufgegangen?!“
„Zwei!“,
erklärte der Baronett
brummig. „Natürlich zwei! Die Zusammenhänge sind mir jetzt klar, obwohl
der
Nebel bereits die Riesenstadt einzuhüllen beginnt. Mein Gehirn ist
nebelfrei.
Wenn mein Bajazzolied heute erklingt, dürfte der Nebel noch dicker sein
. . .!“
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