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Literatur


04.3


Drei von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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9. Kapitel
 
   Stuart Clinton erhält einen Auftrag


„Nehmen Sie Platz, Mr. Clinton“, sage ich zu dem mageren, kaum mittelgroßen Manne, der sich in letzter Zeit infolge besserer Ernährung und durch den häufigen Aufenthalt an frischer Luft gut erholt hatte.

Heute freilich kämpfte der bescheidene Stuart Clinton mit einem beginnenden Schnupfen und Husten und räusperte sich andauernd.

Clinton war ein Mann mit einem ungewöhnlich widerspruchsvollen Gesicht. Die Leidensmiene, die er zumeist zur Schau trug, stand in schroffem Gegensatz zu seiner fast kühnen Nase und der stark ausgebildeten Kinnpartie. Auch seine Augen, über denen ganz dünne Brauen wie mottenzerfressene Haarstreifen sich wölbten, wechselten sehr häufig den Ausdruck, besonders wenn Clinton sich unbeobachtet glaubte.

Ich hatte diesen verarmten Kaufmann, der einst sogar Zweiggeschäfte im Ausland unterhalten hatte, mit der Zeit sehr genau kennengelernt.

Ich durfte es daher auch wagen, ihm einen Auftrag zu erteilen, der über die Grenzen der Tätigkeit einer Auskunftei hinausging.

„Mr. Clinton, ein neuer Kunde von uns, dessen Name verschwiegen werden muß, sucht einen Verwandten, der offenbar zu erpresserischen Zwecken verschleppt worden ist“, sagte ich völlig sachlich und bot Clinton eine Zigarre an, die er in Rücksicht auf seine starke Erkältung dankend ablehnte. — Er war wirklich sehr erkältet, und anscheinend hatte er bereits leichtes Fieber.

„Die Ermittlungen sollen nun in aller Stille ausgeführt werden“, fügte ich erläuternd hinzu. „Dazu brauche ich eine Vertrauensperson. Nach den bisherigen Feststellungen dürfte sich der Verschleppte irgendwo in der Nähe von Lawenstick, der Werftarbeiterkolonie unweit des Tiburn-Seitenarmes der Themse befinden. Kennen Sie die Gegend bei den Docks?“

„Ja, Mr. Bellard. Von meiner früheren besseren Zeit her. Ich besaß ja sogar zwei Frachtdampfer.“ Er seufzte schmerzlich, und der Seufzer ging in einen hohlen, trockenen Husten über.

„Nun gut. Die Wetterwarte hat Abkühlung und für die späteren Nachmittagstunden Nebel angesagt. Meine Ansicht geht dahin, daß der Verschleppte sich auf einem wracken Frachtschiff des östlichen Teiles des Tibure-Seitenarmes befindet. Glauben Sie, daß Sie in Ihrem jetzigen Zustand, denn Sie sind nicht ganz auf dem Posten, imstande sind, den Auftrag zu übernehmen?“

„Gewiß“, erklärte Stuart Clinton mit allem Nachdruck und lächelte selbstbewußt. „Ich bin vielleicht zäher, als man glaubt, und . . .“

Es hatte geklopft, der Vorzimmerboy trat ein und überreichte mir einen Brief. „Entschuldigen Sie, Mr. Bellard, aber der Herr hat es sehr eilig . . .“

Ich riß den frisch zugeklebten Umschlag auf. Er enthielt nur eine Visitenkarte:

Edward Summer,

Export, Import.

London, Oxford Street.

Auf die Rückseite war mit Bleistift gekritzelt: Bitte um sofortige Rücksprache. Hohes Honorar.“

„Mr. Summer wird in drei Minuten vorgelassen werden“, bedeutete ich dem Büroboy, der dann verschwand. Ich verabschiedete auch Clinton.

„Es bleibt also dabei . . . Sie nehmen die Ermittlungen heute gegen sechs Uhr auf, Mr. Clinton.“

Kaum war ich allein, als ich, durch die Karte mit der Zusage eines hohen Honorars gewarnt, eiligst die Tapetentür zum Verschlage Mr. Sotters öffnete und hier auf den Tisch stieg.

Über dem Tische war eine Lüftungsklappe angebracht, die neuerdings beträchtlich vergrößert worden war und in einem Lüftungsschacht mündete, der bis zum Dache lief. Von dieser Vergrößerung war freilich nichts zu bemerken. Das Ziergitter machte den Eindruck,  als ob dort kaum ein kleines Kind hindurchschlüpfen könnte.

Ich benutzte diesen nur uns dreien bekannten Weg zum Dache jetzt zum zweiten Male. In dem Schacht waren Steigeisen angebracht, es hingen dort auch Beutel mit Kleidern und anderen Dingen, und als Kommissar Hemmerfolk mit sechs Beamten mein Privatbüro betrat, offenbar auf Grund einer längst erwarteten anonymen Anzeige als Vertreter Harry Baakers, traf er im Vorraum nur einige wartende Kunden.

Mein Zimmer war leer.

Hemmerfolk nahm diesen Fehlschlag sehr gelassen hin und meinte nur zu dem ihn begleitenden Detektivinspektor:

„Ich sah das voraus . . . Die Feme hat ihr besonderes Spionagesystem. Dieser Bellard muß gewarnt worden sein.“

Zur selben Zeit verließ ein Arbeiter mit einem Rucksack über die Hintertreppe das Old-Palast-Gebäude und schritt, da er das Blechschild der Angestellten der Vergnügungsstätte an der Mütze trug, unangefochten an den an den Ausgängen postierten Detektiven vorüber und traf in einer stillen Nebengasse eine unauffällige Limousine, in die er eilends hineinschlüpfte. Am Steuer saß diesmal Freund Roger, während Bickfort Tomsen, der Warner, der als Edward Summer aufgetreten war, in einer Ecke lehnte.

„Olaf“, sagte er achselzuckend, „unsere feine Auskunftei ist uns fernerhin verschlossen. Du hattest wieder einmal die richtige Witterung: Der Bursche, der seinen Gemüsekahn wegsacken ließ, nachdem er Mac Forster mit einigen Kugeln bedacht hatte, hat sich für das kalte Bad in der Themse gerächt und uns angezeigt. Diesmal bist du wirklich mit knapper Not entwischt.“

„Immerhin entwischt“, brummte der ewig mißvergnügte und doch so herzensgute Baronett Sheffield, der die Kasse der Feme immer wieder auffüllte, wenn es nottat.

Das Auto rollte davon, und das Spiel um Freiheit und Gerechtigkeit ging weiter. —
 

Hemmerfolk durchsuchte Mr. Charles Bellards Schreibtisch. Er hatte seine Sekretärin mitgebracht und ließ sie nun folgendes Stenogramm aufnehmen: „In der Mittelschieblade eine notarielle Urkunde vorgefunden, deren Inhalt besagt, daß Bellard genötigt sei, für Jahre nach Südamerika zu gehen und daß die Auskunftei in den Besitz Miß Ellen Clintons übergehen solle samt dem Stammkapital von fünftausend Pfund.“

Hemmerfolk warf Ellen einen langen Blick zu, und Ellen senkte schnell den Kopf.

„. . .Die Urkunde besagt weiter, daß kein Angestellter entlassen werden und daß der Fachmann und Subdirektor Mr. Wilton die Auskunftei für Miß Clinton fortführen soll . . . — Hm, — sehr sonderbar, aber unbedingt sehr sozial gedacht von diesem Bellard. Glauben Sie, Miß Ellen, daß er einer der Feme war?“

Ellen blickte Hemmerfolk ruhig an. „Nein, — die anonyme Anzeige war eine  Lüge und sicherlich nur ein Konkurrenzmanöver.“

Hemmerfolk schwieg dazu.

Er sah ein, daß es keinen Zweck hatte, die Drei erwischen zu wollen.

Man blamierte sich nur dabei. Das wußte er am allerbesten. Er kannte die Arbeitsmethoden der Feme vom Fall „Mäusebussard“ her, und wenn er vor sich selbst ganz ehrlich sein wollte, mußte er zugeben, daß die berüchtigten Drei unbedingt das Herz auf dem rechten Fleck hatten. Wie sollte er auch nachweisen, daß „Bellard“ mit einem der drei identisch gewesen?!

Gleich darauf räumte die Polizei in aller Stille den Oberstock, nachdem Hemmerfolk den Angestellten noch erklärt hatte, daß die Auskunftei wie bisher weitergeführt würde. —

An demselben Tage gegen fünf Uhr nachmittags kehrte die bekannte Filmdiva Lilian Goust von einer Aufnahme in ihr luxuriöses Heim zurück, dessen erlesenen Prunk sie hauptsächlich dem Reichtum ihres etwas sehr geheimnisvollen Freundes Mr. Smith verdankte, von dem sie im übrigen nur das eine mit Bestimmtheit wußte, daß er sich aus Sensationshunger und Abenteuerlust als Amateurdetektiv betätigte und bei ihr sehr häufig sich zu diesem Zweck maskierte.

Lilian hatte als Filmstar sehr rasch Karriere gemacht, war ein unverdorbenes, sehr natürliches Mädchen und nahm Mr. Smiths mehr väterliche Huldigungen und Verehrung in aller Arglosigkeit hin. Er hatte ihr den raschen Aufstieg ermöglicht, er war ihr seit Jahren ein scheinbar selbstloser Freund, und seinen kleinen echt englischen Spleen, verkleidet umherzulaufen, belächelte sie nur nachsichtig. Andrerseits war sie oft erstaunt, wie vollkommen sich Smith verändern konnte. Häufig erkannte sie ihn selbst nicht wieder, und genau so erging es ihr heute.

Smith erwartete sie im Salon. Nach kurzer Begrüßung wurde Lilian dann ein Mr. Belson-Lard in dringender Angelegenheit gemeldet. Sie ließ ihn in den Salon bitten.

Der Fremde war diskret-elegant gekleidet, verneigte sich knapp vor Lilian und Smith und begann sofort in gedämpftem Tone zu sprechen.

„Miß Goust, ich will mich ganz kurz fassen. Ihr Freund Smith, der Herr dort, ist ein Verbrecher, und er hat Sie nur deshalb als Künstlerin gefördert, um irgendwo einen sicheren Schlupfwinkel zu haben.“

Mit eisiger Ruhe musterte der Mann von der Feme den großen Betrüger, dem Lilian so blindlings vertraute.

Aber ihr Vertrauen schwand, als dieser Mr. Smith mit bleichem Gesicht und mit allzu starker Theatralik ihr den Arm wie schützend um die Schultern legte.

Sie fühlte, daß dieser Arm zitterte und daß „Smith“ unter der Wucht der Anschuldigungen fast zusammenbrach.

Ich sprach weiter . . . „Miß Goust, es liegt nur in Ihrem Interesse, die Bekanntschaft mit Smith abzubrechen und auch abzuleugnen, was auch geschehen mag. Wechseln Sie sofort Ihr Hauspersonal. Hier sind dreihundert Pfund. Entlohnen Sie Ihre Leute reichlich und schützen Sie eine Auslandsreise vor . . . Es werden sich in kurzem Dinge ereignen, die Ihnen die Augen vollends öffnen werden. Stellen Sie sich nicht bloß, — schweigen Sie!

Smith hüstelte und rief heiser: „Lilian, — es ist einer von diesen Schurken,  die sich die Feme nennen! Ich werde dafür sorgen, daß . . .“, — seine Hand  glitt in die Brusttasche, aber dieselbe Hand sank schnell wieder herab.

„Ich pflege immer zwei Sekunden früher als meine Gegner abzudrücken, Mr. Smith“, lächelte der elegante Belson-Lard harmlos und streichelte seine Waffe.

„Es ist richtig, Miß, ich gehöre zur Feme . . . Ich wollte Ihnen nur Ungelegenheiten ersparen. Das lag in unserem Programm. Werfen Sie diesen Smith hinaus — — und verraten Sie nichts! Ich habe die Ehre . . .“

Minuten später verließ „Smith“ sehr eilig und mit wutverzerrtem Gesicht das Haus der Diva und eilte ahnungslos an einer langsam fahrenden Limousine vorüber.

Bickfort betrachtete ihn kopfschüttelnd.

 „Sollte man es für möglich halten, Olaf!! Der Bursche hat plötzlich Fett angesetzt!!“

„Er wird es ebenso rasch wieder verlieren“, meinte ich doppeldeutig.

Der junge Warner lachte. „Freund Roger“, rief er unserem Schofför zu, „ist dir nun ein Licht aufgegangen?!“

„Zwei!“, erklärte der Baronett brummig. „Natürlich zwei! Die Zusammenhänge sind mir jetzt klar, obwohl der Nebel bereits die Riesenstadt einzuhüllen beginnt. Mein Gehirn ist nebelfrei. Wenn mein Bajazzolied heute erklingt, dürfte der Nebel noch dicker sein . . .!“


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