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Märchen der Völker
Stefan Mart
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Kaptain
Flint
Ein deutsches Seemannsgarn
Wir
waren hinter Helgoland. Unsere kleine Brigg, die "Seemöve", war flott
und steckte die Schnauze tüchtig ins Wasser. Ich setzte mich am
Achterdeck auf die Windje und nahm meine Handharmonika, der ich schon
leidlich Töne entlocken konnte, fest zwischen beide Hände. (Bisher
hatte ich in Ermangelung eines solchen famosen Instrumentes nur auf
einem Kamm geblasen.) Ich griff in die Tastatur: "La Paloma", die weiße
Taube ...! - und die See stampfte dazu. Aber mag der Himmel wissen, es
wollte nichts Rechtes heraus aus dem Seemannsklavier. Was mochte es
sein? Ich war auch nicht bei der Sache; andere Gedanken drängten sich
in meinem Kopfe und lenkten mich ab. Einige Gedanken, die hartnäckig
immer wiederkehrten, wurden bildhaft; Gestalten erschienen vor meinen
Augen: Riesige Fische, Meerungeheuer, Klabautermänner und
Seeräuber. Zwischen
all diesen Erscheinungen drängte sich besonders ein Bild hervor, das
Gesicht der Frau Kapitänin, der Frau unseres Alten. Es sah böse aus,
wurde deutlicher, drohender, eine richtige Haifischvisage und verzerrte
sich schließlich zur Fratze eines vorsintflutlichen Tieres. Ich wischte
mir die Augen. - Ringsum machte sich eine drückende Stimmung bemerkbar.
Die Masten knarrten und der Wind pfiff so sonderbar im Tauwerk, daß mir
ganz ängstlich zumute wurde. - Etwas Unheimliches brütete. -
Schlingerte unser Schiff? Ich schaute mich um; im Kielwasser schäumte
und gurgelte es. Da hielt ich es nicht mehr aus, legte mein Instrument
beiseite und stürzte auf die Kajütentreppe zu. Smutje, der Schiffskoch,
kam gerade heraufgepustet. Ich hütete mich wohl, von der Vision, die
ich gehabt hatte, zu sprechen. - "Ist etwas nicht in Ordnung am
Schiff?" fragte ich ihn unüberlegt und hastig. Der guckte mich nur
scheel an und gab mir dummen Bengel natürlich keine Antwort. Aber ich
hörte, wie er gleich darauf zum Steuermann hinaufrief: "Du, Kasper
Kolnkarken, kiek ut! is alln's in Ordnung?" Seeleute sind
abergläubisch; das Meer macht sie zu wundergläubigen Kindern. Der
Steuermann knurrte nur und meinte weiter nichts dazu. Nach geraumer
Zeit aber kam er doch darauf zurück. Rechts an der Reeling standen
Kuddel Bodderbrod, Edje Garn, Jonny Schwarz und Willem Koppersmid,
alles handfeste Jungen. Sie hatten die Tabakspfeifen im Mund, die Hände
in den Taschen und tuschelten. - Es war also doch was los - "Kiek ut!
is alln's in Ordnung?" rief der Steuermann dazwischen. Die vier
Matrosen guckten sich um -, dann fragten sie sich gegenseitig mit
stummen Blicken: was das nun wohl wieder zu bedeuten hätte. Darauf
torkelten sie nach vorn, wo wie gewöhnlich unser Oberbonze Krischan
Smoken mit Hein Quast philosophierte. Nun sah ich, der ich alles genau
verfolgt hatte, wie alle fünf sich zusammendrängten und noch
geheimnisvoller taten. -
Ich
verstehe mich nicht recht auf das Schriftstellern, es ist nicht mein
Handwerk. Ich bin Schiffsjunge; doch kann ich wohl auch als solcher, so
gut es geht, versuchen, das was ich erlebt habe, niederzuschreiben. Ist
doch mein Erlebnis so sonderbar, daß ich jetzt, wo ich wieder klar bei
Verstand und auf dem festen Lande bin, eigentlich kaum mehr den Mut
habe, alles wahrheitsgetreu wiederzugeben, da es mir heute geradezu
unnatürlich erscheint. Ich will es trotzdem versuchen. So fahre Ich
also fort und fasse mich kurz und bündig. -
Die
Zustände an Bord waren gerade nicht die allerbesten. Unser Kaptain
Flint hatte sein Gesicht hinten; das heißt so viel, daß er sich ständig
umsah, die Lage zu peilen, ob "Mudder Plumps" ihm auch nicht auf den
Fersen war. "Mudder Plumps" war seine ehelich angetraute Frau, vor der
er einen höllischen Respekt hatte. Sie machte jede Reise mit. Kaptain
Flint behauptete allerdings, er nähme sie im "Schlepptau" mit, wie er
sich ausdrückte, was richtig genommen aber nicht stimmte, denn - sie
nahm ihn mit. Das Regiment auf unserer Brigg hatte sie ganz allein. Nur
die äußere Formalität, Seemannsbrief und Kapitänspatent fehlten ihr;
sonst wäre unser armer Kapitän ganz überflüssig gewesen. Infolge dieser
Tatsache kam Kaptain Flint In seinem Kummer um den Verlust seiner
Autorität, oft dazu, etwas tief in das Grogglas zu gucken. Die
Bezeichnung "Mudder Plumps" war natürlich ein Spitzname, den die
Mannschaft ihrem zweiten oder besser gesagt ersten Kapitän, sinnvoll
vermacht hatte. Sie plumpste nämlich in jede Angelegenheit hinein, die
eigentlich Sache des Seemanns war, kam mit ihrer "Wissenschaft"
dazwischen und wollte von Schiffahrt und Navigation mehr verstehen, als
wir alle zusammen. Schön war sie auch nicht. Ihre Figur sah einer
großen Glocke nicht unähnlich, ihre Nase war breit und nach innen
gebogen wie ein Schusterdaumen; dazu hatte sie richtige
Schellfischaugen. Lora, ein grüner Papagei, den sie abgöttisch liebte,
saß ihr meistenteils auf der Schulter.
Ich
muss in meiner Erzählung weit ausholen. Wenn ich auch das Erlebnis
meiner zweiten Reise schildern will, so muß ich doch auch von meiner
ersten sprechen, da die Geschichte mit dieser im engsten Zusammenhang
steht. Wir fuhren damals, es war im Sommer 1862, über Rotterdam mit
einer Salzladung nach Kapstadt. Statt
an die südliche Küste Afrikas zu gelangen, gerieten wir durch die
navigatorische Wissenschaft der "Modder Plumps", die bekanntlich keinen
Widerspruch duldete, in den Indischen Ozean. Das war ein tolles Stück!
Bald wußten wir nicht mehr ein noch aus. Um unser Unglück voll zu
machen, kam eine Flaute auf, die von einer solch ausgemachten
Hartnäckigkeit war, daß die Segel unserer Brigg fast drei Wochen lang
in Lot hingen, wie die Gardinen einer guten Stube. Der ungewohnte
Anblick der endlosen und spiegelglatten Wasserfläche erfüllte uns mit
fieberhafter Ungeduld und brachte uns beinahe zur Raserei. In
Anbetracht dieser Katastrophe gab es nun eines Tages einen furchtbaren
Krach. Zum ersten Male sah ich unseren Kaptain Flint richtig in Fahrt.
Erst brodelte es in ihm eine Zeitlang, und dann wetterte er los. Wir
sahen Sterne und Funken fliegen. In seiner blinden Wut entriß er seiner
Frau ihren umfangreichen Strickbeutel - in diesem hielt sie besondere
Bücher und geheime Pläne verborgen, die sie diesmal bei ihrer
Eigenmächtigkeit gründlich irregeführt hatten - und schleuderte ihn in
hohem Bogen in den Indischen Ozean.
Ich
breche bei dieser unvergeßlichen Tat unseres Kapitäns, die aber noch
schlimme Folgen haben sollte, die Erzählung meiner ersten Reise ab, um
dort wieder fortzufahren, wo ich aufgehört hatte. - Helgoland war lange
außer Sicht. Nun kam das weite Meer. Diesmal flößte es mir Angst und
Schrecken ein, und ich zählte mit bangem Herzen die Tage, die wohl
nötig wären, um Kristianssand - unser diesmaliges Ziel - zu
erreichen. Dazu
kam, daß die drückende Stimmung. von der ich anfangs berichtet hatte,
nur noch fühlbarer geworden war. Meine hastige und unüberlegte Frage an
den Schiffskoch: ob etwas nicht in Ordnung sei, hatte, indem sie von
Mund zu Mund gegangen war, doch in einer Weise ihre Berechtigung
gefunden, nämlich insofern, als - doch etwas los war. Aber was? Noch
stand die Mannschaft im Haufen beisammen und tuschelte, als unter ihr
in der Kombüse, deutlich hörbar durch die Schiffsdielen, die etwas
schlürfenden Schritte unseres Kapitäns hörbar wurden. Sie bewegten sich
der Treppe zu, und bald darauf erschien er selbst an Deck. Es sei hier
gleich gesagt, daß Kaptain Flint ein feiner Kerl war, der sich mit uns
Teerjacken unterhielt wie mit seinesgleichen. Ich las ihm bei seinem
Erscheinen sogleich vom Gesicht ab, daß eine schwere Sorge in ihm
lagerte. "Kinners, ein Wort von Mann zu Mann!" hub er an, indem er auf
seine Leute zuschritt, "Aberglaube steht ja bei uns nicht im Latein,
aber wir haben doch so was wie 'n Sependüwel oder Klabautermann an
Bord, meine...!" In diesem Augenblick erschien hinter ihm auf der
Kommandobrücke mit erhobenen Armen und wirrem Haar, wie das
aufsteigende Unwetter, seine Frau und schnitt ihm das Wort ab, daß es
ihm förmlich in der Kehle stecken blieb. Während er hustete und
prustete, hagelte es von oben Flüche und Verwünschungen. -
"Haaa - Vergeltung! haaa - Genugtuung! - Rrrraache! Die Vorsehung
übernimmt meine Rache! - Haaa! macht Euch bereit! Die 'Seemöve' muß mit
Mann und Maus versaufen! - Heute nacht, - ja heute nacht - geht's
los!"
-
"Wiesoooo denn?" wagte Krischan Smoken in das Gefuchtel
einzuwerfen.
-
"
Wieso? Kein Wesen kann ohne Seele leben, auch die ‚Seemöve' nicht! Ihre
Seele liegt weit von hier tief auf dem Grunde des Indischen Ozeans! Sie
fliegt seelenlos dahin, um heute nacht machtlos zu versinken!"
-
"Bannig gelehrt! Watt nu?" ließ sich Kuddel Bodderbrod hören.
-
"Bedankt euch bei eurem Kaptain! Er warf mit frevelnder Hand meinen
Strickbeutel ins Meer, in dem sich, umhüllt von alten Dokumenten und
geheimen Schiffspapieren, die Seele unserer Brigg befand. - Haaa -
Vergeltung! Rrrraache!" Mudder Plumps schrie wie eine seilende Möve und
uns rieselte es dabei eiskalt über den Rücken. Eine Weile herrschte
Totenstille. Dann meinte Edje Garn:
-
"Dat munkelte schon seit Harnburg; nun hebbt wi den Salat!"
-
"Lot mi an Land, mit den ewigen Spektokel!" schimpfte Hein Quast. Jonny
Schwarz riß seine Mütze vom struppigen Haar und warf sie vor seine
Füße, daß es knallte:
-
"Dat is ja Belästigung!"
-
"Tscha, dat is man so, wenn der Düwel dor mang is!" erwiderte ihm
Willem Koppersmid.
-
"Alle Wetter und verdammt noch mol!" so brummelte es von rechts und
links. Nur Kaptain Flint sagte kein Wort. Er machte nur eine
verzweifelte Miene, und seine ganze Haltung, als er davonging, besagte,
daß er sich uns gegenüber schuldbewußt fühle.
Es
war mittlerweile Abend geworden. Das Wasser floß in träger Zähigkeit
dahin; man hatte das Gefühl, es sei nicht Oktober in der Nordsee,
sondern Tagesende nach heißem Mittag in irgendeinem südlichen Gewässer.
Unser Schiff lag mit wenig Wind in der Dünung. Wir hatten unsere Arbeit
getan und saßen zusammen auf Achterdeck. Aber keiner hatte rechte Lust
"to snacken," oder gar zu lachen; alles saß gedankenvoll da. Edje Garn
spuckte über die Bordplanke und brach als erster das Schweigen, Indem
er den Rest seiner Gedanken laut aussprach:
"...Tscha!
kann mi sowat eigentlich nich vorstelln!" - Hein Quast, unser
Philosoph, hakte gleich ein: "Eine Seele kennt keine Entfernung; nur
der Strickbeutel, dat is natürlich schweres Material."
- "
Wie war das, Hein?" fragte Jonny Schwarz, "sprech dich doch mal rein
aus."
-
"Jawoll, Hein Quast, fang mal von vorne an, aber deutlich und klar."
-
"Augenblick mal!" Krischan Smoken gebot Ruhe: "Ich will euch verraten,
was mir unser Kapitän in einer schwachen Stunde erzählt hat. Also, von
wegen Geheimdokumenten, Baubriefen und Taufpapieren mit swatten Bändern
- stimmt alln's! Und da is auch ein Talersmann oder Talisman, wie so'n
Ding heißt, ein Siegel mit verziertem Blechrahmen, wo drauf steht:
De
Seemöw hätt' ne lange Snutt,
Doch
ohne mi geiht se kaputt.
Hein
Quast meinte dazu: "Klar, es gibt Dinge unter der Sonne, von denen
unsere Schulweisheit nichts wissen will!"
-
"Dat heißt aber: ... sich nichts träumen läßt!" unterbrach ihn
Bodderbrod.
-
"Wat dat selbige is." Hein Quast wurde laut; er ärgerte sich,
verbessert worden zu sein: "Is doch alln's ganz egol, etwas früher oder
später ins Wasser, dat is doch Seemannslos - und wi sünd doch nun mal
all Seelüd!" -
Ein heftiger Windstoß, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, ließ uns alle
aufschauen. Ohne daß wir es bemerkt hatten, waren von Osten her dunkle
Wolken aufgezogen, die wie schwarze flatternde Tücher über den Horizont
flogen. In kaum einigen Minuten war es pechschwarze Nacht geworden. -
"Ägyptische Finsternis!" rief Kolnkarken von oben und griff in das
Steuerrad. - "Sag' man lieber "Indische Finsternis"; dat paßt besser!"
antwortete ihm Krischan. Doch der Humor sollte uns bald vergehen. Wir
hatten kaum Zeit, Licht zu machen, als auch schon ein Sturm losbrach,
der in seiner Gewalt selbst die sturmerprobten Seemannshirne unserer
Mannschaft mit Angst und abergläubischer Furcht erfüllte. Wir hatten
alle den Kopf verloren. Kasper Kolnkarken am Steuer kommandierte sich
selbst: "Nord - Nord - West - 2 West - - - !" Aber unser Kaptain Flint
war plötzlich erschienen und donnerte mit Stentorstimme in den
Wirrwarr: "Beilegen! fix to!" - "Man nich so laut hier!" O weh, "Mudder
Plumps" war auch da und schickte unseren Kapitän in die Kombüse. Nun
waren wir verloren. Riesige Brecher, Wasserberge, elfenbeinschwarz,
wälzten sich uns entgegen. Orkanartig wütete der Sturm. Tau und
zerbrochene Rahen gingen wie Spreu über Bord.
Ich
war die Treppe hinuntergesprungen, um Kaptain Flint Bericht zu geben,
steckte meinen Kopf durch die Klappe seiner Kajütentür und sah Kaptain
Flint, der sich krampfhaft festhielt und versuchte, sich einen Grog zu
machen. - "Kaptain, achter uns kommt ein mächtiger Kasten auf, mit
großen gelben Lichtern...!" - "Jung, dat gibt's nich. Backbord und
Steuerbord sind immer rot und grün!" - "Kaptain, sollen wir beibiegen
und uns aufnehmen lassen? Wir sind sonst verloren!"
Ohne
seine Antwort abzuwarten, lief ich wieder an Deck, um zu sehen, ob das
fremde Schiff nähergekommen war. Der Schreck lähmte mir fast die
Glieder. Es war ganz nah und hatte sich in ein mächtiges drohendes
Ungeheuer verwandelt, das mit leuchtenden Augen und etwa 50 Knoten
Geschwindigkeit in unserem Kielwasser lag. Ich
stürzte wieder hinunter mein Herz klopfte mir bis zum Halse -, steckte
meinen Kopf durch die Klappe und rief: "Kaptain, ein mächtiges
Seeungeheuer...!" - "Jung, dat gibt's nich; Seeungeheuer steht bei uns
nich im Latein." - Mitten in einer tollen Verwüstung saß Kaptain Flint
und trank Grog. Sein Gesicht war voller Ruß. Glühende Kohlen waren aus
dem Ofen gefallen und kollerten von einem Ende der Kombüse zur anderen.
Zuckertopf, Mostrich, kaputte Gläser,' Schutt und Asche, alles kollerte
mit. - "Kaptain, ein Seeungeheuer!" stammelte ich noch mal und stürzte
vor Angst schlotternd wieder die Treppe empor. Hier bot sich mir ein
Anblick, den ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Von einem
eigenartigen schwefelgelben Licht beleuchtet, saß das gräßliche
Ungeheuer, ein gerupfter Vogel in unausdenkbaren Ausmaßen, hinten auf
dem Heck unseres Schiffes und klatschte mit seinen flügelartigen
Schwimmflossen gegen die Bordplanken. Man konnte kaum in die gelben,
tellergroßen Augen hineinsehen, so leuchteten sie. In seinem
Krokodilsrachen, der mehr einem riesigen Entenschnabel glich, hielt er
etwas Dunkles, das die Form eines Strickbeutels hatte. Vor diesem
Phantom stand "Mudder Plumps", mit ihrem Papagei auf der Schulter, und
raisonnierte laut. - Ich sah mich hilfesuchend um. Keine Sterbensseele
unserer Mannschaft war zu sehen. - Plötzlich
schrie der Papagei auf. Mit einem Satz war ich in die leere Wassertonne
gesprungen und ließ den Deckel über mir zufallen. Im Geiste sah ich
schon "Mudder Plumps" mit samt ihrem Papagei im Rachen des Ungeheuers.
Ich stieß den Zapfen der Tonne aus und sah durch das Spundloch.
Nochmals hörte ich den Papagei laut schreien; nun sah ich den riesigen
Seedrachen vor dem krächzenden Ton erschrecken, den Strickbeutel fallen
lassen und hinten über das Heck weg ins Wasser plumpsen. - Ich atmete
auf und wollte aus meiner engen Umhüllung heraus, aber meine
Kräfte verließen mich. Eine unüberwindliche Müdigkeit drückte mich
nieder - Ich schlief in der Tonne ein. - Als ich erwachte, war heller
Morgen, und der Sturm hatte sich gelegt. Vor meiner Tonne stand Kaptain
Flint; sein Gesicht war noch immer von Ruß und Kohlenstaub geschwärzt:
"Jung, wie is dat nu alln's worden, hüt Nacht?" fragte er mit einem
tiefen Baß. - "Kaptain! - das vorsintflutliche Seeungeheuer hat unserer
Brigg aus dem Indischen Ozean ihre versunkene Seele im Strickbeutel
zurückgebracht...!" weiter kam ich nicht. Kaptain Flint lachte, lachte,
daß es nur so brauste. Doch plötzlich wurde sein Lachen schrill und
brach jäh ab. - "Was war wieder los?!" - Fassungslos sah ich mich um: -
Da! Da stand hinter uns "Mudder Plumps" mit erhobenem Kopf und
sieghafter Miene. Am Arm hing ihr der Strickbeutel. - Als ich des
Strickbeutels ansichtig wurde, dessen Verschwinden so viel Angst und
Todesqualen gekostet hatte, holte ich tief Atem und schrie dann freudig
auf. Hell lachte ich los - (für einen Schiffsjungen vielleicht etwas
ungebührlich laut). Die ganze Mannschaft fiel mit Johlen und Grölen
ein. Unsere gute "Seemöve" seilte mit freudigem Seemannslachen durchs
Wasser dahin.
Jetzt
war meine eigene Seele wieder froh und meine alte Sehnsucht zur
Schiffahrt wieder wach. Ich nahm meine Handharmonika und begrüßte das
glitzernde Meer. Nun freute ich mich doch, daß wir noch einige Tage von
Kristianssand entfernt waren.
Jonny,
der Schiffsjung.
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