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Märchen der
Völker
Stefan Mart
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Nirwana
Altes Indisches Märchen
uf
dem Wege von Delhi nach Lahore im spärlichen Schatten eines Ölbaumes
lag im heißen Sand der Straße ein Ausgeworfener, alt und mager, einer
ausgedörrten Wurzel ähnlich. Mühsam hob er den Arm, von dem die Lumpen
hingen, und stöhnte: "Das Leben hat mich genarrt und betrogen. Ich bin
am Ende. O Brahma, laß mich sterben !" - "Aber die Prüfung dieses
Menschen war noch nicht beendet. Vor ihm stand plötzlich ein Jüngling
von göttlicher Gestalt, flammenden Auges, schön wie das blühende Leben,
von Mitleid ergriffen. - "Ist das ein Mensch?!" damit kniete dieser
Jüngling nieder vor dem Elenden, legte seinen golddurchwirkten und von
Juwelen übersäten Mantel vor ihn hin, dazu von seiner Stirn das Diadem
im Werte eines Königreichs. Er nahm dafür die braunen Lumpen, den
Wanderstab mit Kürbisflasche und ging des Weges weiter.
Durch
das Wunderland "Indien" pilgerte gesenkten Hauptes ein Königssohn in
braunen Lumpen - in düstere Gedanken versunken über das Leid der
Sterblichen. Er sah die Menschen in Habsucht und Gier verzweifeln. Als
ihm Erkenntnis geworden war, zog er nach Delhi, in die Stadt der
goldenen Zinnen zu den Verblendeten, die das Leben lebten in der
Sklaverei irdischer Güter; er ging durch die Gassen, hierhin, dorthin,
und kam vor einen prächtigen Palast, aus dem ein jämmerliches Stöhnen
drang. - "O Brahma, laß mich leben!" Der schöne Jüngling in den braunen
Lumpen erkannte die Stimme. Es war dieselbe, die einst im Staube der
Straße das Gegenteil gewünscht: "O Brahma, laß mich sterben!" In
Reichtum und Pracht, inmitten der seltensten Kostbarkeiten des Landes,
wankte in Seiden- und Kaschmirgewändern die Schattengestalt eines
Menschen. Ein Schatten nur noch, der nicht sterben wollte, sich nicht
trennen konnte von diesem weltlichen Tand.Um
ihn standen die Weisen Indiens und waren am Ende all ihrer Weisheit;
unbegreiflich schien es ihnen, daß dieser Schatten von einem Menschen
immerfort noch leben konnte. Doch unentwegt durchdrang des Schattens
schwacher Hilferuf den aufgehäuften Reichtum: "O Brahma, laß mich
leben!" - Da trat durch die hohen Pforten des Palastes ein Fremdling,
schön und strahlend wie das blühende Leben, in braune Lumpen gehüllt
und einen Wanderstab in der Hand. Dieser Fremdling verlangte nach dem
Schatten. Mit Aufwand seiner letzten Kräfte sprang dieser dem Jüngling
entgegen, packte blindlings ihm ins Zeug, als wolle er sich dieses
junge Leben nehmen. Da sah er zwischen seinen welken Fingern braune
Lumpen und taumelte zurück. - "Erkennst Du sie?" fragte der
Eingetretene. "In diesen braunen Lumpen sehntest Du einst den Tod
herbei; heute, in Samt, Seide und Kaschmir, mit Gold und Flittertand
behangen, fürchtest Du ihn! Zieh aus Dein lästiges Gewand, nimm Deine
Lumpen wieder; in ihnen wirst Du ruhig sterben !" - "Nein! Ich will
leben!" stöhnte der Schatten und sank zurück in seinen Reichtum. - Da
hob der Fremdling warnend seine Hand: "Ich, Buddha Marga, der Erweckte"
sage Dir, daß Du im irdischen Begehren sündigst. Du wirst so oft
geboren werden, die ErdenquaI so oft erdulden müssen, bis du gelernt
hast, zu entsagen, um einzugehen in das Himmelreich 'Nirwana'."
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