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04.3
Märchen der
Völker
Stefan Mart
Das Licht
in der Nacht
Holländisches
Märchen
Willem und
Meisje Antje liebten sich. Willem war ein netter Junge: Blonde Locken
in der Stirn, blaue Augen, Kalkpfeifchen, weite Hosen und Holzpantinen.
Antje: Ein nettes Meisje mit spitzem Mündchen und weißer Haube. Willem
hatte einen großen Holländer-Kahn mit Küchenlogge und Schlafkoje. Antje
aber hatte eine Mühle. Es war ein fröhliches Bild, wenn der lange Kahn
in der Gracht vor der Mühle lag und der Junge mit dem Mädel lachte und
schäkerte. Fuhr Willem auf Tage fort über den weiten See, um Obst und
Gemüse einzuhandeln, gab es immer Abschiedstränen. Antje war stets
beunruhigt und vergaß nie, ihrem Willem zu sagen: "Hab unterwegs acht
und paß auf das Licht am Steuer, damit ich es in der dunklen Nacht
leuchten sehe!" - Kam er zurück, fiel ihr jedesmal ein großer Stein vom
Herzen und auch ihre Mühle klapperte freudiger. Aber je häufiger er
fortfuhr, desto heftiger wurde ihr Angstgefühl. Oft saß sie unentwegt
am Ausguck ihrer Mühle, hoch oben unter dem Drehbaum, lugte auf den See
und suchte das Licht in der Nacht, - ihres Willems Laterne. Als die
Tulpenfelder in bunten Farben blühten, brachte Antje einen großen
Strauß auf den Kahn und sagte: "Dieses Mal mußt du hier bleiben,
Willem; ich hab eine große Herzensangst. Im Traum hat eine grüne Nixe,
eine Wasserfei dein Licht am Steuer ausgeblasen und dich umarmt und
gekost!" Willem lachte sie tüchtig aus: "I wo, Antje!" und
streichelte ihr die Wangen. Er holte das Segel hoch und fuhr trotz der
Warnung davon. Auf dem Wasser war es etwas diesig geworden; draußen
hinter den Sandbänken wurde die Luft aber noch undurchsichtiger. Willem
nahm seine Laterne und schwenkte einen Abschiedsgruß. Als das Ufer ganz
außer Sicht war, betrachtete Willem ringsum den Nebel, nahm den
Tulpenstrauß und sprach: "Antje! Das ist noch lange keine Wasserfei,
das ist eine ganz gewöhnliche Nebelfee. - Schlaf wohl, Antje!"
Der
Nebel war dicht geworden wie ein Tuch. Grüne Punkte leuchteten in der
feuchten Luft auf, fielen auf die Holzluken des Kahnes und tanzten wie
kleine Flämmchen - Irrwische, die der helle Nebel aus dem dunklen
Wasser zog. Willem drückte seine Tulpen fest an sich; er schloß die
Augen; sie schmerzten ihm vom Geflimmer der tanzenden, kreisenden
Punkte. - Da hörte er ein fernes Singen, das klang wie fernes
Wellenrauschen. Es war das Singen der Meerminne:
Hohö,
hohö, der Schatz vom See,
Der
güldene Schatz ist dein!
Willem
lauschte angestrengt. Was hatte es doch für eine Bewandtnis mit diesem
güldenen Schatz? War es der Schatz des Meeres, von dem ihm sein alter
Ohm Pieter, als er noch Kind war, oft erzählt hatte? Ja, der alte Ohm
hatte oft von einem güldenen Schatz erzählt; es mußte derselbe sein,
von dem die Meerminne sang. Willem stand noch immer mit
festgeschlossenen Augen; er fühlte wie der schwere Nebel auf seine
Lider drückte. - Jetzt erinnerte er sich genau der Einzelheiten der
Geschichte. Wenn Ohm Pieter mit seinem Vater vom Fischfang zurück war,
frühzeitig von den ziehenden Nebeln heimgetrieben, dann brachte er
seine lange Tonpfeife in Brand, setzte sich vor das steinerne Haardvuur
der Diele, auf dem die Flammen züngelten, nahm ihn, den kleinen Willem,
auf den Schoß und erzählte. Willem hörte in seiner Versunkenheit wieder
den alten Ohm sprechen:
"In
einer nebligen Nacht zog auf Geheiß des Schwedenkönigs Karls XII., der
zwar ein schrecklicher Despot war, doch der weiseste aller nordischen
Herrscher, der Seeräuber Jan Bröeuk mit seiner Piratenflotte heimlich
gegen die niederländische Küste. Eingangs des Zuidersees am Helda lagen
in der Seefeste Van die aufgestapelten Kronschätze Schwedens, die einst
von den Niederländern geraubt worden waren. Nach erbittertem Kampf zog
sich Jan Bröeuk in den Nebel zurück. Er hatte den Schatz auf seinem
Schiffe. Aber der schwere Schatz konnte die von Kugeln durchlöcherte
und zersplitterte Kokke auf den Grund des Meeres ziehen. Angelockt von
dem Glanz, von der leuchtenden Pracht kamen die Fische und Geister des
Meeres. Wenn nun die Nebel über den See ziehen, sucht die Wasserfei ein
irrendes Fahrzeug, um die Menschen in ihrer Gier nach dem Golde zu
strafen. Die Fische und Geister in ihrem Dienste tragen den Schatz zu
den Menschen aufs Schiff, das unter der schweren Last versinken muß. -
Oft schon traf es einen, der schuldlosen Herzens alle Reichtümer der
Welt verlachte. Das ist der Spuk des güldenen Schatzes, wenn die Nebel
wallen."- Wieder hörte Willem die Meerminne singen:
Hohö,
hohö, der Schatz vom See,
Der
güldene Schatz ist dein!
Erschrocken
riß Willem seine Augen auf: Der güldene Schatz aus dem See lag
aufgehäuft auf dem Deck seines Kahnes und zwischen Kronen und
Armspangen, goldenen Schwertern und Bändern saß ein Nickelmann mit
einem Hechtkopf und glotzte ihn an. Wiethen, häßliche Grätenfische,
tanzten mit kleinen Elfen, Froschmänner faßten nach den Irrwischen und
wiegten sich im Ringelreihn; um all das wob die Nebelfee wallende
Schleier. An
dem Steuer, fast auf Willems Schoß, saß die wunderschöne Wasserfei mit
silbernen Fäden im Haar. Ihre
Augen waren grüne Smaragden und ihre
Lippen rote Korallen. Willem drückte Antjes Tulpenstrauß noch fester an
sich. Sie aber blies seine Laterne aus, umschlang ihn und küßte ihn.
Dem armen Willem grauste vor der kalten schuppigen Fischhaut der grünen
Nixe und er dachte immerzu an Antje. -
Antjes
Herzeleid war groß. Willem war nicht wiedergekommen. Unentwegt saß sie
oben am Ausguck ihrer Mühle und lugte aus. - Das Licht in der Nacht
blieb verschwunden. Doch eines Abends
war es ihr, als steige fern aus
dem Wasser ein Licht, als stiege es höher und höher und bliebe als
heller Stern am Himmel stehen. - "Armer Willem!" seufzte Antje, und das
kleine wehe Herz sprang ihr aus der Brust in die Mühlsteine.
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