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Literatur


04.2



Märchen der Völker

Stefan Mart
 

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Meister Floh
Deutsches Märchen nach E. T. A. Hoffmann

m Märchenlande Famagusta - dem Lande der seltsamsten Blumen und Blütenwesen, dem Lande der sprechenden Vögel und Wunderdinge mehr, die kein Sterblicher je gesehen noch gehört hat - erschienen eines Tages zwei Eindringlinge aus der Menschenwelt. Zwei toll aussehende Kerle, von Natur aus böse, Schlingel, von Beruf aber Magier und Zauberer. Sie kamen in der Verkleidung harmloser Botaniker mit grünen Insektentrommeln und Schmetterlingsnetzen. Heimlich aber waren sie bewaffnet mit scharfen Instrumenten, mit Mikroskopen und zusammenlegbaren Fernrohren. Dieses Eindringen war nur möglich gewesen durch das glückliche Zusammentreffen einiger Zufälle, welche die Schlingel in ihrer Eigenart als Zauberer gerochen haben mochten. Der Wächter des Märchenlandes, ein baumhoher Riese, hielt gerade seinen achttägigen Schlaf. Und der Schöne Geist, der hier schaltete und waltete, war in die Sternenwelt geflogen, um sich nach neuen Dingen umzusehen. Also konnten die Magier ungestört auf die Suche gehen. Der eine der Beiden, namens Leuwenhoek, hatte auf dem Jahrmarkt vor den Toren einer nicht sehr entfernt gelegenen Kleinstadt einen Flohzirkus und der andere, der Swammer hieß, betrieb alldorten eine Zauberbude. Schon hatten sie mit ihren haarscharfen Mikroskopen etwas entdeckt, das sie vor Freude wie Ziegenböcke tanzen ließ. im Blütenstaub eines Tulpenkelches hatten sie eine Perle liegen sehen, die in ihrem märchenhaften Glanz das Bildnis eines schönen Mädchengesichtes widerspiegelte. Sofort fingen die Magier an, mit ihren unheimlichen Kräften den Zauberbann zu brechen, der auf der Perle lastete. Eine stachelige Distel, die hier im Märchenlande Zeherit, der Distelprinz, genannt wurde, umwuchs die Tulpe, stets bemüht, die Wunderperle zu beschützen. Der Prinz stach nun verzweifelt um sich, und Leuwenhoek und Swammer heulten oft vor Schmerz auf, daß es sich ausnahm wie das heisere Bellen alter Hofhunde. Nach vielen Experimenten gelang aber doch den Zauberern, was sie erhofft hatten. Bald sprang aus dem Tulpenkelch eine zierliche Mädchengestalt von fast übernatürlichem Liebreiz. Leuwenhoek faßte die Wundergestalt gleich mit seinen groben Händen an, damit sie ihm nicht entschlüpfen könne; der böse Swammer hätte ja auch gerne zugegriffen, aber er fürchtete wohl, das kleine zarte Wesen, das nur schwache Lebenszeichen von sich gab, könnte zerbrechen. Er verließ sich auf seine Verschlagenheit und freute sich schon im Stillen darauf, seinem Kollegen dieses Wunderwerk bald abzunehmen. Als die beiden Zauberer, ohne es sich gegenseitig merken zu lassen, darüber nachdachten, wie sie sich den alleinigen Besitz des elfenhaft schönen Mädchens sichern könnten, hörten sie plötzlich von irgend woher eine ganz feine und singende Stimme, die von einem Wesen kommen mußte, das in großen Sätzen über sie hinwegsprang. Einmal erklang die Stimme hinter ihnen, einmal hoch aus der Luft, dann von rechts und schon wieder von links. - "O weh, o weh! was habt ihr gemacht, ihr Bösewichter. Schlimmer Strafe werdet ihr nicht entgehen, ihr habt die Tochter Alinore des mächtigen Königs Sekatis, die der Schöne Geist in eine Perle verwandelte, um sie der Last des Erdenlebens zu entheben, in ihre menschliche Gestalt zurückgebracht. Wehe euch Bösewichtern!" Aber die beiden hartgesottenen Magier lachten nur. Leuwenhoek hielt das kleine Mädchen noch fester, indem er mit der anderen Hand sein Fernglas zog, um zu sehen, wer da in so gewaltigen Sätzen herumsprang - es mußte ein verzwickt kleines und dabei sehr sonderbares Geschöpf sein. - "Richtig, da ist es!" rief Leuwenhoek, "es ist ein riesiger Floh vom Umfange einer stattlichen Bohne. Der wäre für meinen Zirkus wie geschaffen!" Er richtete sein Glas so scharf auf das Insekt, daß dieses betäubt mitten aus seinem großen Satz aus der Luft herabfiel, dem Flohbändiger Leuwenhoek gerade auf die Nase. Von der glatten blanken Nase rutschte der Floh ab und sprang noch ganz benommen unglücklicherweise in die große Botanisiertrommel, deren Deckel weit offenstand. - "Halt! den hätten wir!" rief Leuwenhoek mit einem freudigen Grunzen und klappte schnell die Dose zu. - "Dieses Prachtexemplar von einem Floh wird mir die Hauptattraktion meiner Schaustellung werden!" - Nun wurde es für die Magier Zeit, sich wieder um die zarte Alinore zu kümmern. Leuwenhoek hatte sie während der Flohjagd etwas heftig gedrückt, und das schöne Mädchen lag wie ein lebloses Püppchen über seinem Arm. - "Hilfe ihrer Seel! sie stirbt mir unter den Augen!" stieß der Flohbändiger enttäuscht hervor. Beide Magier murmelten jetzt Zauberformeln und hauchten sie mit ihrem warmen Atem an, in der Hoffnung, sie lebend nach Hause bringen zu können, schob Leuwenhoek das Mädchen ganz vorsichtig in seine Blechtrommel, die von zwei Seiten mit Fliegengittern versehen war, und lief schnell davon, um seine Beute in Sicherheit zu bringen. Hinter ihm her lief Swammer, der Gift und Galle spuckte, weil er dem Kollegen den Besitz Alinorens mißgönnte. Als der Floh in der Botanisiertrommel nun mit der kleinen Alinore, einem menschlichen Wesen, allein war, wurde er sofort lebendig und interessierte sich ausnehmend für ihren Zustand. Das arme Mädchen konnte weder leben noch sterben und rang unter Seufzen mit dem Tode. Der Floh sah ihre Schönheit und Anmut, wurde von heftigem Mitleid ergriffen und entschloß sich, ihr zu helfen. - "Still, holdes Menschenkind! wir werden gleich die Grenze des Märchenlandes Famagusta überschreiten. - Bevor wir nicht die Grenze passiert haben, kann ich Dir die nötige Lebenskraft nicht verleihen; erst dann hört die Macht des Schönen Geistes auf und seine Rache kann mich nicht mehr erreichen." - "Ich sterbe! ich sterbe!" hauchte Alinore, wurde bleich bis in die Lippen und fiel in eine tiefe Ohnmacht. Schnell versetzte der Floh dem unglücklichen Mädchen einen Stich in die Schulter. Wie durch Zauber öffnete Alinore die Augen, und über ihre Wangen huschte ein lebendes Rot. Sie lächelte wie ein überglückliches Kind und rief in einem fort: "Mein Herz schlägt! - ich lebe! Hab' tausend Dank, Meister Floh!" - Bald aber sollte das schöne Mädchen. so jäh aus seinen glücklichen Märchenträumen herausgerissen, erfahren, daß es kein großes Glück war, in die Menschenwelt versetzt zu sein. Nach einigen Tagen schon stand sie auf den schwanken und ungehobelten Brettern der Schaubude des Flohbändigers Leuwenhoek. Hinter ihr wehte eine drohende Leinwand, die mit bunten Albernheiten und Scheußlichkeiten bemalt war. Quiekende Orgeltöne, schlechte Musik und schrille Glocken ertönten von allen Seiten und ergaben ein ohrenbetäubendes Durcheinander. Dazwischen drängten die Menschen und schrieen mit ihren groben Stimmen wie die Kuhtreiber. Alinore befand sich im tollsten Jahrmarktrummel. Sehnsuchtsvoll dachte sie zurück an das Land Famagusta; dachte an Zeherit, den edlen Distelprinzen, der sie mit seinen ritterlichen Armen immerfort umschlungen gehalten hatte, um sie vor Ungemach zu schützen. Es erschien ihr jetzt wie ein verlorenes Paradies. Ihr einziger Trost war Meister Floh, auf dessen unbedingte Hilfe sie rechnete. Er saß neben ihr mit einem winzigen Kettchen festgebunden auf der langen Nase einer riesigen Pappmaske und mußte gleich ihr die vorbeiziehenden Leute in die Bude hineinlocken. Beide hatten ihr Liedchen zu singen. Meister Floh machte gewöhnlich vorher einige Sprünge und sang als erster:

Ich bin der Meister aller Flöhe,
Spring zwanzig Meter in die Höhe;
Kann kostbare Gewänder tragen
Und fahr in einem goldenen Wagen;
Kann reiten und kanonenschießen,
im Zweikampf mit dem Stachel spießen;
Kann am Trapez den Drehbaum machen, 
Daß alle Menschen drüber lachen!
Man sieht mich hier, den Springinsfeld,
Für einen Kreuzer - wenig Geld!

Gleich darauf erklang die wunderfeine Stimme des schönen Mädchens, und alles horchte auf:

Ich bin das Prinzeßchen Aline,
Mit puppenhafter Miene.
Ich stamme aus dem Märchenland,
Das Famagusta ist genannt,
Wo verzauberte Menschen wohnen,
Verborgene Geister thronen,
Wo Vögel und Blumen sprechen,
Wo. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !

Weiter kam sie nicht. Der böse Swammer, der gegenüber seine Zauberbude betrieb, mißgönnte dem Kollegen Leuwenhoek seinen Erfolg. Mit allen Mitteln war er darauf bedacht, ihm das Geschäft zu unterbinden. Jedesmal, wenn Meister Floh und Aline ihre Lieder sangen, nahm der Bösewicht sein mächtiges Sprachrohr und überschrie ihre feinen Stimmen. Dann stürzte der geschädigte Leuwenhoek wutschnaubend aus dem roten Samtvorhang seines Flohtheaters hervor. Die beiden finsteren Magier zückten ihre gefährlichen Waffen und - der Kampf der Teleskope begann. Mit riesigen Fernrohren gingen die ehemaligen Freunde und nunmehr erbitterten Feinde sich zu Leibe. - "Zieh, Verdammter, wenn Du Courage hast!" schrie Leuwenhoek. - "Nur heran, ich stehe Dir; bald sollst Du meine Macht fühlen!" rief Swammer seinerseits und zog sein Fernrohr auseinander. Beide setzten nun die scharfen Gläser an ihre Augen und fielen grimmig gegeneinander aus.



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