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04.3
Japanische
Märchen
by
Karl Alberti
Juki-onna [1]
s
waren einmal zwei
Holzhauer: der eine hieß Nishikaze[2],
dieser war ein älterer
Mann, während
der andere Teramichi hieß und noch ein Jüngling war. Beide wohnten im
gleichen
Dorfe und gingen jeden Tag zusammen in den Wald um Holz zu schlagen. Um
in den
Wald zu gelangen, mußten sie einen großen Fluß passieren, über den eine
Fähre
eingerichtet war. Als sie eines Tages spät mit ihrer Arbeit fertig
waren,
wurden sie von einem furchtbaren Schneesturm überrascht; sie eilten zur
Fähre,
mußten aber zu ihrem großen Schrecken sehen, daß der Fährmann soeben
übergesetzt war und sich auf der anderen Seite des reißenden Flusses
befand,
von der er des rasenden Sturmes wegen vorläufig nicht zurück konnte. Da
die
Beiden im Freien das Ende des Sturmes nicht abwarten konnten,
beschlossen sie
in das nahebei befindliche Haus des Fährmanns zu gehen und dort dessen
Rückkehr
abzuwarten. Gesagt, getan! Im Hause angekommen, warfen sie sich zur
Erde,
nachdem sie Tür und Fenster wohl verwahrt hatten und lauschten dem
Tosen des
Sturmes. Der Ältere, ermüdet von des Tages Last und Arbeit, war bald in
Schlaf
gefallen; aber der Jüngere konnte kein Auge schließen, denn das Heulen,
Brausen, Rauschen und Krachen war unheimlich und das Häuschen
erzitterte in
allen Fugen.
Plötzlich
gab es einen fürchterlichen Schlag, als
wollte der Sturm das Haus zertrümmern, die Tür sprang auf und ein
eisiger Wind
mit einer riesigen Schneewolke drang herein. Entsetzt starrte Teramichi
auf die
Wolke, denn diese bewegte sich auf und ab und nahm endlich menschliche
Gestalt
an, die Gestalt einer Frau in weißem Gewande und wandte sich zu der
Stelle, wo
Nishikaze schlief; dort beugte sie sich zu dem Schläfer nieder, ihrem
Munde
entströmte ein weißer Nebel, der sich auf das Gesicht des Mannes
ausbreitete,
dann richtete sie sich auf und kam auf Teramichi zu, der, unfähig ein
Glied zu
rühren, die Augen angstvoll weit geöffnet hielt. Dicht vor ihm
angekommen
neigte sie sich nahe auf sein Gesicht und sah ihn ein Weilchen ruhig
an; dann
sprach sie leise, ihre Stimme war wie ein Hauch und ihr Gesicht nahm
freundlichere Züge an: „Deinen Kameraden habe ich getötet, wie
alles, daß
in meinen Bereich kommt. Auch du solltest sein Los teilen,
doch bist
du noch kein Mann und hast noch nicht gelebt. Drum sei verschont! Doch
diese
Schonung wird dir nur so lange Zeit gewährt, als du schweigen
kannst.
Kommt auch nur ein Wort von dem über deine Lippen, was du hier
erlebtest, — sei
es zu wem es wolle, nicht Vater, nicht Mutter, nicht Weib noch Kind,
niemand,
hörst du, niemand darf erfahren, was hier geschah, — so treffe ich
dich, wo es
auch sei! Denke daran!“
Nach
diesen Worten schwebte sie langsam empor und
verschwand durch die Tür.
Jetzt
wich der Bann von dem jungen Manne, er sprang
auf, eilte zur Tür und verschloß sie fest. Dann wandte er sich zu
seinem
Kameraden und rief ihn an; doch dieser rührte sich nicht, er war steif
und
starr, er war tot, sein Gesicht verklärte ein glückliches Lächeln.
Endlich ließ
der Sturm nach und der Morgen brach an und der Fährmann, der nun
zurückkehrte,
fand beide Männer in seinem Häuschen und hielt sie für tot, für
erfroren; doch
als er sie aufhob, tat Teramichi einen tiefen Seufzer, schlug die Augen
auf und
kam bald wieder zu sich, während Nishikaze tot blieb und begraben
wurde.
Der
junge Mann aber ging wieder seinem Berufe nach und
wanderte tagtäglich in den Wald, erzählte niemand sein Abenteuer, das
er mit
der Schneefrau, denn eine solche war es, wie ihm zur Gewißheit wurde,
hatte. So
gingen zwei Jahre dahin.
Als
er eines Abends nach vollbrachtem Tagewerk wieder
heimwärts wanderte, begegnete ihm ein junges hübsches Mädchen, das ihm
so
gefiel, daß er sich in ein Gespräch einließ. Das Mädchen erzählte ihm,
daß es
Waise sei und zu entfernt wohnenden Verwandten wandern wolle, wo es
hoffe
aufgenommen zu werden.
Als
das Paar nahe dem Dorfe war, in dem Teramichi
wohnte, sprach dieser zu dem Mädchen:
„Es
ist jetzt Abend und kalt und die Wege sind
unsicher; komm mit in meine armselige Hütte und nimm teil an dem
bescheidenen
Mahle, das meine Mutter bereitet hat! Ruhe dich dann aus und so du
willst,
kannst du morgen früh deine Wanderung fortsetzen!“
Das
Mädchen, das sich „Juki“ nannte, nahm dies
Anerbieten an und begleitete den jungen Mann in sein Haus, wo die
Mutter ihm
eine freundliche Aufnahme bereitete. Als es sich ausgeruht hatte
und am
andern Morgen sich wieder auf den Weg machen wollte, bat die Mutter, es
möge
doch noch einige Tage bleiben und wenn es niemand in der Welt habe, der
es
erwarte, so möge es bleiben, so lang es wolle und ihr etwas zur Hand
gehen, da
sie selbst schon alt sei und sich schon längst eine Stütze im Hause
gewünscht
habe. Da auch Teramichi, der zu dem Mädchen in heißer Liebe entbrannt
war, sich
den Bitten seiner Mutter anschloß, so schlug es ein und blieb im Hause.
Wie
es nun so geht, wenn ein Mann einem Mädchen mit
reiner Liebe zugetan, daß das Mädchen schließlich auch Liebe empfindet,
so war
es auch hier und es dauerte nicht lange Zeit, so hatten sich beide ihre
Liebe
erklärt und Teramichi und Juki wurden ein Paar.
Juki
war stets eine brave Frau und verehrte ihre
Schwiegermutter in kindlicher Liebe bis diese starb; dann widmete sie
sich nur
ihrem Manne und ihren Kindern, von denen sie im Laufe der Jahre ihrem
Gatten
zehn geschenkt hatte. Die Kinder blühten und gediehen und wuchsen
heran; keine
Krankheit, kein Unglück störte den Frieden und das Glück dieser Ehe,
die
jedermann als die beste im ganzen Lande pries.
Als
ganz besonderes Wunder aber wurde erwähnt, daß
Juki immer jung aussah, immer blühend und in voller Kraft war und man
keinerlei
Spuren des Alterns bei ihr wahrnehmen konnte. So vergingen die Jahre,
als eines
Abends im Winter, als das Paar im traulichen Zwiegespräch beisammensaß,
wieder
einmal ein furchtbarer Schneesturm losbrach. Der Mann erschauerte,
indem er seines
Erlebnisses in der Hütte des Fährmannes gedachte und sinnend
betrachtete er
seine Frau, die ihm schöner als je erschien und plötzlich glaubte er in
ihrem
Gesicht eine Ähnlichkeit mit der Schneefrau zu entdecken, die ihm
damals vor
vielen Jahren das Leben schenkte. Diese Ähnlichkeit trat immer
deutlicher
hervor, so daß er den Ausruf nicht zurückhalten konnte: „Nein, du bist
schöner!“
Juki
wurde aufmerksam und fragte, was diese Worte
bedeuten sollten; ohne zu zögern, halb im Traum, erzählte er ihr nun
sein
Abenteuer, das er mit der Schneefrau hatte und schloß seine Erzählung
mit den
Worten: „Sie war schön, aber geisterhaft schön; du aber bist
menschlich,
natürlich schön!“
Da
erhob sich Juki und erschreckt sah der Mann, wie
sie größer und größer wurde, wie ihr Gesicht sich verklärte, die
Kleidung sich
in lichtes Weiß verwandelte und sie endlich so vor ihm stand, wie
damals die
Schneefrau. Er stürzte zu Boden, streckte die Arme aus und rief: „Ja du
bist es
doch, verzeih, verzeih!“
Sie
aber schüttelte das Haupt und herrschte
ihn an:
„Ja
ich bin es! Konntest du den Mund nicht halten,
nachdem du solange geschwiegen hast? Ich könnte dich jetzt töten; ein
Hauch aus
meinem Munde würde deine Glieder erstarren lassen, das wäre die
gerechte
Strafe, daß du nicht nur dein, sondern auch mein Glück zerstört hast!
Denn
sieh!“ — hier nahm ihre Stimme einen milden Klang an — „als ich dich
damals in
jener Hütte als blühenden hübschen Jüngling so hilflos vor mir sah, da
tatest
du mir leid, aber nicht nur leid; ich fühlte den Wunsch in mir, auch
einmal
Menschenglück zu genießen, anstatt stets zu zerstören. Ja, ich liebte
dich und
nahte mich dir in menschlicher Gestalt, ich genoß an deiner Seite Jahre
ungetrübten Glücks. Jetzt hast du es selbst zerstört und ich muß zurück
in mein
kaltes Reich und du? — Ich gedenke des Glücks, das ich genossen und der
armen
dort ruhenden Kinder, denen ich neben der Mutter nicht auch den Vater
rauben
will. Mögest du drum leben; bleibe den Kindern ein guter Vater und
suche
dadurch dein heutiges Unrecht zu sühnen!“
Damit
drückte sie ihm einen Kuß auf die Stirne, der,
obgleich eiskalt, wie Feuer brannte; die Tür sprang auf, ein wirbelnder
Schneeschauer durchtobte das Haus und entführte Juki-onna, den Mann
einsam
zurücklassend.
Von
diesem Tage an blieb er, der sonst stets heiter
und guter Dinge war, ernst und kein fröhliches Wort kam mehr über seine
Lippen;
er lebte nur seinen Kindern, zog sie zu tüchtigen, braven Menschen auf
und als
nach vielen Jahren wieder einmal ein Schneesturm brauste, nahm dieser
die Seele
des Mannes mit und führte sie seiner „Juki-onna“ zu.
Die
Leute aber sagten, als sie ihn am andern Morgen
tot fanden, er sei erfroren.
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