|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
04.3
Japanische
Märchen
by
Karl Alberti
Urashima[6] -
Seite 2
Zwanzig
Säulen von reinstem Kristall trugen die aus Korallen
gebildete Decke des Saales, von der eine Unmenge kostbarer Lampen
herabhing, in
denen wohlriechende Öle brannten. Die Wände waren alle aus Marmor und
trugen
zum Schmuck die verschiedensten Edelsteine und Rubinen. In der Mitte
des Saales
befand sich ein diamantener Thron, auf dem Otohime, die Meereskönigin
saß,
schön wie die Morgenröte, die das bleiche Nachtgestirn vertreibt. Den
Thron
umgab eine unendliche Menge von Würdenträgern und Palastbeamten, alle
in
kostbare Gewänder gekleidet.
Die
ganze Pracht war für den an derartige
Schönheit und Wunder nicht gewohnten jungen Fischer so blendend, daß er
nur
zögernd und halb willenlos, langsam einen Fuß vor den andern setzte und
sich so
dem Throne nahte, wo er sich ehrfurchtsvoll und demütig niederwerfen
wollte.
Aber
die Königin, die seine Ueberraschung und sein Zögern mit mildem,
freundlichem Lächeln beobachtet hatte, erhob sich schnell, ergriff
Urashima bei
der Hand und verhinderte so sein Niederfallen. Mit einer Stimme, die
dem Klange
einer silbernen Glocke glich, süß und rein, sagte sie zu ihm:
„Sei
mir willkommen. Ich habe gehört, daß du gestern
in selbstloser Weise einer meiner liebsten Dienerinnen das Leben
gerettet hast.
So war es mein aufrichtiger Wunsch, dir diese edle Tat zu vergelten und
dir
meine Dankbarkeit zu beweisen. Deshalb habe ich dich zu mir eingeladen
und ich
habe mich gefreut, daß du so furchtlos
warst und der Gefahr
nicht achtetest, den Weg hierher zu unternehmen. Wer furchtlos ist, ist
in der
Regel auch treu!“ Der junge Fischer wußte nicht, wie ihm geschah und er
war so
verlegen und befangen, daß er auch nicht ein Wort zu erwidern
vermochte; er
machte nur eine stumme, sittsame Verbeugung.
Auf
einen Wink der Königin wurden ihm nun seidene
Polster gebracht, auf die er sich niederlassen mußte, dann stellte man
ein
elfenbeinernes Tischchen vor ihm hin, auf dem sich auf einer roten
Lackplatte
schmackhafte Speisen verschiedenster Art befanden, die ihm sämtlich
unbekannt
waren. Er ließ sich nicht länger nötigen, sondern sprach den Speisen
und
Getränken tapfer zu. Es war für ihn im wahren Sinne des Wortes eine
Göttermahlzeit; hatte er doch in seinem ganzen Leben noch nie derartige
Sachen gesehen,
geschweige denn jemals gekostet.
Als
er sein Mahl beendet hatte, forderte ihn die
Königin auf, sich den Palast anzuschauen; sie führte ihn von Saal zu
Saal, von
Zimmer zu Zimmer durch alle Räumlichkeiten, die mit verschwenderischer
Pracht ausgestattet
waren und jede nur irgend mögliche Bequemlichkeit aufwiesen.
Das
wunderbarste aber war der Garten, der vier große
Beete enthielt, die den vier Jahreszeiten entsprachen.
Das
eine Beet, der Frühling, enthielt zahllose
Pflaumen- und Kirschbäume, die über und über dicht mit Blüten besät
waren und
auf einem saftigen dunkelgrünen Rasen standen. Auf den Zweigen saßen
zahlreiche
Nachtigallen, die ihre lieblichen Romanzen melodisch ertönen ließen und
eine
unendliche Menge Lerchen hatte ihre Nester in dem Blütenmeere erbaut.
Nach
Süden zu befand sich das Beet des Sommers: Hier
standen Birnen- und Aepfelbäume, deren Zweige sich unter der Last der
herrlichsten Früchte bis nahe zum Erdboden beugten. Grillen und Zikaden
erfüllten die Luft mit ihrem einförmigen und betäubenden Geschrei. Die
große
Hitze, die in diesem Teile herrschte, wurde gemildert durch einen
sanften,
kühlenden Wind.
Das
dritte Beet, der Herbst, im westlichen Teile
gelegen, war ganz bedeckt mit welken Blättern und Chrysanthemenblüten,
während
das im Norden befindliche vierte Beet, den Winter, ein dichter
Schneeteppich
bedeckte und Eisfelder und ein zugefrorener Graben es umgrenzten. So
verbrachte
Urashima sieben lange Tage im Palaste der Meereskönigin und wurde gar
nicht
müde, all die Wunder und Herrlichkeiten anzustaunen, die ihm täglich
gezeigt
wurden und im Entzücken über die liebliche Schönheit Otohimes vergaß er
ganz
seine Heimat, seinen Vater, sein Weib und seine Kinder. Aber eines
Tages, als
er wieder müßig umherschlenderte, kamen ihm diese doch wieder in
Erinnerung und
ein tiefes Heimweh befiel ihn. Er seufzte schwer und sprach:
„Was
mag wohl mein Vater von meiner langen Abwesenheit
denken, wie unruhig werden meine Frau und Kinder sein und meine
Rückkehr
erwarten! Vielleicht glauben sie sogar, daß ich gestorben bin,
verschlungen von
den Wogen des Meeres, auf dem Grunde des Ozeans ruhe!“
Ohne
sich lange zu besinnen, eilte er zur Königin und
bat, ihn zu den Seinen zurückführen zu lassen, da er jetzt schon sieben
Tage
von Hause abwesend sei und die Seinen sich sicherlich ängstigen würden.
Die
Königin, die vergeblich sich bemühte, Urashima die
Heimwehgedanken auszureden, nahm, als sie sah, daß ihre Worte nichts
halfen,
ihn mit sich in ihr Zimmer, und überreichte ihm ein kleines, fest
verschnürtes
Lackkästchen, indem sie sagte: „Ich habe keine Gewalt dich hier gegen
deinen
Willen zurückzuhalten, obgleich ich weiß, daß deine Rückkehr in die
Heimat dir
nur Elend bringen wird. Aber nimm hier zur Erinnerung an mich dieses
Kästchen,
es wird dir immer nützlich sein und dir, wenn
du den Wunsch hast, zu mir
zurückzukehren, diese Rückkehr ermöglichen. Diesen Wert behält das
Kästchen
aber nur so lange, als es uneröffnet bleibt. Also beachte wohl! Laß
dich nie
durch sträfliche Neugierde und durch sonst irgend welche Umstände
verleiten,
jemals das Band, das das Kästchen verschlossen hält, zu lösen und den
Deckel zu
lüften; es wäre dein Tod und nie fändest du den Weg zu mir.
Willst
du
zu mir
zurück, so gehe mit dem verschlossenen Kästchen an den Strand und rufe
meinen
Namen, so werde ich dir eine meiner Dienerinnen senden, die dich
hergeleitet.
Also beherzige meine Worte und laß das Kästchen geschlossen, dein Leben
liegt
darin. Und nun lebe wohl!“
Sie
küßte ihn auf die Stirne und geleitete ihn bis zum
Tore. Hier stand die Schildkröte bereit, die Urashima bestieg. In
kurzer Zeit
war sie mit ihm am Strande, wo sie ihn verließ. Mit dem Kästchen unterm
Arm
wollte er schnell seinem Dörfchen zuwandern, blieb aber auf seinem Wege
wiederholt stehen; denn es kam ihm alles, der Strand, der Weg, die
Bäume und
Felder etwas verändert vor. Mehrmals glaubte er, daß die Schildkröte
ihn an
einer verkehrten Stelle abgeladen hätte, aber doch war ihm dieses oder
jenes
wiederum bekannt, so daß er schließlich sich mit dem Gedanken
beruhigte, der
siebentägige Aufenthalt auf dem Grunde des Meeres habe seine Augen,
seine
Sehkraft beeinflußt.
Als
er aber endlich in seinem Dorfe ankam, da waren
die Häuser und Hütten alle verändert, auf dem Markte standen Bäume, die
er nie
gesehen hatte; die Bewohner waren ihm unbekannt und so ängstlich er
auch jedem
ins Gesicht schaute, er konnte keinen Bekannten entdecken, auch die
Kinder
erschienen ihm fremdartig, die auch ihn verwundert anstarrten und ihm
dann
nachliefen.
Er
wurde ganz irre und wußte nicht mehr, was er denken oder
glauben
sollte; doch hielt ihn die Hoffnung aufrecht
von den Seinen
Aufklärung über diese wunderbare Verwandlung seiner Heimat während
seiner nur
siebentägigen Abwesenheit zu erhalten. Doch je näher er zu seinem Hause
kam, desto
ängstlicher war ihm zu Mute und große Bangigkeit erfüllte sein Gemüt.
Was wird
er hören müssen?
Aber!
o Schmerz! — Als er an die Stelle kam, da seine
Hütte gestanden, da war sie nicht mehr vorhanden. Ein öder, wüster, mit
Unkraut
überwucherter Schutthaufen war der Platz seiner Geburt. Keine Spur von
seinem
Vater, seiner Frau, seinen Kindern, nichts von allem, was ihm lieb und
teuer
war, war zu sehen. Schmerzerfüllt sank er weinend zu Boden, während in
einiger
Entfernung die Leute und Kinder ihn umringten. Da trat aus der Menge
ein
gebeugter Greis hervor und näherte sich Urashima mit der Frage:
„Wer
seid ihr Fremdling und wen suchet ihr hier? Was
erfüllt eure Seele mit Kummer und Schmerz?“
„Mein
Alter“, antwortete Urashima mit schmerzbebender
Stimme leise, „vor sieben Tagen verließ ich das Haus, das an dieser
Stätte
stand und kehrte nun zurück, finde aber nur einen Schutthaufen, ich
sehe fremde
Leute, fremde Gestalten und auch euch kenne ich nicht, sah euch noch
nie in diesem
Dorfe, sagt, was ist hier in den sieben Tagen geschehen? Wo sind mein
Vater,
mein Weib, meine Kinder, die ich hier zurückließ? O bitte, löst
mir dieses
Rätsel, reißt die Binde von meinen Augen, daß ich sehen kann!“
„Ich
verstehe euch nicht, junger Mann!“ entgegnete der
Greis, „diese Stätte ist ein Trümmerhaufen, solange ich denken kann.
Ich kenne
euch nicht; wer seid ihr? Wie ist euer Name?“
„Ich
bin Urashima Taro, der Fischer!“ rief Urashima.
„Urashima
Taro? — —“ rief der Greis voller Erstaunen
und wich schreckerfüllt einige Schritte zurück. „Seid ihr ein
Gespenst? — ein Schattenbild? — Urashima Taro könnt ihr nicht sein! Es
geht
hier die Sage und ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit, da von
diesem noch
oft an dunkeln Abenden erzählt wurde, dieser junge Fischer ging vor nun
700
Jahren eines Morgens aufs Meer und kehrte nicht mehr zurück. Die Gräber
seiner
Angehörigen könnt ihr auf dem Friedhofe noch heute sehen, allerdings
zerfallen,
verwittert!“ —
Urashima
erblaßte, „siebenhundert Jahre?“ rief er verzweifelt
aus und rang die Hände. Jetzt wurde ihm alles klar. Jetzt verstand er
alles!
Sieben Tage im Palaste der Königin waren sieben Jahrhunderte. Tiefe
Traurigkeit
bemächtigte sich seiner, er erzählte dem Alten mit stockender Stimme
sein
Lebensschicksal, dann erhob er sich und verließ schwankenden Schrittes
wie ein
Träumender das Haus;
er wandte sich wieder
dem Meere zu und ließ sich dort am Strande nieder, seine Lage bedenkend.
Tiefsinnig
betrachtete er die rollenden Wogen, die
unermeßliche Fläche und schaute verlangend nach der Schildkröte aus,
daß sie
ihn wieder zurückführe in das ewig jugendliche Reich der Meereskönigin;
er
dachte aber in seiner Traurigkeit nicht daran, sie zu rufen und so sah
er
vergeblich nach dem Tiere aus.
Dann
fiel sein Blick auf das Kästchen, das ihm die
Königin beim Abschiede gegeben hatte und das er gedankenlos neben sich
auf den
Sand gelegt hatte.
„Was
bedeutet dieses Kästchen?“ fragte er sich. Die
schöne Königin hat zwar gesagt, es sei mein Leben darin und ich werde
es
verlieren, wenn ich das Kästchen öffne. Ist dieses Gebot aber
vielleicht nur
eine Probe? Enthält das Kästchen nicht vielmehr mein Glück? Ist alles,
was ich
heute erlebte, nur eine Täuschung und schwindet diese, wenn ich das
Kästchen
öffne? Und selbst wenn ich sterben sollte, was schadet es? Bin ich
jetzt nicht
ein Fremdling in meiner Heimat und habe niemanden, niemanden, der mich
liebt,
der mich kennt? Ohne Vater, ohne Familie, ohne Bekannte, ohne Freunde
bin ich
schlimmer daran als ein Heimatloser; da ist mir der Tod nur ein Gewinn,
er
bietet mir etwas Besseres, als dieses unglückselige Leben! So
sprechend, löste
er langsam die Schnur, die um das Kästchen geschlungen war und öffnete
ein
wenig den Deckel.
Da
stieg ein kleines weißes Wölkchen aus dem Kästchen
empor, breitete sich dann aus, erhob sich und schwebte langsam über das
Meer
der Richtung zu, wo sich der Palast der Meereskönigin befand.
Laut
aufschreiend sprang Urashima empor und breitete
sehnsüchtig die Arme aus, aber — ein jäher heftiger Schmerz durchzuckte
seinen
Körper und er ließ die Arme sinken, da blickte er auf seine Hand und
ein
eisiger Schauer befiel ihn, die Hand, soeben noch so frisch und rosig,
war
welk, runzlig und knochig wie die eines Greises; nun fühlte er auch wie
sein
Blut erstarrte, wie es träger durch seine Adern floß, die Haut zog sich
in
Falten, der Herzschlag stockte, noch einmal schaute er ins Wasser, da
spiegelte
sich ihm ein verrunzeltes graues Greisenantlitz mit spärlich weißem
Haar
entgegen, sein eigenes Antlitz, vor Minuten noch in Jugendfrische,
jetzt
mumienhaft verändert.
Mit
einem Wehelaut sank er zu Boden und ein
Häuflein
grauen Staubes bezeichnete die Stätte, da Urashima jugendfrisch
zurückgekehrt
in wenigen Minuten zu Staub wurde. [9]
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|