Sagen aus Hamburg
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Von einem
Zankteufel (1662)
Seit
unsere trefflichen Vorfahren das akademische Gymnasium gestiftet hatten
(1612),
war dasselbe eine Zierde Hamburgs geworden. Die Professoren kamen zum
Teil aus
fernen Landen vom Rate herberufen, andere waren auch ehrliche
Bürgerkinder von
hier. Alle aber befanden sich auf ihren Kathedern und in ihren vier
Pfählen so
wohl, dass (bis 1841) mit einer einzigen Ausnahme keiner seinen Platz
wieder
verlassen hat, so viel auch fremde Fürsten locken mochten, die sie an
ihre
Universitäten befördern wollten. Dieser Einzige aber, welcher fortging
von hier
und nimmer wieder kam, war Herr Petrus Lambecius. Aber er hatte
eine böse Frau daheim,
und dass eine solche auch den geruhigsten Gelehrten aus seiner Haut und
aus dem
Hause in die weite Welt jagen kann, das ist männiglich bekannt.
Herr
Peter Lambeck war hier in Hamburg geboren; sein Vater war Heino
Lambeck, der
den Buben der St. Jacobi-Kirchenschule das Rechnen einbläute, damit sie
tüchtige Kaufleute würden. Der Sohn verlegte sich früh auf die Studien,
und
nachdem er rechtschaffen gelehrt und Doktor geworden war und sich nun
Petrus
Lambecius schrieb, erkor ihn unser Rat zum Professor der
Geschichte am Gymnasium, hernach
auch zum beständigen Rektor desselben. Da lehrte er denn die Historien,
wie
sich alles in der Welt von der Schöpfung an zugetragen, von Kaisern,
Päpsten,
Fürsten, Städten und ihren Händeln, und wusste alle Kriege,
Pestilenzen, teure
Zeiten, Wassersnöte, Hochzeiten, Kindbetten, Ratswahlen und was sonst
Wichtiges
in der Welt und in Hamburg vorgefallen, auswendig herzusagen, dass es
sich ganz
andächtig vernehmen ließ und ihm viel Lob einbrachte, denn dazumal
hielt man
große Stücke auf die Historie. Aber recht berühmt und ein großer Mann
ist er
erst später geworden, nachdem er davon gegangen war. Das trug sich nun
also zu:
Nachdem
er etwa 10 Jahre so dociret und daheim fleißig studieret, auch manch
schweinsledernes
Buch, das die Hamburger doch nicht lasen, in Druck hatte ausgehen
lassen, kam
ihm die Lust an, zu freien; und weil doch alle Ehen im Himmel
beschlossen
werden und Gott wohl noch große Dinge mit ihm im Sinne hatte, so geriet
er an
Frau Anna von Emersen, die zwar trefflich reich, aber allbereits betagt
und
unlieblichen Angesichts, dabei auch ein schmähsüchtiger Zankteufel war,
und so
geizig, dass sie auf ihren Schätzen saß, wie Fafner der Drache in der
Nordischen
Sage, daher sie auch des Professors Hausdrache genannt wurde. Sie
verstand es,
schon in der ersten Woche im Hause ihres Eheherrn alles um und um zu
lehren,
und ihn selbst und das Gesinde dergestalt zu peinigen, dass sogar den
Nachbarn
Hören und Sehen verging. Das Schmerzlichste aber war ihm, dass sie
gleich nach
ihrem Einzug mit etlichen Scheuerweibern sein Heiligtum, das
Studierzimmer,
lüften und mit Uhlen, Leuwagen und Kratzbürsten reinigen ließ, sodass
der
Wirbelwind durch das Gemach strich und die gelehrten Notatzettel auf
die Gasse
jagte, wenn sie nicht vorher ins Wasser fielen, darin alles schwamm;
auch an seine Bibliothek legte sie
die Hand, warf die Bücher, um sie abzustäuben, heraus, und setzte sie
dann
verkehrt wieder in die Schreine. Kurzum, Herr Petrus hatte keinen
friedlichen
Augenblick mehr, sondern ein wahres Höllenleben, und an die papistische
Lehre
vom Fegefeuer musste er stündlich denken, und oft genug, wenn sie mit
ihm oder
dem Gesinde zankte und keifte, hat er ihr, innerlich ganz desperat,
aber
äußerlich ganz sänftiglich gesagt: „lieber Engel, sie wird mich noch
rein
katholisch machen.“
Was
aber dem Fass den Boden und ihn zum Hause hinaus stieß, das war dies.:
Herr
Petrus hatte mit mühseligem Fleiße ein großes Buch in lateinischer
Sprache
geschrieben und drucken lassen, das hieß: „Origines Hamburgenses,“ will
sagen: ursprüngliche
hamburgische Geschichten. Und es war die lauterste Wahrheit, wie er sie
aus
alten Mönchsschriften und Urkunden, die sonst niemand lesen konnte,
heraus
studieret. Dies Buch hatte er herrlich einbinden und vergülden lassen,
weil
er’s dem ehrbaren Rate als absonderliche Verehrung zu überreichen
gedachte,
dafür, dass der ihn zum Rektor gekoren, was ihm freilich auch manche
Neider und
Scheelsüchtige in der guten Vaterstadt zu Wege gebracht hatte. Wie er
sich nun
seinen Sonntagsstaat anlegt, um es selbst dem worthaltenden
Bürgermeister
darzubringen, und nestelt noch an der gestreiften Halskrause, oder
rauft sich
eben im Zwickelbarte und auf dem Haupte etliche von denen früh
ergrauten Haaren
aus, so er seiner Eheliebsten verdanket, – da bekommt diese das Buch in
ihre
Hände. Dieweil sie nun vernommen, dass
darinnen Geschichten beschrieben stehen, denket
das törichte Weib, ihr Herr hätte seine leidige Ehestands-Geschichte
heimlich
in lateinischer Sprache, so ihr unverständlich, zu Papier gebracht und
drucken
lassen, und wolle sie damit bei dem Rate verkleinern und verklagen, und
die
Geschichte vom Reinmachen stünd’ auch drin. Resolviert sich also
schnell, und da Professorenfrauen
gemeiniglich Schreibens nicht unkundig, so schreibt sie vorn aufs große
Titelblatt ganz dreist und patzig die Worte hin:
„Van
all de Historien, de min Mann in düssem Booke geschreven hätt, darvan
ist keen
Dübelswoort wahr.“
Und
als Herr Petrus fertig war und das Buch zu Rate trug und es mit
wohlgesetzter
Rede überreichte, merkte er nichts von der Pinselei, die drinnen stand,
und ein
ehrbarer Rath, da er sie entdeckte, entsetzte sich sehr und hat’s ihm
im
Vertrauen kundgetan. Und darob hat sich der gute Herr schier krank
geärgert und
ist in schwere Gemüts-Anfechtung gefallen, sodass es die Königin
Christina von
Schweden, die dazumal hier wohnte, erbarmt hat. Sie kannte Herrn
Lambecium
wohl, denn sie war eine gelehrte Dame und bediente sich oft seiner
Unterweisung. Und sie riet ihm, er möchte nur ein Weniges auf Reisen
gehen, um
sich zu zerstreuen und von der grausamen Alteration zu erholen. Und
dies Wort
fiel wie ein zündender Funke in des armen Mannes Seele, und er dachte:
lieber in
Wien katholisch als in Hamburg des Teufels werden, und andern Morgens
früh, als
die Torknechte das Steintor öffneten, ist er hinausgegangen, ohne Valet
und
Abschiedsgruß, auf und davon, immer in einem Strich fort, bis nach
Wien.
Daselbst ist er gleich in die Burg gegangen, und hat zum Kaiser
gesprochen:
„kaiserliche Majestät, da bin ich und da habt Ihr mich, vor lauter
Desperation
so und so will ich Euer Bibliothekar und Hof-Rat werden und Eure großen
und edlen
Taten beschreiben, darum könnt Ihr nur gleich zu Eurem Beichtiger
schicken,
denn ich bin rein katholisch.“ Und der Kaiser hat gar holdselig
gelächelt und
gesagt: „Amen, dem sei also,“ und hat ihm alles bewilligt und ihm
gleich eine
güldene Ehrenkette wie einem mächtigen Schaupfennig um den Hals
gehängt. So ist er ein
vornehmer Mann bei Hofe und bei der Universität geworden; der Kaiser
hat ihn
gern gehabt und hat ihm oft zugeraunt: „wenn nur all Eure Professoren
in
Hamburg solche Männer wären, als Ihr einer seid, und auch solche
Hausdrachen
hätten: so viele ihrer entliefen, so viele wollt’ ich mit Plaisier
aufnehmen.“
Das
war um Ostern 1662. Und um Ostern 1680 ist Herr Petrus Lambecius als
ein
berühmter, hochbetrauter Mann zu Wien sanft und selig verstorben; und
gereut
hat’s ihn nimmer, dass er seinem Weibe davon gelaufen ist.
Herrn
Lambecius Grabschrift soll übrigens also lauten:
„Der,
so die Barbarei durch Geist und Arbeit plagte,
Und
den so Neid als Weib aus Hamburgs Mauern jagte.
Ein
Inbegriff von Glück, Gelehrtheit und Verdruss
Liegt
hier in dieser Gruft, wer ist’s? Lambecius.“
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Sage
111: "Von
einem Zankteufel", Otto Beneke,
aus: Hamburgische Geschichten und Sagen,
S.324-328, 2. Unveränderte Auflage, ED: 1854,
Verlag Perthes-Besser und Mauke,
Hamburg
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"Raven 1" Paul Gustav Dore, gemeinfrei
Quelle: wikimedia.org
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