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Literatur



04.1


Sagen aus Hamburg

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Pestgeschrei und Schloßbrand (1564)

Da kurz vor Weihnachten 1564 zu Gottorp die Hochzeit des Fürsten Adolf sollte gefeiert werden mit des Landgrafen Philipp zu Hessen Tochter Christina, so kam die fürstliche Braut nebst ihren zwei Brüdern und Gefolge, 300 Pferde stark, am 13. Dezember zu Bergedorf an, willens durch Hamburg zu reisen. Der voraus geschickte Kurier aber, als er durch die Steinstraße ritt, traf es so wunderlich, dass ihm zufällig fünf oder sechs Leichenzüge begegneten, was in einer großen Stadt wie Hamburg noch nichts Auffälliges ist. Der ehrliche Hesse aber, in dessen Heimatsort vielleicht nur alljährlich fünf bis sechs Menschen starben, vermeint nicht anders, als dass Pestilenz und Viehsterben ganz grausam in Hamburg wütet, wirft also kurz resolviert seinen Gaul herum und galoppiert spornstreichs zur Stadt hinaus nach Bergedorf zurück, wo er seine Hiobspost ganz kläglich vermeldet. Darob gerieten die Fürstlichkeiten in einige „Bestürzung,“ änderten ihren Weg, vermieden Hamburg und ritten bei Fuhlsbüttel über die Alster.

Dies war E. E. Rate empfindlich zu vernehmen, nicht nur der vorbeigegangenen Ehre wegen, sondern auch des Schadens halber, den löbliches Commercium dabei zu befahren hatte, wenn das Pestgeschrei allzu frühe auskäme. Denn leider Gottes war’s nicht ganz ohne, und die Seuche wirklich in Anmarsch, obschon der Kurier davon nichts wissen konnte, der gleichwohl unbewusst eine feine Nase gehabt haben muss. Und da zur Hochzeit nach Gottorp mit Glückwünschen und Geschenken der Bürgermeister Hermann Wetken und der Ratmann Jeronymus Hüge reisten, so überzeugten diese die hessischen Herrschaften bald, dass ihr Kurier ein Esel und Hasenfuß, und nichts an seiner Geschichte wahr sei.

Darum kamen dann auch die beiden Hessen-Prinzen auf ihrer Rückreise am heil. Christtage morgens 10 Uhr nach Hamburg. Und auf E. E. Rats Befehl mussten in St. Petri- und in St. Nicolai-Kirchspiel ein paar Schock Bürger aus der Kirche bleiben, um in ganzer Rüstung und vollem Harnisch Ihre Hoheiten am Millerntore zu empfangen, woselbst sie von etlichen Herren des Rats bekomplimentiert wurden. Die jungen Fürsten hatten noch niemals ein Seeschiff gesehen, baten deshalb, man möchte ihnen eins weisen, worauf sie von Michel Plate durch den Rödingsmarkt nach den Kajen geführt wurden, woselbst sie die großen Schiffe liegen sahen, auch eins in Augenschein nahmen, was alles sie gar sehr in Erstaunen gesetzt hat; von da marschierten die Prinzen immer in stattlicher Geleitschaft nach dem Rathause, wo sie sich einen Ehrenwein gefallen ließen, gingen dann zum Dom, den sie beaugenscheinigten, und von da strax zum Steintor hinaus, allwo das Reise-Gefolge ihrer harrte. Und da sie doch dem Frieden in der Stadt nicht trauen mochten, und begehrt hatten, in Bergedorf zu speisen, so hatte der Herrenschenk auf E. E. Raths Befehl zuvor genügsamen Proviant dahin bringen und daselbst ein artig Mahl anrichten lassen, was der Stadt Hamburg Ehre machte. Bald danach brach wirklich eine gefährliche Pest in Hamburg aus, die viele Menschen hinwegraffte.

Während der Zeit, als die Hessen-Prinzen heimreisten, wär‘s ihrer Frau Schwester, der jungen Herzogin aus Gottorp, fast übel  ergangen. Denn am Silvester-Abend gab ihr Gemahl ein gar herrlich Bankett zu Ehren der fremden Hochzeitsgäste, darunter zwei spanische Grafen. Da sie sich müde gegessen, getrunken und getanzt, gehen sie allzumal schlafen. Derweil nun kein Mensch im Schlosse wacht, als einzig ein Stallbub bei den Rossen, merkt dieser, dass ein Feuer in den fürstlichen Zimmern auskommt, und tut einen Schuss zum Alarm, davon der Herzog erwacht und die Seinigen geschwind auf die Beine bringt. Weil nun aber die Dienerschaft und Hofleute, teils wegen der 14-tägigen Festivitäten todmüde, teils auch, weil sie insgesamt mehr denn ziemlich berauschet ins Bette gekommen waren, äußerst schwierig zu Gange kamen, so nahm das Feuer dergestalt überhand, dass die fürstlichen Personen und Hofdamen nur mit genauester Not barfuß und nacket oder im blanken Hemde beim grausamen Winterfrost, über Wall und Graben hin, ihr Leben salvieren konnten. Was dabei an fürstlichen Kleidungen und kostbaren Zierraten verbrannte, das ist nicht zu sagen. Und wäre der Stallbub’ nicht zufällig nüchtern gewesen, und hätte er nicht grade einen geladenen Musquetonner zur Hand gehabt, so wäre das ganze Schloss mit Mann und Maus schmählich zu Tode geschmäuchet, und ein schmerzlich Neujahr wäre über das Land aufgegangen.

Unter den jungen Hoffräuleins hat’s etliche Schämerige gegeben, die sich anfangs gesträubt haben, so fast im Stande der Unschuld aus dem Schlosse zu weichen und unter die Mannsleute zu gehen. Aber die alte Herzogin hat zu ihnen gesagt: „dumm Tüch.“

„Beter is’t, naket up’t Ys to rennen,
Als hier in dat höllische Füür to verbrennen.“

Und damit ist denn die ganze Schar der weißen Lämmlein, wie beschrieben, unter einem so erschrecklichen Zetergeschrei hinaus gestürzet über den Hof usw., dass die Mannsbilder entsetzt auseinander gestäubt sind

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Sage 80: "Das Pestgeschrei und Schlossbrand",
Otto Beneke, aus: Hamburgische Geschichten
und Sagen, S.238-241, 2. Unveränderte Auflage,
ED: 1854, Verlag Perthes-Besser und Mauke, Hamburg

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Paul Gustav Dore, gemeinfrei
Quelle:
wikimedia.org



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