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Literatur



04.1


Sagen aus Hamburg

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Die verwünschte Linde bei Harvestehude (um 1350)

Auf dem Felde links an der Chaussee vom Rothenbaum nach Eppendorf steht ein kleiner kugelrunder Lindenbaum, der seit 500 Jahren nicht größer geworden, sondern an Dicke des Stammes, der Äste und Krone grade so geblieben ist, wie er damals war, nur dass man der Rinde das hohe Alter des Baumes wohl ansehen kann. Der Baum aber ist verwünscht, und das ging, der Sage nach, also zu:

Im Kloster Frauenthal zu Harvestehude hatte ein junges schönes Mädchen von vornehmen Geschlecht zu Hamburg aus Liebesgram den Schleier genommen. Sie hatte sich verlobt mit einem jungen Edelknappen der Umgegend, der war zu Heerfahrten in die Welt gezogen, um sich zu versuchen, die güldenen Sporen zu verdienen, mit Ehre und guter Beute dann zurückzukehren und sie auf seine väterliche Burg heimzuführen als sein ehelich Gemahl. Die Zeit aber war längst um gewesen und der Geliebte nicht gekommen. Darum wollte sie ihr Vater des Versprechens ledig achten und sie zwingen, einen andern Mann zu heirathen. Und da sie den nicht leiden konnte, sie auch noch immer in treuer Liebe ihrem fernen vielleicht längst verstorbenen Geliebten anhing, so wußte sie sich nicht anders zu helfen, als dass sie ins Kloster ging.

Einige Zeit danach aber kehrte der junge Ritter heim, und da er erfuhr, was geschehen, fasste er den Plan, seine vormalige Braut, es koste was es wolle, aus dem Kloster zu entführen und in ferne Lande mit ihr zu flüchten. Er wusste es auch anzustellen, dass sie Kundschaft von ihm empfing, und dass er sie einige Male in stiller Nachtzeit im Klostergarten sprach. Da ist er allemal durch die Alster geschwommen, über die Mauer geklettert und hat sie unter den großen Eichen,  die noch bei Harvestehude stehen, erwartet. So sehr nun auch der Ritter bat, und so tief die arme Nonne ihr Verhängnis beklagte, so blieb sie doch ihrem Gelübde treu und verwarf festiglich sein Vorhaben, sie zu entführen. Und zuletzt sagte sie ihm feierlich für dieses Leben Valett, da sie gewillt, ihn fürder nicht wieder zu sehen; und vermahnte und tröstete ihn auf den Himmel. Nach diesem schmerzlichen Abschiede ist der Ritter sogleich aus dem Lande gezogen und geistlicher Ordensritter geworden, hierorts aber gänzlich verschollen.

Die grünen Eichen jedoch im stillen Klostergarten haben dazumal bei den nächtlichen Unterredungen einen Verräter verborgen gehalten, und wider die arme Nonne ist beim geistlichen Gericht eine schwere Anklage wegen unerlaubten Liebeshandels und gebrochenen Gelübdes erhoben. Und da sie nun nicht leugnen konnte, ihren vormaligen Verlobten zu mehreren Malen dort heimlich gesprochen zu haben, sonst aber, da der Ritter fern war, keinen Beweis für ihre Unschuld bringen konnte, so hielt man die schlimme Anschuldigung für erwiesen und verurteilte sie zum Tode und zum Begräbnis auf freiem Felde in ungeweihter Erde.

Und ehe sie gerichtet wurde, hat sie’s erbeten, dass ihr Leib auf dem Klosterfelde, in dem Hügel, darauf ein junger Lindenbaum, begraben werde, und hat gesagt: „ich verwünsche den Lindenbaum, dass er niemals größer werde, als er jetzt ist, und das soll als ein Zeugnis gelten für meine Unschuld, denn so gewisslich er hinfort nicht mehr höher wachsen wird, so gewisslich sterbe ich, wie ich gelebt, als eine reine und unschuldige Braut Christi.“



 

Kindersegen (1313.)

Um Neujahr 1313 war ein Graf von Holstein mit seiner Gemahlin zu Hamburg. Und als über Tisch die Herrschaften und ihre Junker sich allerhand Stadt-Neuigkeiten erzählen,  wie’s zu sein pflegt, wenn man in Hamburg bei der Mahlzeit sitzet, da kommt die Rede auf eines rechtschaffenen Bürgers Hausfrau, bei der so eben Drillinge angekommen waren. Nun war die Gräfin noch sehr jung und unerfahren, darum verwunderte sie sich ungemein über diese Sache, und wollte es gar nicht für möglich halten, dass solche Drillings-Geburt sollte mit rechten natürlichen Dingen zugegangen sein, vermeinte also, die Bürgersfrau müsse wohl ungetreu oder eine Zauberin sein, denn ohne Sünde oder Hexenkunst könne nie mehr als ein Kind zur Zeit geboren werden, und eben so gut als zwei oder drei, könnten’s ja auch noch viel mehr sein, und wenn’s mit der Bürgersfrau Richtigkeit habe, so wolle sie sich’s gefallen lassen, so viel Kinder zu bekommen als Tage im Jahr.

Um nun die Gräfin wegen ihrer einfältigen und fürwitzigen Reden zu strafen, und die Unschuld der ehrlichen Hamburgerin recht ans Licht zu bringen, – was geschieht? Noch bevor das Jahr um ist, bekommt die Gräfin zum Entsetzen ihres Herrn und der Amme und aller, die es erfahren, wie zu ihrem eigenen unsäglichen Schrecken 364 Kindlein, nicht mehr und nicht weniger, 364 ganz kleine niedliche Kinderchen, jedes so winzig klein wie eine Seekrabbe, und alle waren springend lebendig, und hatten kralle Äuglein im Köpfchen und schrieen zusammen ganz allerliebst. Das war eine schöne Bescherung!

Des Grafen Capellan kam flugs herbei mit dem leeren Taufbecken, da hinein tat man alle 364 Kinderchen, und besprengte sie behutsam mit Weihwasser, und jedes Köpflein bekam ein Tröpflein. Das war ihre heilige Taufe. Und danach wurden die 364 allesamt still und immer stiller, – sie hatten ihren Erdenberuf, die Ehrenrettung der Hamburgerin, erfüllt; – sie durften verscheiden.

Fragt nun irgend ein Ungläubiger spitzfindig: warum waren’s denn nur 364, da doch das Jahr 365 Tage hat?, so ist die Antwort: die Gräfin wird wohl auch im Kalender schlecht bewandert gewesen sein und immer geglaubt haben, es gebe nur 364 Tage im Jahr, d’rum konnte sie billig auch nicht mit mehreren gestraft werden, als sie sich vermessen hatte.

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Sage 40: "Die verwünschte Linde",
Otto Beneke, aus: Hamburgische Geschichten
und Sagen, S.101-102, 2. Unveränderte Auflage,
ED: 1854, Verlag Perthes-Besser und Mauke,
Hamburg
wikisource

Sage 39: "Kndersegen", Otto Beneke, aus:
Hamburgische Geschichten und Sagen,
S.95-100, 2. Unveränderte Auflage, ED:
1854, Verlag Perthes-Besser und Mauke,
Hamburg
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