Sagen aus Hamburg
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Die
wunderbare Kohl-Wurzel (1482)
Es
lebten um 1480 in dem Hamburgischen Dorfe Eppendorf, welches dem
Kloster zu
Harvestehude untergehörig war, zwei Schwestern bäuerlichen Standes, die
hatten
von ihren Eltern weiter nichts geerbt, als einen großen Kohlgarten, von
dessen
Ertrage sie sich nährten. Da sie nun nicht ganz wohl verträglich mit
einander
lebten, so teilten sie den Garten in zwei Hälften, damit jede ihr eigen
Stück
Kohlfeld hätte und darauf nach Belieben schalten und walten könnte. Die
älteste
der Schwestern war fleißig und wartete des Gartens früh und spät,
sodass es mit
natürlichen Dingen zuging, wenn ihr Kohl und sonstiges Gemüse immerdar
trefflich gedieh und von den Hamburger
Feinschmeckern vorzüglich gesucht war, was ihr guten Gewinn brachte;
während in
dem Gartenlande der jüngeren Schwester, die faul war und sich um nichts
bekümmerte, nur schlechtes Gemüse zwischen vielem Unkraut zu Tage kam.
Darum
beneidete diese ihre ältere Schwester, und meinte nicht anders, als
dass ihr
ein kräftig Geheimmittel zu Gebote stünde, davon ihr Kohl so wunderbar
gedeihe.
Und weil sowohl Neid als Habsucht sie trieb, nach ebenso trefflichem
Kohl zu
trachten, so verlegte sie sich in der Stille auf allerlei schwarze
Kunst und
Zauberei. Wer die Hexe gewesen ist, die sie beraten hat, steht
nirgendwo
geschrieben; aber mit gotteslästerlicher Absicht ist sie das nächste
Mal zum
heiligen Abendmahl gegangen und hat bei Austeilung des Sakraments die
geweihte
Hostie nicht genossen, sondern im Munde aufbewahrt, so dann aber
heimlich
herausgenommen, und in der folgenden Mitternachtsstunde in aller Teufel
Namen
in ihrem Garten unter einer jungen Kohlpflanze eingegraben.
Nicht
lange danach hat sich die gewünschte Wirkung solchen Zaubermittels
gezeigt; das
Unkraut verschwand von selbst, die Kohlpflanzen wuchsen und gediehen in
solcher
Schönheit, wie niemals in diesen Landen zuvor gesehen; der andern
Schwester und
aller Nachbarn ehrliche Kohlhöfe waren gegen diesen nur Kinderspiel,
und aus
Hamburg kamen Aufkäufer und Vorhöker und boten im Voraus große Summen
für den
herrlichen Ertrag des Gartens.
Inzwischen
hatten die Nachbarn bemerkt, dass allnächtlich in diesem Garten ein
Lichtschimmer
funkelte; fragten also einmal die Eignerin, was sie denn noch Nachts
mit der
Leuchte dort zu hantieren hätte? worauf sie versicherte und beteuerte,
sie
wisse gar nichts davon. Als nun die Nachbarn genauer darauf achteten,
gewahrten
sie, dass das Licht keine Leuchte sei, sondern dass von einem der
Kohlsträucher
ein wunderbarer strahlenförmiger Glanz ausgehe, der die Pflanze fast
wie ein
Heiligenschein umgebe.
Solches
Phänomen ist ihnen aber befremdlich vorgekommen, darum haben sie
Anzeige davon
gemacht zu Harvestehude bei ihrer klösterlichen Obrigkeit. Darauf
ist selbige in
großer Prozession mit vielen Priestern und Mönchen zu dem Garten
gezogen, und
an der bezeichneten Stelle hat man die Kohlpflanze ausgegraben, und
allda ein
Mirakel entdeckt. Denn die Wurzel gedachter Pflanze, die ungewöhnlich
groß und
stark gewesen, hat das leibhaftige Bild
unsres Heilandes am Kreuze gezeigt, so deutlich und augenscheinlich,
dass alle,
die dabei gestanden, auf die Knie gefallen sind.
Diese
wunderbare Kohlwurzel ist sodann ins Kloster zu Harvestehude gebracht,
und
allda in eine silberne Monstranz gefasst, und auf Verlangen den
Andächtigen
gezeigt, die scharenweise aus der Stadt und allen Landen ringsum
herbeigezogen
kamen, um das Wunder, davon die Geschichte in Jedermanns Munde, selbst
zu
sehen. Das begab sich im Jahre 1482.
Die
Zauberschwester aber hat sogleich, als in ihrer Gegenwart das Geheimnis
an den
Tag kam, alles gestanden, was gotteslästerliches sie verübt, und
bekannt, dass
diese Kohlpflanze dieselbe sei, an deren Wurzel sie die heilige Hostie
eingegraben. Darum ist sie billig dem Gerichte übergeben und nach dem
Rechte an
Leib und Leben gestraft worden.
Der
Garten aber sank gleich, nachdem die Kruzifix-Wurzel herausgenommen, in
seine
vorige Wüstenei zurück.
Ein
halbes Jahrhundert später, als durch die Kirchen-Reformation in Hamburg
alles
umgestaltet, und das Kloster Frauenthal zu Harvestehude zerstört war,
kam die
Monstranz mit der Wunderwurzel ins Johannis-Kloster zu Hamburg, welches
nach
Vertreibung der Mönche den lutherisch gewordenen Klosterjungfern
eingeräumt
war. Auch hier ist sie vielen küriosen Liebhabern von natürlichen
und geistlichen
Wunderwerken gezeigt worden, wodurch sie denn nach und nach so bekannt
und
berühmt wurde, dass Kaiser Rudolf II. nichts sehnlicher wünschte, als
sie zu
besitzen.
Als
darum Ao.
1602 sein Gesandter, der Freiherr Ehrenfried von Minckwitz, in Hamburg
in
Matthiä Meyer’s Hause in der großen Reichenstraße residierte, da hat
derselbe
seines kaiserlichen Herrn bittlich Begehr denen Herren des Rats
eröffnet,
welche alsobald, um das Reichs-Oberhaupt dieser guten Stadt günstigst
zu
verbinden, es in die Wege gerichtet haben, dass am 17. Februar die
Wunder-Wurzel dem von Minckwitz für seinen Gebieter ausgeliefert worden
ist.
Derselbige hat sie dann in Prag in Empfang genommen, und sich so
herzlich
darüber gefreut, dass er dem Rate einen ganz ausnehmend gnädigen Brief
geschrieben, darin er sich bei ihm und den freundwilligen ehrbaren
Klosterjungfern
schönstens bedanket hat. Danach ist diese Eppendorfische Wunder-Rarität
in die
kaiserliche Kunstkammer nach Wien gekommen, wo selbst sie jedenfalls
noch vor
100 Jahren gezeigt wurde, also vermutlich auch noch heutigen Tages von
reisenden Hamburgern und Eppendorfern in andächtigen Augenschein
genommen
werden kann.


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Sage
155: "Die
wunderbatre Kohlwurz",
Otto
Beneke, aus Hamburgische Geschichten
und Sagen, S.
155-158, 2.
unveränderte Auflage,
ED: 1854, Verlag
Perthes-Besser und Mauke,
Hamburg
wikisource
Logo 108: "Raven 1" Paul Gustav Dore,
gemeinfrei
wikimedia.org
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