Sagen
aus Deutschland
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Wunderbäume in Dithmarschen und
Holstein
In
der Kirche von Süderhadstede steht ein alter Holunderbaum. Zu diesem
Baume
geht die Sage:
Es
kam oft der Geist des Königs
geritten, der den Dithmarschern ihre Freiheit genommen. Er ritt auf
einem
grauen Schimmel und betete unter dem Baume. Einst wird die Zeit kommen,
da wird
dem Heideviert, darauf Süderhadstede liegt, eine große Schlacht
geliefert, das
fliehende Heer wird nach dem Dorfe zugetrieben werden und wird es mit
Getümmel
erfüllen. Da wird der König kommen, seinen grauen Schimmel an den
Holunderbaum
binden und niederknien und inbrünstig beten. Dann aber werden
dreihundert
Dithmarscher Bauern hinter der Kirche hervortreten, bewaffnet mit
Sensen, Hauen
und Dreschflegeln, und aus ihrer Mitte einer in grauen Hosen, blauer
Weste und
mit weißen Hemdsärmeln wird herzutreten und wird dem König auf die
Schulter
klopfen und wird sprechen: Herr König, Er hat uns die Freiheit
genommen, doch
sei Er nur guten Mutes und besteige wieder sein Pferd, wir wollen Ihm
doch
beistehen. Da wird der König sich erheben und seine Leute sammeln, die
Bauern
aber werden den Feind aufhalten, und nach neuer blutiger Schlacht wird
dann ein
langer Friede ins Land kommen.
So
stand auch bei Süderhadstede zu den Zeiten der Freiheit auf einem
schönen
runden Raum eine uralte Linde, die ward der Wunderbaum geheißen im
ganzen
Marschlande. Ihre Höhe übertraf die aller andern Bäume ringsumher, ihre
Zweige
standen alle kreuzweis, ihresgleichen war nirgends zu finden. Jahr auf
Jahr
ergrünte sie frisch, trotz ihres hohen Alters, und die Rede ging,
solange des
Landes Freiheit blühe und grüne, werde auch der Wunderbaum also
fortbestehen.
Und so geschah es. Als der Dithmarschen Freiheit gebrochen ward,
verdorrte die
Wunderlinde. Aber noch geht die Sage: auf der dürren Linde wird eine
Elster ihr
Nest bauen und wird darinnen ausbrüten fünf weiße Junge. Das wird das
Zeichen
sein von der Freiheit Wiederkehr, und dann wird die Linde wieder
ausschlagen
und grünen, wie der dürre Birnbaum auf dem Walserfeld, wann der Kaiser
Friedrich hervortritt und die große Freiheitssiegesschlacht schlägt.
Und dann
wird das Dithmarschenland auch wieder zu seiner Freiheit kommen.
Ein
verheißungenreicher Holunder
ist aus der Nortorfer Kirchhofmauer herausgewachsen und ein anderer in
Schenefeld, an welche Bäume ganz ähnliche Prophezeiungen sich knüpfen.
Ludwig
Bechstein
Der Zauberer Agrippa
Der
weit berufene Zauberer Henricus Cornelius Agrippa wohnte zu Löwen. Er
führte stets einen schwarzen Hund mit sich, der ihm auf dem Fuße
folgte, wie
dem Doktor Faus sein Hund Prästigiar, mochten wohl beide von einer Art
abstannen, und hieß des Agrippa Hund Paradrius. Dieser weise Meister
der Magia,
Agrippa, hatte stets einen Schüler, dem er die schwarze Kunst lehrte,
und der
ihm als Famulus diente. Nun trug sich mit einem dieser Schüler
folgendes zu.
Der Meister musste verreisen, und der Schüler, den er damals gerade
hatte, war
noch zu unerfahren, als dass der Meister ihn hätte in seine
Heimlichkeit
blicken lassen können oder wollen. Er gab daher beim Abschied den
Schlüssel zu
seinem Studierzimmer der Hausfrau und befahl ihr bei Leib und Leben,
keinen
Menschen in dasselbe einzulassen. Kaum aber war der Meister hinweg, so
bat der
Schüler die Frau, ihn in des Meisters Zimmer zu lassen, denn er war
neugierig
und brauchte allerlei Vorwand, und ob auch anfangs die Frau widerstand,
so gab
sie endlich doch nach und ließ den Schüler ein. Da lag das große
Zauberbuch des
Meisters auf seinem Pult an einer Kette, damit es keiner wegtrage.
Neugierig
trat der Jüngling hinzu, schlug das Buch auf und begann darinnen zu
lesen, er
wusste aber kaum, dass das, was er las, eine Beschwörungsformel war. Da
klopfte
es an die Türe. Jener überhörte das Klopfen und las weiter. Es klopfte
noch
einmal, aber jener hörte wieder nicht, er las immer weiter. Da sprang
die Türe
auf, und es trat ein höllischer Geist ein, fürchterlich anzusehen, und
fragte:
Was rufst du mich? Was soll ich dir tun? – Der Schüler bebte, als die
übermächtige Erscheinung vor ihm stand, er vermochte nicht zu sprechen
– das
Entsetzen faßte ihn, er konnte auch den Geist nicht wieder
hinwegbannen,
zürnend hob der Geist die Hand, und der Schüler sank entseelt zu Boden.
Das
alles sah in der Ferne der
Zauberer Agrippa in seinem Erdspiegel und eilte flugs nach Hause
zurück, rief
einen dienstbaren Geist und gebot ihm, in die Leiche zu fahren und aus
dem
Hause zu wandeln, damit es nicht heiße, als sei bei ihm sein Schüler
umgekommen, dann aber wieder von dem Körper zu weichen. Diesem Gebot
gehorchte
der Geist, und der Schüler wandelte wieder, wie lebend, durch die
Straßen. Aber
an einer Ecke fiel er um, denn der Geist hatte ihn wieder verlassen,
und
jedermann konnte nicht anders glauben, als dass ihn erst an dieser
Stelle ein
jäher Tod befallen.
Da
es mit Henricus Cornelius Agrippa zum Sterben kam, verfluchte er seinen
Hund
und rief: Packe dich hinweg, du, meiner Verdammnis Schuld und Urheber!
– Und
nach dem Tode des Meisters ist der Hund hinweggekommen, niemand wusste
wohin.
Einige sagen, er sei in das Wasser gesprungen und seit der Zeit nicht
mehr
gesehen worden, andere sagen, Agrippa habe den Hund vor seinem Ableben
an einen
Freund verschenkt, dem dann der Hund, gleich dem vorigen Herrn, auf
eine Zeit
habe dienen müssen. Es hatte jedoch mit solcher Gabe gar ein
nachdenkliches
Aber.
Ludwig
Bechstein
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Sage:
"Wunderbäume in Dithmarschen und Holstein"
Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch . Meersburg
und
Leipzig 1930, S. 137-13
zeno.org
Sage:
"Der
Zauberer Agrippa", Ludwig Bechsten,
Deutsches Sagenbuch Meersburg und Leipzig 1930,
S. 114-115
zeno.org
Logo 33:
"Circus" Stanislaw Osostowicz (died
1939),
gemeinfrei
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