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Literatur



04.2


Sagen aus Deutschland

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Prinzessin Thüra
 
Auf der Thürenburg beim kleinen Danewerk saß vor langen Zeiten eine Königstochter, die hieß Thüra, nach ihr ist auch der Berg genannt. 

Nun kam dazumal ein fremder Prinz, um sie zu freien, der war aber so hässlich, dass niemand ihn ersehen konnte, auch die Prinzess nahm ihn höchst ungern, konnte es ihm aber nicht abschlagen. 

Endlich hatte sie eine Idee: 

Kurz vor der Hochzeit unternahm sie mit dem Bräutigam einen Spazierritt auf den alten Wall nach Hollingstedt, da ging damals noch eine Inbucht von der Westersee herein. 

Auf dem Rückweg ließ die Prinzessin ihr Schürztuch fallen, als ob der Wind es ihr entführte. Der Prinz sagte: Prinzessin, Ihr habt Euer Schürztuch fallen lassen, wollt Ihr es nicht mitnehmen? 

Darauf antwortete die Prinzessin: Ei, wenn Ihr ein redlicher Ritter seid, so solltet Ihr, junger Herr, doch selbst absteigen und mir das Tuch aufheben!

Da ritt er hin zur Stelle und bückte sich vom Roß, die Prinzessin ritt ebenfalls hin, zog, als er sich bückte, sein Schwert rasch aus der Scheide und hieb ihm den Kopf ab. 

Als sie nun nach Hause kam und gefragt wurde, wo sie denn ihren Bräutigam gelassen habe, sagte sie: 
Ach, wir ritten den alten Wall entlang, da sind die Unholde über uns gekommen und haben dem Prinzen den Kopf abgeschlagen, ich aber bin hinweggeritten. 

Da wurde der Tote aufgesucht und in einen Riesenberg (Hünengrab) gelegt


Ludwig Bechstein

 


 

Von Drachen und Lindwürmern


Auf dem hohen Pilatus hat es Drachen und Lindwürme vollauf gegeben, die hausten in unzugänglichen Höhlen und Schluchten des gewaltigen Alpenbergstocks. Oft haben Schiffer auf den Seen sie mit feurigen Rachen und langen Feuerschweifen vom Pilatus herüber nach dem Rigi fliegen sehen. Solch ein Drache flog einstmals in der Nacht vom Ricki zurück nach dem Pilatus, der, von Horn bürtig, die Herden hütete, sah ihn, und da ließ der Drache einen Stein herunterfallen, der war wie eine Kugel geformt und glühend heiß; der war gut gegen allerlei Krankheit, wenn man davon eine Messerspitze voll abschabte und dem Kranken eingab. Zu andrer Zeit hat man einen grauslich großen Drachen aus dem Luzerner See die Reuß hinaufschwimmen sehen.

Einstmals ging ein Binder oder Küfer aus Luzern auf den Pilatus, Reifholz und Holz zu Faßdauben zu suchen; er verirrte sich, und die Nacht überfiel ihn. Mit einem Male fiel er in eine tiefe Schlucht hinab. Drunten war es schlammig, und als es Tag wurde, sah er zwei Eingänge in der Tiefe zu großen Höhlen, und in jeder dieser Höhlen saß ein greulicher Lindwurm. Diese Würmer flößten ihm viel Furcht ein, aber sie taten ihm kein Leid; sie leckten bisweilen an den feuchten salzigen Felsen, und das musste der Küfer auch tun, damit fristete er sein Leben, und das dauerte einen ganzen Winter lang. Als der Frühling ins Land kam, machte sich der größte Lindwurm auf und flog aus dem feuchten Loche heraus mit großem Rauschen: der andre kleinere kroch immer um den Küfer herum, liebkoste ihn gleichsam, als wolle er ihm zu verstehen geben, dass er doch auch mit heraus sollte. Der arme Mann gelobte Gott und dem heiligen Leodager in die Stiftskirche im Hof zu Luzern ein schönes Messgewand, wenn er der Drachengrube entrinne, und als der zweite Drache sich anschickte, aufzufliegen, hing er sich ihm an den Schweif und fuhr mit auf, kam also wieder an das Licht, ließ sich oben los und fand sich wieder zu den Seinen.

Doch lebte er nicht lange mehr, weil er der Nahrung ganz entwöhnt war, hielt aber Wort und sein Gelübde, ließ ein prächtiges Messgewand fertigen, darauf die ganze Begebenheit sticken und alles in das Kirchenbuch einzeichnen. Es soll diese Wundergeschichte sich ereignet haben 1410 oder 1420, und vom 6. November des einen Jahres bis zum 10. April des folgenden hauste der Küfer bei den Lindwürmern.

Ludwig Bechstein


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Sage: "Prinzessin Thüra", Ludwig Bechtein, Deutsches Sagenbuch,
Meersburg und Leipzig 1930,

S. 147, gemeinfrei
Permalink: zeno.org

Sage: "Von Drachen und Lindwürmern" , Ludwig Bechstein Deutsches
Sagenbuch Meersburg/Leipzig S. 25-26

zeno.org


Logo 33: "Circus" Stanislaw Osostowicz (died 1939), gemeinfrei
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