Sagen aus Deutschland
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Prinzessin Thüra
Auf der Thürenburg beim kleinen
Danewerk saß vor langen Zeiten eine Königstochter, die hieß Thüra, nach
ihr ist
auch der Berg genannt.
Nun kam dazumal ein fremder Prinz, um sie zu freien, der war aber so
hässlich,
dass niemand ihn ersehen konnte, auch die Prinzess nahm ihn höchst
ungern,
konnte es ihm aber nicht abschlagen.
Endlich hatte sie eine Idee:
Kurz vor der Hochzeit unternahm sie mit dem Bräutigam einen Spazierritt
auf den
alten Wall nach Hollingstedt, da ging damals noch eine Inbucht von der
Westersee herein.
Auf dem Rückweg ließ die Prinzessin ihr Schürztuch fallen, als ob der
Wind es
ihr entführte. Der Prinz sagte: Prinzessin, Ihr habt Euer Schürztuch
fallen
lassen, wollt Ihr es nicht mitnehmen?
Darauf antwortete die Prinzessin: Ei, wenn Ihr ein redlicher Ritter
seid, so
solltet Ihr, junger Herr, doch selbst absteigen und mir das Tuch
aufheben!
Da ritt er hin zur Stelle und bückte sich vom Roß, die Prinzessin ritt
ebenfalls hin, zog, als er sich bückte, sein Schwert rasch aus der
Scheide und
hieb ihm den Kopf ab.
Als sie nun nach Hause kam und gefragt wurde, wo sie denn ihren
Bräutigam
gelassen habe, sagte sie:
Ach, wir ritten den alten Wall entlang, da sind die Unholde über uns
gekommen
und haben dem Prinzen den Kopf abgeschlagen, ich aber bin
hinweggeritten.
Da wurde der Tote aufgesucht und in einen Riesenberg (Hünengrab) gelegt
Ludwig Bechstein
Von Drachen und Lindwürmern
Auf
dem hohen Pilatus hat es Drachen und Lindwürme vollauf gegeben, die
hausten
in unzugänglichen Höhlen und Schluchten des gewaltigen Alpenbergstocks.
Oft
haben Schiffer auf den Seen sie mit feurigen Rachen und langen
Feuerschweifen
vom Pilatus herüber nach dem Rigi fliegen sehen. Solch ein Drache flog
einstmals in der Nacht vom Ricki zurück nach dem Pilatus, der, von Horn
bürtig,
die Herden hütete, sah ihn, und da ließ der Drache einen Stein
herunterfallen,
der war wie eine Kugel geformt und glühend heiß; der war gut gegen
allerlei
Krankheit, wenn man davon eine Messerspitze voll abschabte und dem
Kranken
eingab. Zu andrer Zeit hat man einen grauslich großen Drachen aus dem
Luzerner
See die Reuß hinaufschwimmen sehen.
Einstmals
ging ein Binder oder Küfer aus Luzern auf den Pilatus, Reifholz und
Holz zu Faßdauben zu suchen; er verirrte sich, und die Nacht überfiel
ihn. Mit
einem Male fiel er in eine tiefe Schlucht hinab. Drunten war es
schlammig, und
als es Tag wurde, sah er zwei Eingänge in der Tiefe zu großen Höhlen,
und in
jeder dieser Höhlen saß ein greulicher Lindwurm. Diese Würmer flößten
ihm viel
Furcht ein, aber sie taten ihm kein Leid; sie leckten bisweilen an den
feuchten
salzigen Felsen, und das musste der Küfer auch tun, damit fristete er
sein
Leben, und das dauerte einen ganzen Winter lang. Als der Frühling ins
Land kam,
machte sich der größte Lindwurm auf und flog aus dem feuchten Loche
heraus mit
großem Rauschen: der andre kleinere kroch immer um den Küfer herum,
liebkoste
ihn gleichsam, als wolle er ihm zu verstehen geben, dass er doch auch
mit
heraus sollte. Der arme Mann gelobte Gott und dem heiligen Leodager in
die
Stiftskirche im Hof zu Luzern ein schönes Messgewand, wenn er der
Drachengrube
entrinne, und als der zweite Drache sich anschickte, aufzufliegen, hing
er sich
ihm an den Schweif und fuhr mit auf, kam also wieder an das Licht, ließ
sich
oben los und fand sich wieder zu den Seinen.
Doch
lebte er nicht lange mehr,
weil er der Nahrung ganz entwöhnt war, hielt aber Wort und sein
Gelübde, ließ
ein prächtiges Messgewand fertigen, darauf die ganze Begebenheit
sticken und
alles in das Kirchenbuch einzeichnen. Es soll diese Wundergeschichte
sich
ereignet haben 1410 oder 1420, und vom 6. November des einen Jahres bis
zum 10.
April des folgenden hauste der Küfer bei den Lindwürmern.
Ludwig
Bechstein
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Sage: "Prinzessin Thüra", Ludwig
Bechtein, Deutsches Sagenbuch,
Meersburg
und Leipzig 1930,
S.
147,
gemeinfrei
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Sage: "Von Drachen und
Lindwürmern" ,
Ludwig Bechstein
Deutsches
Sagenbuch
Meersburg/Leipzig S. 25-26
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33: "Circus" Stanislaw Osostowicz (died 1939),
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