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Literatur



04.2


Sagen aus Deutschland


Der blinde Mönch
- im Kloster Weltenburg im Naturpark Altmühltal -

Kaiser Karl weilte einmal in Regensburg, das damals bayerische Landeshauptstadt war. Von hier aus ritt er mit großem Gefolge Donau aufwärts nach Weltenburg. Dort wurde er vom Abt und allen geistlichen Söhnen des Klosters Weltenburg ehrfurchtsvoll empfangen. Nur ein Mönch fehlte dabei: der blinde Mönch Romuald. Den hatte der Prior wegen des großen Getümmels und Gedränges von der Begrüßungspflicht entbunden.

Beim Gastmahl jedoch war auch Romuald zugegen. Seine lichtlosen Augen starrten in die Richtung, wo sich Kaiser und Abt unterhielten. Bald wurde der Kaiser auf ihn aufmerksam. Es kam ihm so vor, als hätte er das Gesicht des Mönches schon einmal gesehen. Der Kaiser fragte nach Namen und Schicksal des Blinden. "Wir wissen beides nicht", antwortete der Prior; "er kam eines Tages, geführt von zwei Brüdern aus dem Kloster Lorch am Rhein und bat um Aufnahme. In einem Schreiben des Abtes hieß es: Fraget nie nach seinem Namen, erbaut euch nur an seinen Tugenden""
Nun wollten dem Kaiser Speise und Trank nicht mehr munden, und der Tag verging düster wie ein Schatten.

In der Nacht stand der Kaiser am Fenster, und mit einem Male kam ihm der Gründer des Klosters Weltenburg in den Sinn, der letzte Bayernherzog Tassilo. Karl wurde von einem bösen Gewissen gemartert. Er sah den Tag wieder  vor sich, an dem er Tassilo die Augen hatte ausbrennen lassen, an dem er ihm das Herzogtum geraubt und ihn zu lebenslänglichem Aufenthalt im Kloster verurteilt hatte. Sogar Weib und Kind hatte er von ihm getrennt und sie ins Kloster geschickt.
Um die zwölfte Stunde hörte Karl eine knarrende Tür und schlürfende Schritte. Der Kaiser trat aus dem Zimmer und prallte erschrocken zurück; am Ende des Ganges sah er den blinden Mönch, von Licht und Glanz umflossen, begleitet von einem strahlenden Jüngling. Gebannt folgte er den beiden über die Treppe hinab in die Kirche. Romuald kniete an den Stufen des Hochaltars nieder und betete mit ausgebreiteten Armen:

"Allmächtiger Gott, verzeihe meinem Feinde Karl, was er mir, meinem Weibe, meinen Söhnen und Töchtern angetan. Hilf uns unser Schicksal tragen! Schütze mein Bayernland und gib Kaiser Karl die Kraft, es gut zu regieren!". Erschüttert erkannte der Kaiser in dem blinden Mönch den Bayernherzog Tassilo, den er ins Elend gestoßen hatte. Er sank auf die Knie und barg sein Gesicht in die Hände. Nach einer  Weile erhob er sich, schritt an den Altar, warf sich dem Mönch zu Füßen und bat: "Tassilo, heiliger Mann, verzeihe mir! Ich will dich wieder über Bayern setzen." Da sprach der Blinde: "Alles hast du mir genommen! Doch eines hast du mir gegeben: den Seelenfrieden. Regiere du mein Land; mich aber lass in Gottes Frieden und sterben im Kloster Lorch am Rhein!"
Und so geschah es nach seinem Wunsche.

Alljährlich in seiner Todesnacht am 11. Dezember aber erscheint Tassilo in der Klosterkirche Weltenburg. Er wirft sich am Altare nieder und betet für Land und Volk der Bayern


Der verschlafene Nachtwächter von Berching

Damit der Nachtwächter, der zu Berching die Stunden aus sang, bei Kälte und Wetter einen Unterschlupf habe, stand am Gasthaus zur Post und beim Bärenwirt am Oberen Markt je ein Schilderhaus mit einem Sitzbänkchen. Dort verbrachte er, wenn alles ruhig war, die Zeit zwischen dem Stundenansagen.

Nun hatte der Stadtrat den Auftrag gegeben, die beiden Schildhäuschen neu instand zu setzen, schön weiß und blau zu streichen. Sie waren derenthalber für ein paar Tage zum Maler geschafft worden. Der Nachtwächter, ohne Obdach für seine Ruhepausen, setzte sich nach dem ersten Rundgang kurz entschlossen in die Postkutsche, die beim Gashaus zur Post abgestellt war, um ein Nickerchen zu halten.

Er schlief aber so fest, dass er gar nicht wahrnahm, wie bald danach der alte Postkutscher die Pferde anspannte und loszuckelte, die Post nach Beilngries zu bringen. Da er keinen Fahrgast hatte, schaute er nicht lange in den Wagen, spannte in Beilngries vor der Post aus und ließ den Wagen stehen. Der Nachtwächter hatte, sanft geschaukelt, derweilen schon die erste Runde verschlafen. Als es nun aber gegen die Mitternachtsstunde ging, ward er unruhig und erwachte. Schlaftrunken rappelte er sich auf, griff nach seinem Spieß und rumpelte mit dem ersten Uhrenschlag heraus: "Hört, ihr Herr", setzte er seinen Nachtwächterruf ein. Das Wort blieb ihm im Halse stecken; denn äffte ihn der Teufel - im gleichen Augenblick bog mit Spieß und Laterne sein Ebenbild um die Ecke. Es war der Beilngrieser Nachtwächter, der ordnungsgemäß seinen Gang tat und sang: "unser Glock hat zwölf -". Auch ihm verschlug es die weiteren Worte. Er vermeinte, irgendwer wollte ihm einen Schaden antun. Einen Augenblick zögerten beide, dann stürzten sie aufeinander zu und begannen sich nach allen Regeln der Kunst mit ihren Spießen zu verdreschen. Es dauerte eine Weile, bis die vom Lärm aufgescheuchten Gäste aus dem Gasthaus herbeieilten. Sie trennten die beiden Streithänse und stellten unter Lachen und Spott den Sachverhalt fest. Mit blauen Flecken und hinkend trat der Berchinger Nachtwächter beschämt den Heimmarsch an und verschwor sich, seiner Lebtag sich nimmer in die Postkutsche zum Ausruhen zu setzen.



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Sage: "Der blinde Mönch" Ludwig Bechstein:
 Quelle

Sage: "Der verschlafene Nachtwächter" Ludwig Bechstein:
Quelle

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Logo 33: "Circus" Stanislaw Osostowicz (died 1939),
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