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04.w13
Weihnachten
- Gedichte

Christnacht
Moderne Ballade aus der Zeit des Sozialistengesetzes
Der
Kaiser rief: „Reserve her!
Ins
Glied, getreue Herden!
Allein
Gott in der Höh sei Ehr’!
Schlagt
an das Repetiergewehr,
Und
Friede sei auf Erden!“
Choräle
schallen in schimmernden Hallen,
Der
Pfaff schrie: „Jesus machte uns gleich.
Den
Menschenkindern ein Wohlgefallen,
In
einer Krippe das Himmelreich!“
Der
Engel zu Kommerzrats kam
Mit
Atlaskleid und Schleppe,
Mit
Flittertand und Flatterkram,
Dekolletiert
und ohne Scham
Wie
eine feine Schneppe.
Bei
Schnepfendrecke und Austerngeschlecke
Der
Börsenkönig sein Bäuchlein strich,
Champagnerpfropfen
knallten zur Decke –
Jesus
von Nazareth, freue dich!
Durch
eisige Gassen schritt der Wind
In
weißem Totenkleide
Und
mähte auf dem Weg geschwind
Ein
ausgezehrtes Bettelkind
Mit
seines Messers Schneide.
Pfiff
um ein fadenscheiniges Dach,
Fuhr
durch den Schornstein ins Zimmer,
Da
tönte schwach durchs Bodengemach
Eines
Säuglings flehend Gewimmer.
Die
Mutter trug ihn auf dem Arm:
Wie
stillt sie sein Verlangen?
Ihr
Auge hohl von langem Harm,
Und
Kinder rings, daß Gott erbarm!
Mit
kreidebleichen Wangen.
Die
Hungergeister tanzten den Reigen,
Das
Unheil hockt’ auf dem Ofenrost,
Der
Jammer hub an Krescendo zu geigen,
Die
Not fraß Spinnen als Vesperkost.
Da
starrt der ausgesperrte Mann,
Sah
Weib und Kinder weinen
Und
sann und starrte, starrt’ und sann
Und
schrie die nackten Wände an:
„Brot,
Brot! Brot für die Meinen!“
Weil
mit eigener Hand für seinen Stand
Er
gewählt nach Pflicht und Gewissen,
Hat
mit eigener Hand ihm der Fabrikant
Seinen
Lohn vor die Füße geschmissen ...
Die
Türe seufzte jämmerlich:
Gebt
Raum dem Polizisten!
Der
alte Scherge schämte sich:
„Ausweisungsordre
– dauert mich –
Doch
Ihr seid Sozialisten.“
Tür
kracht. Wie Eisenrädergeschmetter
Brach
der gemarterte Lohnsklav los:
„Fluch,
Fluch! Ein höllisches Donnerwetter
Schleudre
die Schurken in Jesu Schoß!“
Wie
wenn des Dampfes Schwall, gezwängt
In
die metallne Fessel,
Urplötzlich
wild nach außen drängt
Und
unaufhaltsam treibt und sprengt
Und
zischend leert den Kessel:
So
schoß dem Eisendreher empor
Aus
dem erzgepanzerten Herzen
Mit
Zischen und Brausen ein brodelnder Chor,
Der
dampfende Gischt seiner Schmerzen.
„Die
Ketten klirren Hohn und Spott,
Die
Ketten klirr’n im Nacken,
Uns
hilft kein Heiland, hilft kein Gott,
Die
Ketten klirren Hohn und Spott,
Die
Ketten klirr’n im Nacken.
Zu
feiernder Stund’, wo im Weltenrund
Halleluja!
die Engel trompeten,
In
des Elends Schlund wie ein räudiger Hund,
Wie
ein räudiger Hund getreten!“
Er
schwang den Hammer in der Faust
Und
wuchs empor, ein Grauen;
Die
Kinder vor dem Vater graust,
Er
schwang den Hammer in der Faust,
Entsetzlich
anzuschauen.
Und
wie von prophetischem Geist entbrannt,
Im
Hirne verheerende Gluten,
Umspannt
er des ältesten Knaben Hand,
Seine
Worte fluten und bluten:
„Ich
hör’s und seh’s: das Rottuch weht,
Im
Sturmschritt die Kolonnen;
Eilt,
Brüder, eilt! – was kommt ihr spät?
Hoch
auf der Barrikade steht
Das
Häuflein blutberonnen.
Die
Lücke schließt! Kartätschen prasseln,
Des
Kaisers Garden – Genossen, Sturm!
Kommandorufe!
Kanonen rasseln,
Die
Glocken heulen von Turm zu Turm.
Nun
schwöre deinem Vater, Sohn,
In
heiliger Freiheit Namen,
Zum
Todeskampf mit Schmach und Fron
Den
Eid der Revolution –
Und
sei kein Schurke! Amen.“
Hohl
heulte vermummte Verschwörergesänge
Der
Wind im Ofen mit dräuendem Ton
Und
trieb mit des Aschenvolks totem Gemenge
Eine
frische, fröhliche Rebellion.
–
– –
– – – – – – – – – –
Der
Scherge stieß sie vor sich her
Wie
eine Hammelherde.
Allein
Gott in der Höh sei Ehr’! –
Ein
roher Knuff zur Wegeszehr –
Und
Frieden auf der Erde!
Choräle
schallen, Sektpfropfen knallen,
Lump,
stirb, verdirb, du roter Hallunk!
Den
Menschenkindern ein Wohlgefallen,
Dem
Kanzler Fackeln und Minnetrunk!
Karl
Henckell
oben
_________________________________
Textgrundlage: „Christnacht“,
Karl Henckell,
aus: Karl Henckell, Gesammelte
Werke,
Bd. 2, München 1921, S. 54-58, Enst.: 1883-1886,
ED: 1921, Verlag J. M.
Müller,
EO: München
wikisource.org
Logo 114: "Advent" Fotograf:
Daniela Zenth
Das Foto auf dieser Seite, stammt aus der
kostenlosen Bilddatenbank piqs
CC-Lizenz (BY 2.0)
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