Weihnachten
Märchen,
Geschichten
Ein
Weihnachtsengel
Mit
den Tannenbäumen begann es. Eines Morgens, als wir zur Schule gingen,
hafteten an den Straßenecken die grünen Siegel, die die Stadt wie ein
großes Weihnachtspaket an hundert Ecken und Kanten zu sichern schienen.
Dann barst sie eines schönen Tages dennoch, und Spielzeug, Nüsse, Stroh
und Baumschmuck quollen aus ihrem Innern: der Weihnachtsmarkt. Mit
ihnen aber quoll noch etwas anderes hervor: die Armut. Wie nämlich
Aepfel und Nüsse mit ein wenig Schaumgold neben dem Marzipan sich auf
dem Weihnachtsteller zeigen durften, so auch die armen Leute mit
Lametta und bunten Kerzen in den besseren Vierteln. Die Reichen aber
schickten ihre Kinder vor, um denen der Armen wollene Schäfchen
abzukaufen oder Almosen auszuteilen, die sie selbst vor Scham nicht
über ihre Hände brachten. Inzwischen stand bereits auf der Veranda der
Baum, den meine Mutter insgeheim gekauft und über die Hintertreppe in
die Wohnung hatte bringen lassen. Und wunderbarer als alles, was das
Kerzenlicht ihm gab, war, wie das nahe Fest in seine Zweige mit jedem
Tage dichter sich verspann. In den Höfen begannen die Leierkasten die
letzte Frist mit Chorälen zu dehnen. Endlich war sie dennoch
verstrichen und einer jener Tage wieder da, an deren frühesten ich mich
hier erinnere.
In
meinem Zimmer wartete ich, bis es sechs werden wollte. Kein Fest des
späteren Lebens kennt diese Stunde, die wie ein Pfeil im Herzen des
Tages zittert. Es war schon dunkel; trotzdem entzündete ich nicht die
Lampe, um den Blick nicht von den Fenstern überm Hof zu wenden, hinter
denen nun die ersten Kerzen zu sehen waren. Es war von allen
Augenblicken, die das Dasein des Weihnachtsbaumes hat, der bänglichste,
in dem er Nadeln und Geäst dem Dunkel opfert, um nichts zu sein als nur
ein unnahbares und doch nahes Sternbild im trüben Fenster einer
Hinterwohnung. Doch wie ein solches Sternbild hin und wieder eins der
verlassenen Fenster begnadete, indessen viele weiter dunkel blieben und
andere noch trauriger im Gaslicht der früheren Abende verkümmerten,
schien mir, daß diese weihnachtlichen Fenster die Einsamkeit, das Alter
und das Darben – all das, wovon die armen Leute schwiegen – in sich
fassten.
Dann
fiel mir wieder die Bescherung ein, die meine Eltern eben rüsteten.
Kaum aber hatte ich so schweren Herzens, wie nur die Nähe eines sichern
Glücks es macht, mich von dem Fenster abgewandt, so spürte ich eine
fremde Gegenwart im Raum. Es war nichts als ein Wind, so daß die Worte,
die sich auf meinen Lippen bildeten, wie Falten waren, die ein träges
Segel plötzlich vor einer frischen Brise wirft: „Alle Jahre wieder,
kommt das Christuskind, auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind“ –
mit diesen Worten hatte sich der Engel, der in ihnen begonnen hatte,
sich zu bilden, auch verflüchtigt. Doch nicht mehr lange blieb ich im
leeren Zimmer. Man rief mich in das gegenüberliegende, in dem der Baum
nun in die Glorie eingegangen war, welche ihn mir entfremdete, bis er,
des Untersatzes beraubt, im Schnee verschüttet oder im Regen glänzend,
das Fest da endete, wo es ein Leierkasten begonnen hatte.
Walter
Benjamin
oben
Warum der Engel lachen musste
Die
bevorstehende Geburt des Christkinds bereitete den Engeln
ziemliches Kopfzerbrechen. Sie mussten nämlich bei ihren Planungen sehr
vorsichtig sein, damit die Menschen auf Erden nichts davon bemerkten.
Denn schließlich sollte das Kind in aller Stille geboren werden und
nicht einen Betrieb um sich haben, wie er in Nazareth auf dem
Wochenmarkt herrschte.
Probleme gab es auch bei der Innenausstattung des Stalles von
Bethlehem. An der Futterraufe lockerte sich ein Brett aber hat jemand
schon einmal einen Engel mit Hammer und Nagel gesehen?! Das Stroh für
das Krippenbett fühlte sich hart an, das Heu duftete nicht gut genug,
und in der Stalllaterne fehlte das Öl.
Aber auch was die Tiere anbetraf, gab es allerhand zu bedenken. Genau
an dem für den Engelschor auserwählten Platz hing ein Wespennest. Das
musste ausquartiert werden. Denn wer weiß, ob Wespen einsichtig genug
sind, um das Wunder der Heiligen Nacht zu begreifen? Die Fliegen, die
sich Ochse und Esel zugesellt hatten, sollten dem göttlichen Kind nicht
um das Näslein summen oder es gar im Schlafe stören. Nein, kein Tier
durften die Engel vergessen, das etwa in der hochheiligen Nacht
Unannehmlichkeiten bereiten könnte.
Unter dem Fußboden im Stall wohnte eine kleine Maus. Es war ein
lustiges Mäuslein, das sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen ließ,
höchstens, wenn die Katze hinter ihm her war. Aber dann flüchtete es
schnell in sein Mäuseloch zurück. Im Herbst hatte die Maus fleißig
Früchte und Körner gesammelt; jetzt schlief sie in ihrem gemütlichen
Nest. Das ist gut, dachte der verantwortliche Engel, wer schläft,
sündigt nicht, und bezog die Maus nicht weiter in seine Überlegungen
ein.
Nach getaner Arbeit kehrten die Boten Gottes in den Himmel heim. Ein
Engel blieb im Stall zurück; er sollte der Mutter Maria in ihrer
schweren Stunde beistehen. Damit aber keiner merkten konnte, dass er
ein Engel war, nahm er seine Flügel ab und legte sie sorgsam in eine
Ecke des Stalles. Als die Mutter Maria das Kind gebar, war sie sehr
dankbar für die Hilfe des Engels.
Denn
kurz darauf kamen schon die Hirten, nachdem sie die frohe
Botschaft gehört hatten, und der Hütehund und die Schafe. Obwohl die
Männer sich bemühten, leise zu sein, und sozusagen auf Zehenspitzen
gingen, klangen ihre Schritte doch hart und der Bretterboden knarrte.
War es da ein Wunder, dass die Maus in ihrem Nest aufwachte? Sie lugte
zum Mäuseloch hinaus und hörte die Stimme " Ein Kind ist uns geboren
...", konnte aber nichts sehen.
Neugierig
verließ sie ihr schützendes Nest und schon war die Katze
hinter ihr: Schnell wollte das Mäuslein in sein Mäuseloch zurück, aber
ein Hirte hatte inzwischen seinen Fuß darauf gestellt. "Heilige Nacht
hin oder her", sagte die Katze zu der entsetzten Maus, "jetzt krieg ich
dich!"
Und
damit ging die wilde Jagd los. Die Maus in ihrer Angst flitzte von
einer Ecke in die andere, sauste zwischen den Beinen der Hirten
hindurch, huschte unter die Krippe und die Katze immer hinterher:
Zwischenzeitlich bellte der Hütehund und die Schafe blökten ängstlich.
Irgendwo gackerte aufgeregt eine Henne.
Die
Hirten wussten nicht recht, was los war, denn eigentlich waren sie
gekommen, um das Kind anzubeten. Aber sie konnten ja ihr eigenes Wort
nicht mehr verstehen, und alles rannte durcheinander: Es ging zu wie in
Nazareth auf dem Wochenmarkt.
Als
die Engel im Himmel das sahen, ließen sie buchstäblich ihre Flügel
hängen. Es ist tröstlich zu wissen, dass auch so unfehlbare Wesen wie
Engel nicht an alles denken. Das Mäuslein indessen befand sich in
Todesangst. Es glaubte seine letzte Sekunde schon gekommen, da
flüchtete es in seiner Not unter die Engelsflügel. lm gleichen Moment
fühlte es sich sachte hochgehoben und dem Zugriff der Katze entzogen.
Das Mäuslein wusste nicht, wie ihm geschah. Es schwebte bis unters
Dachgebälk, dort hielt es sich fest. Außerdem hatte es jetzt einen
weiten Blick auf das ganze Geschehen im Stall.
Die
Katze suchte noch ungläubig jeden Winkel ab, aber sonst hatte sich
alles beruhigt. Der Hütehund, bewachte die ruhenden Schafe. Die Hirten
knieten vor der Krippe und brachten dem Christkind Geschenke dar. Alles
Licht und alle Wärme gingen von diesem Kinde aus. Das Christkind
lächelte der Maus zu, als wollte es sagen, "Gell, wir wissen schon, wen
die Katze hier herunten sucht". Sonst hatte niemand etwas von dem
Vorkommnis bemerkt.
Außer
dem Engel, der heimlich lachen musste, als er die Maus mit seinen
Flügeln sah. Er kicherte und gluckste trotz der hochheiligen Stunde so
sehr, dass sich der heilige Josef schon irritiert am Kopf kratzte.
Es
sah aber auch zu komisch aus, wie die kleine Maus mit den großen
Flügeln in die Höhe schwebte. Die erstaunte Maus hing also oben im
Dachgebälk in Sicherheit.
Und
ihre Nachkommen erzählen sich noch heute in der Heiligen Nacht
diese Geschichte. Macht ihnen die Speicher und Türme auf, damit sie
eine Heimat finden - die Fledermäuse - wie damals im Stall von
Bethlehem.
Verfasser
unbekannt
oben
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Textgrundlage: "Ein Weihnachtsengel" Walter Benjamin,
aus: Vossische
Zeitung, 1932, Beilage: Das Unterhaltungsblatt
Nr. 357, S. 1, ED: 24.
Dez. 1932, Verlag Ullstein, EO: Berlin
wikisource.org
Textgrundlage:
"Warum der Engel lachen musste" Verfasser
unbekannt
Logo 101: "Winter", 1898,
Margaret MacDonald, gemeinfrei
wikimedia.org
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