Weihnachten
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Christkindls-Ahnung
im Advent
Erleben eigentlich Stadtkinder
Weihnachtsfreuden? Erlebt man sie heute
noch?
Ich
will es allen wünschen, aber ich kann nicht glauben,
dass das Fest in den engen Gassen der Stadt, in der wochenlang die
Ausstellungen
der Spielwarenhändler die Freude vorwegnehmen, Vergleiche veranlassen
oder
schmerzliche Verzichte zum Bewusstsein bringen, das sein kann, was es
uns
Kindern im Walde gewesen ist.
Der
erste Schnee erregte schon liebliche Ahnungen, die bald verstärkt
wurden, wenn
es im Haus nach Pfeffernüssen, Makronen und Kaffeekuchen zu riechen
begann,
wenn am langen Tische der Herr Oberförster und seine Jäger mit den
Marzipanmodeln ganz zahme, häusliche Dienste verrichteten, wenn an den
langen
Abenden sich das wohlige Gefühl der Zusammengehörigkeit auf dieser
Insel, die Tag um Tag stiller wurde, verbreitete.
In
der Stadt kam das Christkind nur einmal, aber in der Riss wurde es
schon Wochen
vorher im Walde gesehen; bald kam der, bald jener Jagdgehilfe mit der
Meldung
herein, dass er es auf der Jachenauer Seite oder hinterm Ochsensitzer
habe
fliegen sehen.
In
klaren Nächten musste man bloß vor die Türe gehen, dann hörte man vom
Walde
herüber ein feines Klingeln und sah in den Büschen ein Licht
aufblitzen. Da
röteten sich die Backen vor Aufregung, und die Augen blitzten vor
freudiger
Erwartung. Je näher aber der heilige Abend kam, desto näher kam auch
das
Christkind ans Haus, ein Licht huschte an den Fenstern des
Schlafzimmers
vorüber, und es klang wie von leise gerüttelten Schlittenschellen.
Da
setzten wir uns in den Betten auf und schauten sehnsüchtig ins Dunkel
hinaus;
die großen Kinder aber, die unten standen und auf einer Stange Lichter
befestigt hatten, der Jagdgehilfe Bauer und sein Oberförster, freuten
sich kaum
weniger.
Es
gab natürlich in den kleinen Verhältnissen kein Übermaß an Geschenken,
aber was
gegeben wurde, war mit aufmerksamer Beachtung eines Wunsches gewählt
und
erregte Freude.
Als meine Mutter an einem Morgen
nach der
Bescherung in das Zimmer
eintrat, wo der Christbaum stand, sah sie mich stolz mit meinem Säbel
herumspazieren, aber ebenso froh bewegt schritt mein Vater im Hemde auf
und ab
und hatte den neuen Werderstutzen umgehängt, den ihm das Christkind
gebracht
hatte.
Wenn
der Weg offen war, fuhren meine Eltern nach den Feiertagen auf kurze
Zeit zu
den Verwandten nach Ammergau.
Ich
mag an die fünf Jahre gewesen sein, als ich zum ersten Male mitkommen
durfte;
und wie der Schlitten die Höhe oberhalb Wallgau erreichte, von wo aus
sich der
Blick auf das Dorf öffnet, war ich außer mir vor Erstaunen über die
vielen
Häuser, die Dach an Dach nebeneinander standen.
Für
mich hatte es bis dahin bloß drei Häuser in der Welt gegeben.
Ludwig
Thoma
oben
Das
kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern
Es
war so grässlich kalt; es schneite und es begann dunkler Abend zu
werden. Es war
auch der letzte Abend des Jahres, Silvesterabend. In dieser Kälte und
in dieser
Dunkelheit ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem
Kopf und
nackten Füßen; ja, sie hatte zwar Pantoffeln angehabt, als sie von
Hause
wegging, aber was nützte das schon! Es waren sehr große Pantoffeln,
ihre Mutter
hatte sie zuletzt benutzt, so groß waren sie, und die verlor die
Kleine, als sie
über die Straße eilte, während zwei Wagen so erschreckend schnell
vorbeifuhren.
Der eine Pantoffel war nicht zu finden, und mit dem andern lief ein
Knabe
davon; er sagte, den könne er als Wiege brauchen, wenn er selbst einmal
Kinder
bekomme.
Da ging nun das
kleine Mädchen auf den nackten, kleinen Füßen, die vor Kälte
rot und blau waren. In einer alten Schürze trug sie eine Menge
Schwefelhölzer,
und ein Bund hielt sie in der Hand. Niemand hatte ihr den ganzen Tag
hindurch
etwas abgekauft; niemand hatte ihr einen kleinen Schilling gegeben.
Hungrig und
verfroren ging sie dahin und sah so eingeschüchtert aus, die arme
Kleine! Die
Schneeflocken fielen in ihr langes, blondes Haar, das sich so schon um
den
Nacken ringelte, aber an diese Pracht dachte sie wahrlich nicht. Aus
allen
Fenstern glänzten die Lichter, und dann roch es auf der Straße so
herrlich nach
Gänsebraten; es war ja Silvester- abend, ja, daran dachte sie!
Drüben
in einem Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas mehr
vorsprang als das andere, dort setzte sie sich hin und kauerte sich
zusammen.
Die kleinen Beine hatte sie unter sich hochgezogen; aber es fror sie
noch mehr,
und nach Hause zu gehen, wagte sie nicht. Sie hatte ja keine
Schwefelhölzer
verkauft, nicht einen einzigen Schilling bekommen. Ihr Vater würde sie
schlagen, und kalt war es zu Hause, sie hatten nur eben das Dach über
sich, und
da pfiff der Wind herein, obwohl in die größten Spalten Stroh und
Lumpen
gestopft waren. Ihre kleinen Hände waren beinahe ganz abgestorben vor
Kälte.
Ach! Ein kleines Schwefelhölzchen könnte guttun. Wenn sie es nur wagen
würde,
eines aus dem Bund zu ziehen, es gegen die Wand zu streichen und die
Finger zu
erwärmen! Sie zog eins heraus, ritsch! Wie es sprühte, wie es brannte!
Es war
eine warme, helle Flamme, wie ein kleines Licht, als sie, es mit der
Hand
umschirmte. Es war ein seltsames Licht: dem kleinen Mädchen war es, als
säße es
vor einem großen, eisernen Ofen mit blanken Messingkugeln und einem
Messingrohr. Das Feuer brannte so herrlich, wärmte so gut; nein, was
war das!
Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen - da
erlosch
die Flamme. Der Ofen verschwand, sie saß mit einem kleinen Stück des
abgebrannten Schwefelhölzchens in der Hand.
Ein
neues wurde angestrichen, es brannte, es leuchtete, und wo der Schein
auf
die Mauer fiel, wurde diese durchsichtig wie ein Schleier; sie sah
gerade in
die Stube hinein, wo der Tisch gedeckt stand mit einem blendend weißen
Tischtuch, mit feinem Porzellan, und herrlich dampfte die gebratene
Gans,
gefüllt mit Zwetschgen und Äpfeln; und was noch prächtiger war: die
Gans sprang
von der Schüssel herunter, watschelte durch die Stube, mit Messer und
Gabel im
Rücken; gerade auf das arme Mädchen kam sie zu. Da erlosch das
Schwefelholz,
und es war nur die dicke, kalte Mauer zu sehen.
Die
Kleine zündete ein neues an. Da saß sie unter dem schönsten
Weihnachtsbaum;
er war noch größer und schöner geschmückt als der, den sie bei der
letzten
Weihnacht durch die Glastür bei dem Kaufmann gesehen hatte. An den
grünen
Zweigen brannten tausend Kerzen, und bunte Bilder, gleich denen, welche
die
Schaufenster schmückten, sahen auf sie herab. Die Kleine streckte beide
Hände
in die Höhe - da erlosch das Schwefelholz; die vielen Weihnachtslichter
stiegen
höher und höher. Sie sah, jetzt waren sie zu den hellen Sternen
geworden, einer
von ihnen fiel und hinterließ einen langen Feuerstreifen am Himmel.
»Jetzt
stirbt jemand«, sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die
einzige, die
gut zu ihr gewesen, aber nun tot war, hatte gesagt: wenn ein Stern
fällt, geht
eine Seele hinauf zu Gott.
Sie strich wieder ein
Schwefelhölzchen gegen die Mauer, es leuchtete
ringsumher, und in dem Glanz stand die alte Großmutter, so klar, so
schimmernd,
so mild und lieblich.
»Großmutter«, rief die Kleine,
»oh, nimm mich mit! Ich weiß, du bist
fort, wenn
das Schwefelhölzchen ausgeht, fort, ebenso wie der warme Ofen, der
herrliche
Gänsebraten und der große, gesegnete Weihnachtsbaum!«
Und sie strich hastig den
ganzen Rest von Schwefelhölzern an, die im
Bund
waren. Sie wollte Großmutter recht festhalten; und die Schwefelhölzer
leuchteten mit einem solchen Glanz, dass es
heller war als der lichte Tag. Großmutter war früher nie so schön, so
groß gewesen; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und sie flogen
in Glanz
und Freude so hoch, so hoch dahin; und dort war keine Kälte, kein
Hunger, keine
Angst, sie waren bei Gott.
Aber
im Winkel beim Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen
mit
roten Wangen, mit einem Lächeln um den Mund - tot, erfroren am letzten
Abend
des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging über der kleinen Leiche auf
die mit
den Schwefelhölzern dasaß, von denen ein Bund fast abgebrannt war. Sie
hatte
sich wärmen wollen, sagte man. Niemand wusste, was sie Schönes gesehen
hatte und
in welchem Glanz sie mit der alten Großmutter eingegangen war zur
Neujahrsfreude.
Hans
Christian Andersen
oben
_________________________________
Geschichte: "Christkindl-Ahnung im Advent"
Ludwig Thoma. Aus:
Erinnerungen in
Gesammelte Werke, Erster Band - Autobiografische und
außergewöhnliche Gedichte
S. 33-35, 1. Auflage, ED: 1922, Albert
Langen, München
wikisource
Geschichte: "Das kleine Mädchen
mit den Schwefelhölzern", Hans
Christian Andersen,
Sämtliche Werke, Leipzig (um 1900) S. 414-418,
gemeinfrei
zeno.org
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