Erste
Erzählung
Die
Geschichte von der Frau Holle
Vor
ganz undenklich langer Zeit, da gab es noch gar kein Christkindchen,
sondern nur eine Frau Holle, die wohnte nicht weit von uns auf der
höchsten Spitze der Odenwaldberge, auf der kalten, windigen Böllsteiner
Höhe. Die schönen Odenwaldberge waren damals noch nicht, wie jetzt, bis
fast hinauf mit fruchtbaren Feldern und üppigen Wiesen bedeckt, sondern
es zogen sich bis fast zu ihrem Fuße hinab dunkle Wälder, in denen
Hirsche und Rehe herumsprangen, und wo eine Menge von Köhlern wohnten,
die ganze Gebirge von Kohlen brannten und diese dann hinunter in die
Ebene zum Verkaufe brachten. Zwischen den Wäldern aus Tannen- und
Buchenbäumen aber wuchs noch ein kleiner Wald von Ginstern, sodass es
im Frühjahr, wenn sie blühten, aussah, als sei der ganze Odenwald mit
Gold bestreut. An diesen gelben Blüten naschten Millionen Bienchen den
süßen Blumenstaub, und waren sie abgeblüht, dann kamen die Besenbinder,
schnitten die Reiser ab und banden Besen davon. Für die Bienchen aber
blühten nun ganze Felder von Heidekraut, und schien der Odenwald zuvor
gelb, so war er jetzt an einzelnen Stellen fast rot. Wenn dann aber
auch die Heide all ihre Süßigkeit hergegeben hatte und zu verblühen
begann, so flogen die Bienchen hinunter in die Täler und brachten ihren
Honigseim den Bäckern, die köstliche braune Lebkuchen davon machten. –
So schön war es damals im Odenwald und ist es zum Teil noch, wenn es
auch nicht alle Leute wissen und sehen.
Auf
der höchsten Spitze aber, auf dem Böllstein, war schon zu jener Zeit
ein großer freier Platz, der von hohen Tannen eingefasst war, und
auf dem eine Menge Steine und Felsen umherlagen. Da hatte die gute Frau
Holle ihren Sitz und konnte über die andern Berge hinweg weit
hinaussehen in das Land, bis an den Rhein, den Main und den Neckar. Sie
liebte alle Menschen, die da herum wohnten in Städten und Dörfern, sie
kannte sie alle und belohnte und bestrafte sie, je nachdem sie es
verdienten. Andererseits kannte jedermann die Frau Holle; die Guten
liebten und die Bösen fürchteten sie, denn sie sah mit ihren hellen,
durchdringenden Augen rings umher alles, was geschah. – Die Frau Holle
hatte auf dem Böllstein kein Haus, in dem sie wohnte, und wer am hellen
Tage über den Berg ging, der merkte nichts von ihr; in lauen
Sommernächten aber hörte man zwischen den Bäumen hervor ein Kichern und
Zischeln und Lachen, dass es den Leuten ganz sonderbar zumute ward, und
dass sie lieber einen weiten Umweg machten, ehe sie über den Berg
gingen. Im Winter, wenn die Tage am kürzesten waren, sah man auch
manchmal ein helles Feuer auf dem Böllstein glänzen, aber nur von
weitem, denn da lag der Schnee ellenhoch, und es hätte sich keiner
hinaufgetraut, wie auch keiner den Pfad kannte, der zwischen den Felsen
durch unter die Erde und gerade hinein in Frau Hollens goldnen Saal
führte, in dem sie wohnte. Der Saal war wunderschön; er hatte goldne
Wände und eine silberne Decke, die von Säulen aus blauen Steinen
getragen ward. Da drinnen saß die Frau Holle, umgeben von einer ganzen
Schar kleiner Engelein, die rosenrote Flügel an den Schultern trugen
und an Stelle der Kleider in ihre langen, blonden Locken gehüllt waren,
welche ihnen bis auf die kleinen Füße herabfielen. Mit den Engelein
arbeitete die fleißige Frau Holle Tag und Nacht; sie spannen, strickten
und webten, dass es eine Lust war. Wenn aber der Frühling kam, dann
stieg Frau Holle herauf auf die Erde, zog ein langes, grünes Kleid an,
setzte einen Kranz von Kornblumen und Ähren auf und fuhr in einem
goldnen Wagen, den zwei schneeweiße Kühe zogen, über das ganze weite
Land, das sie von ihrer Höhe aus übersehen konnte. Wo sie vorüberkam,
streute sie Samenkörner aller Art aus, und bald darauf prangte die Erde
in den verschieden artigsten Farben. Hier breitete eine grüne Wiese
ihren Blumenteppich aus, dort wogte ein reifendes Kornfeld, daneben lag
ein Acker mit blühendem Flachse wie ein blaues, über die Erde
ausgespanntes Tuch, und gelbe Rapsfelder durchschnitten gleich langen
Bändern die Flur nach allen Richtungen. Das alles ließ die gute Frau
Holle wachsen – aber nur auf den Feldern der fleißigen Menschen. Auf
denen der faulen dagegen ließ sie Disteln und Unkraut emporschießen.
Wenn dann die Erde so schön geschmückt war, fuhr sie wieder heim in
ihren goldnen Saal, und nur an milden Sommerabenden, wenn der Mond
schien oder die Sterne flimmerten, stieg sie mit den Engelein wieder
herauf, und da tanzten sie auf dem dichten Heidekraut, das den
Böllstein bedeckt, den Ringelreihen, wozu alle Vögel im Walde
musizierten. So trieben sie es den ganzen Sommer und Herbst über. Aber
wenn die Blätter anfingen abzufallen und die Nordwinde zu sausen, da
ward es gewaltig kalt auf dem Böllstein, sodass man sich des Nachts
lieber in ein warmes Bett steckte, statt draußen herumzutanzen. Der
Frau Holle ging es auch so, und sie befahl den Engelein, ihr Federbett
zurechtzumachen und es tüchtig aufzuschütteln. Wenn die Engelein das
hörten, waren sie sehr vergnügt; es gab für sie keine größere Lust, als
Frau Hollens Bett zurechtzumachen. Sie schüttelten und rüttelten an den
Federn, und eines warf unter lautem Lachen das andere hinein, sodass
die Flocken bis über den Rhein und den Main hinüberflogen und stoben.
Da sagten die Leute drunten im Tale und in der Ebene: »Es wird Winter,
die Frau Holle schüttelt ihr Bettchen aus!« und sie holten die
Pelzkappen und Pelzröcke hervor und steckten sich tief hinein. Die Frau
Holle hatte aber auch einen dicken, warmen Pelzrock und eine Pelzmütze,
die zog sie nun statt des schönen Kranzes über die Ohren. Für die
Engelchen waren kleine Pelzröcke und Pelzkappen da, und wenn es ein
schöner Winterabend war, zogen sie von der Böllsteiner Höhe aus und
folgten der Frau Holle, wohin diese sie führte. Die Frau Holle war eine
überaus fleißige und reinliche Frau und hasste nichts so sehr als
Schmutz und Faulheit. So wie sie im Sommer die faulen Landwirte
strafte, so machte sie es im Winter mit den schmutzigen und faulen
Frauen und Mädchen. Darum kam sie des Abends in die großen Stuben, wo
die Mütter und Töchter zusammensaßen und spannen, strickten und nähten.
Sie setzte sich zu ihnen, arbeitete mit ihnen und gab genau acht, wer
seine Sache gut machte. Wenn ein Kind ein schönes, reines Strick- und
Nähzeug hatte, fand es am andern Morgen in seinem Körbchen eine hübsche
neue Puppe oder ein Bilderbuch oder einen großen braunen Herzlebkuchen.
– Den Strümpfen aber, die überall Jahresringe von Schmutz zeigten, und
den Hemden und Schnupftüchern, die genäht waren, als ob sie von
Sackleinen wären, war die Frau Holle todfeind. Da kamen die Engelein in
der Nacht, fielen mit langen, feinen Scheren über die schlechte Arbeit
her und zerschnitten sie in tausend kleine Stückchen, und wo ein
unordentlicher Spinnrocken stand, da zerrupften und zerzupften sie ihn
so gründlich, dass auf der Welt nichts mehr damit anzufangen war. Kamen
dann am andern Morgen die unordentlichen Mädchen und Kinder an ihre
Arbeit, so fanden sie die Bescherung, aber keine Christbescherung,
keine Puppe, kein Bilderbuch, sondern nur schmutzige Fädchen und
Läppchen, und hatten die Schande und den Spott obendrein.
Den
schmutzigen Mamas aber ging es am allerschlimmsten: da brachten die
Engelein in der Nacht lange Besen mit und fegten den Schmutz aus den
Ecken hervor, wo man ihn hineingesteckt hatte. Sie kehrten alles an die
Türschwelle, das gab oft einen Berg fast so hoch wie das Haus, und wenn
die Leute am Morgen zur Türe hinauswollten, waren sie in ihrem eigenen
Schmutz gefangen und mussten ihn erst hinwegschaffen, ehe sie wieder
frei sich bewegen konnten. Auf diese Weise ward es wenigstens einmal im
Jahre sauber im Hause, und es wäre ein rechtes Glück, wenn die Engelein
jetzt auch noch manchmal zum Fegen in die Häuser kämen. Weil es aber
jetzt so ungeheuer viele Bücher gibt, in denen alles, was die Frauen
und Mädchen tun sollen, geschrieben steht, denken sie, sie könnten sich
die Mühe sparen und brauchten kein gutes Beispiel mehr zu geben. Die
Bücher tun es aber nicht allein, das sieht man deutlich alle Tage, und
die Zeiten waren oft besser, wo die Frau Holle das schönste Beispiel
für alt und jung gewesen. Wenn die fleißigen Mamas ihre Töchterchen
recht loben wollten, dann wussten sie nichts Besseres zu sagen, als:
»Du machst es fast so schön wie die liebe Frau Holle.«
Die
gute Frau saß oft halbe Nächte lang bei den fleißigen Leuten. War sie
aber müde und sehnte sich nach Hause in ihr weiches, warmes Bettchen,
dann stand sie auf, öffnete das Fenster und warf das Klüngel Garn, das
sie gesponnen hatte, hinaus, indem sie das eine Ende festhielt. Dann
rief sie freundlich: »Gute Nacht, ihr lieben Leute!« setzte sich auf
den Faden und ritt auf demselben so schnell wie der Wind hinauf nach
dem Odenwald und grade in ihren goldnen Saal hinein. Da merkten es erst
die Leute, wen sie zum Besuch gehabt, und waren nun noch einmal so
fleißig.
So
lebte die gute Frau Holle viele, viele, viele Jahre lang, da fühlte sie
auf einmal, dass sie ein wenig alt und schwach werde und nicht mehr so
recht fort könne. Im Frühling und im warmen Sonnenschein über Land zu
fahren, das ging noch an, aber die Wintergeschäfte wollten ihr gar
nicht mehr behagen. Es war auch ein schlechter Spaß, bei Schnee und
Eis, bei Wind und Wetter auf einem Zwirnsfaden durch die Nacht zu
reiten.
Nun
hatte die Frau Holle einen lieben, alten Freund, das war der Storch.
Der war weit gereist, hatte alle möglichen fernen Länder und Menschen
gesehen und wusste immer guten Rat. Der kam einmal im Sommer zu
ihr auf Besuch, denn im Winter ist es ihm im Odenwald viel zu
kalt. Dem klagte sie ihre Not und sagte: »Lieber Storch, ich bin alt
und gar allein, da möchte ich gern ein Töchterchen haben, mit dem ich
spielen und das ich hinunter zu den Menschen schicken könnte, um die
Fleißigen und Braven zu belohnen und die Faulen und Bösen zu bestrafen.
Du bist so weise und gelehrt und bringst allen Menschenfrauen die
kleinen Kinder, da muss es dich doch auch freuen, wenn die Kinder brav
und gut werden und etwas lernen.«
»Ganz
gewiss, Frau Holle, das versteht sich von selbst«, klapperte der Storch.
»Wenn
ich nun ein kleines Mädchen hätte, würde ich es so lieb und fromm
machen, dass alle Kinder ihm gleichen und von ihm geliebt sein möchten.
Lieber Storch, bringe mir von deiner nächsten Reise ein kleines
Töchterchen mit.«
»Meine
liebe Frau Holle,« sagte der Storch, »das tue ich ja herzlich gern; das
schönste, beste und frömmste Kind, das ich auf Erden finden kann, will
ich euch hierher bringen. Aber nur ein wenig Geduld.«
Frau
Holle nickte, und der Storch flog fort.
Der
Sommer verging, und der Herbst und der Winter kamen mit Macht. Frau
Holle schaute jeden Tag sehnsüchtig hinaus, ob der Storch nicht käme,
aber vergebens. Sie ward ganz traurig und wollte gar nicht mehr
ausreiten, wie sehr auch die Menschen unten auf der Erde sich nach ihr
sehnten. Die Engelein taten, was sie konnten, um sie aufzuheitern. Sie
schüttelten und rüttelten Frau Hollens Bettchen und jagten die Federn
so hoch in der Luft herum, dass die Flocken ringsum fußhoch lagen und
Menschen und Tiere darin stecken blieben. Darüber wollte sich denn das
kleine Volk halbtot lachen, aber Frau Holle lachte nicht, sondern
befahl ihnen nur, den Unsinn unterwegs zu lassen. – Die Tage wurden
kürzer und kürzer, die Nächte länger und länger, und endlich kamen die
paar aller kürzesten Tage, in denen die Sonne kaum Zeit hat
hervorzugucken und bald wieder fort muss. Eben war sie wieder im Sinken
begriffen, da zeigte sich ein schwarzer Punkt über dem Odenwald, der
kam näher und näher, und wäre es nicht schon so dämmerig gewesen, hätte
man leicht den Gevatter Storch erkennen mögen. Das war ja in dieser
Jahreszeit eine seltene Erscheinung; er war es aber wirklich, und er
flog geradezu herauf auf den Böllstein und an Frau Hollens Fenster. Er
schlug mit seinem langen Schnabel daran und rief: »Geschwind, liebe
Frau Holle, geschwind! Macht auf, mich friert ganz erbärmlich!« Schnell
rissen die Engelein das Fenster auf und ließen den Gevatter Storch
herein.
»Da
bin ich,« sagte er, »ich komme weit, weit her aus einem heißen Lande,
wo die Sonne fast nicht untergeht, und habe euch von dort das schönste,
beste und frömmste Kind mitgebracht, das auf der ganzen Erde zu finden
war.« Mit diesen Worten legte er ein kleines, schneeweißes Kindlein,
das er vorsichtig im Schnabel trug, auf Frau Hollens Bett. Als sie das
hörte und sah, stieß sie einen Freudenschrei aus, und die Engelein
jauchzten laut auf. Das war ein Vergnügen! Das Kindchen machte seine
Augen weit auf, die waren so durchsichtig blau wie der schönste
Sommerhimmel, dabei hatte es eine Menge kleiner, goldner Löckchen auf
dem Kopf und – das war das schönste – zwei kleine, schneeweiße Flügel
an den Schultern. Der Storch, der als ein weiser Mann nicht gern viel
Worte machte, deutete auf die Flügel und sagte kurz: »Damit es nicht
auch auf dem Zwirnsfaden reiten muß«, worauf Frau Holle glückselig
nickte und das liebe Kind immer wieder von neuem herzte und küßte. Die
Engelchen freuten sich fast nicht weniger als Frau Holle und schrien
und lärmten nach Herzenslust. Der Storch aber machte ein ernsthaftes
Gesicht und sagte: »Schweiget jetzt alle einmal und hört, was ich euch
zu sagen habe. Ich dachte immer an das, was ich Frau Hollen versprochen
hatte, und bin durch die ganze Welt geflogen, ohne dass ich bei den
Menschen ein Kindlein finden konnte, das lieb und fromm genug war, um
ihr Töchterlein zu sein. So ward es Herbst und Winter, und meine alten
Augen waren zuletzt ganz müde vom Suchen. Da kam ich heute in ein
fernes, fernes Land, wo das ganze Jahr über die Sonne scheint und
Frucht und Blüte nie vergehen. Dort war es schon Nacht, als es hier
noch Tag gewesen, aber das Dunkel erhellte ein großer, heller Stern mit
so wunderbarem Glanze, wie ich noch nie gesehen. Der Stern schoss
pfeilgeschwind durch die Luft, und ich flog ihm nach, bis er über einer
kleinen, niedern Hütte stehenblieb. Ich sah hinein, da lag in einer
Krippe ein wunderschönes, herrliches Kind, von dem ein noch hellerer
Glanz als von dem Sterne ausging. Rings um die Krippe schwebten
Engelein auf goldnen Wolken, die sangen so schön und lieblich, wie ich
noch nie etwas gehört. Das Kind aber lächelte mich so freundlich an,
daß ich dachte, dies ist das Kind, das ich Frau Holle bringen möchte,
denn ganz gewiß ist es das liebste und beste auf Erden.
Da
rief eine Stimme neben mir, von der ich nicht weiß, woher sie gekommen:
›Willst du es mit dir nehmen, dass es den kleinen Menschenkindern in
deinem Lande stets ein Kind bleibe? Das Kind, von dem sie lernen, was
Güte, Liebe und Gehorsam ist, selbst dann noch, wenn es schon lange das
Licht geworden, das die ganze Welt erhellen und mit neuem Glanze
verklären wird.‹
Im
nächsten Augenblick fühlte ich mich mit dem Kinde empor gehoben und wie
im Sturm durch die Luft getragen, ohne dass ich meine Flügel zu bewegen
brauchte, und da bin ich nun, Frau Holle, und Ihr besitzet das Kind,
das Ihr Euch so heiß gewünscht, das gute fromme Kind, dem die
Menschenkinder in allem Guten nacheifern sollen, das freundliche Kind,
das ihnen Freude spendet, wenn sie brav sind, aber auch das zürnende,
das die Unartigen bestraft.«
Während
der Storch geredet, weinte Frau Holle heiße Tränen still in ihren
Schoß, und selbst den mutwilligen Engelein wurden die Äuglein vor
Rührung trübe. Dann kniete sie neben dem Bette nieder, auf welchem das
Kindlein lag und sprach: »Ja, ich kenne dich, du bist das Licht der
Welt, das über uns gekommen, und vor dem meine Macht zu Ende geht. Die
deutschen Kinder aber sind doppelt glücklich zu preisen vor allen
anderen. In unsere deutschen Wälder und Täler bist du niedergestiegen
als Kind, und in ihnen bleibst du jetzt als Kind bis in alle Ewigkeit
und wirst allen Kindern das schönste und herrlichste Vorbild sein!«
Nun
aber hielten sich die Engelein nicht länger, auch ihnen war ja die
himmlischste Nacht angebrochen, die sie je gesehen, und sie wollten
diese in Jubel und heller Freude begehen.
Sie
zündeten ihre Kerzchen an, mit denen sie in den lauen Sommernächten
zwischen den Büschen und Gesträuchen herumtanzen, und flogen damit auf
die Fichten und Tannen, die den Böllstein umgeben. Es war wunderschön
anzusehen, wie die vielen Lichter zwischen dem dunklen Grün der Tannen
glänzten und schimmerten. Frau Holle war ganz entzückt davon; sie nahm
das Kindlein auf den Arm und trug es hinaus, ihm die Pracht zu zeigen.
Da machte es die schönen Augen weit auf und lächelte holdselig; die
Engelein aber sangen:
»Sei
gesegnet, Christkindlein,
Denn
so sollst du heißen,
Weil
noch nie so hold und rein
War
ein Kind zu preisen!
Wer
dich sieht, wird fromm und gut,
Muss
vor dir sich neigen,
Oh,
so nimm in deine Hut
Kindlein,
die dir gleichen!«
»Ja,«
sagte Frau Holle, indem sie das Kindlein hoch empor hob zu den vielen
Lichtern und den ewigen, glänzenden Sternen, »so soll es werden, und so
glücklich wie ich jetzt bin, sollen fortan in dieser Nacht alle guten,
braven Menschen und Kinder sein – es ist eine Weihnacht für mich und
für die ganze Welt. Übers Jahr, wenn du größer bist, gehst du hinunter,
wo die Menschen wohnen, bringst ihnen schöne Gaben und zündest ihnen
schimmernde Kerzen an grünen Bäumen an, damit ihnen die lange
Winternacht so hell und freudig werde, wie sie eben uns geworden ist.«
Da
klatschten die Engelein in die Hände und riefen: »So soll es sein!
Jedes Jahr wird nun den guten, braven Kindern das Christkind neu
geboren werden!« Darauf gingen sie wieder alle in den schönen goldnen
Saal, der Storch flog fort – und nun wisst ihr die Geschichte von der
Frau Holle und dem Christkind, dessen Geburtstag wir sehr bald wieder
feiern werden!
Luise
Büchner
oben
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Textgrundlage:
Weihnachtsmärchen
aus
Darmstadt und dem Odenwald, Luise Büchner,
Darmstadt 1980, S. 7-16. Gemeinfrei
zeno.org
Logo 137: "A Christmas Story" -
Viggo Johansen,
spätestens 1935, gemeinfrei
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