Siebente
Erzählung
Die
Geschichte vom kleinen
naseweisen Mädchen
Dem
Mathildchen ward die
Zeit bis zum Weihnachtsabend gar zu lang; es hatte nirgends mehr Ruhe
und Rast,
und nur solange die Tante erzählte, blieb es ruhig auf seinem Stühlchen
sitzen.
Wo eine Schublade oder eine Schranktür aufgemacht wurde, hatte es
blitzschnell
den kleinen Blondkopf dazwischen, und lauschend und horchend stand es
hinter
allen Stubentüren. Es knisterte und rumorte aber auch gar verführerisch
im
Hause herum, und für die Nase gab es jeden Augenblick ein neues
Bedenken. Bald
roch es so süß und gewürzreich, dann
wieder nach feuchtem Moos und Tannenharz oder auch nach ausgeblasenen
Wachskerzen. Mit einem Wort, das ganze Haus war erfüllt mit dem
wunderbaren,
unbeschreiblichen Weihnachtsgeruch, dem zuliebe die Kinder sich gerne
eine
Stunde früher als gewöhnlich zu Bett schicken lassen, und der ihnen den
kleinen
Kopf schon im Voraus ganz toll und wirblicht macht. So ging es auch dem
Mathildchen, und jeden Augenblick musste es sich bald von der Mama,
bald von
der Tante zurufen lassen: »Den Kopf hinweg, oder das Christkind bläst
dir die
Augen aus!«
Endlich
ward es Abend, und
sie saßen wieder bei der Tante, da fragte Mathildchen: »Liebe Tante,
wie ist
denn das mit dem Christkindchen, bläst es den Kindern wirklich die
Augen aus?«
»Ja,
freilich,« sagte die
Tante, »wenn sie neugierig sind und sich nicht warnen lassen, denn sie
können
ja lieb sein und warten, bis es Zeit zum Gucken ist.«
»Tante,« antwortete
Mathildchen kleinlaut, »ich war heute so ein ganz klein wenig neugierig
und
habe in Mamas Schrank gesehen und – und – ich will aber jetzt nicht
mehr
hinsehen.«
»Das ist brav, und nun
will ich euch eine Geschichte erzählen von einem kleinen Mädchen, das
auch ein
wenig naseweis war, aber nicht sehr viel, geradeso wie du, dem ist es
sonderbar
mit dem Christkindchen gegangen. Das Merkwürdigste an der Geschichte
aber ist, dass
das kleine Mädchen auch Mathildchen heißt. Nun, soll ich anfangen?«
»Ach ja, liebe Tante!«
»Ich
habe euch doch
früher
schon erzählt, dass der Nikolaus um die Weihnachtszeit des Abends ein
großes
Feuer auf der Böllsteiner Höhe anzündet. Die Leute, die um den Odenwald
herum
wohnen, sehen das Feuer, das sich freilich von Weitem nur wie ein
großer Stern
ausnimmt. Wenn sich nun die Kinder zu Bette legen, dann laufen sie noch
vorher
an das Fenster, heben den Vorhang auf,
sehen hinauf nach dem Christkindfeuer und träumen dann die ganze Nacht
von den
schönen Sachen, die ihnen das Christkind bringen wird. Wer aber
neugierig ist
und zu lange hinschaut, der sieht auf einmal gar nichts mehr, und wenn
endlich
die Mama ruft: ›Geschwind, ins Bett hinein!‹ – so können sie es kaum
noch
finden. Am andern Morgen sehen sie zwar wieder, aber sie müssen doch
noch sehr
blinzeln und hüten sich wohl, am andern Abend wieder in das
Christkindfeuer zu
gucken.
Der
kleinen Mathilde aber,
von der ich euch nun erzählen will, ist es noch sonderbarer ergangen.
Sie war
sehr geschickt und lieb und folgsam, nur ein klein wenig naseweis, und
wenn sie
des Abends ins Bett sollte, konnte man sie kaum von dem Fenster
wegbringen,
weil sie immer wieder das Christkindfeuer sehen wollte. Lag sie dann
unter der
warmen Decke, so dachte sie immer noch an das Feuer und stellte sich
vor, wie
schön es da oben auf der Höhe bei dem Christkind sein müsse.
Eines
Abends nun schien
ihr das Feuer viel größer und heller als gewöhnlich zu sein; es sah gar
nicht
mehr aus wie ein Stern, sondern wie der Mond, wenn er im Herbst ganz
groß und
feurig über dem Rand der Berge auftaucht. Mathildchen legte sich zu
Bett,
nachdem sie lange in das Feuer gesehen, aber sie konnte nicht
einschlafen und
dachte immer wieder daran, wie es jetzt wohl da oben auf dem Böllstein
aussehen
möge. Sie hielt es nicht mehr aus, stand leise auf, zog ihre Strümpfe,
Schuhe
und Kleider wieder an und schlich sich unbemerkt hinaus vor die Türe,
um das
Feuer von da noch besser zu sehen.
Ach! dachte sie auf
einmal, wenn ich auf den kleinen Berg hinter unserm Garten ginge, da
müsste es
noch schöner sein! Sie fürchtete sich gar nicht, lief auf den kleinen
Berg und
sah sich recht satt an dem hellen Glanz – dann wollte sie wieder nach
Hause und
in ihr Bettchen. Aber – aber von dem langen Sehen waren ihr die Augen
ganz wie
geblendet geworden; statt in den Garten kam sie auf ein Feld, rannte
dann über
eine Wiese, und auf einmal lief sie, ohne nur recht zu wollen, in
den dunklen, dichten Wald hinein; sie hatte ihren Weg vollständig
verloren und wusste
gar nicht mehr, wo sie war. Von Angst getrieben, lief Mathildchen
weiter und
weiter, bis sie endlich ein ganz kleines Licht durch die Bäume
schimmern sah.
Ach,
dachte das kleine
Mädchen, wo ein Licht ist, müssen doch auch Menschen sein, die mir
wieder den
Weg nach Hause zeigen, ich will nur immer darauf zugehen!
Sie
merkte in ihrer Eile
gar nicht, wie sie immer bergan lief, sondern freute sich nur, dass das
Licht
größer ward und ihr immer näher kam. Der Weg ward steiler, und zuletzt
musste
sie atemlos stehenbleiben, denn sie konnte nicht mehr weiter. Nun
schaute
Mathildchen sich um, da blies ihr ein kalter Wind über die heiße
Stirne, und
ringsherum waren keine höheren Berge und keine Bäume mehr. Du lieber
Himmel –
am Ende war gar das Kind bis hinauf auf die Böllsteiner Höhe gerannt.
Dem
Mathildchen zitterten
die Knie vor Angst und Müdigkeit, aber sie konnte doch nicht da stehen
bleiben,
und so schlich sie denn langsam weiter, von einem Baumstamm zum andern,
indem
sie sich dahinter versteckt hielt, bis sie auf einmal wirklich am Rande
des
großen freien Platzes stand, der den Böllstein bedeckt.
Aber,
Kinder, was hat sie
da gesehen – das Mathildchen vergaß Müdigkeit und Angst und alles, es
wusste
gar nicht mehr, ob es schon im Himmel oder noch auf Erden war. Es
starrte ganz
verloren hinein in die Herrlichkeit, die sich da vor seinen Blicken
ausbreitete.
Denkt
euch, Kinder, das
war die Nacht, in der das Christkindchen alles, was es das Jahr über
zusammengeholt und mit den Engelchen gearbeitet hat, aufstellt und
ausbreitet
und dann auswählt, was es jedem von den kleinen und großen Leuten
bringen will.
Die Christbescherung für die ganze Welt stand hier auf einmal
beieinander, und
nun könnt ihr euch denken, wie das glitzerte und flimmerte, und wie
Mathildchen
ganz im Ernste glaubte, sie sei blind geworden, so sehr stach ihr
all
der Glanz in die Augen. Nun wusste sie auch, wovon der Wald so hell und
warum
das Feuer so groß erschienen war, denn die hohen Tannen und Fichten,
welche um
den freien Platz herumstehen, waren übersät mit brennenden Wachskerzen,
sodass
sie fast den Mond und die Sterne überstrahlten.
In
der Mitte aber
war das
Schönste von allem, da stand das liebe, goldige Christkindchen selber
und
überschaute seine Herrlichkeiten. Ein schneeweißes Kleid, mit goldenen
und
silbernen Sternen gestickt, fiel ihm bis herab auf die Füße. Den feinen
Schleier hielt eine hohe Sternenkrone fest, unter welcher die großen
blauen
Augen so selig und gut hinauf in den Himmel blickten und die Wangen in
so
hellem Rosenlicht glühten, dass man über diesem Anblick alles Übrige
vergaß.
Mathildchen konnte lange kein Auge von ihm verwenden, aber als sie nun
endlich
weiter um sich schaute, puh! da ward ihr wieder angst und bange.
Auf
der Erde ganz dicht zu
Christkindchens Füßen saß der Knecht Nikolaus, der war nicht so
holdselig
anzuschauen. Er war in seinen Pelzrock gehüllt, hatte die Pelzmütze
fast bis an
die Nase ins Gesicht gezogen, und auf seine Brust herab wallte nicht
mehr wie
früher ein schwarzer, sondern ein langer, weißer Bart. Neben dem
hellen,
freundlichen Christkindchen sah er noch dunkler und mürrischer aus als
gewöhnlich. Er machte auch grade jetzt ein besonders verdrießliches
Gesicht und
hatte neben sich wieder einen ganzen Berg von Ruten liegen.
›Lass
gut sein, Nikolaus,‹
sagte jetzt das Christkind mit seinem hellen feinen Stimmchen, das noch
viel
süßer klang als das silberne Schellchen, ›wir haben jetzt Ruten genug.‹
›Nein,‹ brummte Nikolaus
mit einer Stimme, dass Mathildchen meinte, ein dumpfer Donner rolle
über die
Odenwaldberge hin, ›ich muss noch eine vom Kräutchen Eigensinn machen;
dort
unten wohnt ein kleiner Junge, der heißt Georg und hat sie sehr nötig.‹
Als
Mathildchen hinter
ihrem Baum dies hörte, ging ihr fast
der Atem aus, sie hatte ja ein recht eigensinniges Brüderchen, das hieß
Georg,
und sie seufzte zitternd: ›Ach!‹
Aber,
o weh! Trotz seiner
Pelzkappe hat der Nikolaus die feinsten Ohren; er schaute auf und sah
hinter
dem Baum ein Stück von einem roten Röckchen hervorgucken und ein
kleines vor
Schreck fast weißes Näschen, das sich ängstlich in die Rinde drückte.
Er ward
vor Zorn ganz rot im Gesicht und rief mit einer fürchterlichen Stimme:
›Was
steckt denn da hinten? Hervor, du kleines naseweises Ding, dass ich dir
die
Rute gebe! Kannst du nicht warten bis zu dem Weihnachtsabend und kommst
da
herauf, um uns auszuspionieren!‹
Da
blieb dem armen
Mathildchen doch ganz gewiss gar nichts anders übrig, als laut zu
schluchzen
und zu weinen, und das tat sie denn auch recht herzhaft.
›Jetzt heulst du uns auch
noch die Ohren voll‹, schrie der Nikolaus immer zorniger.
Christkindchen aber
hob seine kleine weiße Hand auf, tippte damit dem Nikolaus auf die
Schulter und
sagte: ›So schweige doch stille, du alter Brummbär! Du hast das arme,
kleine
Mädchen ja so erschreckt, dass es gar nicht mehr sprechen kann.‹
Dann
schwebte es zu
Mathildchen hin, das schluchzend den Baum umspannt hielt, und sagte
freundlich,
ach! so freundlich: ›Komm her, mein liebes Kind, fürchte dich nicht,
sondern
sage mir, wie du so ganz allein da in der Nacht zu mir heraufkommst.‹
Während
es so sprach,
schüttelte der Nikolaus zornig mit dem Kopf und band noch emsiger als
zuvor an
seinen Ruten, denn er ärgerte sich offenbar über das Christkind. Das
ließ sich
aber nicht irremachen, führte Mathildchen herein in den Kreis,
streichelte sein
Haar, und als dieses endlich nicht mehr schluchzen musste, sondern
wieder
ordentlich sprechen konnte, sagte es: ›Ach, liebes Christkind, sei mir
nur nicht
böse; ich wollte nicht auf den Böllstein, ich war nur in dem Walde
verirrt, wusste
gar nicht mehr, wo ich war, und lief immer dem Lichte nach, bis ich
hier oben stand.
Ich will auch gar nichts mehr hier ansehen, sondern gleich wieder nach
Hause
laufen, zeige mir nur den Weg.‹
›Wie
kommst du aber so
spät und ganz allein in den Wald?‹ fragte das Christkind weiter.
Da
hing Mathildchen
beschämt den Kopf auf die Schulter und sagte weinerlich: ›Liebes
Christkind,
verzeihe mir, ich war wirklich ein wenig neugierig, darum lief ich aus
meinem
warmen Bett hinauf auf den kleinen Berg hinter unserm Garten, aber dann
wollte
ich wieder nach Hause und habe mich verirrt.‹
›Es
ist doch ein
naseweises Ding!‹ knurrte der Nikolaus, ›des Nachts bleibt man in
seinem Bett
und läuft nicht heraus. Wie gern steckte ich mich in die Federn, wenn
ich nicht
für das Kindervolk die ganze Nacht arbeiten müsste.‹
Mathildchen
schmiegte sich
zitternd an Christkindchen, das aber lachte nur wieder und sprach: ›Er
ist
nicht so böse, als er sich stellt; fürchte dich nicht. Es war freilich
recht
unartig und naseweis von dir, dass du aus dem Bett gelaufen bist, aber
nachher
bist du ohne deine Schuld heraufgekommen, das weiß ich, und weil du
sonst ein
braves, folgsames Kind bist, so will ich dir verzeihen und dir für die
ausgestandene Angst meine schönen Sachen zeigen, und du magst dir davon
auswählen, was dir gefällt!«
Damit
fasste das
Christkindlein Mathildchen bei der Hand, um es im Kreis herumzuführen.
Als der
Nikolaus sah, dass er nichts ausrichten konnte, wollte er wenigstens
sein
Späßchen haben. Er griff in seinen großen Sack, nahm eine Handvoll
Nüsse und
Äpfel heraus und – bums – kollerte er sie dem Mathildchen zwischen die
Füße, dass
es vor Schrecken laut aufschrie und in eiligen Sätzen herüber- und
hinübersprang. Dann bückte es sich schnell und sammelte die Nüsse und
Äpfel in
sein Schürzchen. Christkindchen freute sich über Mathildchens Sprünge,
und auch
der Nikolaus lachte in seinen langen Bart hinein, es lautete aber
so sonderbar, dass man wirklich nicht recht wusste, ob er zanke oder
vergnügt
sei.
Vergnügt
gingen die beiden
weiter. Wie soll ich es euch aber beschreiben, was Mathildchen nun für
Herrlichkeiten sah? Alle die himmelhohen Tannen und Fichten, die den
freien
Platz umstanden, waren von oben bis unten mit den schönsten
Kinderspielsachen
behängt. Da hingen Puppen in roten, grünen, blauen und weißen Kleidern,
mit
Federhütchen auf dem Kopfe, unter denen blonde oder schwarze Locken
herausquollen. Andere Puppen hatten offne lange Haare, fast wie der
Struwwelpeter,
und warteten nur darauf, dass die kleinen lieben Mädchen, zu denen sie
kommen
sollten, ihnen die Haare ringeln oder flechten würden. Diese hatten
auch weiter
gar nichts an als schneeweiße Hemdchen, aber sie standen in einem
großen
Kasten, in welchem rings um sie herum ihre ganze Ausstaffierung lag. Da
waren gestickte
Unterröcke und Beinkleider, weiße Schlafhemden und zierliche
Nachthäubchen,
alle möglichen Kleider von Seide, Wolle und Musselin, dazu schöne
Kragen,
Mäntel, Schals, Hüte, Handschuhe, Stiefelchen und Sonnenschirme – man
brauchte
nur zuzugreifen. Es war ein Staat grade wie für eine große Mama oder
eine
erwachsene Tante.
Für
die
kleinen Knaben war
aber auch gesorgt, da hingen zahllose Wagen und Pferde, Kanonen und
Bleisoldaten, Säbel, Trommeln und Flinten. Unten um die Bäume herum
aber
standen weiße Bettchen für die großen, schön eingerichteten Stuben für
die
kleinen Puppen und prächtige Puppenküchen mit glänzendem Geschirr von
Porzellan, Kupfer und Blech. Daneben prangten Kaufläden und Festungen,
Marställe für die Pferde, Schäfereien und Puppentheater – nein, der
Kopf tut
einem weh, wenn man nur daran denkt, wie musste es erst dem Mathildchen
beim
Sehen zumute werden!
Nachdem
es sich da
satt
geguckt, führte es Christkindchen zu den Felsen, die zwischen den
Bäumen
liegen, da waren denn die niedrigsten auch wieder ganz mit Sachen für
die kleinen
Leute bedeckt. Da lagen Kleidchen und Hütchen, Hosen und Kittel aller
Art,
Mäntelchen und Kapuzen, Stiefel und Schuhe von allen Farben, am
schönsten aber
waren die von blaulackiertem Leder, die das Christkind erst ganz neu
von Paris
hatte kommen lassen. Was aber dem Mathildchen fast am meisten in die
Augen
leuchtete, das war ein ganzer Berg von Bilderbüchern. Gott, wie schön!
Alle
unartigen und alle geschickten Kinder waren da in Menge abgebildet, und
ihre
Geschichte stand in schönen Versen daruntergedruckt. Es bleibt jetzt
gar nichts
Böses mehr verborgen, was die Kinder tun; die ganze Welt kann es lesen,
wenn
Elischen eigensinnig und Sophiechen zornig war, oder wenn der Louis die
Schwester schlägt und der Fritz nichts lernen will. Wer als ungezognes
Kind in
die Bilderbücher kommt, muss sich sehr schämen, aber wer als Artiges
darinsteht, darf sich freuen, das merkt euch wohl.
Nun
wollte aber das
Mathildchen auch sehen, was vielleicht seine Mama und sein Papa, die
Tante, der
Onkel und die Großeltern von dem Christkindchen bekämen. Da fehlte es
denn auch
nicht an den wunderschönsten Sachen. Für die großen Leute war alles auf
den hohen
Felsen ausgebreitet, und gar oft musste Mathildchen sich auf die
Fußspitzen
stellen, um die schönen Kleider, die Uhren und goldnen Ketten, die
Ringe und
Armbänder, die prächtig gebundnen Bücher und herrlichen Bilder sehen zu
können.
Auf einmal aber standen sie einer hohen Wand gegenüber, an der man
nicht mehr
weiter konnte. Sie duftete ganz köstlich, nicht wie Rosen und Veilchen,
aber
für kleine Nasen noch viel süßer und herrlicher. Ja, was war denn das?
Ei,
Kinder, das war ein ganzes Gebirge von Lebkuchen, Anisgebackenem,
Marzipan,
verzuckerten Früchten, Schokolade-Bonbons, Zuckerbrezeln usw. usw.
So viele gute
Sachen hatte
das Mathildchen noch nie in seinem Leben beieinander gesehen, und es
sperrte
vor Erstaunen die Augen so ungeheuer weit auf, dass das Christkindchen
laut
darüber lachen musste.
Es
nahm aus der süßen Wand
von jeder Sorte ein Stückchen und legte es in Mathildchens Schürzchen;
es,
waren aber so viele, dass sie kaum Platz darin fanden, und gar mancher
Apfel
und manche Nuß rollten wieder heraus und blieben unbeachtet an der Erde
liegen.
Christkindchen aber freute sich, dass Mathildchen nicht gleich ohne
Weiteres in
das Marzipan oder den Lebkuchen hineinbiss, sondern hübsch damit warten
wollte,
bis es zu Hause sei.
›Jetzt
komm, mein liebes
Kind,‹ sagte es freundlich, ›nun du alle meine Herrlichkeiten gesehen,
wähle
dir zum Christgeschenk davon aus, was dir am besten gefällt.‹
›Ach,‹ seufzte
Mathildchen, ›liebes Christkindchen, dort oben an dem Baum hängt eine
Puppe mit
blonden Locken, einem Strohhütchen mit einer Pfauenfeder, einer roten
Bluse,
roten Stiefelchen und einem schwarzen Gürtel, an dem eine kleine
Ledertasche
hängt. Diese Puppe gefällt mir am meisten von allen. Sie sieht mir so
bekannt
aus, als ob ich schon lange damit gespielt hätte, die möchte ich gar zu
gerne
haben.‹
›Du sollst sie
bekommen,
mein Kind‹, sagte Christkindchen, schüttelte seine Flügel ein wenig
auseinander, flog hinauf und holte die Puppe, welche ganz oben an der
Spitze
hing, herunter.
›Und was nun noch?‹
›Noch mehr?‹ rief
Mathildchen erfreut, ›ach, dann gebe mir für meine Puppe auch ein
Bettchen, in
dem sie des Nachts neben meinem Bette schlafen kann, und eine
Wärmflasche
darin, damit mein Kind sich nicht erkältet.‹
›Hier, mein Herz‹
sagte
Christkind und reichte Mathildchen eines von den schneeweißen Bettchen
hin, in
dem nicht allein eine Wärmflasche, sondern auch ein schönes langes
Schlafkleid
und ein weißes Nachthäubchen lag. Mathildchen war außer sich vor
Freude; es
drückte bald die Puppe und bald das Bett an sich und hielt dabei sein
volles
Schürzchen fest, dabei sah es so drollig aus, dass selbst der Nikolaus
lachen musste.
›Wie
ist es denn
mit deinen Schuhen?‹ sagte jetzt das
Christkind, ›ich meine, die blaulackierten Schuhe da aus Paris dürften
im
Sommer zu deinem weißen Kleidchen recht niedlich aussehen, die wollen
wir auf
das Puppenbett legen, und eines dieser Bilderbücher wäre für die langen
Winterabende, die noch nach Weihnachten kommen, auch nicht zu
verachten, meinst
du nicht?‹
›Christkind, liebes
Christkind, du gibst mir zu viel, du bist zu gut‹, rief Mathildchen
entzückt
und fiel vor dem Christkindchen auf die Knie und sah es mit ganz
verklärten
Augen an. Aber Christkind hob es wieder auf, fuhr ihm mit seiner weißen
Hand
über die Locken und sprach sanft: ›Du bist dankbar und bescheiden,
meine
Kleine, das ist mir lieb; bleibe nur so, und damit du es bleibst, sei
fleißig und
lerne etwas.
Nimm noch dieses
Büchlein
hier mit den schön gemalten Buchstaben, sieh jeden Tag hinein, und wenn
es
wieder Weihnacht ist, dann musst du so gut lesen können, dass ich dir
eines von
den schönen Lesebüchern schenken kann, die hier stehen. Weil man aber
nicht nur
mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen fleißig sein muss, gebe ich
dir dies
Arbeitskästchen, da sind Nadeln, ein Fingerhütchen und eine Schere
darin, damit
lerne hübsch nähen; und mit den vergoldeten Stricknadeln hier und dem
Klüngel Garn
strickst du bis zum nächsten Jahr für die kleine Schwester ein paar
Strümpfe.
Willst du fleißig und folgsam sein und dir Mühe geben, alles gut zu
machen?‹
Als
das Christkindchen so
sprach, liefen dem Mathildchen wieder wie vorhin dicke Tränen über die
roten
Wangen, aber nicht wie vorher aus Angst, sondern aus Glück und Freude,
und es
rief: ›Herzliebes Christkind, ich verspreche dir das ganze Jahr und
immer brav
und fleißig, folgsam und bescheiden zu sein, sodass du und meine Eltern
und
alle Leute daheim ihre Freude an mir haben!‹
›Nun so
geh jetzt, mein
Kind,‹ sagte Christkindlein, in dem es die Kleine auf die Stirne
küsste, ›die
Sternlein werden blasser, und der Mond ist schon lange schlafen
gegangen. Eile dich,
damit du in dein Bett kommst, sonst erschrickt deine Mama, wenn sie
dich morgen
früh nicht findet!‹ Damit packte es dem Mathildchen seine Siebensachen
zusammen, gab ihm alles unter den Arm, ermahnte es, die Schürze hübsch
zuzuhalten und führte es auf den rechten Weg in den Wald.
Aber,
du lieber Himmel –
auf dem Christkindplatz war es so warm und schön gewesen, da hatte man
nichts
vom Unwetter gemerkt – in dem Walde jedoch schneite es ganz
fürchterlich.
›Liebes
Christkind,‹ rief
Mathildchen, und das Weinen war ihm wieder näher als das Lachen, ›sieh
nur, wie
es schneit; bis ich nach Hause komme, sind meine schönen Sachen alle
verdorben!‹
›Das ist
ärgerlich,‹ sagte
Christkind, ›da schütteln die Engelchen wieder mein Bett auf und jagen
die
Flocken durch den ganzen Wald. Aber ich will schon helfen. He,
Nikolaus!‹
›Weiß schon, was es
soll‹,
brummte der Alte, ging nach den Felsen und holte einen gar hübschen
kleinen
Regenschirm von rotem Zeug herbei, spannte ihn selber auf und reichte
ihn dem
erstaunten Mathildchen hin.
›Den soll ich auch
mitnehmen?‹ sagte es schüchtern, aber seine Stimme zitterte vor Freude.
›Ja, nimm ihn nur,
Naseweischen, ‹knurrte Nikolaus, ›so ein Ding hast du schon lange
gebraucht,
und wenn du jetzt nach Neujahr in die Schule gehst, wird es dir noch
notwendiger sein.‹
›Danke, lieber
Nikolaus,
danke!‹ rief Mathildchen freudig.
›Jetzt bin ich ein
lieber
Nikolaus, ja, so ist's immer, wenn man den Leuten etwas schenkt‹,
schalt er
hinter ihr drein, während sie schon mit eiligen Schritten den Berg
hinablief.
Am
nächsten Morgen konnte
das Mathildchen gar nicht aus dem Bett heraus. Die Mama hatte es wohl
schon
dreimal geweckt, der Bruder stand vor ihrem Bett und rief:
›Langschläfer-Tilla!‹ – und die Lisette versicherte ein über das andere
Mal, dass
sie jetzt Mathildchens Frühstücksmilch der Katze geben werde. Endlich,
endlich
machte das faule Kind die Augen auf, rieb sich den Sandmann heraus und
schaute
verwundert in der Schlafstube umher. Sie sah genau aus wie am Abend
vorher, gar
nichts Neues war darin zu erblicken.
Die
Mama wird alles in das
gute Zimmer getragen haben, dachte Mathildchen, dann rief es laut:
›Lisette,
gib mir einmal meine Schürze, die ist ganz voll mit guten Sachen; ich
brauche
heute Morgen kein Brot zu meiner Milch, ich esse von meinem Guts, und
dem
Bruder gebe ich auch davon.‹
›Was schwatzt das
Kind?‹
sagte die Lisette und sah ihre Madame ganz verwundert und lachend an.
›Du
brauchst mich
gar
nicht auszulachen, Lisette,‹ rief Mathildchen eifrig, ›ich war heute
Nacht oben
auf der Böllsteiner Höhe und habe das Christkind und den Nikolaus
gesehen, und
sie haben mir herrliche Sachen geschenkt, eine prächtige Puppe und
blaue Schuhe
und einen roten Regenschirm und eine ganze Schürze voll Konfekt – Mama,
wo hast
du denn alles hingetan?‹
Das
war
ein Erstaunen –
die Lisette schlug die Hände über dem Kopf zusammen, der Bruder schrie:
›Will
auch gute Sachen und Regenschirm!‹ Die Mutter aber nahm ihr Mathildchen
auf den
Schoß und sagte lachend: ›Du dummes kleines Mädchen! Glaubst du denn,
die Mama
würde ihr Mathildchen in der Nacht auf die Böllsteiner Höhe laufen
lassen, ohne
etwas davon zu merken? Du hast die ganze Nacht hier süß und sanft neben
mir
geschlafen, nur viel zu fest, denn der Papa ist schon längst
ausgefahren zu den
kranken Leuten und konnte dir nur im Schlaf ein Küsschen geben.‹
›Wie,
Mama?‹ rief
Mathildchen und schluchzte laut, ›ich habe keine Puppe und keinen
Regenschirm
und kein Abc-Buch?‹
›Nein, mein Herz, das hast
du nur geträumt, aber, aber,
wenn
du noch zweimal geschlafen, dann ist es Weihnacht, dann kommt das liebe
Christkind von seiner Höhe herunter zu uns, und vielleicht bringt es
dir dann
etwas von den schönen Sachen, die du im Traume gesehen.‹
›Ach, liebe Mama, sage
ihm, dass es mir alles bringt, was es mir schon heute Nacht geschenkt –
es war
gar zu schön!‹
›Wir wollen sehen, mein
Kind!‹
Zwei
ganze Tage lang musste
das Mathildchen noch warten, und während dieser Zeit war es fast
mäuschenstill
und machte nicht halb soviel Lärm als sonst, denn es musste immer an
das
Christkind und dessen Herrlichkeiten denken. Sollte das wirklich alles
nur ein
Traum gewesen sein? Es hatte doch einmal irgendwo ganz deutlich die
Puppe mit
der roten Bluse und auch das schneeweiße Bettchen gesehen, nur wusste
es jetzt
nicht mehr recht, ob droben auf der Höhe oder in Mamas Schrank.
Aber nur Geduld – endlich musste
ja alles kommen! Federn aus Christkindleins Bettchen lagen fast
fußhoch, die
goldnen Sterne flimmerten drüber hin, da schlug die große Glocke auf
dem
Kirchturm fünfmal: bum! bum! bum! bum! bum! Mathildchen und seine
Geschwisterchen
saßen im Wohnzimmer und wagten kaum zu atmen. Es raschelte bald an
dieser, bald
an jener Türe so geheimnisvoll, und endlich war die ganze Familie
versammelt,
der Papa, die Mama, der Onkel, die Tante, die Kathrine und die Lisette.
Noch
einen Augenblick – da
hörte man ein silberhelles Glöckchen klingen, die Saaltüre flog auf,
ach! da
war Mathildchens Traum zur Wirklichkeit geworden!
Vor
ihm stand ein
Christbaum fast so hoch wie die Fichten auf der Böllsteiner Höhe, der
war
vollgesät mit Lichtern, goldnen Äpfeln und Nüssen, Marzipan, silbernen
Kränzen
und bunten Glaskugeln. Auf der einen Seite des Baumes stand der
Nikolaus, ganz
so wie ihn Mathildchen im Traume gesehen, mit dem Pelzrock, der
Pelzmütze und
einer großen Rute in der Hand, nur machte er ein freundlicheres Gesicht
als
damals, denn am Weihnachtsabend, mit dem
besten Willen nicht verdrießlich bleiben. Auf der andern Seite des
Baumes aber
stand das liebe goldige Christkind und mochte den Kindern auch noch ein
wenig
bange sein vor dem Nikolaus, so verging ihnen schnell alle Furcht, wenn
sie in
sein freundliches Gesicht und seine guten blauen Augen schauten.
›Ach,
liebes Christkind,
bin ich denn wirklich nicht bei dir gewesen?‹ rief Mathildchen,
›geradeso wie
jetzt bist du mir doch erschienen!‹
Da
lächelte Christkind,
legte den Finger auf den Mund, schüttelte seine Flügel auseinander und
– weg
waren sie beide! Die Kinder standen da und starrten die leere Stelle
an, wo sie
gestanden.
›Sie
sind zum Fenster
hinaus, Kinder,‹ sagte die Mama, ›Papa, mache wieder zu, es kommt kalt
herein!‹
Der
Vater schloss das
Fenster, und die Kinder fingen jetzt laut zu jubeln an. Da stand ja
wahrhaftig
alles beieinander, was Mathildchen im Traume geschenkt bekommen hatte –
die
Puppe, das Bett, die blauen Schuhe, das Abc-Buch, das Arbeitskästchen,
das
Strickzeug, der rote Regenschirm – nichts fehlte, und am wenigsten die
guten
Bissen, die ihm Christkindchen in die Schürze gesteckt.
›Papa,
Mama,‹ rief es
entzückt, ›es ist alles da! gewiss habe ich unterwegs beim Heimlaufen
die
schönen Sachen verloren, und Ihr habt sie wiedergefunden!‹
›Richtig,‹ sagte die Mama,
›so wird es sein. Alles kommt zur rechten Zeit – aber‹ – und sie drohte
dabei
mit dem Finger – ›nur nicht mehr, wenn es wieder Weihnacht wird, ein
naseweises
Mädelchen sein!‹ –
Das wirkliche Mathildchen
atmete tief auf, nachdem die Tante geendet, und sagte: ›Die
Christbescherung auf
der Böllsteiner Höhe möchte ich aber doch auch einmal sehen.‹
›Geh,
‹antwortete die
Tante,› du bist ein kleiner Furchthase und würdest dich gar nicht
getrauen, in
die Nähe des Nikolaus zu gehen. Ich glaube fast, heute Abend kommt er
hierher.‹
Husch,
saßen Georg und Mathildchen auf der Tante
Schoß, weil sie sich da sichrer glaubten, und sie hatte wirklich recht.
Es
rasselte an der Tür und schlug mit einer Rute daran, man hörte es ganz
deutlich. Dann ging die Türe ein wenig auf, und der Nikolaus rief mit
seiner
brummigen Stimme herein: ›Sind hier die Kinder geschickt?‹ Und zugleich
rollte
er eine ganze Ladung von Äpfeln und Nüssen ins Zimmer.
Georg
und Mathildchen nahmen
die Tante fest um den Hals, die aber sagte: ›Die Kinder sind recht lieb
und
brav, Nikolaus.‹
›Dann
sollen sie
hierherkommen und mir ein Händchen geben und einen Vers aufsagen!‹
Die
Tante stand auf, die
Kinder drückten sich immer noch scheu an sie, gingen aber doch mit bis
zur
Türe.
›Nun,
Mathildchen, ‹sagte
die Tante,› gib jetzt dem Nikolaus eine schöne Hand und sage den
Christkindvers, den ich dich gelehrt.‹
Mathildchen
streckte
zitternd ihre Hand durch die Türspalte, da strich ihr der Nikolaus mit
der Rute
darüber, dass sie schreiend wieder zurückfuhr.
›Tut nichts, ‹rief
die
Tante lachend, ›sage nun deinen Vers‹, und Mathildchen begann:
›Liebes
Christkind, lass
mich sein
Stets wie du so
fromm und
rein,
lass mich auch so
gerne
schenken
Und so gut für
andre
denken,
Wie du selbst tust
weit
und breit
in der goldnen
Weihnachtszeit!‹
›Schön,
brummte Nikolaus
durch den Türspalt,› strecke jetzt noch einmal die Hand heraus!‹
Mathildchen gehorchte, und
jetzt berührte statt der Rute etwas Weiches ihre Hand, und als sie
dieselbe
hereinzog, hielt sie ein großes Lebkuchenherz fest.
›Will
auch, <
rief
Georg,› kann aber keinen Vers sagen!‹
›Das
sollst du auch nicht, sei aber nur nicht mehr eigensinnig, sonst gibt's
Schläge!‹ so brummte es wieder durch die Türe.
Georg streckte nun auch
die Hand hinaus, die erst ein bisschen mit der Rute gestreichelt wurde,
dann
aber ein großes Stück Anisgebacknes erhielt.
›Gute Nacht! Jetzt gehe
ich wieder fort‹, rief der Nikolaus noch herein, dann hörte man ihn mit
seinen
schweren Pelzstiefeln forttappen. Im Hof aber gab es noch ein großes
Geschrei,
denn da hatte er der Lisette, die ihn necken wollte, tüchtig die Rute
gezeigt.
–
»Jetzt
aber schnell ins
Bett, Kinder,« rief die Tante, »es ist die höchste Zeit!«
Luise
Büchner
________________________________
Geschichte: "Die
Geschichte vom kleinen naseweisen Mädchen",
Luise Büchner,
Weihnachtsmärchen
aus Darmstadt und dem
Odenwald, Darmstadt 1980, S. 49-65, gemeinfrei
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137: "A
Christmas Story"
- Viggo
Johansen, spätestens 1935,
gemeinfrei