Achte
Erzählung
Die Geschichte vom Weihnachtsmarkt
Am
Tage vor Weihnachten war das Wetter hell und
klar, und der Schnee war festgefroren. Da sagte die Tante zu den
Kindern:
»Heute führe ich euch auf den Weihnachtsmarkt, lasst euch nur schnell
die
Mäntelchen anziehen und die Hütchen aufsetzen!«
Das
brauchte sie nicht zweimal zu sagen; in einem
Augenblick waren die Kinder fertig, und nun ging es hinaus in den
frischen,
klaren Morgen. Man dachte aber gar nicht an die Kälte, denn in den
Straßen war
ein so geschäftiges Hin- und Herrennen, ein so hastiges Treiben, als ob
der
schönste Frühlingstag angebrochen wäre. Und fast ein Frühlingsanblick
war es
auch, als die Tante nun mit den Kindern in die Straße einbog, welche
zum Markte
führt. Sie hielt Georg und Mathildchen an beiden Händen und so gingen
sie durch
zwei lange dichte Reihen von Fichten- und Tannenbäumen aller Art, groß
und
klein, hell- und dunkelgrün, die sich prächtig ausnahmen auf dem
weißen,
funkelnden Schnee. Um die Bäume herum war
ein Drängen und Schieben der Menschen, dass man kaum vorbeikonnte, und
überall
begegnete man Leuten, die ihre Bäume nach Hause trugen.
»Aber,
Tante,« sagte Mathildchen, »ich dachte,
das Christkindchen bringt alles, und nun holen sich doch da die
Menschen ihre
Christbäume selbst nach Hause.«
»Das ist wahr,« sagte die Tante, »aber du
vergissest, dass sie das Christkind alle hierher geschickt, und
unsichtbar geht
es jetzt mit dem Nikolaus umher und sieht und hört alles, was hier
vorgeht. Es
gibt jetzt so sehr viele Menschen auf der Welt, dass die beiden mit dem
besten
Willen nicht mehr alle Geschäfte allein fertigbringen können, und da
müssen sie
sich schon von den großen Leuten ein wenig helfen lassen. Verstehst du
das?«
»Ja, Tante, ganz gut«, antwortete Mathildchen,
und befriedigt gingen sie weiter nach dem Markte, wo eine Bude neben
der andern
stand, angefüllt mit begehrenswerten Herrlichkeiten. Auch da ging es
munter zu,
und namentlich vor den Puppenladen standen ganze Reihen von Kindern,
die
zusahen, wie die Puppen sich an langen Fäden hin und her schaukelten.
Georg
und Mathildchen sperrten Mund und Nase auf,
die Tante aber ging bald da, bald dort an eine Bude, sprach leise
einige Worte
und ließ dann geheimnisvoll etwas in ihre große Markttasche gleiten.
»Tante,
kaufe mir auch etwas,« bat Mathildchen,
»die Puppe mit dem rosa Kleid möchte ich gerne haben, die gefällt mir!«
»Mir auch kaufen, eine Peitsche!« rief Georg.
»Ihr seid klug,« sagte die Tante, »ihr wollt also
schon heute und morgen noch einmal beschert haben?«
»Ja, Tante, recht gern!« rief das kleine,
mutwillige Volk und – was wollte die gute Tante machen? Sie kaufte die
Puppe
und die Peitsche, und als sie erstere gerade dem Mathildchen hinreichen
und in
die ausgestreckte Hand geben wollte, hörte sie hinter sich sagen: »Ach,
wenn
doch die schöne Puppe mein wäre!«
Sie sahen sich alle
um, da stand ein Häuflein
Kinder beieinander, vier oder fünf, die waren ganz blau und rot
gefroren, denn
sie hatten nur schlechte dünne Kleider an, und der Wind zerzauste ihre
gelben
unbedeckten Haare. Das Kind, welches gesprochen, war ein wenig kleiner
als
Mathildchen und streckte immer noch die Hand nach der Puppe aus,
obgleich die
größeren es am Rocke zupften und ihm wehrten. Ach, es hätte doch gar zu
gern
auch einmal in seinem Leben eine schöne neue Puppe gehabt, aber es
waren arme
Kinder, für die niemand den Christbaum schmückte, und die sich mit dem
bloßen Ansehen
und Wünschen begnügen musste.
»Möchtest
du die Puppe haben?« sagte die Tante
freundlich zu dem kleinen Mädchen, und Mathildchen zog sie am Kleid und
flüsterte:
»Liebste Tante, kaufe dem Kinde doch auch eine!«
Die
Tante aber schüttelte den Kopf, und da das
kleine Mädchen nicht antwortete, sondern verschämt wegsah, fragte sie
den
größten Knaben, ob sie Geschwister seien, wie sie hießen und wo sie
wohnten? Er
gab auf alles ordentlich Antwort, die Tante schrieb es in ihr
Notizbuch, dann
nickte sie den Kindern freundlich zu und ging weiter.
»Aber
Tante –« sagte Mathildchen ganz erstaunt.
»Komm nur schnell,« lautete die Antwort, »es ist
viel zu kalt, um lange stillzustehen, und wir haben noch eine Menge
Geschäfte.
Nicht wahr, Mathildchen, die Puppe mit dem rosa Kleid gibst du gern dem
kleinen
Mädchen, und Georg überlässt seine Peitsche dem dicken Jungen mit der
Schmutznase, der gerade so groß ist wie er?«
»Ja, Tante, sehr gern!« riefen die Kinder, »aber
sie sind ja nicht mehr da, wir haben sie im Gedränge verloren!«
»Nur Geduld, sie werden sich schon wiederfinden.
Da hat uns das unsichtbare Christkind einen Teil seiner Arbeit
übertragen, und
wir müssen uns eilen, dass wir unsere Sache gut machen. Ihr werdet
schon sehen,
wie das ist.«
Nun
kaufte die Tante noch allerlei hübsche
Spielsachen ein, auch einige
warme Kleidungsstücke, dann verschiedenes Gebackene, Glaskugeln,
Wachskerzchen
und zuletzt ein kleines Bäumchen, das Mathildchen zu ihrer höchsten
Freude
eigenhändig nach Hause tragen durfte. Das kleine Volk verging fast vor
Neugierde, was es mit all den Dingen geben sollte, die Tante sagte aber
nur:
»Wartet bis heute Abend!«
Der Abend kam und mit ihm die trauliche Erzählerstunde.
Die Kinder saßen eng an die Tante gedrückt, und Georg seufzte so recht
aus
Herzensgrund: »Ach, jetzt brauchen wir nur noch einmal zu schlafen« –
»und dann
ist das liebe Christkindchen da!« fuhr Mathildchen fort und klatschte
dabei
jubelnd in die Hände. »Aber Tante, was erzählst du uns denn heute?«
»Heute
erzähle ich euch eine Geschichte vom
Weihnachtsmarkt, die ist noch viel schöner, als die unsrige werden
wird; hört
mir recht aufmerksam zu:
Vor
vielen, vielen Jahren, als ihr noch lange
nicht auf der Welt waret, ist der Weihnachtsmarkt schon ebenso schön
gewesen
wie heute, und alle Kinder der Stadt, die armen wie die reichen, gingen
hin,
sich die Herrlichkeiten zu betrachten. Das Christkind hatte schon
damals die
Gewohnheit, sich unbemerkt unter die Menge zu mischen; über sein weißes
Kleid
hatte es einen langen dunklen Mantel gezogen, und sein Blondköpfchen
hielt es
unter einer Kapuze versteckt. Niemand konnte es erkennen, und so hörte
es, was die
Leute miteinander redeten und was sie sich wünschten. Vornehmlich aber
merkte
es auf die Kinder, ob sie sich bescheiden oder habgierig und unartig
auf dem
Weihnachtsmarkt benahmen. Gegen Abend kam es an eine Bude, in welcher
die
schönsten Kinderspielsachen des ganzen Marktes zu finden waren; und sie
war
ganz umdrängt von Kindern, die voll Sehnsucht und Bewunderung die
wundervollen
Puppen, die Kochherde, die zierlichen Porzellangeschirre, die
Puppenmöbel,
sowie die bunt aufgezäumten Pferdchen, die Flinten, Trommeln und
Trompeten
betrachteten. Eines machte das andere auf immer neue
Wunder aufmerksam, und Christkind freute sich an ihrer Freude und
lachte
fröhlich mit ihnen. Auf einmal sah es ganz am Ende der Bude ein kleines
Mädchen
von etwa zehn Jahren stehen, das einen schweren zappelnden Buben auf
dem Arm
hielt, der fortwährend in die Höhe reichte, sodass die Kleine große
Mühe hatte,
ihn festzuhalten.
Sie
musste sehr arm sein, denn sie hatte ein ganz
dünnes Röckchen an, und ihre Arme waren halb entblößt, aber das Haar
war
ordentlich gekämmt und in zwei feste Zöpfe geflochten, unter denen ein
Paar
dunkelblaue Augen gar gutmütig und freundlich hervorschauten. Sie
lächelte bald
dem Brüderchen zu, bald betrachtete sie die schönen Dinge mit einer
Freude, dass
man sich selber darüber freuen musste. Christkindchen ging zu dem
Mädchen,
legte ihm leise die Hand auf die Schulter und sagte mit seiner süßen
Stimme:
›Liebes Kind, die Sachen da gefallen dir wohl sehr gut, wähle dir etwas
davon
aus, was du am liebsten haben möchtest, ich will es dir zum
Weihnachtsgeschenke
geben.‹
Das
Kind ward dunkelrot vor Freude, seine Augen
leuchteten, und sein Blick durchlief die bunte Reihe, die vor ihm
prangte. Da
reichte das Brüderchen wieder jauchzend mit dem Händchen empor. Das
Mädchen
drückte das Kind an sich, folgte seinem verlangenden Blick und sagte
dann
schüchtern, indem es die Augen niederschlug: ›Wenn Sie mir wirklich
eine Freude
machen wollen, so geben Sie meinem Brüderchen die goldglänzende
Trompete, die
da oben hängt, es möchte sie gar zu gern haben.‹
Dem
guten Christkind kamen die Tränen in die
Augen, als es das hörte. Das war ein Kind nach seinem Sinn. Es gönnte
dem
Brüderchen lieber eine Freude als sich selbst. Schnell nahm Christkind
die
Trompete herunter, reichte sie dem Brüderchen hin, das hellauf lachte,
und ging
weiter.«
»Da
hätte doch das Christkind dem guten Mädchen
auch etwas geben können!« rief Mathildchen eifrig.
»Sei nur ruhig und höre weiter zu: Christkind
machte es noch viel besser. Da es alle Menschen kennt, so wusste es,
dass das
brave Schwesterchen, welches seinen Bruder so lieb hatte, Mariechen
hieß, dass
seine Eltern sehr arm waren, und dass sie ganz am Ende der Stadt in
einem alten
kleinen Häuschen wohnten.
Am
nächsten Abend war Weihnacht. Schon flammten
überall die Christbäume, es jauchzten und lärmten die Kinder, in dem
kleinen
Häuschen aber war es dunkel und still.
›Wir
sind zu arm, wir können das Christkind nicht
bestellen‹, sagte die Mutter zu ihren fünf Kindern, als sie beieinander
saßen
und eines derselben fragte, ob denn das Christkind nicht auch zu ihnen
käme?
Dabei weinte sie, und die Kinder taten es auch. Nur der kleine Bruder
war
vergnügt, der schmetterte laut auf seiner Trompete, und das gute
Mariechen,
welches das älteste der Geschwister war, weinte auch nicht und sagte:
›Ach, wir
sind doch vergnügt, wir haben einander ja so lieb.‹
Auf
einmal aber ward es lebendig vor dem kleinen
Hause; es klingelte so sonderbar und leise durch die dunkle Nacht, und
da kam
ja wahrhaftig ein Eselein einhergetrabt, neben dem ging ein dunkler
Mann mit
einem langen weißen Bart, und auf dem Esel saß ein wunderschöner Engel
mit
weißen glänzenden Flügeln und einem lichtblauen Gewande, das war wie
der
Winterhimmel mit flimmernden Sternen ganz übersät. Das konnte ja wohl
niemand
anders sein als unser liebes Christkind mit seinem getreuen Knecht
Nikolaus.
Der band das Eselchen an die Türe fest, Christkind stieg ab, machte
leise die
Türe auf, und Nikolaus trug die schweren Tragkörbe, die er dem Esel
abgenommen,
in das Haus hinein.
In
der Küche stellten sie alles nieder, dann
schellte Christkind laut und lange, dass sie drinnen in der Stube alle
in die
Höhe fuhren und nach der Türe liefen, um zu sehen, was das bedeute. Das
es so
kommen würde, hatte sich der Nikolaus schon gedacht; er stand darum
vor der Stubentüre und rief, als sie
aufging, mit seiner Bärenstimme hinein: ›Es soll niemand herauskommen
als das
Mariechen!‹
Da
flohen alle voll Furcht wieder zurück, und nur
Mariechen kam unerschrocken heraus und sagte: ›Da bin ich, was soll ich
tun?‹
›Komm
in die Küche!‹ brummte der Nikolaus jetzt
etwas sanfter, und als sie hineinkam, da war diese ganz erfüllt von dem
wunderbarsten Glanze, und Mariechen sah das Christkind leibhaftig vor
sich stehen.
Nun erschrak es so sehr, dass es fast umgefallen wäre. Christkind aber
fasste
es in die Arme, küsste es auf die Stirne und sagte: ›Kennst du mich
noch?‹ –
und als Mariechen erstaunt mit dem Kopfe schüttelte, fuhr es fort:
›Aber ich
kenne dich, so wie ich alle guten und braven Kinder kenne. Ich war die
Frau,
die dir gestern auf dem Weihnachtsmarkt die Trompete für den Bruder
gab, weil
du ihm lieber eine Freude gönntest als dir selbst, und darum komme ich,
um
heute auch dir ein Vergnügen zu bereiten. Weil du so gerne gibst,
sollst du jetzt
deinen lieben Geschwistern und deiner Mutter an meiner Stelle
bescheren. Ist
dir das recht?‹
Das
gute Mariechen schluchzte laut vor Freude: ›O
Christkind,‹ rief es, ›so viel verdiene ich ja gar nicht.‹
›Weine
jetzt nicht, Mariechen, sondern eile dich,
wir müssen wieder fort,‹ sagte Christkind, ›gehe hinein in die Stube
und
schicke sie alle in die Kammer, damit wir anfangen können.‹
Mariechen
wusste nicht, ob es träume oder wache,
aber es lief hinein in die Stube und rief zwischen Weinen und Lachen:
›Macht
euch schnell alle hinein in die Kammer und guckt ja nicht durchs
Schlüsselloch,
es kommt etwas sehr Schönes!‹
Die
Mutter wollte fragen, aber Mariechen bat sie
so herzlich, mit den Geschwistern hineinzugehen, dass sie sich fügte.
Dann
schloss Mariechen schnell die Türe hinter ihnen zu, lief in die Küche,
dann
wieder herein und holte auf
Christkinds Geheiß ein weißes Tuch aus dem Schrank, das es über den
alten
schwarzen Tisch breitete. Nun fing der Nikolaus an auszupacken und
seine
Siebensachen in die Stube zu schleppen. Mitten auf den Tisch stellte er
einen
Christbaum, der war über die Maßen schön geschmückt und mit Lichtern
ganz
übersät. Der Baum stand in einem Moosgärtchen, darin weideten weiße
flockige
Schafe mit goldnen Halsbändern und langen roten Beinen, und ein Schäfer
saß auf
einem Felsen und blies auf seiner Schalmei, man hörte es aber nicht.
Dann
wurden um den Baum herum große Herzlebkuchen gelegt, für die Mutter und
jedes
der Kinder einer. Auf jedem schichtete Christkind ein Häufchen Äpfel,
Nüsse und
Anisgebacknes auf und legte die Pakete daneben, die Nikolaus ihm
reichte. Da
war für die Mutter ein warmes Tuch, für Gretchen ein Kleidchen und eine
schöne
Puppe, für Hans eine Mütze und ein Lesebuch, für Jakob ein Kittel und
eine
Flinte und für den kleinen Trompeter, der spaßigerweise auch gerade
Peterchen
hieß, warme Schuhe und Strümpfe und ein Paar wunder nette Pferdchen mit
roten
Zäumen.
Mariechen
half auspacken und auflegen und war
ganz außer sich vor Freude. Als sie fertig waren, sagte Christkind:
›Für dich,
Mariechen, habe ich nichts, was meinst du dazu?‹
›Oh,
liebes Christkind,‹ rief Mariechen und hob
die gefalteten Hände in die Höhe, ›ich bin doch die Glücklichste von
allen; du
gibst mir das Schönste und Beste, indem ich den andern bescheren und
ihre
Freude sehen darf.‹
›Recht
so, meine Kleine,‹ antwortete Christkind
und küsste Mariechen wieder auf die Stirne, ›bleibe so gut und
liebevoll, und
es wird dir wohlgehen auf der Erde, und alle Menschen werden dich
lieben!‹
›Wir
müssen fort,‹ mahnte Nikolaus, ›wir sind
noch lange nicht fertig.‹
›Ich
komme schon, alter Brummbär‹, sagte
Christkind, breitete seine Flügel auseinander, lächelte Mariechen
noch einmal freundlich zu und – fort
waren sie. Nur ganz aus der Ferne hörte man noch Eselchens Glöcklein
erklingen.
In
dem engen Häuschen aber erhob sich jetzt ein
Jubeln und Jauchzen, wie es in keinem der reichen stattlichen Häuser
froher und
herzlicher sein konnte. Auf Mariechens Ruf waren alle aus der dunklen
Kammer
herausgestürzt, standen erst einen Augenblick wie versteinert, und dann
brach
die helle Freude los.
›Ach,
was für ein schönes Kleid! – Wie, eine
Flinte für mich? Ich schieße euch alle tot: Piff, paff, puff! – Ein
Buch, ein
Buch! Daraus lese ich euch vor! – Zieh, Gaul, zieh!‹ So ging es wohl
eine
Viertelstunde lang ohne Aufhören, man wurde fast taub von dem Lärmen.
›Aber Mariechen, du hast ja gar nichts‹, riefen
auf einmal die Geschwister, nachdem sie sich an ihren Geschenken und
dem
strahlenden Christbaum satt gesehen.
Die
Mutter, die bis dahin nur bald gelacht, bald
geweint hatte, nahm ihr Mariechen in den Arm, küsste und drückte es
fest an
sich und sagte zu den andern: ›Seht ihr nicht, dass sie das Beste
bekommen hat!
Weil sie so gerne gibt, durfte sie uns geben, und das ist immer noch
zehnmal
seliger als nehmen.‹« –
Wie nun die Tante schwieg, denn die Geschichte
war zu Ende, blieben die Kinder noch ein Weilchen stille sitzen, dann
sagte
Mathildchen: »Tante, ich möchte die rosa Puppe, welche du mir heute
gekauft
hast, gerne dem kleinen Mädchen bescheren, das wir heute auf dem Markt
gesehen.
Wenn wir nur wüssten, wie es heißt und wo es wohnt!«
»Und ich will die Peitsche bescheren!« rief
Georg.
»Wollt ihr gerne?« sagte die Tante; »nun, das ist
schön, da haben wir ja alle drei den nämlichen Gedanken, und ich weiß
auch, wie
die Kinder heißen und wo sie wohnen. Heute Abend erlaubt euch die Mama,
ein
Stündchen länger aufzubleiben; da sollt ihr mir eine ganze
Weihnachtsbescherung
für sie rüsten helfen!«
Georg
und Mathildchen klatschten vor Freude in
die Hände und liefen geschäftig
hin und her, der Tante zu helfen. Erst wurde das Tannenbäumchen
hereingebracht,
welches sie auf dem Markte gekauft hatten, wurde in ein Moosgärtchen
gesteckt,
in dem gleichfalls rotbeinige Schafe weideten, und hernach wurde
feierlichst
die große Tasche herbeigeschleppt, die so viele Schätze verschlungen
hatte und
die sie nun alle wieder herausgeben musste.
Die Kinder bekamen Nadeln und Faden, damit
fädelten sie die Glasperlen ein, dann wickelten sie feinen Draht um die
goldnen
und silbernen Nüsse und knüpften lange Seidenfäden an die
Konfektstücke. Die
Tante hing alles auf, befestigte die Kerzchen an dem Baume, und bald
stand er
fertig geschmückt vor ihnen. Dann wurden die Spielsachen und
Kleidungsstücke,
welche die Tante besorgt hatte, herbeigeholt, für jedes Kind wurde ein
Päckchen
gemacht und sein Name darauf geschrieben. Dass die rosa Puppe und die
Peitsche
mit dabei waren, versteht sich von selbst.
Sie
waren kaum fertig, als es anklopfte und eine
Frau hereintrat, die gar ärmlich, aber reinlich gekleidet war. Die
Tante
begrüßte sie freundlich und sagte zu ihr: »Liebe Frau, da haben wir,
mein
Mathildchen, mein Georg und ich, eine kleine Christbescherung für Ihre
Kinder
hergerichtet. Nehmen Sie alles mit sich, verstecken Sie es daheim, und
morgen Abend,
wenn es fünf Uhr schlägt, zünden Sie den Kinderchen den Christbaum an,
da brennt
er gerade zur selben Zeit mit dem unsrigen.«
Die
Frau war überglücklich; sie drückte der Tante
die Hand, küsste Georg und Mathildchen und packte dann mit deren Hilfe
alles
wohl zusammen.
Nun
waren aber die Kinder sehr müde sowie die
Tante auch. Sie setzte sich mit ihnen noch einen Augenblick auf das
Sofa und
nahm jedes in einen Arm, da sagte Mathildchen, indem es sein Köpfchen
an die
Schulter der Tante legte: »Tantchen, ich bin so vergnügt! Ich denke gar
nicht
mehr daran, dass morgen schon Weihnachten ist, ich meine, es habe mich
schon
beschert!«
»Ich bin auch
vergnügt, mein Goldkind,« antwortete die Tante,
»denn das gibt eine Bescherung nach meinem Sinn. Aus den großen
allgemeinen
Bescherungen, wo die armen Kinder in fremden Häusern und unter den
Augen von
fremden Leuten in einen Saal mit einigen Christbäumen getrieben werden,
wo sie
sich kaum umzusehen, noch weniger sich laut zu freuen wagen, und dann,
wenn sie
heimkommen, ihr dunkles Stübchen noch dunkler finden, mache ich mir im
Grunde
nicht viel. Wenn ich ein König wäre, müsste am Weihnachtsabend in jedem
Häuschen, wo Kinder sind, ein Christbaum brennen, und wäre er auch
nicht größer
als meine Hand!«
Die
Tante sagte das eigentlich nur für sich, denn
die Kinder hätten es doch nicht verstanden und waren auch schon halb
eingeschlafen. –
Als
es aber wieder Abend ward, da brauchte die
Tante nichts mehr zu erzählen, denn da war der heilige Christ selber
gekommen
und hatte alle Wünsche, Träume und Hoffnungen in glückselige
Wirklichkeit
verwandelt. Georg und Mathildchen waren außer sich vor Freude, sie
wussten
kaum, was sie zuerst und am meisten bewundern sollten. Mathildchen
stand vor
einer herrlichen Puppenküche und war bereits in voller Tätigkeit, einen
Kuchen
zusammenzurühren, da rief sie plötzlich aus ihrem Jubel heraus: »Ach
Tante,
eben denke ich dran! Jetzt ist es auch hell bei den armen Kindern und
beschert
es bei ihnen. Das ist doch noch das Allerschönste!«
»Ja,
das Allerschönste!« wiederholte der Georg
von seinem neuen Schaukelpferde aus.
Luise
Büchner
oben