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04.w2
Weihnachten
Märchen
und Geschichten

Christblume
I.
A.
Vollmar
Lobt
den
Herrn der Welt!
Er
tränkt die Flur, er labt das Feld,
Er
schmückt das Blümlein, speist den Wurm
Und
segnet auch im Wettersturm
Fern
vom
Dorfe, da wo die Bäume eine große Familie bilden, welche „Wald“ heißt,
steht
ein einsames Haus, oder vielmehr eine Hütte. Wer es gebaut und früher
darin
gewohnt hat, weiß ich nicht, im Jahre 1877 aber lebte Meister Norden
mit seinem
siebenjährigen Sohne dort, von Wenigen gekannt, mit Wenigen verkehrend.
Er war
vor etwa einem Jahre hierher gekommen und hatte das leere baufällige
Häuschen
um ein billiges gemietet; lieber als mit Menschen verkehrte er mit
Bäumen und
besonders waren es die bescheidenen, grauen Weiden dort am Bache mit
den biegsamen, rötlichen Zweigen, welche Meister Norden liebte;
sie ließen sich auch von seinen geschickten Händen zu allerlei Körben
flechten,
ja sogar zu kleinen Wagen hatten sie sich willig gefügt. Die Hausfrauen
in den
nächsten Dörfern kauften gern diese Arbeiten des bescheidenen Meisters
und für
den Erlös derselben erwarb er, was er an Nahrung und Kleidung für sich
und sein
Kind bedurfte.
So
lebte
er still und bescheiden, fast unzertrennlich von seinem kleinen
Rudolph, der
erst kurz vor seiner Herkunft von schwerer Krankheit genesen, noch
keine Schule
besuchte, kaum einen anderen Menschen als seinen lieben Vater zu kennen
schien.
Wie schön war es, wenn der ihm im Frühling Pfeifen und Schalmeien aus
Weidenzweigen schnitt, die, wenn alle anderen noch schliefen, schon
Knospen
trieben; zuerst hingen die braunen Schalen an den Zweigen, plötzlich
sprangen
diese auf und kleine „Lämmchen“, weich wie Seide, blickten aus der
dunkeln Hülle.
Zu denen kamen hungrige Bienen auf Besuch und tranken gar zierlich aus
den
goldenen Staubblüten. Nach und nach belebte sich der angrenzende Wald
mehr und
mehr: in dem riesengroßen Vater Eichbaum bauten fröhliche Vögel ihr
Nest, die
sorgsame Mutter Buche reichte den behenden Eichkätzchen schöne braune
Nüsse und
ließ auch für den kleinen Rudolph manch eine fallen, und unten aus dem
Heidelbeerdickicht schauten die blauen Beeren den Jungen gar verlockend
an und
luden ihn wie die Rothkehlchen und die andern Vögel zur offenen Tafel.
Ja, die Letzteren
sammelten nur ins Tröpfchen, Rudolph aber auch ins Töpfchen, oder
vielmehr ins
Körbchen, – dass dann solch ein gefülltes Körbchen beim Verkauf noch
einige
Pfennige mehr eintrug, als ein leeres, war selbstverständlich. Später
wurden
Haselnüsse gesammelt, dazwischen stets aber trockenes Holz, sogenanntes
Reisig,
mit heimgenommen, um im Winter das Stübchen zu heizen und das Essen
damit zu
kochen.
Es
war
eine schöne Zeit und Rudolph wusste kaum, was er am liebsten sammelte:
Kräuter,
Beeren, Nüsse oder Holz. War ja doch immer sein Vater bei ihm und
erzählte ihm
wunderschöne Geschichten von den Gewächsen und Tieren des Waldes, vom
Wurm in
der Haselnuss und von dem plaudernden Bache, von der Sonne und den
Sternen und
von dem ewigen Gott, der den Himmel und die Welt und auch den Rudolph
erschuf
und ihn mit Vaterliebe erhält und behütet. Wenn nun auch der Winter
herein
brach, die Blumen verblüht waren, das zuletzt goldig aussehende Laub
der Bäume
am Boden lag, und die Sonne schon früh am Nachmittag zu Bett ging, – es
war
auch schön in der kleinen Stube, an deren Fenster Eisblumen blühten,
dicht
neben den grünen Mooskränzen, mit denen der Vater die Spalten verstopft
hatte,
und wenn auch der Wind rings um das Häuschen pfiff, und den Schnee vor
der Thür
zu hohen Bergen zusammenwehte, – im Ofen knisterte das im Herbst
gesammelte
Reisigholz und der Vater war lieb und freundlich wie immer.
Nur
nicht
mehr so fleißig wie sonst, die arbeitsamen Hände hielten oft inne, er
hustete
viel und musste es immer noch hinausschieben, den großen Baumstamm, den
er vom
Förster gekauft, zu zersägen. „Wenn mir erst wieder wohler ist,“ sagte
er zu
Rudolph, „und mittags die Sonne schön scheint, dann zersäge und
zerhacke ich
den Stamm und Du hilfst mir dabei.“ Aber er wurde nicht wohler, und die
Kälte
wurde immer größer, der Reisighaufen immer kleiner. Und jetzt, –
Rudolph wusste
nicht, was für ein Tag es war, aber dass das schöne Weihnachtsfest
nahte, das
wusste er, – war Meister Norden schon seit zwei Tagen nicht mehr
aufgestanden,
sah seltsam rot im Gesicht aus und sprach allerhand, was Rudolph nicht
verstand; er gab auf des Kindes Fragen keine Antworten, doch sagte er
mehrere
Mal: „Koche Suppe! Koche Suppe!“
Rudolph
war ein anstelliges Kind, konnte Feuer machen und auch zur Not das
einfache
Essen bereiten, er heizte ordentlich ein; denn er selbst fror tüchtig,
der
Vater aber war sehr warm, ja heiß! Von der Suppe jedoch, die Rudolph so
schön
gekocht, wollte er nicht essen, lag überhaupt heute so still und war
ganz
anders als sonst. Vergebens fragte das Kind den Vater allerlei, er
antwortete
nicht. Draußen tobte der Wind immer wilder ums Haus, knackte die dürren
Zweige
von den Bäumen, drinnen atmete der Vater so schwer und unheimlich, –
dazwischen
das Kind, dem Vater immer wieder Teller und Löffel zur Suppe bietend.
Einmal
kam das Gefühl des Verlassenseins über Rudolph, aber dann erinnerte er
sich,
wie der Vater ihm so oft gesagt: „Wenn ich auch einmal nicht bei Dir
bin und
nicht höre, was du sagst: Gott, Dein treuer Vater, ist immer bei Dir
und hört,
was Du ihn bittest.“ Und er faltete seine Hände und betete:
Müde
bin
ich, geh zur Ruh,
das
liebe
Kindergebet, gar andächtig mit lauter Stimme bis zum Schluss:
„Kranken
Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu!
Nimm uns endlich allzumal
Auf in Deinen Himmelssaal,“
ohne
zu
ahnen, wie bald Gott zu diesem Gebet Ja und Amen sprechen wollte.
Sanft
und
ungestört hatte der Knabe geschlafen; als er am andern Morgen erwachte,
war es
still im Zimmer, still auch draußen. Der Sturm hatte sich gelegt, der
Vater
schlief noch immer. Eingedenk der schon seit mehreren Tagen geübten
Pflichten
stand Rudolph leise auf, um vor allen Dingen einzuheizen; da sah er mit
Schrecken, dass sein Holzvorrat fast zu Ende war, – was dann anfangen?
Im Stall
war noch Holz, aber die Tür ging so schwer auf und der Vater hatte ihm
streng
verboten, allein in den Stall zu gehen. Nun, er machte das Feuer an,
legte
alles vorhandene Holz darauf; vielleicht wachte der Vater auf und
Rudolph
konnte ihn fragen. Aber kalt war es in der Stube, bitterkalt; Rudolphs
kleine
Hände waren ganz steif und das Feuer drohte bald zu verlöschen. Der
Vater aber
schlief noch immer; das Kind fasste ihn an, fuhr aber vor der
Eiseskälte des
Vaters zurück, – o wie musste der frieren! Dagegen waren ja
die Kindeshände noch lebenswarm. Aber der
Vater musste eine warme Stube haben, und wenn er aufwachte, auch einen
Teller
Suppe. Ja, wo Holz hernehmen? In den Stall durfte und konnte Rudolph
nicht;
dort hing eine Sense und Harken; einst war der Knabe beinah verletzt
worden von
der scharfen Schneide und seit der Zeit durfte er nicht mehr allein in
den
engen Stall gehen. Aber da draußen, der weite große Wald – er hatte
Holz genug
auf die Erde geworfen, um hundert Stuben zu erwärmen. – Rudolph
überlegte: Der
Vater schlief so ruhig und hatte in letzter Zeit oft gesagt: „Wenn ich
doch nur
einmal ordentlich schlafen könnte!“ und er fror sosehr, – welche
Freude, wenn
er beim Aufwachen alles hübsch fand. Ja, Rudolph wollte hinausgehen in
den Wald
und Holz sammeln, wie er so oft getan, dann würde sich hernach der
Vater freuen
und sagen: „Das hast Du recht gemacht, mein liebes Kind.“
Schnell
fuhr er in seine warme Jacke, zog die dicken Handschuh über die kleinen
Hände
und trat mutig seine Wanderung an. Als er die Tür hinter sich, ganz
leise, fest
geschlossen hatte, wurde ihm so fröhlich zu Mut, er war ja mit wenigen
Schritten
im Walde, der ihn wie ein alter Bekannter ansah. Wie reich hatte er
aber auch
für das arme Kind gesorgt! Hier die Eiche hatte ihre schönsten Äste auf
den
Boden geworfen, dort die Birke ihre dürrsten Zweige dem kleinen Sammler
gerade
vor die Füße gelegt. Und Rudolph las und las, bald hatte er ein Ärmchen
voll
und legte es auf ein Häuflein, und aus dem Häuflein wurde ein Haufen,
und noch
einer, und ein dritter. Wie würde der Vater sich freuen, dass Rudolph
so
fleißig war! Mehrere Male sah sich das Kind um, ob nicht die liebe
Gestalt, wie
so oft, dicht neben ihm stand. Aber nein, der Vater lag ja drinnen in
der Stube
und schlief, und war so kalt – Rudolph sammelte hurtiger und dann
versuchte
er alle die Reisigbündelchen zu einem großen Bündel zu vereinen, das er
auf dem
Rücken nach Hause trug. Nach großer Mühe gelang es endlich, obwohl die
kleinen
Finger sich hier und da blutig geritzt, – nun aber lag es fest und
ordentlich
da, rasch aufgeladen und nach Hause, am Ende ist der Vater schon
aufgewacht und
weiß gar nicht, wo sein Rudolph geblieben! –
Das
Bündel ist zu schwer, der kleine Kerl kann es nicht heben; er hat es
wohl
zehnmal versucht, aber vergebens. Doch vielleicht kann er es ziehen,
wie man
einen Wagen zieht? Er greift tapfer hinein in das Holz, – er zieht und
zieht,
nein, es ist auch dazu zu schwer, es liegt steif da und bewegt sich
nicht von
der Stelle. Was nun machen? Nach Hause laufen und den Vater holen, dass
er anfasst?
Ach nein, dann ist es mit aller Überraschung vorbei, und wer weiß auch,
vielleicht
schläft der Vater noch. Wenn nur ein anderer Mensch käme, – der Weg,
auf dem
sie zuweilen gehen, ist gar nicht weit von hier. Rudolph läuft auf die
Straße –
nein, es ist weit und breit niemand zu sehen, den er um Hilfe bitten
könnte. Da
fängt er bitterlich an zu weinen, – aber nicht lange; denn ihm fällt
ein, dass
er ja noch einen Vater hat, den er um Hilfe bitten
kann. Dieser Vater schläft nicht, – Rudolph faltet seine
Hände und betet: „Lieber
Gott, schicke doch einen, der das Holz mit anfasst!“
oben

______________________________________
Textgrundlage "Christblume", A.
Vollmar,
Untertitel:
Volksblatt eine Wochenzeitschrift mit Bildern,
Jahrgang
1878, Nr. 50, S. 394-396, Nr. 51, S.
401-403, Nr. 52, S. 411-413.
Herausgeber:
Dr. Christlieb Gotthold Hottinger. ED: 1878,
Verlag von
Dr. Hottinger's Volksblatt,
Erscheinungsort: Straßburg
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Yoam
Anton 26.12.09
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